Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 188: Die ungebildete Republik

Die Audit-­Uni­ver­sität

Forschung und Lehre im Griff des neuen Qualitätsmanagements

aus: vorgänge Nr. 188, Heft 4/2009, S. 33-42

Die Qualitätssicherung der universitären Forschung und Lehre erfährt gegenwärtig eine grundlegende Umwälzung. War sie traditionell ein treuhänderisches Ausbalancieren von Wissenschaftlichkeit und praktischem Nutzen für die Gesellschaft durch die akademische Gemeinschaft von Professoren, Mitarbeitern und Studierenden, so ist sie jetzt in der Hand eines managerialen Controlling durch stark gemachte Hochschulleitungen. Das Versprechen dieser managerialen Okkupation der akademischen Welt ist die Steigerung der Qualität von Forschung und Lehre. Eine genaue Betrachtung des sich vollziehenden Wandels bringt jedoch eine Wirklichkeit zum Vorschein, die erhebliche Qualitätseinbußen mit sich bringt.

Wuchernde Kontroll­ap­pa­rate: Die Kultur des Misstrauens

Innerhalb der Universitäten ist die Errichtung eines inneren Systems der totalen Kontrolle über die Tätigkeiten ihrer Mitglieder die Antwort auf das äußere, durch Peer review, Benchmarking, Evaluation und Ranking errichtete Kontrollsystem (Power 1997 ). Das nur Gutes versprechende Instrument dafür ist „Qualitätsmanagement“. Wer will schon etwas dagegen haben, dass eine Organisation auf die Qualität ihrer „Produkte“ achtet und sich durch „Systemakkreditierung“ ihr perfektes System der „Qualitätssicherung“ bestätigen lässt. Das kann ja nur im Interesse des „Konsumenten“ der „Produkte“ sein. Und schließlich ist die Universität ja für nichts anderes als für ihre Kunden da. Damit nichts schief geht und alles unter Kontrolle bleibt, werden „moderne“ Instrumente des Qualitätsmanagements wie Zielvereinbarungen und Kontraktierung eingesetzt. Business Schools, Unternehmensberatungen und Fortbildungseinrichtungen verkaufen diese Instrumente wie Heilsbringer, die helfen, die Leistungen ihrer Klienten eklatant zu steigern (Sommerhoff 2009). Anstelle der versteckten Bewertungen und Unsicherheiten über die Bewertungskriterien sollen offene Bewertungssysteme, jährliche Mitarbeitergespräche, exakt definierte Bewertungsstandards und genau spezifizierte Leistungskataloge treten. In den Zielvereinbarungen soll eindeutig festgelegt werden, was zu tun ist. Für diese Standardisierungsleistung lassen sich gute Gründe, bis hin zum Recht auf Gleichbehandlung, nennen: „Wir wollen das aus Schulzeiten bekannte Phänomen vermeiden, dass es bei dem einen Lehrer leicht ist, eine Zwei zu bekommen, während beim anderen eine Drei schon eine stramme Leistung ist“, wird die Leiterin der Personalentwicklung bei Vodafone zitiert (Sommerhoff 2009). Man kann dazu auch sagen, dass dem neuen Sozialingenieur nichts zu schwer ist. In diesem Fall impliziert diese Problemlösung allerdings, dass ein Großteil der ursprünglichen, nicht in Kennziffern zu fassenden Leistungen schlicht ignoriert werden muss, um die gewünschte Standardisierung der Begutachtungen zu erreichen.

Das große Zauberwort, das für die grundlegende Legitimität dieses Systems der totalen Kontrolle sorgt, ist „Transparenz“. Im Interesse aller Beteiligten und Betroffenen und der Leistungssteigerung jedes Einzelnen sowie der ganzen Organisation soll vollkommene Offenheit herrschen. Das klingt wie „Aufklärung“ und kann sich deshalb der Weihung durch den sakralen Kern der modernen westlichen Kultur sicher sein. Dabei muss allerdings darüber hinweggesehen werden, dass die Wurzel dieses Systems das in Japan praktizierte „Total Quality Management“ ist (Vinni 2007), das auf der japanischen Kultur der Herrschaft der Gruppe über das Individuum gründet (Nakane 1985; Deutschmann 1987). Man muss auch übersehen, dass Japan mit diesem System inzwischen gut 20 Jahre der „totalen“ wirtschaftlichen und technologischen Stagnation durchlebt hat, von der Unfähigkeit zu wissenschaftlichen Durchbrüchen ganz zu schweigen.

