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Erfolgs­fak­toren der europä­i­schen Klima­schutz­po­litik

aus: Vorgänge 196 ( Heft 4/2011), S 104-112

1. Einleitung

„Klimawandel wichtiger als Wirtschaftskrise” [1]—mit diesen Worten kommentiert die Europäische Kommission die Veröffentlichung der jüngsten Eurobarometer-Sonderumfrage zu den Einstellungen der europäischen Bürger zum Klimawandel (Europäische Kommission 2011a). In Auftrag gegeben wurde die Umfrage von der Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission, durchgeführt wurde sie im Juni 2011 in den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU). 68 Prozent der befragten Europäer halten den Klimawandel hiernach für ein sehr ernstes Problem. Gefragt nach dem größten Problem der Welt nannten 20 Prozent der Befragten den Klimawandel und 16 Prozent die Wirtschaftslage –damit ist der Klimawandel wieder auf die zweite Stelle vorgerückt, nachdem bei der 2009 erfolgten Umfrage 22 Prozent eine weltweite Wirtschaftskrise und 18 Prozent den Klimawandel als wichtigstes Problem eingestuft hatten.Zwar variieren die Einstellungen der Bürger gegenüber dem Klimawandel zwischen den EU-Staaten, und dessen Bedeutung wird in einigen Mitgliedstaaten von der gegenwärtigen Wirtschaftssituation überschattet. So sehen 25 Prozent der befragten Portugiesen die Wirtschaftslage und lediglich 7 Prozent den Klimawandel als wichtigstes Problem an. Die Umfragen aus den Jahren 2009 und 2011 machen jedoch deutlich, dass der Klimawandel auch von den Bürgern jener Mitgliedsländer, die wie Italien, Spanien und Griechenland als Bremser der europäischen Umweltpolitik gelten (Knill 2008: 175), zunehmend als ein sehr ernstes Problem wahrgenommen wird und dass selbst in den Mitgliedstaaten, in denen die Bürger davon weniger stark überzeugt sind, die Zustimmung zu dieser Aussage vergleichsweise hoch ist. Die Mehrheit der Europäer vertritt die Meinung, dass der Klimawandel kein unaufhaltsamer Prozess ist, und fast 80 Prozent der Befragten geben an, dass die Bekämpfung des Klimawandels und ein effizienter Energieverbrauch Wirtschaft und Beschäftigung fördern können.

Überdies zeigt die aktuelle Umfrage, dass die europäische Öffentlichkeit erwartet, dass sich Europa bis zum Jahr 2050 zu einer klimafreundlichen Gesellschaft entwickelt. Lediglich 21 Prozent der Befragten sind indes der Auffassung, eine persönliche Verantwortung zu tragen. 41 Prozent sehen die nationalen Regierungen in der Verantwortung, jeweils 35 Prozent betrachten die Bekämpfung des Klimawandels als Aufgabe der EU und der Wirtschaft.

