Publikationen / vorgänge / vorgänge 196: Was will Europa?

Zwischen Euros­kep­ti­zismus und natioalen Populismus

Formationen des europäischen Rechtspopulismus

aus: Vorgänge 196 ( Heft 4/2011), S.95-104

1. Rechts­po­pu­lismus – ein Thema von europä­i­scher Tragweite

Populismus ist zu einem Dauerthema in der europäischen Politik geworden, was längst auch in Brüssel, einem der Hauptfeindbilder der rechtspopulistischen Parteien, für Beunruhigung sorgt. Obwohl man sich diskursiv dort eher mit Themen wie der europäischen Nachbarschaftspolitik, aktuell den Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten („Arab spring“) und der eigenen Historie beschäftigt, ist die Frage nach Gefährdungen für das europäische Einigungswerk oben in der politischen Agenda angekommen – Partei übergreifend und EU-immanent. Unlängst konnte der Verfasser vier ambitionierte, mit Expertise angereicherte Konferenzen, alle „zur Gefahr des Populismus” im Europäischen Parlament am 30. und 31. März 2011 und 21. Juni 2011 beobachten, organisiert von den Grünen (mit u. a. Cas Mudde)[1], den Liberalen, den Sozialisten und den Christdemokraten.[2] Eine Veranstaltung der Open Society Foundations mit ihrem Initiator, dem milliardenschweren Investor George Soros, am 7. November 2011, ebenfalls in Brüssel, trug gar den Titel: „We say what you think: Is populism the future of European politics?”, unter anderem mit dem namhaften britischen Populismusforscher Paul Taggart.[3]

Trotz der nach außen zur Schau getragenen Harmonie gibt es also durchaus existente Konfliktlinien oder Missklänge, die den österreichischen Politikwissenschaftler Anton Pelinka von „cleavages” innerhalb der EU sprechen lassen[4] – die cleavage-Theorie wird bis heute zur Erklärung der gesellschaftlichen Entstehung von Parteiensystemen herangezogen. Pelinkas Auffassung nach gibt es tiefe Gräben („Konfliktlinien“), in denen sich Tendenzen von Euroskeptizismus manifestieren. Immer noch sei die EU ein Elitenprojekt, was sich an der Ablehnung des Verfassungsvertrags in den Niederlanden und Frankreich, später des jetzt gültigen Reformvortrags von Lissabon in Irland zeigte. Es gebe kein europäisches Parteiensystem, vielmehr nationale Parteiensysteme. Widersprüchliche Erwartungen der Mitglieder zeigen sich in der Außen- und Sicherheitspolitik, mehr noch in der Definition dessen, was eigentlich Identitätskern der EU sei. Diese ungelöste Frage wirke sich auf künftige Erweiterungen aus, insbesondere in der Türkei-frage. Die Intensität des Euroskeptizismus ist offenkundig ein mächtiges, einflussreiches Merkmal in der politischen Landschaft der EU. Der folgende Beitrag wird zuerst die aktuelle Problemlage skizzieren, um dann die Potentiale von Rechtspopulismus und Euroskeptizismus abzuwägen. Am Ende steht ein Fazit, das Fragen im Umgang mit dem Rechtspopulismus erörtert und künftige Perspektiven auslotet.

II. Problemlage; Versagen der wirtschaft­li­chen und politischen Eliten

Mehr und mehr wird der Rechtspopulismus in die Debatte um die Zukunft der europäischen Integration im weiteren und der Europäischen Union im engeren Sinne einbezogen. Insbesondere die nationalen und europäischen Eliten aus den Reihen der in Westeuropa schrumpfenden sozialdemokratischen und christdemokratischkonservativen Parteien, im deutschen Kontext als Volksparteien bezeichnet, zeigen sich besorgt, zumal die Krise der Euroländer 2011 für eine tief greifende Diskussion über Stärken und auch offenkundige Schwächen des europäischen Projekts sorgt. Offenkundig geht es nun in der Eurokrise um die ganze Konstruktion der EU und die Finalitätsfrage. Das impliziert auch Fragen von politischer und sogar kultureller Tragweite.