Es bedarf also erheblicher Anstrengung, um die Schattenseiten des totalen Qualitätsmanagements nicht sichtbar werden zu lassen. Dazu gehört auch die Erweckung des Eindrucks, dass es vor dem Einsatz der neuen Instrumente keine Qualitätssicherung gegeben habe, Qualität demnach vom neuen Qualitätsmanagement überhaupt erst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt worden sei. Sozialisation, Berufsethik, professionelle Gemeinschaft, intrinsische Motivation, Selbstverantwortung, sorgfältige Personalrekrutierung, Vertrauen, spontanes Lob und auch bürokratische Verfahren sind vielfältige soziale Formen, die vor der Einführung der totalen Qualitätssicherung der Erzeugung einer Vielfalt von Leistungen gedient haben und je nach Aufgabenstellung zum Einsatz gekommen sind. Mit dieser Vielfalt von Formen war es auch möglich, nicht nur Qualität zu sichern, sondern auch Kreativität und Originalität zu fördern. Totales Qualitätsmanagement droht diese traditionellen Formen der Sicherung von Qualität und der Förderung von Originalität zum Verschwinden zu bringen und durch eine Einheitsform der externen, genau spezifizierten Kontrolle zu ersetzen.

Wo es im Rahmen der eingelebten Praxis eine Kultur des Vertrauens gab, herrscht jetzt eine ubiquitäre Kultur des Misstrauens (Münch 2009b). Weil das so ist, sehen sich Supermarktketten wie Lidl, Bahn und Telekom auch veranlasst, ihre eigenen Mitarbeiter einer totalen Überwachung und Bespitzelung zu unterwerfen. Die verantwortliche Unternehmensführung ist sich noch nicht einmal einer Schuld bewusst und kann auch nicht die öffentliche Aufregung darüber verstehen. Im System des totalen Qualitätsmanagements gibt es in der Tat auch keine Kriterien dafür, wie weit die Kontrolle gehen darf und wo die Autonomie des Individuums beginnt. Aus der Sicht der Qualitätssicherung kann die Kontrolle nie weit genug gehen. Jede Grenzziehung dafür scheint ja die Qualität zu Lasten des Kunden zu beeinträchtigen. Deshalb denkt sich auch der Kunde nichts dabei, wenn er ein paar Tage nach dem Kundendienst an seinem Kraftfahrzeug von der Qualitätssicherung seines Werkstattbetriebes angerufen wird, um mitzuteilen, ob die Mitarbeiter des Betriebes auch alles richtig gemacht und ihn zuvorkommend behandelt haben.

Ein solches, von Japan übernommenes System der totalen Kontrolle stellt im Westen eine Kulturrevolution dar und droht die Errungenschaften einer auf Freiheit und Selbstverantwortung aufbauenden Kultur zu zerstören. Wo es um Qualitätssicherung geht, müssen ohne die Grundlagen einer auf Gruppenloyalität und Konformismus gestützten Kultur die Kontrollen ins Extreme gesteigert werden, weil sie sonst nicht greifen. Am Ende entsteht eine Allianz von totalem Egoismus und totaler Kontrolle, deren Auswüchse überall sichtbar werden, in den Schulen genauso wie in den Universitäten, Verwaltungen und privatwirtschaftlichen Betrieben. Überall wird um die Durchsetzung der eigenen Interessen gekämpft, überall müssen externe Kontrollen für Sicherheit sorgen, weil sich niemand vor Angriffen jeglicher Art sicher sein kann, jeder einem jeden misstraut. Es herrscht der Hobbessche Kampf aller gegen alle, der nur noch durch eine Form der absoluten Herrschaft eingedämmt werden kann. Ausbrüche der brutalen Gewalt, wie in den sich häufenden Fällen von Amokläufen an Schulen, sind nur der extremste Ausdruck des alltäglichen Kampfes aller gegen alle in der Allianz von entfesseltem Wettbewerb, grenzenlosem Egoismus und totaler Kontrolle. Die weniger dramatischen Folgen des Systems der totalen Qualitätssicherung äußern sich in der Verwandlung von Personen, die schlicht ihre Arbeit gut machen wollen, in Punktejäger, die im Notfall auch Zahlen manipulieren, Bestechungsgelder anbieten und Kolleginnen bzw. Kollegen mobben, um sich auch nur kleinste Vorteile zu verschaffen. Doping, Cheating und Mobbing sind unvermeidlicher Bestandteil dieses Systems.