Connie Hedegaard, EU-Kommissarin für Klimapolitik, leitet aus diesen Erkenntnissen einen eindeutigen Handlungsauftrag ab. Sie sieht sich in ihrem Ansinnen bestätigt „weiterhin für ambitionierte und konkrete klimapolitische Maßnahmen in Europa zu kämpfen” (Europäische Kommission 2011b). Im Vorfeld der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (VN), die im Dezember 2011 ohne den erforderlichen Durchbruch beendet wurde, hatte die Klima-Kommissarin darauf verwiesen, dass die EU mit einem Anteil von 11 Prozent an den weltweiten Treibhausgasemissionen das Klimaproblem allein nicht lösen könne, und Kommissionspräsident Barroso hatte vor der VN-Generalversammlung im September 2011 betont, dass der Zweck der Verhandlungen nicht in einer zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls, das nicht von allen Staaten der VN-Klimarahmenkonvention unterzeichnet wurde, bestehen könne. Vielmehr müsse ein gemeinsamer Rechtsrahmen für alle Staaten mit gerechten Reduktionszielen auch für andere Hauptverursacher des Klimawandels vereinbart werden. Dieses Ziel wurde in Durban nicht erreicht; festgelegt wurde lediglich ein Fahrplan für ein neues Klimaschutzabkommen, das für alle Staaten gelten und bis 2015 verabschiedet werden soll. Ferner wurde beschlossen, das Kyoto-Protokoll mit einer zweiten Verpflichtungsperiode fortzuführen. Dass die internationalen Bemühungen zum Klimaschutz gefährdet sind, zeigt die nach Abschluss der Konferenz erfolgte Ankündigung Kanadas, aus dem Kyoto-Protokoll auszusteigen. Eine effektive Klimaschutzpolitik der EU und ihr Einsatz für wirksame Maßnahmen auf der internationalen Ebene sind notwendig, um gegen den Klimawandel vorzugehen. Angesichts der weitgehenden Zustimmung der europäischen Bürger zum Klimaschutz erscheinen entsprechende Vorhaben überdies geeignet als europäisches Identifikationsprojekt. Dass sich komplexe Umweltprobleme wie der Klimawandel nicht auf einzelstaatlicher Ebene lösen lassen, haben die Mitgliedstaaten erkannt und daher umweltpolitische Kompetenzen an die europäischen Institutionen abgegeben. Aufgrund ihres Initiativmonopols vermag die Europäische Kommission die europäische Klimapolitik maßgeblich zu prägen und ist somit ein zentraler Akteur bei der gemeinschaftlichen Bekämpfung des Klimawandels – eine Aufgabe, welche die supranationale Behörde zu den schwersten der EU zählt.

II. Grundlagen und Beginn der europä­i­schen Klima(außen)politik

Im Verlaufe der Entstehungsgeschichte der EU wurden ihre Politikbereiche erheblich ausgeweitet; ihr wurden traditionelle staatliche Aktivitätsbereiche als auch moderne staatliche Funktionen, wie die Umweltpolitik, von den Mitgliedstaaten übertragen, Die gemeinschaftsinternen Grundlagen des umweltpolitischen (Außen-)Handelns sind letztlich mitentscheidend dafür, dass die EU in der internationalen umweltpolitischen Arena als Akteur aufzutreten vermag. Ausschlaggebend für eine Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft (EG) auf dem Gebiet der Umweltpolitik sind die Kompetenzen, die ihr die Mitgliedstaaten zugewiesen haben beziehungsweise die ihr vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) zugesprochen wurden. Durch die europäischen Verträge haben die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft hinsichtlich der Umwelt(außen)politik rechtliche Handlungskompetenzen übertragen. In den Römischen Verträgen von 1957 waren umweltpolitische Zuständigkeiten der Gemeinschaft nicht vorgesehen. Erst seit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 ist die Umweltpolitik als Gemeinschaftsaufgabe vertraglich verankert. Mit diesem ersten Änderungsvertrag der EG-Gründungsverträge wurde die qualifizierte Mehrheitsabstimmung im Ministerrat eingeführt, so dass die meisten umweltpolitischen Maßnahmen nicht länger durch ein Veto einzelner Mitgliedstaaten verhindert werden konnten. Entscheidend für die Entwicklung der außenpolitischen Aktivitäten der EU auf dem Feld der Umweltpolitik war nicht zuletzt die so genannte ERTA-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1971, laut der die Gemeinschaft extern für jene Politiken zuständig ist, für die sie intern Kompetenzen erworben hat. Diese EuGH-Entscheidung und darauf folgende Urteile stellten die Rechtsgrundlage dar, auf welcher die Europäische Kommission ihr Recht geltend machte, in internationale Umweltverhandlungen involviert zu werden.

Seit dem Maastrichter Vertrag von 1993 ist die Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme ein Hauptziel der europäischen Umweltpolitik. Gleichwohl eine Kompetenzerweiterung zugunsten der Gemeinschaft vorgenommen wurde, sieht Artikel 174 Absatz 4 EG-Vertrag vor, dass die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten gemäß ihrer jeweiligen Befugnisse in internationalen Gremien verhandeln und internationale Abkommen schließen können. Fallen einige der Bestimmungen internationaler Abkommen in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft, andere in den der Mitgliedstaaten, handelt es sich um gemischte Abkommen. Dementsprechend teilen sich Gemeinschaft und Mitgliedstaaten in den internationalen Klimaschutzverhandlungen die Zuständigkeiten.

