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Wenn Zeitungen stiften gehen

aus: Vorgänge 195 ( Heft 3/2011), S.131-134

Essay

Theophraste Renaudot, der Herausgeber der ersten französischen Zeitung „La Gazette”, gilt nicht nur als einer der Begründer des modernen Journalismus. Er war auch ein bedeutender Philanthrop. Obwohl er vor über 350 Jahren starb, sind seine Ideen hochaktuell. Denn auch wenn die Zeiten, als Einsparrunden, Entlassungen und die Einstellung ganzer Zeitungen an der Tagesordnung waren, vorerst vorbei zu sein scheinen, ist die Medienkrise nicht ausgestanden. Schließlich war nur ein Teil ihrer Probleme konjunkturell bedingt, Resultat der Wirtschaftskrise. Der andere ist und bleibt strukturell. Die philanthropische Förderung von hochwertigem Journalismus, wie sie in den USA seit Längerem praktiziert wird, könnte daher auch hierzulande zu einem Modell der Zukunft werden.

Der US-Wissenschaftler Philip Meyer prognostizierte vor wenigen Jahren in seinem Aufsehen erregendem Buch „The Vanishing Newspaper”, dass die letzte Papierzeitung um das Jahr 2040 von der Druckwalze laufen könnte – nicht einmal 400 Jahre nach Erscheinen der ersten Tageszeitungen. Wurde diese Prognose noch vor wenigen Jahren als absurd abgetan, sind sich die Experten heute sicher, dass wir journalistische Inhalte schon in wenigen Jahren überwiegend in digitaler Form und über elektronische Geräte wie PCs, iPads oder Smartphones rezipieren werden. Das Jahr 2010 markierte in dieses Hinsicht eine medienökonomische Zäsur. Im aktuellen „State of the News Media Report”, einer jedes Jahr vom Pew Research Center durchgeführten Analyse zur Lage des Journalismus, schlug das Internet erstmals die Zeitungen als wichtigste Nachrichten-quelle der Amerikaner. Die Auflagenzahlen der Tageszeitungen sind seit Jahren rück-läufig, das Durchschnittsalter der Leser steigt: „Zeitungsleser sind auf dem Weg zurr Friedhof. Die Nicht-Zeitungsleser verlassen gerade das College”, sagt der amerikanische Finanzinvestor und Großspender Warren Buffet, der seit 1973 an der Washington Post beteiligt ist. Zudem floss letztes Jahr, ebenfalls eine Premiere, mehr Geld in Onlinewerbung als in Zeitungsanzeigen. Problematisch ist, dass diese Mittel überwiegend bei Internet-Aggregatoren wie Google landen und nicht mehr der Finanzierung des journalistischen Angebots zugute kommen. In den letzten vier Jahren verzeichneten US-Zeitungen bei den Werbeeinnahmen Verluste von 48 Prozent.

In diesen Tatsachen manifestiert sich auch die Herausforderung, der sich der deutsche Journalismus stellen muss. Vor allem dem Printjournalismus bricht das Geschäftsmodell weg. Zwar erreichen einige Zeitungen, ihre Online-Ausgaben eingerechnet, mehr Leser als je zuvor. Doch geht die Zahl derjenigen, die für Zeitungsjournalismus in gedruckter oder digitaler Form bereit sind zu zahlen, tendenziell zurück. Und die dramatischen Verluste im Einzelverkauf und im Anzeigengeschäft, wie sie auch deutsche Zeitungshäuser verzeichnen mussten, konnten bisher nicht durch zusätzliche Ein-nahmen im Netz ausgeglichen werden. Die Konsequenz ist klar und gibt keinen Anlass zum Optimismus: Das große Sterben der Tageszeitungen steht uns noch bevor — und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks, denn bei allen Unterschieden zwischen den beiden Medienmärkten ist der Auflagenverfall in den USA und Deutschland auf gleichem Niveau. Heute gelten mit der seit Langem schwächelnden Frankfurter Rundschau und der unter der Kreditlast ihres Eigentümers ächzenden Süddeutschen Zeitung zwei überregionale Qualitätsblätter als angeschlagen. Dass der Mantelteil der FR künftig in der Redaktion der zum gleichen Verlagshaus gehörenden Berliner Zeitung entstehen soll, zeigt, wie ernst die Lage ist. Die für die publizistische Versorgung besonders wichtigen Regionalzeitungen, in ihren Verbreitungsgebieten häufig Monopolisten, sehen sich massiven Sparvorgaben ihrer Verleger ausgesetzt. Der Trend, Redaktionen zusammenzulegen oder auszulagern, hält an. Der Qualität kann das nicht gut tun, für solide Recherche und investigativen Journalismus bleibt immer weniger Geld.