Erst recht gravierend sind die Folgen der Allianz von Egoismus und externer Kontrolle überall dort, wo es um die Förderung von Kreativität geht. Das gilt in besonderem Maße in der Wissenschaft. Mit einem im Alter von vierzig Jahren berufenen Professor, der eine beeindruckende Liste von Drittmittelprojekten und Publikationen vorweisen kann, eine Zielvereinbarung über die nächsten fünf Jahre zu treffen, ist mit Sicherheit nicht förderlich für die Entfaltung seiner Kreativität (Knobloch 2008). Das wird aber von Hochschulleitungen – selbst gefangen im Panoptikum der Wissenschaft – in aller Ernsthaftigkeit getan. Im System des totalen Qualitätsmanagements forscht der Professor nicht mehr, er produziert stattdessen Kennzahlen. Das Mittel der Leistungsmessung wird zum Selbstzweck. Er kann nur noch das tun, was mit geringstmöglichem Aufwand die größtmögliche Zahl von Punkten einbringt. Das ursprünglich sehr breite Spektrum des Suchens und Forschens wird durch die ausschließliche Konzentration auf wenige Kennziffern ersetzt. Die Folge dieser Kennziffernsteuerung ist die Reduktion des Spielraums der Forschung, der Vielfalt des Forschens und damit die Einschränkung des Potenzials für Kreativität und Originalität. Dementsprechend sinkt die Erneuerungsrate des wissenschaftlichen Wissens. Darüber hinaus wird die eigentliche Forschungstätigkeit von einer stetig wachsenden Maschinerie der Datenerhebung, Berichterstattung und Begutachtung sowie des Ratings und Rankings überwuchert. Die unausweichliche Kritik an deren Qualität lässt sie paradoxerweise ohne Grenzen weiter wachsen, weil sie weiter differenziert werden müssen. Sie verschlingen einen immer größeren Teil der eigentlich für die Forschung gedachten Finanzmittel, und weil die Positionierung in der Öffentlichkeit immer wichtiger für das Fundraising ist, werden auch die Aufwendungen für Public Relations und Marketing massiv gesteigert.

Auch diese neue Praxis der Kontrolle über die Wissenschaft durch Qualitätsmanagement zerstört eine Errungenschaft der modernen westlichen Kultur: die Freiheit von Forschung und Lehre. Angesichts der Hegemonie des neuen ökonomischen Denkens sehen sich noch nicht einmal hohe Gerichte wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in der Lage, anlässlich der Klage der bayerischen Jura-Fakultäten die Entmachtung der Fakultäten und die damit verbundene Einschränkung der akademischen Freiheit durch das neue bayerische Hochschulgesetz aufzuhalten.