Offenkundig gibt es Konstruktionsfehler, wie die zahlreichen, durch die Schuldenkrise in Not geratenen Länder in der Eurozone beweisen. Griechenland hätte man gar nicht aufnehmen dürfen, das war trotz der Bilanz-Manipulationen im Land schon zum Zeitpunkt des Beitritts klar. Nun müssen die europäischen wie nationalen Eliten den Bevölkerungen die komplizierte Misere vermitteln und Einsparungen verkaufen. Das sorgt für Unmut, die Abwahl zahlreicher Regierungen, damit Chaos auf Regierungsebene, verbunden mit Neuwahlen (Griechenland, Slowakei und Italien) sowie Protesten auf den Straßen, die sich gegen die Austeritätsmaßnahmen richten, die auch ein Ergebnis des zuvor unverantwortlichen Regierens sind.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jose Manuel Barroso, äußerte in seiner Grundsatzrede zur „Erneuerung Europas – Rede zur Lage der Union 2011” am 28. September im Europäischen Parlament in Straßburg seine Sorge: „Populistische Bewegungen stellen die größten Errungenschaften der Europäischen Union in Frage – den Euro, den Binnenmarkt, ja sogar den freien Personenverkehr.“[5] Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, wegen der Wirtschaftsstärke Deutschlands eine der Schlüsselfiguren (um nicht zu sagen die Schlüsselfigur) im europäischen Krisenmanagement, bemüht, – unter anderem in ihrer Regierungserklärung zur Abstimmung über den Rettungsschirm („Er bleibt bei 211 Milliarden Euro”) – die Formel: „Scheitert der Euro, scheitert Europa!” .[6]

Diese Angst der Eliten hat reale Hintergründe, da die EU nach Meinung vieler Beobachter vor ihrer schwersten Bewährungsprobe steht. Europäische und nationale Eliten befürchten, dass euroskeptische Parteien als Gewinner aus der Krise hervorgehen. Trotz des fortschreitenden Integrationsprozesses ist das Thema „EU” in der Bevölkerung nicht sehr populär. Blickt man auf die von der Europäischen Kommission veröffentlichten Eurobarometer-Umfragen fällt auf, dass quer über Europa eine leichte Mehrheit die EU für eine schlechte Idee hält.[7] Denkt man an die Rolle der Parteien im intermediären Bereich, der Artikulation, Aggregation, Selektion und Integration von bestehenden Interessen, müsste es logischerweise eine euroskeptische Kraft innerhalb der EU gebet Damit ist das Thema durchaus von Relevanz. Die Krise der Eurozone, besonders df chronische Patient ;,Griechenland“ verstärken diese Furcht. Auch andere Länder be fürchten den Absturz und müssen strenge Austeritätsmaßnahmen einleiten: Spaniei Portugal, Italien und auch Frankreich, neben Deutschland die wirtschaftliche Supei macht in der EU. Regierungen werden gestürzt oder verlieren ihre Mehrheit (Griecher land, Slowakei, Italien), Plötzlich geht es um Diskussionen um Vertrauensfragen (it Parlament) und den Sinn von Volksabstimmungen. Bei der jüngsten Parlamentswahl in Finnland am 18. April 2011 wurde gegen die von der EU getragenen Portugal-Rettung, mobilisiert, so dass die euroskeptische Partei „Wahre Finnen” fast aus dem Stand herau auf beinahe 20 Prozent der Stimmen kam. Die nicht-xenophobe Partei stand im Wahl kampf dafür, Hilfszahlungen an die Schuldenländer zu blockieren und den Rettungspak nachzuverhandeln.