Parallel zu den ersten Klimaschutzgesprächen im Rahmen der Vereinten Nationen in den achtziger Jahren begannen die Gemeinschaftsinstitutionen mit der Gestaltung einer europäischen Klima(außen)politik. Der Europäische Rat trug wesentlich dazu bei, dass auf Gemeinschaftsebene konkrete Klimaschutzziele festgelegt und klimapolitische Maßnahmen formuliert wurden. So führte eine Ratsinitiative aus dem Jahr 1986 dazu, dass die Energieeffizienz zu einem Schlüsselaspekt der europäischen Klimaschutzpolitik wurde. 1988 erklärte der Europäische Rat, dass die Gemeinschaft eine führende Rolle im Umgang mit dem Problem des Klimawandels spielen müsse. Seither weisen die Europäische Kommission und das Europäische Parlament besonders im Vorfeld internationaler Klimaschutzkonferenzen auf die Notwendigkeit einer Vorreiterrolle der EU bei der Bekämpfung des Klimawandels hin.

Bereits im Verlaufe der Verhandlungen, die 1992 auf der VN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro in der Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention mündeten, versuchte die EG, als Vorreiter aufzutreten. Eine Hauptkonfliktlinie verlief zwischen den USA, die eine Rahmenkonvention ohne spezifische Verpflichtungen zur CO2- Reduzierung befürworteten, und der EG, die eine Konvention ohne detaillierte Verpflichtungen nicht akzeptieren wollte. Im VN-Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen wurde kein verbindliches Ziel zur Stabilisierung der CO2-Emissionen festgelegt. Artikel 2 der Konvention sieht lediglich vor, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird.“ Zwar hatte die EG entscheidend dazu beigetragen, dass die VN-Klimakonvention zustandekam. Es war ihr indes nicht gelungen, konkrete CO2-Stabilisierungziele für die Industrieländer durchzusetzen. Die EG selbst hatte beschlossen, ihre CO2-Emissionen bis zum Jahr 2000 auf dem Stand von 1990 zu stabilisieren, nachdem diese Emissionen im ersten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC als ein wesentlicher Auslöser des Treibhausgaseffekts ausgemacht worden waren.

Die Europäische Kommission hatte geplant, auf der VN-Konferenz in Rio de Janeiro ehrgeizige klimapolitische Maßnahmen zu präsentieren, um der EG eine Vorbildfunktion zu ermöglichen. Die auf der Konferenz vorgestellten Maßnahmen waren in Folge von EG-internen Verhandlungsprozessen allerdings verwässert und vom Rat noch nicht verabschiedet worden, so dass die EG lediglich das vom Rat angenommene CO2-Stabilisierungsziel vorweisen konnte. Dieses Stabilisierungsziel wurde möglich, weil sich die Mitgliedstaaten auf eine gemeinschaftliche Lastenteilung geeinigt hatten. Um die Ökonomien der wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten nicht zu gefährden, wurden diesen geringere Anstrengungen bei der Umsetzung des EG-Stabilisierungsziels abverlangt. Den Kohäsionsländern Griechenland, Irland, Portugal und Spanien,[2] die ihre wirtschaftliche Entwicklung als vorrangig betrachteten, wurde zugestanden, ihre Emissionen in diesem Zeitabschnitt zu erhöhen. Dieses Beispiel zeigt, dass die Übertragung von nationalstaatlicher Souveränität auf europäische Institutionen die gemeinschaftliche Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit erhöhen kann. Im Verlauf der Verhandlungen, die 1997 zur Annahme des Kyoto-Protokolls führten, gelang es der EU schließlich, dass die USA ein höheres Treibhausgasreduktionsziel als ursprünglich beabsichtigt akzeptierten. Dass sich die EU mit einem vergleichsweise hohen Reduktionsziel in das Kyoto-Protokoll einbringen konnte, ist auf die so genannte „EU-Bubble” zurückzufiihren, die eine gemeinsame Erfüllung der Einzelziele der Mitgliedstaaten ermöglichen (Oberthür & Ott 2000: 83) und den Anspruch auf die Führungsrolle der EU in den internationalen Klimaverhandlungen festigen sollte (Lindenthal 2009: 187f.).