Syste­mak­kre­di­tie­rung: Akademische Lehre unter totaler Kontrolle

Unternehmerische Universitäten müssen ihre äußere Marktposition durch inneres Qualitätsmanagement in Forschung und Lehre sichern. Ein führungsstarkes Universitätsmanagement muss deshalb die alte akademische Selbstverwaltung durch die akademische Gemeinschaft von Forschenden, Lehrenden und Lernenden unter korporativer Führung der Professoren ablösen. Zielvereinbarungen und Steuerung durch Kennziffern (z.B. Drittmitteleinwerbung, Publikationen, Absolventenquoten, Platzierung von Absolventen auf dem Arbeitsmarkt) müssen den Durchgriff des Universitätsmanagements durch alle Fakultäten und Abteilungen der Universität hindurch sicherstellen. Diese neue Programmatik erzeugt zunächst eine virtuelle Realität, die jedoch auf die tatsächliche Praxis kolonisierend zurückwirkt und eine Zielverschiebung mit sich bringt. Das kann exemplarisch anhand der Qualitätssicherung in der akademischen Lehre gezeigt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die zum Zwecke der Qualitätssicherung eingeführte Akkreditierung von Studiengängen durch Akkreditierungsagenturen. Sie ersetzt die alte formal-juristische Kontrolle durch das Wissenschaftsministerium und die inhaltliche Kontrolle durch die maßgeblich von Vertretern der Fachgesellschaften erarbeiteten Rahmenprüfungsordnungen. Im Vergleich zur alten formal-juristischen und fachgesellschaftlichen Kontrolle erlangen bei der Kontrolle durch Akkreditierungsagenturen manageriale, aus Wirtschaftsunternehmen übertragene Formen der Qualitätssicherung eine bislang nicht dagewesene Bedeutung. Weil sie der akademischen Lehre völlig fremd sind, bilden sie zunächst eine virtuelle Realität mit einem ausgeprägten Eigenleben, um dann aber zunehmend den akademischen Lehrbetrieb zu kolonisieren und in der Tendenz eine Zielverschiebung herbeizuführen, die den fachgesellschaftlich definierten Sinn und Zweck der akademischen Lehre zum Verschwinden bringt.

Um nicht ständig die Akkreditierungsagentur ins Haus holen und teuer bezahlen zu müssen, richten unternehmerisch agierende Universitäten die „Systemakkreditierung“ ein. Das heißt, sie verordnen sich ein eigenes „Qualitätsmanagement“ für die Lehre. Die Akkreditierungsagentur kontrolliert dann nur noch, ob die universitätsinternen Kontrollen umfassend genug gestaltet sind. Zu diesem Zweck schafft die Universitätsverwaltung eine neue Abteilung für das Qualitätsmanagement. Das geschieht in der Hoffnung, dass man auf diese Weise nicht nur Geld sparen, sondern auch die Sache unter eigener Kontrolle halten kann. Man begibt sich allerdings in die Gefahr einer Selbstkolonisierung der akademischen Lehre durch das eigene Universitätsmanagement. Die neue Abteilung erarbeitet zunächst einmal ein umfangreiches Handbuch mit unzähligen Graphiken, in denen alle Kontrollschleifen für die Einrichtung, Praktizierung und Beendigung von Studiengängen und für allen Phasen des Studiums bis ins kleinste Detail mit jeder Menge an Rückkopplungen, Kontrollen und Gegenkontrollen, Pfeilen nach unten und oben, links und rechts, diagonal von links oben nach rechts unten und von links unten nach rechts oben aufgezeichnet sind. Es wird nach außen klar signalisiert, dass an dieser Universität niemand einen unkontrollierten Atemzug macht. Eine wahre Armada von Kontrollinstanzen ist laut Handbuch an der Gestaltung der akademischen Lehre beteiligt. Das wird für die Systemakkrediteure direkt sichtbar durch eine beeindruckende Grafik demonstriert. So wird klargemacht, dass jede denkbare Instanz involviert ist und alles bis ins kleinste Detail unter Kontrolle gehalten wird.

Der einstmals selbstverantwortlich nach bestem Wissen und Gewissen handelnde, Forschung und Lehre miteinander verbindende Professor schrumpft in der Darstellung der Kontrollschleifen auf die von unzähligen Kontrollinstanzen umzingelte Kategorie „Lehrender“ zusammen. In der Abbildung der Akteure und Entscheidungswege kommt der einzelne Professor konsequenterweise gar nicht mehr vor. Das ist nicht weniger als die Extinktion einer altehrwürdigen Profession auf kaltem Wege (Abb. 1). Wir finden in dem beispielhaft herangezogenen Qualitätshandbuch für die akademische Lehre exakt jenes 360°-Feedback (Bröckling 2007: 236-247), das Michel Foucault (1977: 265) in seiner Analyse des Benthamschen Panoptikums als Kennzeichen einer durch und durch rationalisierten Regierung offengelegt hat. Es ist Teil jener liberalen Gouvernementalität, die jenseits der territorialen Gesetzesherrschaft und jenseits der direkten Disziplinarmacht des Staates aus der umfassenden Nutzung von Wettbewerbsmechanismen zu Zwecken der Governance komplexer Vorgänge hervorgeht (Foucault 2006). In der akademischen Welt ist es die Unterwerfung von Forschung und Lehre unter den Wettbewerb zwischen unternehmerisch geführten, aus staatlicher Obhut entlassenen Universitäten um Marktmacht (Clark 1998; Slaughter und Rhoades 2004; Washburn 2005).