Im Währungsraum gibt es große Probleme, weil die Staaten sehr unterschiedlic gewirtschaftet und dadurch die Währungsunion unter Spannung gesetzt haben. Es ga keine Sanktionsmaßnahmen, obwohl der Stabilitätspakt von Beginn an, auch voi Deutschland, verletzt wurde. Diese Nachlässigkeiten rächen sich nun bitter. Stark ist di Politik von volatilen Finanzmärkten abhängig, was zu einem globalen Problem des Ka pitalismus geworden ist, da in diesem System wilden, ungedeckten Investitionen Tür und Tor geöffnet sind. Der Währungsraum in Europa, das sich ja auch als global playe: versteht, war auf so einen Krisenfall nicht vorbereitet. Am korrektesten wäre deshall die Bezeichnung „Krise der Währungsunion”. In der Krise spannte die EU unter den deutsch-französischen Führungsduo nie vorgesehene Rettungsschirme, die Europäisch Zentralbank kaufte Anleihen gefährdeter Staaten auf, und inzwischen ist die EU dabei sich in zwei Gruppen zu spalten: die Euro-Länder einerseits und die anderen Mitgliede. mit eigenen Währungen auf der anderen Seite. Das größte Problem ist aber, dass dif Brüsseler Politik auf Polittechnokratie und eine auch vom Habitus her elitär vorgetragene Konsenskultur beruht – gerade hier finden Rechtspopulisten reale, durchaus berechtigte Anknüpfungspunkte ihrer Agitation.

III. Die Stärke des Rechts­po­pu­lismus

Seit den frühen 1980er Jahren können neuartige, in erster Linie rechtspopulistische Parteien mit einer Anti-Establishment-Haltung, Protestthemen und einer charisma- tischen Führungspersönlichkeit immer wieder Wahlerfolge auf nationaler Ebene erzielen, so zum Beispiel in Frankreich, Österreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Skandinavien. Bei den letzten Wahlen in Schweden 2010 und Finnland 2011 konnten dabei erstmals rechtspopulistische Parteien in die dortigen Parlamente einziehen. Inzwischen kann man von einer „zweiten Generation” des Rechtspopulismus sprechen. Am 16. Januar 2011 wurde die Tochter des Parteipatriarchen Jean-Marie Le Pen, Marine, in einer Kampfabstimmung zu seiner Nachfolgerin gewählt. In Österreich knüpft Heinz-Christian Strache an die einstigen Erfolge von Jörg Haider an [8] Erfolgreich mit dem Thema „Antüslam” ist die Partei für die Freiheit (Partij voor de Vrijheid, PVV),die 2006 unter anderen von einem aus der Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) ausgetretenen Mitglied des Parlaments, Geert Wilders, gegründet worden war. Im selben Jahr gewann die Einmitgliederpartei bei den Parlamentswahlen 5,9 Prozent der Stimmen, 2010 sogar 15,5 Prozent, ein Ergebnis, das viel besser war, als es die Meinungsforscher vorhergesagt hatten. Wilders, durch viele Reisen nach Israel sehr israelfreundlich gesinnt, ließ sofort verlautbaren, dass er — um regieren zu können — zu Kompromissen bereit sei (er ließ seinen Widerstand gegen eine Erhöhung des Rentenalters unverzüglich fallen). Bundeskanzlerin Angela Merke/ hat die Zusammenarbeit ihrer niederländischen Gesinnungsgenossen mit Wilders bereits als unvernünftig bezeichnet. Die niederländische Regierungskoalition ist mit Wilders‘ extremen Meinungsäußerungen zum Islam konfrontiert, da dieser den Koran mit Hitlers „Mein Kampf” verglich. In seinen Reden, Kommentaren und Interviews zeigt Wilders eine immer radikaler werdende Variante der Islamphobie.[9] Diese gründet sich auf einer Vielzahl von apokalyptischen Verschwörungstheorien zur bevorstehenden Unterwerfung Europas. Am 11. September 2010 in New York war er einer der wichtigsten Sprecher bei einer Demonstration gegen den Bau eines islamischen Gebetszentrums in unmittelbarer Nachbarschaft des Ground Zero. Im eigenen Land musste sich Wilders  von Oktober 2010 an wegen seiner harten Kritik am Islam vor Gericht verantworten, wurde aber im Juni 2011 freigesprochen. Seine Äußerungen deckten sich mit der Meinungsfreiheit. Damit konnte Wilders triumphieren und sich bei seinen Anhängern feiern lassen.