III. Der Einfluss der Kommission auf die Klima(außen)politik der EU

Als vielzitiertem „Motor der europäischen Integration” kommt der Europäischen. Kommission bei der Formulierung und Weiterentwicklung der EU-Klimapolitik und der Überwachung ihrer Umsetzung eine wichtige Funktion zu. Sie kann somit auch die Position der EU in den internationalen Klimaverhandlungen stärken. Bereits 2005 erklärte die Kommission, dass der Nutzen einer Begrenzung des durchschnittlichen globalen Temperaturanstiegs auf 2 Grad Celsius deutlich höher ist als die Kosten der hierfür erforderlichen politischen Maßnahmen, und sie legte ein Positionspapier zu Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels vor. Darin ging es vorrangig um die Frage, inwiefern sich die EU durch ressourceneffiziente und klimafreundliche Technologien einen Wettbewerbsvorsprung sichern könne und welche kostengünstigen Maßnahmen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen sich böten. Diesbezüglich setzt die Kommission vor allem auf den Handel mit Treibhausgasemissionsberechtigungen.2005 startete der EU-Emissionshandel auf Unternehmensebene, welcher der EU da-bei helfen soll, ihre Verpflichtung aus dem Kyoto-Protokoll zu erfüllen. Die Richtlinie 2004/101/EG ermöglicht eine Verknüpfung des EU-Emissionshandelssystems mit den projektbezogenen Mechanismen des Kyoto-Protokolls. Somit können Unternehmen ihre Emissionsgutschriften aus dem Clean Development Mechanism und dem Joint Implementation Mechanism verwenden, um ihre Verpflichtungen zu erfüllen. 2001 hatte sich die Kommission zunächst gegen die Verknüpfung des EU-Emissionshandelssystems mit den Kyoto-Mechanismen ausgesprochen, weil sie befürchtete, dass die eigentliche Absicht, Treibhausgasemissionen innerhalb der EU zu reduzieren, hiermit unterlaufen werden könnte. Die Idee eines Emissionshandelssystems war von der Kommission zunächst ebenfalls abgelehnt worden.

In den Verhandlungen des Kyoto-Protokolls hatte sich die EU anfangs skeptisch gegenüber dem Emissionshandel und den weiteren Flexibilitätsmechanismen gezeigt, weil sie vermutete, dass sich die USA und andere Industrieländer mit diesem ökonomischen Instrument von ihren Verpflichtungen freikaufen könnten. Insbesondere die Umweltkommissarin war um die Effektivität des Kyoto-Protokolls besorgt und übte öffentlich Kritik an einem Kompromissvorschlag des niederländischen Umweltministers. In den Nachverhandlungen des Kyoto-Protokolls betrachtete die EU die Flexibilitätsmechanismen schließlich als erforderlich, um die eigenen Reduktionsverpflichtungen ohne hohe Kosten erreichen zu können. Demgemäß beförderte die Kommission die Entwicklung eines Emissionshandelssystems. Dieser Meinungsumschwung lässt sich auf personelle Veränderungen innerhalb der Generaldirektion Umwelt zurückführen. Die zuständigen Beamten unterstützten ökonomische Instrumente und fühlten sich durch die positive Haltung der Industrie zum Emissionshandel in ihrem Vorhaben bestätigt. Über-dies stellte sich 2005 heraus, dass die EU ihre
KyotoVerpflichtung nur würde erreichen können, wenn sie neben eigenen Klimaschutzmaßnahmen auch auf die Nutzung der Flexibilitätsmechanismen des Protokolls von Kyoto zugreift.