Angesichts des 360°-Feedbacks des internen Qualitätsmanagements kann die Akkreditierungsagentur der Universität beruhigt das Qualitätssiegel für „gute Lehre“ aufstempeln. Die graphische Darstellung der Kontrollschleifen bildet eine Realität sui generis, die den Blick der Kontrolleure auf sich zieht. Es wird „Comforting“ (Beruhigung) praktiziert. Derweil variieren die Verhältnisse im Inneren der Universität zwischen der totalen Entkopplung des realen Geschehens von der im Qualitätshandbuch aufgebauten Fassade – wenn die Sache innen nicht so ernst genommen wird, wie es nach außen scheint – und der totalen Erstickung des Lehrbetriebs durch einen Kontrollapparat, vor dem es kein Entkommen gibt, wenn die Sache nicht nur in der Außendarstellung, sondern auch innen ernst genommen wird.

Abb. 1 Beteiligte Akteure im Qualitätsmanagement (QM) auf zentraler Entscheidungsebene/Entscheidungswege
XXXXXX Grafik

Sobald die Entkopplung der virtuellen Realität der Qualitätssicherung in die Kolonisierung der akademischen Lehre durch manageriales Denken umschlägt, ersetzen die formalen Kontrollen das akademische Ethos. Sie lassen es gar nicht mehr zur Entfaltung kommen, weil sich das Augenmerk nur noch auf das Abhaken der formalen Anforderungen richtet. Von entscheidender Bedeutung bei dieser managerialen Umgestaltung der akademischen Lehre ist die Transformation des Lehrer/Schüler-Verhältnisses in eine Beziehung zwischen Dienstleister und Kunden. Dadurch wird das akademische Band zwischen den Lehrenden und Lernenden zerschnitten. Ihre einmal gebildete akademische Gemeinschaft, in der sie in komplementären Rollen eine gemeinsame Verantwortung für den Bildungsprozess getragen haben, ist zerstört. Sollen in der akademischen Lehre nur noch Kundenwünsche erfüllt werden, dann verdrängt das Bestreben, die Studierenden bei der Lehrevaluation zu guten Bewertungen zu veranlassen, das akademische Ethos, sie in die Welt der Wissenschaft hineinführen zu wollen, auch wenn das ein mühsamer und entsagungsreicher Weg sein mag. Weil die sicherste Strategie zur Erzielung einer guten Lehrevaluation beste Noten für niedrigste Anforderungen sind, ergibt sich eine enorme Inflation an sehr guten Noten, wie man in den unternehmerisch geführten Universitäten der USA – wo schon seit langer Zeit Lehrevaluationen zum Standard des Lehrbetriebes gehören – festgestellt hat (Metz-Göckel 2004). Auch die besten Zeugnisse haben deshalb keinen besonderen Wert mehr. Umso mehr kommt es deshalb in den USA auf das teuer zu bezahlende Prestige der Universität an, mit deren Zertifikat man sich auf dem Arbeitsmarkt positioniert. Der Prestigewert des Bildungstitels hat dann eine viel größere Bedeutung als der Sachwert. Und es muss das persönliche Profil durch allerlei Zusatzqualifikationen – z.B. durch teure Auslandsstudien und Praktika bei renommierten Unternehmen – nachgebessert werden. Dabei bekommt das ökonomische und kulturelle Kapital des Elternhauses einen neuen Stellenwert, der unter der Obhut des Wohlfahrtsstaates lange Zeit mit mehr oder weniger Erfolg bekämpft worden war. Das Elternhaus entscheidet wieder verstärkt über die Karrierechancen des Nachwuchses. Das Qualitätsmanagement führt demnach zu dem paradoxen Effekt, dass Bildungszertifikate ohne Aussagekraft ausgestellt werden. Sie haben weder eine „Handschrift“ durch das akademische Ethos und das fachliche Wissen der Professoren noch steht hinter ihnen eine gereifte und fachlich gebildete Persönlichkeit. Die umfangreichen Kontrollen zerstören die pädagogische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler. Beide sind nur noch damit beschäftigt, den Kontrollen Genüge zu tun. Die Sache selbst tritt in den Hintergrund. Das gilt umso mehr, je mehr sich die Lehre im Massenbetrieb und in Betreuungsrelationen von 1 zu 100 vollzieht.