Aktueller Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Westeuropa (gemäß ihrer letzten Wahlen; (geordnet nach den Wahlerfolgen)
Letzte nationale Wahl Europawahl 2009

Land Politische Partei Datum Resultate‘ Resultate2
Norwegen Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet 14/09/2009 22.9% 
Finnland FRP) 17/04/2011 19.0% 9.8%
Wahre Finnen (Perussuomalaiset PS)   
Österreich Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) 28/09/2008 17.5% 12.71%
Niederlande Freiheitspartei (Partij voor de Vrij-09/06/2010 15.5% 16.97%
Dänemark heid PVV) 15/9/2011 12.3% 14.8%
Dänische Volkspartei (Dansk Folke-   
Österreich parti DF) 28/09/2008 10.7% 4.58%
Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ)   
Italien Lega Nord (LN) 14/04/2008 8.3% 10.2%
Belgien Vlaams Belang (VB) 13/06/2010 7.7% 9.85%
Schweden Schwedendemokraten (Sverigedemok 19/09/2010 5.7% 3.27%
Frankreich raterna SD) 10/06/2007 4.3% 6.3%
Front National (FN)   
Source: parties-and-elections.de; European Parlament

Die Auflistung soll freilich keine Homogenität widerspiegeln, da die Parteien hin-sichtlich ihres Radikalitätsgrades ganz unterschiedlich einzustufen sind. Vlaams Belang, Front National und die Freiheitliche Partei Österreichs unterscheiden sich durch ihre Fremdenfeindlichkeit von den eher moderateren Formationen aus Skandinavien. Es gibtauch Grenzfälle wie die schweizerische Volkspartei, die hier nicht aufgelistet ist, da sie auch zu den konservativen Parteien gezählt werden kann und der Einfluss von Christoph Blocher schwindet. Vom Einzelfall hängt auch ab, welche Strategien die Mitte-Rechts-Parteien fahren. Alle Optionen wurden bereits praktiziert, wobei für die rechts-populistischen Parteien die Tolerierung einer Minderheitsregierung die attraktivste Variante darstellt. Das Tolerierungsmodell hat Tradition in Skandinavien (Norwegen und Dänemark) und wird derzeit in den Niederlanden durch die PVV von Geert Wilders er-probt. Zur Koalitionsbildung kam es in Italien, zur Entzauberung in dieser Konstellation in Österreich und den Niederlanden (damals unter Pim Fortuyn). Strikte Ausgrenzungspolitik wird dagegen in Belgien und Frankreich betrieben. Nach dem Systemwechsel entfaltete der Populismus auch in Mittel- und Osteuropa seine Wirkung, was sich auch an konservativen Parteien, wie der mit einer Zweidrittel-Mehrheit derzeit elektoral erfolgreichsten rechten Volkspartei, der ungarischen Fideszpartei unter Viktor Orbän, zeigt.[10]