Die nationalen Allokationspläne, aus denen hervorgehen soll, wie viele Emissionszertifikate die Mitgliedstaaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems zuteilen, führten 2006 zum Disput zwischen Kommission und Mitgliedstaaten. Diese hatten vorgesehen, im Durchschnitt 15 Prozent mehr Emissionslizenzen zu vergeben, als die Industrie 2005 benötigt hätte, um alle Emissionen abzudecken. Daher kritisierte der Umweltkommissar die Allokationspläne und verlangte für die zweite Phase des Emissionshandelssystems ehrgeizigere Zuteilungspläne. Die Kommission betrachtet die erste Zeitspanne des EU-Emissionshandelssystems (2005—2007) als Lernphase. Auf der Grundlage der Emissionen der ersten Phase kürzte sie den Umfang der in der zweiten Phase (2008–2012) zugelassenen Emissionsrechte um 6,5 Prozent gegenüber dem Niveau von 2005, um so eine reale Emissionssenkung sicherzustellen. 2013 tritt ein überarbeitetes Emissionshandelssystem in Kraft. In dieser dritten Phase (2013–2020) wird der Anwendungsbereich um zusätzliche Branchen und Treibhausgase erweitert. Ferner wird u. a. das System nationaler Grenzwerte für Emissionszertifikate durch eine einheitliche Obergrenze für die gesamte EU ersetzt und ein Übergang zur vollständigen Versteigerung der Emissionsrechte vollzogen (Europäische Kommission 2009).

Gegenwärtig geht die Kommission davon aus, dass die EU ihre Kyoto-Verpflichtung erreichen wird. Anlass zur Sorge gibt jedoch seit Jahren der Verkehrsbereich, dem die Kommission im Umweltaktionsprogramm für den Zeitraum 2002–2012 Priorität hinsichtlich einer Verringerung der Treibhausgasemissionen beimisst. Der am schnellsten wachsende Verkehrssektor der EU ist der Luftverkehr; seit 1990 haben sich die Luftverkehrsemissionen in der EU nahezu verdoppelt. Zwar trägt der Luftverkehrssektor mit nur ca. 3 Prozent zu den gesamten Treibhausgasemissionen der EU bei, dennoch wird befürchtet, dass die zu erwartenden Wachstumsraten des Flugverkehrs und die damit verbundenen Emissionssteigerungen die in anderen Sektoren erzielten Fortschritte der EU untergraben könnten. Die Kommission erkannte hierin einen Handlungsbedarf und begann damit, die Luftverkehrsemissionen in den Emissionshandel zu integrieren. Die Richtlinie zur Einbeziehung des Luftverkehrs in das Emissionshandelssystem wurde 2008 angenommen und bereits von allen Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt. Unabhängig davon, ob die Luftfahrzeugbetreiber in der EU oder im Ausland ansässig sind, werden ab 2012 alle Fluggesellschaften, die in der EU starten und landen, in das Emissionshandelssystem einbezogen — eine Regelung, die der Berichterstatter des Europäischen Parlaments als revolutionär und für den weltweiten Klimaschutz essentiell bezeichnete.

Die Emissionsobergrenze für den Flugverkehr soll zunächst bei 97 Prozent des Durchschnitts der Emissionen der Jahre 2004–2006 liegen, ab 2013 ist eine Absenkung auf 95 Prozent vorgesehen. Dieser Prozentsatz kann im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie geändert werden. Den Prinzipien des Emissionshandelssystems entsprechend, können die Luftfahrzeugbetreiber die kostenlose Zuteilung von Zertifikaten beantragen. Der Richtwert für diese Zertifikatezuteilung wird von der Kommission auf Basis der von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen über die Emissionen des Flugverkehrs berechnet. 2012 erhalten 85 Prozent der unter das System fallenden Luftfahrzeugbetreiber die Emissionsberechtigungen kostenfrei; 15 Prozent der Zertifikate werden versteigert. Der Prozentsatz kostenlos zugeteilter Zertifikate wird von 2013—2020 auf 82 Prozent verringert. Die Einkünfte aus der Versteigerung der Zertifikate sollen für Klimaschutzmaßnahmen in der EU und in Drittländern verwendet werden; die Mitgliedstaaten berichten der Kommission, wofür sie die Einkünfte ausgeben.