Normalerweise hatte ein Professor durch die regelmäßig von ihm betreuten Diplomarbeiten eine ständige Kontrolle darüber, ob das Studium Persönlichkeiten mit Urteilskraft und fachlichem Können hervorbringt. Die manageriale Umsetzung des Bologna-Prozesses und die entsprechende Ablösung der alten Diplom- und Magisterstudiengänge durch Bachelor- und Masterprogramme lässt diese akademische Kontrolle über die Lehre nicht mehr zu. Der Lernprozess wird in eine Vielzahl kleinster, für sich selbst stehender Einheiten zerstückelt. An die Stelle umfangreicher und tief schürfender Diplom- und Magisterarbeiten treten kleine Abschlusspapiere. Die Studierenden lernen in diesem managerial diktierten System, wie man am besten Leistungspunkte sammelt, erwerben aber kein zusammenhängendes fachliches Wissen und erst recht keine Urteilskraft. Hinter den vielen Einzelnachweisen ist die Persönlichkeit nicht mehr zu erkennen. Im Ergebnis führt das Qualitätsmanagement ein Eigenleben und erzeugt einen Schein von Qualität, hinter dem sich nur noch leeres Punktesammeln verbirgt, ohne dass daraus gereifte und fachlich urteilsfähige Persönlichkeiten hervorgehen.

Die schrump­fende Kreativität in Forschung und Lehre

Es beweist sich hier, was Michael Power (1997, S. 101-103, 124-126) als einen allgemeinen Trend der Audit-Gesellschaft identifiziert hat. Die unternehmerische Universität ist auch eine Audit-Universität und hat als solche ihren Preis. Die „Befreiung“ der universitären Bildung aus der Treuhänderschaft der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften und ihre Umwandlung in eine auf dem Bildungsmarkt gehandelte Ware erzeugt ein Maß an Unsicherheit, das die Unterwerfung des Bildungsprozesses unter eine totale externe Kontrolle trotz aller Bedenken als unausweichlich und deshalb gerechtfertigt erscheinen lässt. Das bedeutet letztlich in der Tendenz eine Kolonisierung des Bildungssystems durch die Ökonomie. Im Feld der Bildung können nicht mehr ausreichende Gegenkräfte gegen die ökonomischen Imperative mobilisiert werden. Es dominiert dementsprechend die Vermittlung ökonomisch verwertbarer, im betrieblichen Beschäftigungsverhältnis weiter entwickelbarer Grundkompetenzen. Dagegen treten die Aufgaben der Persönlichkeitsbildung und der Fachbildung in den Hintergrund. Das akademische Qualitätsmanagement führt offensichtlich entgegen aller Hoffnung nicht in die beste aller Welten. Die manageriale Kontrolle über Forschung und Lehre muss mit einem Verlust an ihrer genuinen Qualität bezahlt werden, ihrer grundsätzlich nicht auf wenige Kennziffern reduzierbaren Diversität, Originalität und Vertiefung in die Sache selbst.