Die rechtspopulistischen Parteien lassen sich von antidemokratischen, systemfeindlichen Kräften abgrenzen. Eine Diskussion über mögliche Verbindungslinien zum Extremismus, gar zum Terrorismus entfachte im Sommer 2011 der norwegische Ein-Mann-Terrorist Anders Behring Brevik. Er ist verantwortlich für eine Bombenexplosion im Osloer Regierungsbezirk und den Tod von insgesamt 69 Menschen am 22. Juli 2011, meist Jugendliche in einem Ferienlager der Arbeiterpartei. Er hat ein Manifest mit über 1500 Seiten sowie ein You-Tube-Video mit Hetztiraden gegen „Kulturmarxisten” und Islamisten unter der angeblichen Vision eines „befreiten” Europas hinterlassen. Der 32-jährige Breivik war einst Jungfunktionär der Fortschrittspartei. Er war aus der Partei ausgetreten, da sie ihm zu moderat erschien. Obwohl Breivik im Manifest neben vieler anderen, auch aus dem Internet kopierten Verweisen auf die Erfolge rechtspopulistischer Parteien rekurriert, wäre es nicht fair, eine direkte Verbindungslinie zu ziehen. Breivik muss als ein isolierter Terrorist betrachtet werden, nicht als Anhänger einer Bewegung, zu der er sich, typisches terroristisches Propagandainstrument, stilisierte.

IV. Systemlogik des Populismus

Der Terminus Populismus (von lat, populus =Volk) ist im Vergleich zu Begriffen wie Liberalismus, Konservatismus oder Sozialismus weniger das Kind einer historischen Genealogie oder einer geistig-ideengeschichtlichen Fortentwicklung. Oftmals ist der Begriff negativ konnotiert und beschreibt den Vorwurf, jemand rede dem Volk nach dem Munde und schüre latent vorhandene Ängste und Vorurteile. Positiv gewendet gilt der „Populist” als jemand, der die Probleme der „kleinen Leute” versteht, sie artikuliert und direkt mit dem „Volk” kommuniziert. Hier zeigt sich die Zwiespältigkeit des Begriffs Populismus. Einerseits verkörpert er allein aufgrund seiner Bedeutung demokratische Ideale. Populismus ist nach dieser Logik ein fester Bestandteil von Demokratie. Andererseits, gemäß dem Suffix „-Ismus”, intendiert der Terminus Populismus schon per se eine Übersteigerung, welche sich auch gegen Normen des modernen demokratischen Verfassungsstaats, namentlich gegen Repräsentativ- körperschaften und demokratisch-administrative Entscheidungsprozesse, richten kann. Populismus und Demokratie stehen daher in einem Spannungsverhältnis.
Der Rechtspopulismus umfasst ein Konglomerat von Strömungen, die an die „einfachen Leute” und nicht an bestimmte Schichten, Klassen, Berufsgruppen oder Interessen appellieren. Sowohl privilegierte Schichten als auch gesellschaftliche Randgruppen dienen als Sündenböcke für soziale Missstände. Hieraus ergeben sich zwei zentrale Aspekte: [11]

  •  Die vertikale Dimension als allgemeines Merkmal des Populismus: die Abgrenzung gegen die politische Klasse (Institutionen, Altparteien). Sie kommt in einer Stimmung des „Wir” gegen „Die-da-oben” zum Ausdruck.
  •  Die horizontale Dimension als spezifisch rechte Variante des Populismus: die Abgrenzung gegen Immigranten, Fremde und Kriminelle; das „Wir” gegen „Die-da-draußen”.
V. Euros­kep­ti­zismus als Mobili­sie­rungs­thema der Rechts­po­pu­listen