Insbesondere in den USA sind in den vergangenen Jahren Initiativen entstanden, die versuchen, dem Marktversagen etwas entgegenzusetzen. Die dieses Jahr bereits zum zweiten Mal in Folge mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Recherche-Plattform „Pro Publica” und nicht zuletzt Wikileaks haben auch bei uns eine Debatte darüber in Gang gebracht, ob es neben privatwirtschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Medien, anderer, nicht-kommerzieller, philanthropischer Organisationsformen bedarf Vollkommen neu sind solche Konstruktionen nicht: Schon lange steckt hinter einer großen deutschen Tageszeitung ein kluger, aber wenig transparenter Stiftungs-Kopf, wird die „taz” stilecht von Genossen getragen, sind auf lokaler Ebene Blogs wie „Regensburg Digital” oder „Ruhrbarone” entstanden. Bekannt sind diese Modelle kaum — was bedauerlich ist, geht es doch um die kommunikative Infrastruktur unseres freiheitlichen Gemeinwesens.

Insbesondere Stiftungen könnten eine viel größere Rolle bei der Förderung einer freien Presse spielen. Zwar haben nur sehr wenige von ihnen ein solches Ziel in ihrer Satzung verankert (laut einer Untersuchung des Instituts Active Philanthropy nicht ein-mal 0,5 Prozent), doch findet sich die Förderung der Demokratie in sehr vielen Zielbestimmungen — und um das demokratische Tafelsilber geht es schließlich. Bislang kümmern sich Stiftungen vor allem um die Ausbildung von Journalisten. Hinzu kommen Preise, oftmals mit erheblichem Marketingaufwand, aber kaum je mit Preisgeldern aus-gestattet, die einem Journalisten eine investigative Recherche über längere Zeit finanzierten. Daneben sich jedoch noch einige andere Möglichkeiten denkbar, wie Medien mäzenatisch gefördert werden können. Die günstigste Variante sind die schon erwähnten Blogs, die spendenfinanziert beispielsweise die lokale Berichterstattung beleben, in-dem sie sich stärker Hintergründigem widmen (was die Lokalpresse häufig nicht mehr tut). Solche Projekte können als eine Art Scharnier zwischen Zivilgesellschaft und professionellem Journalismus fungieren, sichern letzterem Anschlussfähigkeit und Bodenhaftung, und fördern gleichzeitig Medienkompetenz, indem sie die Bürger in die journalistische Produktion einbinden.

Die ebenfalls schon genannte amerikanische „Pro Publica” ist wie „spot.us” ein allerdings millionenschweres Beispiel, wie sich philanthropisch geförderter Journalismus Themen annimmt, die von den kommerziellen Medien aufgrund des hohen Rechercheaufwands oder zu erwartender Prozesskosten links liegen gelassen werden. Solche Projekte können zudem als Innovationstreiber fungieren und neue, unter Umständen teure Arbeitsweisen wie Datenjournalismus, die Sammlung, Analyse und Veröffentlichung komplexer Daten, fördern. Nach dieser ldee agiert heute schon die Knight-Foundation in den USA. Sie fördert kleine viel versprechende Start-Ups, die ohne eine Anschubfinanzierung nicht entstünden. Auf lokaler regionaler Ebene, die nach der Medienkrise in großen Teilen journalistisch unterversorgt sind, entstehen dadurch onlinebasierte Nachrichtenwebseiten, die über Themen aus der Region berichten wie die Voice of San Diego, MinnPost und Texas Tribune. Diese Non-Profit-Projekte finanzieren sich zum Teil aus Fördergeldern großer Stiftungen, sie greifen aber auch auf Unterstützerkreise zahlungsbereiter Leser zurück. Ein anderer Weg tut sich auf, wenn etablierten Medien privates Kapital jenseits manch verlegerischer Renditeerwartung in prozentual zweistelliger Höhe zur Verfügung gestellt wird. Schließlich, zugegebenermaßen das teuerste Modell, könnten etablierte Medien durch privates (Stiftungs-)Kapital von wirtschaftlichen Zwängen und Renditeerwartungen befreit oder gar in Non-Profit-Institutionen um-gebaut werden. Neben Steuervorteilen könnte dies wiederum den Zugang zu Fördermitteln vereinfachen und die Einwerbung von Spenden erleichtern.