Nun ist aber nicht zu bestreiten, dass die akademische Gemeinschaft in der Massenuniversität längst ihre Vitalität verloren hat und eine kaum überbrückbare Kluft zwischen dem Festhalten der Lehrenden an der Wissenschaftlichkeit des Studiums und den Interessen der Studierenden sowie ihrer späteren Arbeitgeber an dessen praktischem Nutzen entstanden ist. Das Verständnis der Universität als Unternehmen, der Forschenden und Lehrenden als Agenten des Prinzipals Hochschulleitung und der Studierenden als Kunden, die es zufrieden zustellen gilt, setzt an die Stelle der Entscheidung über das Curriculum durch die von Forschenden, Lehrenden und Lernenden gebildete akademische Gemeinschaft die externe Steuerung durch die aus praktischen Verwertungsinteressen entstehende Nachfrage nach Studiengängen und deren Akkreditierung durch Agenturen nach Maßgabe ihrer Standardisierung, Durchorganisation, Studierbarkeit und Kontrolle durch Qualitätsmanagement. Damit haben die akademische Gemeinschaft, die wissenschaftliche Gemeinschaft der Fachgesellschaften (Chemiker, Physiker etc.) und die professionellen Vereinigungen (Ärzte, Anwälte) ein erhebliches Maß an Definitionsmacht über das Curriculum verloren. Das bedeutet einen Verlust an akademischer Freiheit und eine verstärkte Instrumentalisierung des wissenschaftlichen Studiums für praktische Zwecke. Die Folge davon ist eine verminderte Ausschöpfung des Kreativitäts- und Erneuerungspotentials der akademischen Forschung und Lehre (Münch 2009a).

Was tun?

Man kann nicht sagen, dass das Akkreditierungsverfahren stromlinienförmig die alte akademische Qualitätssicherung gegen das manageriale Controlling mittels Kennziffern austauschen würde. Der Konflikt zwischen beiden Modellen findet sich in der Organisation der Akkreditierung selbst. So wacht in Deutschland mit dem Akkreditierungsrat eine oberste Kontrollinstanz über das Akkreditierungsverfahren und die Tätigkeit der Akkreditierungsagenturen. In diesem Rat wird um die Erhaltung der akademischen Freiheit unter den neuen Zwängen der managerialen Kontrolle gekämpft. Dasselbe tun Professoren als Mitglieder von Akkreditierungskommissionen, die gegen zu weitgehendes Hineinreden in die Studiengänge Widerspruch einlegen. Auf diese Weise mag es in der Tat gelingen, das notwendige Maß an akademischer Freiheit zu retten, das für kreative Lehre erforderlich ist. Allerdings wird das nur dann gehen, wenn das Bewusstsein für die Gefahren der managerialen Kontrolle geschärft wird. Das kann nachhaltig nur dann gelingen, wenn die akademische Gemeinschaft eine Revitalisierung unter den gegebenen Bedingungen erfährt. Die akademische Gemeinschaft war in der Massenuniversität in der Tat nur Fiktion. Das hat zu einer wachsenden Kluft zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch der Professoren an das Studium und dessen praktischem Nutzen für Studierende, Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit und zu hohen Studienabbrecherquoten geführt. Die Ausbalancierung zwischen beiden Seiten ist an zwei Voraussetzungen gebunden: erstens die Differenzierung in ein Vorgraduiertenstudium (Bachelor) und ein Graduiertenstudium (Master/Promotion), zweitens die Revitalisierung der akademischen Gemeinschaft durch ein dafür angemessenes Betreuungsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden, etwa 1:5 im Graduiertenstudium und 1:20 im Vorgraduiertenstudium. Die Reintegration der außeruniversitären Forschung in die Universitäten nach amerikanischem Vorbild würde dafür die Voraussetzungen bieten. Eine weitere Bedingung wäre die flächendeckende Ersetzung des akademischen Mittelbaus durch Juniorprofessuren, denen die Chance des Aufstiegs in die höheren Professorenränge gewährt wird (tenure track). Beides würde nahezu kostenneutral erheblich zur Erneuerung der akademischen Gemeinschaft in den Universitäten beitragen und Verhältnisse schaffen, wie sie an den amerikanischen Forschungsuniversitäten anzutreffen sind. Wie dort könnte sich die Revitalisierung der akademischen Gemeinschaft ganz auf die Gestaltung von Forschung und Lehre in den Departments und Forschungszentren konzentrieren, während die strategischen Fragen Sache von in der Tat starken Hochschulleitungen sind, die aber in der Regel nicht direkt in Forschung und Lehre hineinregieren, sondern diese der Selbstorganisation der Departments überlassen. Die Hochschulräte gewährleisten auf der strategischen Ebene die Vermittlung zwischen Universität und Gesellschaft, ohne den Departments in Forschung und Lehre hineinzureden. In den USA findet man also gerade nicht die Auswüchse eines Qualitätsmanagements, bei dem sich die Hochschulleitungen der genuinen Angelegenheiten der Departments bemächtigen. Die 100 Universitäten in Deutschland könnten nach diesem Modell nicht alle in jedem Fach bzw. Fächerspektrum ein Master-/Promotionsstudium anbieten. Am Maßstab der USA gemessen, könnten es etwa 30 in jedem Fach sein, die aber alle mit ausreichend kritischer Masse ausgestattet sein müssten, um unter Bedingungen der Chancengleichheit konkurrieren zu können.