Um die Klimaauswirkungen des Luftverkehrs einzudämmen, setzt sich die EU auch für globale Maßnahmen ein. Bislang konnte sich die internationale Staatengemeinschaft jedoch weder im Rahmen der VN-Klimarahmenkonvention noch in der internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Das Kyoto-Protokoll sieht vor, dass die Industriestaaten ihre Bemühungen um eine Begrenzung oder Verringerung von Treibhausgasemissionen des Luftverkehrs in der ICAO führen — einer VN-Sonderorganisation, die Luhmann (2008: 231) als Oberlobbyisten der Luftverkehrswirtschaft, der sein Territorium gegenüber Anliegen des Umweltschutz vehement verteidigt, bezeichnet.

Die EU strebt in beiden Foren seit Langem eine globale Vereinbarung an, um das Problem der steigenden Luftverkehrsemissionen zu lösen. 2004 wurde im Umweltausschuss der ICAO die Idee eines luftfahrtspezifischen Emissionshandelssystems zugunsten eines offenen Emissionshandelssystems verworfen. Da es der ICAO jedoch nichtgelang, verbindliche Maßnahmen zu ergreifen, schlug die Kommission 2006 vor, den Flugverkehr in das EU-Emissionshandelssystem einbeziehen. 2010 sprachen sich die Mitgliedsländer der ICAO dafür aus, die Durchführbarkeit einer weltweit marktbasierten Maßnahme zu prüfen. Die Kommission betrachtet das europäische Emissionshandelssystem als geeignetes Modell für ein solches Vorhaben und setzte sich zuletzt auf der Klimakonferenz in Durban für globale Vorschriften für die Luftfahrt ein.

IV. Der Klimaschutz benötigt eine handlungs­fä­hige EU

Die Europäische Kommission hat nach ersten praktischen Erfahrungen den Überarbeitungsbedarf des EU-Emissionshandelssystems erkannt und wichtige Nachbesserungen gegenüber den Mitgliedstaaten durchgesetzt. Insbesondere ging die Kommission gegen die zu umfangreich erfolgte Zuteilung von Emissionsrechten durch die Mitgliedstaaten vor, die der Umwelteffektivität des Emissionshandels zuwiderläuft. Unter der Voraussetzung, dass die ökologische Lenkungsfunktion des EU-Emissionshandels gewährleistet wird — insbesondere durch ehrgeizige Emissionsobergrenzen —, betrachtet der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen” den Emissionshandel als mögliches Modell für andere Staaten oder Staatengruppen, die sich in  Richtung einer klimaverträglichen Gesellschaft entwickeln wollen (WBGU 2011: 300). Die EU kann den Klimaschutz indes nur voranbringen und auf internationaler Ebene als Vorreiter überzeugen, wenn sie ehrgeizige Klimaschutzziele aufstellt und diese tatsächlich erreicht. Nicht zuletzt wegen ihrer Überwachungstätigkeiten kommt der Kommission hierbei eine bedeutsame Funktion zu. Aufgrund ihres Initiativmonopols ist die Europäische Kommission ein zentraler Akteur in der EU-Klimapolitik. Letzten Endes entscheiden jedoch die Mitgliedstaaten im Rat der EU darüber, welche Maßnahmen zum Klimaschutz verabschiedet werden. Treten die Mitgliedstaaten — in der Vergangenheit zumeist aufgrund wirtschaftlicher Interessen — als Bremser auf, indem sie die rasche Entfaltung einer wirksamen europäischen Klimaschutzpolitik blockieren und verhindern, dass die EU in den internationalen Klimaverhandlungen als Vorreiter auftreten kann, wirkt sich dies negativ auf den Klimaschutz aus (Lindenthal 2009: 125f.).

Ein koordiniertes Zusammenspiel von EU-Institutionen und Mitgliedstaaten kann hingegen innovative Problemlösungen hervorbringen und stärken; der Richtlinienvorschlag der Kommission zum Emissionshandel beruht auf den Diskussionen, die im Rahmen des europäischen Klimaschutzprogramms mit den Mitgliedstaaten und externen Stakeholders geführt worden sind und durchlief das EU-interne Entscheidungsverfahren vergleichsweise schnell. Überdies wurde die Kommission bei der Entwicklung des Emissionshandelssystems von jenen Mitgliedstaaten unterstützt, die bereits im Begriff waren, entsprechende nationale Systeme aufzubauen (Oberthür & Tänzler 2007: 265). Letztlich war es der Europäische Rat, der die Kommission angesichts der Bedeutung des Emissionshandels für die langfristige Strategie der EU zur Verringerung der Treibhausgasemissionen dazu aufforderte, den Emissionshandel mit Blick auf eine Stärkung und Erweiterung des Systems zu überprüfen.