Trotz des fortschreitenden Integrationsprozesses ist das Thema „EU” in der Bevölkerung nicht sehr populär. Blickt man auf die von der Europäischen Kommission veröffentlichten Eurobarometer-Umfragen fällt auf, dass quer über Europa eine leichte Mehrheit die EU für eine schlechte Idee hält.[12]Die Krise der Eurozone, besonders der chronische Patient „Griechenland” verstärkt diese Furcht. Bei der jüngsten Parlamentswahl in Finnland am 18. April 2011 wurde gegen die von der EU getragenen Portugal-Rettung mobilisiert, so dass die euroskeptische Partei „Wahre Finnen” fast aus dem Stand heraus auf beinahe 20 Prozent der Stimmen kam. Die nicht-xenophobe Partei stand im Wahlkampf dafür, Hilfszahlungen an die Schuldenländer zu blockieren und den Rettungspakt nachzuverhandeln. Euroskeptizismus kann dann zu einem Mobilisierungsthema werden, wenn die EU, oder besser ein Mitgliedsland von ihr, in finanzielle Nöte gerät und nach europäischer Solidarität gefragt wird. Derzeit steht viel auf dem Spiel. Bei der Parlamentswahl in Finnland vom April 2011 profitierten mit ihrer Mobilisierung gegen Hilfsmaßnahmen die „Wahren Finnen”. Generell dürften derartige (finanzielle) Solidaritätsbekundungen innerhalb der nationalen Öffentlichkeiten schwer zu kommunizieren sein, so dass, bei Häufung derartiger Fälle, einer euroskeptischen Mobilisierung Tür und Tor geöffnet wäre. Für eine euroskeptische Parteienfamilie fehlt es trotz derartiger konjunktureller Gelegenheitsstrukturen dennoch an einem strukturellem Identitätskern, Vertrauen und Solidarität untereinander sowie einer programmatisch-strategischen Agenda, obwohl beträchtliche Teile in der europäischen Öffentlichkeit euroskeptisch eingestellt sind.[13] Euroskeptizismus ist nicht allein eine Domäne rechtspopulistischer Parteien, wie man bei einem Blick auf die starke euroskeptische Formation innerhalb der regierenden britischen Konservativen („Tories“) leicht erkennen kann. Großbritannien scheint sich mehr und mehr von dem Projekt der EU zu entfernen.

Der Rechtspopulismus bekundet seine Skepsis gegenüber einem zusammenwach-senden Europa. Rechtspopulistische Parteien bedienen die in der Bevölkerung vorhan-denen Stimmungen gegen ein Europa, welches auf Kosten der eigenen nationalen Identität von der EU bzw, der EG regiert werde. Die Europäische Union beäugen sie gemäß dem Slogan „Europa ja — EU nein!” misstrauisch. Von den rechtspopulistischen Partei-en gehen keine positiven Visionen oder Impulse für ein geeintes Europa aus, ganz im Gegenteil. Rechtspopulisten warnen vor einem massiven Einschnitt in die nationale Souveränität und Identität durch die Brüsseler Institutionen, denen es offensichtlich an Bürgernähe und demokratischer Legitimation fehle. Missstände im derzeitigen Institutionengefüge bieten den idealen Anknüpfungspunkt: Der EU-Politik mangelt es tatsächlich an demokratischer Rechenschaftspflicht, auch wenn der Vertrag von Lissabon die Rechte des Europäischen Parlaments stärkte.

Das EU-Thema lässt sich in verschiedenen Variationen transparent machen. Auf diese Weise können Populisten die Schwäche der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik anprangern und damit in ihrer typischen Schwarz-weiß-Malerei ein christlich-abendländisches Bollwerk gegen einen unberechenbaren Islam propagieren. Oder sie prangern den freien Warenverkehr im Binnenmarkt an und machen ihn für die organisierte Kriminalität verantwortlich. Sie bauen darauf, dass es ein gewaltiges Potential an antieuropäischen Ressentiments gibt, welches politisch nutzbar ist. Manche rechts-populistischen Parteien verhalten sich gegenüber der EU ambivalent, insbesondere in Immigrationsfragen. Populisten, die längerfristig „überleben” wollen, werden allem Anschein nach nicht zum Boykott der EU aufrufen, sondern vielmehr „eine ökonomische und kulturelle Festung Europa” anpreisen und vermarkten.