Alle 100 wären aber zu etwa 80 Prozent im Vorgraduiertenstudium engagiert. Von ihnen könnten einige große in einer größeren Zahl von Fächern Master-/ Promotionsstudiengänge anbieten, einige mittlere in einer mittleren Zahl und einige kleinere nur in den wenigen Fächern ihres spezifischen Profils. In dieser restrukturierten akademischen Welt könnte man das strategische Geschäft den Hochschulleitungen überlassen, das operative Geschäft in Forschung und Lehre aber in die Hände der revitalisierten akademischen Gemeinschaft von Forschenden, Lehrenden und Lernenden zurückgeben. Deren Qualitätssicherung bestünde in der sorgfältigen Rekrutierung ihrer Mitglieder und in einem allseits anspornenden Klima einer akademischen Freiheit, die zugleich mit höchstem Engagement in Forschung, Lehre und Lernen verbunden ist und einer von außen eingreifenden Kontrolle nicht bedarf.

Literatur

Bröckling, Ulrich, 2007: Das unternehmerische Selbst. Frankfurt a. M.; Suhrkamp.

Clark, Burton R, 1998: Creating Entrepreneurial Universities. Organizational Pathways of Transformation. Oxford; Pergamon Press.

Deutschmann, Christoph, 1987: Der ‚Betriebsclan‘. Der japanische Organisationstypus als Herausforderung für die soziologische Modernisierungstheorie. Soziale Welt 38, S. 133-147.

Foucault, Michel, 1977: Überwachen und Strafen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Foucault, Michel, 199: Die Ordnung des Diskurses. München: Hanser.

Foucault, Michel, 2006: Geschichte der Gouvernementalität. 2 Bde. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Knobloch, Clemens, 2008: Das Neuakademische. Anmerkungen zur Sprache der unternehmerischen Hochschule. Aptum 4(2), S. 147-170.

Metz-Göckel, Sigrid, 2004: Exzellenz und Elite im amerikanischen Hochschulsystem. Porträt eines Women’s College. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Münch, Richard, 2009a: Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey &Co. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Münch, Richard, 2009b: Die Kultur des Misstrauens. Blätter für deutsche und internationale Politik 54(1), S. 20-22.

Nakane, Chie, 1985: Die Struktur der japanischen Gesellschaft. Frankfurt a.M; Suhrkamp.

Power, Michael, 1997: The Audit Society. History, Institutions, and Social Analysis. Princeton, N.J.; Princeton University Press.

Slaughter, Sheila und Gary Rhoades, 2004: Academic Capitalism and the New Economy. Baltimore und London; The Johns Hopkins University Press.

Sommerhoff, Barbara, 2009: Mitarbeiter des Monats. Wie man Leistung beurteilt. Süddeutsche Zeitung 65, Nr. 67, 21./22. März 2009, S. V2/9.

Vinni, Rauno, 2007: Total Quality Management and Paradigms of Public Administration; International Public Management Review 8(1), S. 103-131.

Washburn, Jennifer 2005: University Inc. The Corporate Corruption of Higher Education. New York; Basic Books.

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