Eine nähere Betrachtung der Organisationsstruktur der Kommission zeigt, dass hier eine Vielzahl von Akteuren und administrativen Einheiten mit jeweils eigenen Interessen und Ideen tätig ist. Entsprechend können die Interessen der einzelnen Kommissare und ihrer Generaldirektionen hinsichtlich des Umwelt- und Klimaschutzes konfligieren. Dies musste in der Vergangenheit insbesondere die Generaldirektion Umwelt feststellen, wenn sie gegenüber anderen Dienststellen, die primär wirtschaftliche Interessen vertreten, umweltpolitische Anliegen durchsetzen wollte (Koch & Lindenthal 2011: 986f). 2010 ging aus der Generaldirektion Umwelt die Dienststelle für die Klimapolitik hervor, die der Kommissarin Connie Hedegaard, vormals dänische Umweltministerin, zuarbeitet. Zu den Zuständigkeitsbereichen der Generaldirektion gehören seither das EU-Emissionshandelssystem und die internationalen Klimaschutzverhandlungen.

Mit dieser institutionellen und personellen Stärkung werden die umwelt- und klimapolitischen Interessen innerhalb der Europäischen Kommission stärker gewichtet. Die Konzentrierung auf die Klimapolitik versetzt die Kommission zumindest formell in die Lage, den von den Bürgern geforderten Klimaschutz voranzubringen. Gelingen kann
dies schließlich nur, wenn die Mitgliedstaaten selbst angesichts schwerwiegender Wirtschafts- und Finanzkrisen weitsichtig handeln und den Klimaschutz fördern.

[1] Siehe unter: http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10225_de.htm, Zugriff: 14.12.11.
[2] Das Bruttoinlandsprodukt dieser Mitgliedstaaten lag unter dem EG-Durchschnitt, so dass sie einen Anspruch auf Zahlungen aus dem Kohäsionsfonds hatten.

Literatur

Europäische Kommission (2009): Das Emissionshandelssystem der EU. Zugänglich unter: >http:// ec.europa.eu/clima/publications/docs/ets_de.pdfEuropäische Kommission (2011a): Climate Change. Special Eurobarometer 372. Zugänglich unter:
>http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_372_en.pdfEuropäische Kommission (2011b): Pressemitteilung Klimawandel (IP-11-1162). Zugänglich unter: >http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/11/1 162&format=HTML&aged=0&1 anguage=DE&guiLanguage=enKnill, Christoph (2008): Europäische Umweltpolitik. Steuerungsprobleme und Regulierungsmuster im Mehrebenensystem, 2., überarbeitete Aufl., Wiesbaden: VS Verlag.
Koch, Martin & Alexandra Lindenthal (2011): Learning within the European Commission: The Case of Environmental Integration, in: Journal of European Public Policy 18:7, 980-998.
Lindenthal, Alexandra (2009): Leadership im Klimaschutz: Die Rolle der Europäischen Union in der internationalen Umweltpolitik, FrankfurdMain, Campus.
Luhmann, Hans-Jochen (2008): Das statuierte Exempel: Die EU reguliert internationale Luftfahrt hin-sichtlich ihres Klimaeffekts unilateral, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft 32:4.
Oberthür, Sebastian & Hermann E. Ott (2000): Das Kyoto-Protokoll. Internationale Klimapolitik dir das 21. Jahrhundert, Opladen: Leske + Budrich.
Oberthür, Sebastian & Dennis Tänzler (2007): Climate Policy in the EU: International Regimes and Policy Diffusion, in: Paul G. Harns, Hg. Europe and Global Climate Change. Politics, Foreign Policy and Regional Cooperation, Cheltenham: Edward Elgar, 255-277.
WBGU (2011): Hauptgutachten. Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin: Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Zugänglich unter: >http://www.wbgu.de/hauptgutachten/hg-2011-transformation/

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