Trotzdem gilt, dass journalistische Non-Profit-Organisationen kein Allheilmittel sind. Das Modell eröffnet aber Chancen – als Lieferant von publizistischen Inhalten, insbesondere aber als Qualitätsgarant und Innovationstreiber. Zweifelsohne sind solche Ideen ungewöhnlich, und es bleiben viele offene Fragen: Grundlegende, wie die nach der Übertragbarkeit von zivilgesellschaftlichen Ideen und Modellen aus den kulturell in dieser Hinsicht so anders verfassten USA nach Deutschland, und sehr konkrete Fragen vor allem hinsichtlich der juristischen Konstruktion und der Compliance. Mag auch der kurz vor der Bundestagswahl 2009 von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier ins Gespräch gebrachte Vorschlag eines Stiftungsmodells für die von Kundenschwund bedrohte Deutsche Presse Agentur (dpa) eher in der Rubrik „Kurioses” verbucht worden sein, sind gleichwohl selbst sehr viel kleinere Lösungen rechtlich nicht einfach umzusetzen. Thematisiert werden müssen genauso marktwirtschaftlich unerwünschte Nebenwirkungen. Den Bedenken, dass philanthropisch geförderte Medien zu Marktverzerrungen und Kannibalisierungseffekten führten, lässt sich jedoch entgegenhalten, dass es sich meist um journalistische Formen, um aufwändige Recherchen, um das Streben nach besonderen Qualität handeln wird, in die kaum mehr ein Verleger investiert, der ausschließlich unternehmerisch handelt. Trotz ihrer Ewigkeitskonstruktion werden Stiftungen eher in der Unterstützung von innovativen und finanziell risikobehafteten Formen von Journalismus ihre Aufgabe finden und nur in Ausnahmen in der Konservierung des Bestehenden, im langfristigen Erhalt von Medien. Die meisten Stifter und ihre Organisationen sind ihrem Selbstverständnis nach nun einmal Anstifter.

Dazu kommt die Ressourcenfrage, die ebenfalls nüchterner Betrachtung bedarf. Obwohl der Sektor boomt, kann kaum eine deutsche Stiftung über wirklich über große Mittel verfügen – bei über 70 Prozent von ihnen beträgt der Kapitalstock unter einer Millionen Euro, die ausschüttbaren Erträge sind entsprechend gering. Umso wichtiger sind Kooperationen, die im Falle der Journalismusförderung auch positive Effekte in Bezug auf die Governance haben dürften. An den Strukturen und Entscheidungsprozessen journalistisch aktiver Stiftungen wird sich letztlich die Glaubwürdigkeit – und damit letzlich die Tragfähigkeit – entsprechender Modelle entscheiden. Denn bei Medien und Journalismus handelt es sind nicht um irgendein Produkt oder irgendeine Industrie, sondern sie sind nach Isaiah Berlin zentraler Teil unserer „allgemeinen Erfahrungsstruktur”, Kommunikationsmittel und Bindeglied moderner Gesellschaften. Sie stiften Sinn und Orientierung und entscheiden darüber, in welchem Ausmaß es uns gelingt, unsere Welt zu begreifen – oder eben nicht. Für potentielle Philanthropen liegt just hierin, in der Tatsache, dass der Erhalt von Meinungsvielfalt auch in gedruckter Form zu den genuinen Aufgaben des Gemeinwohls gehört, ein zentrales Argument, Kapital dafür auf-zubringen. Doch gerade weil stärker als bei jedem anderen Engagement die Verwendung vor allem großer Spenden und die Beweggründe der Spender hinterfragt werden würden, bekommen Mäzene die Chance, einmal exemplarisch die „reine Lehre” vorzumachen. Sie müssten sich jedes Einflusses auf die redaktionelle Arbeit enthalten; sie dürfen – außer dem guten Gefühl einer sinnstiftender Investition und der daraus er-wachsenden Anerkennung – keinerlei Eigeninteressen mit ihrer Gabe verbinden. Zudem bedarf es vollkommener Transparenz. Leider ist weder die noch die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessen im Stiftungssektor selbstverständlich, wie einige prominente Beispiele zeigen. Im medialen Kontext wird noch genauer hingeschaut werden – allerdings würden in der Folge Ruhm und Ehre umso größer sein, je unabhängiger das Medium ist. In dieser Kategorie kann selbst die vielgelobte „Pro Publica” noch zulegen: Die Spender, Herbert und Marion Sandler, haben zur Auflage gemacht, dass sie niemals Gegenstand von Recherchen der Plattform werden dürfen.

Trotz der mehr als 300-jährigen Geschichte der Zeitung ist das Konzept des professionellen, überparteilichen, unabhängigen Journalismus historisch betrachtet relativ neu und, was noch wichtiger ist, kann nicht einfach als gegeben betrachtet werden. Auch heißt die Tatsache, dass Journalismus im Sinne einer funktionsfähigen Öffentlichkeit notwendig ist, nicht, dass er überlebt. Journalismus in der digitalen Moderne wird seine gesellschaftliche Funktion, Akzeptanz und damit auch ökonomische Tragfähigkeit in dem Maße bewahren, indem er es schafft, sich den gesellschaftlichen und technologischen Realitäten des 21. Jahrhunderts entsprechend neu auszurichten. Stiftungen können hier eine komplementäre, vitalisierende Rolle spielen. Der eingangs genannte Monsieur Renaudot, eigentlich von Beruf Arzt, wurde übrigens nicht wegen der von ihm gegründeten Zeitung als Philanthrop gerühmt, sondern ob seines Engagements für die Ärmsten der Gesellschaft. Dennoch erschien seine Gazette ganze 284 Jahre lang.

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