Im Unterschied zu rechtsextremen Positionen lehnen Rechtspopulisten den europäischen Einigungsprozess jedoch nicht ab. Vorrangig kritisieren sie das „Wie”, nicht das „Ob”. Weite Beachtung hat wohl auch daher die phänomenologische Unterscheidung von „hartem” und „weichem” Euroskeptizismus gefunden, die Paul Taggart und Aleks Szczerbiak 2002 mit Blick auf die neuen osteuropäischen Beitrittskandidaten der EU getroffen haben. Die „weiche” Form bedeutet die qualifizierte Ablehnung bestimmter Aspekte des Integrationsprojektes oder der EU in seiner gegenwärtigen institutionellen Form. Geläufig ist hier das Argument, nationale Interessen stünden dem supranationalen Vertragswerk entgegen. Die „harte” Form lehnt die „Idee Europa” hingegen in ihren Grundsätzen ab, damit folgerichtig auch den Beitritt oder die Mitgliedschaft zur EU.[14] Rechtspopulisten sind in der Regel „weiche” Euroskeptiker. Rechtsextremisten hingen lehnen als harte Euroskeptiker die Idee „Europa” aus fundamentalen Gründen ab. So will die deutsche Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), nicht im nationalen und europäischen Parlament vertreten, völlig neue Wege nach Europa beschreiten und die EU als Symbol der politischen Globalisierung auflösen (NPD 2006). Die EU gilt ihr als Symbol der Fremdbestimmung.

Bei der Europawahl vom Juni 2009 sorgte eine neue rechtsextremistische Kraft in Ungarn für Furore. Die erst 2004 von antikommunistisch gesinnten Studierenden gegründete rechtsextremistische Bewegung „Jobbik” — Jobbik ist ein Wortspiel im Ungarischen, eine Steigerung sowohl für „gut” wie „rechts” — holte aus dem Stand heraus 14,8 Prozent und wurde knapp hinter den Sozialisten drittstärkste Kraft, später auch bei den Parlamentswahlen im Jahr 2010.[15]

Mit Parolen wie „Ungarn gehört den Ungarn” ist die Partei nicht nur rechtextremistisch, romafeindlich und antisemitisch, sondern auch hart-euroskeptisch ausgerichtet. Gesicht für die Kampagne der Europawahl war die frühere Frauenrechtlerin – sie arbeitete von 2003 bis 2006 im Sachverständigenausschuss der Vereinten Nationen und doziert Strafrecht an der staatlichen Loränd-Eötvös-Universität Budapest – und jetzige fanatische Rechtsextremistin Krisztina Morvai, die auf allen Wahlplakaten zentral präsent war. Morvai, 1963 geboren, äußerte 2010 in der Tageszeitung „Die Welt” auf die Frage: „Sie wurden ins Europaparlament gewählt. Aber offenbar mögen Sie Ihren Job nicht. Oder wie ist es zu erklären, dass Jobbik für Ungarns Austritt aus der EU kämpft?” Folgendes: „Wir sind nicht unbedingt für den Austritt aus der EU. Aber wir sind gegen die Schaffung eines europäischen Imperiums. Wir sind dagegen, die Nationalstaaten ihrer Entscheidungsbefugnisse zu berauben und den EU-Institutionen zu übertragen. Es gibt keinerlei Kontrolle über die EU-Kommission. Das ist schrecklich und undemokratisch. Ich bin euroskeptisch, aber habe die Hoffnung, dass wir die EU verändern können. Doch wenn das Schlimmste eintritt und wir das 2011 auslaufende Moratorium zum Landverkauf nicht neu verhandeln können, dann sollte Ungarn die EU verlassen. Wir dürfen unser Land nicht preisgeben. Die Europäische Union hat Ungarn mehr nötig als wir die EU,[16]

Beleuchtet man abschließend das Verhältnis zwischen dem westeuropäischen Rechtspopulismus und den Euroskeptizismus, stellen sich zwei Fragen, die jeweils zu verneinen sind:

  1. Euroskeptizismus als fixes Merkmal des Rechtspopulismus? Nein. Euroskeptizismus ist häufig ein Kriterium für Rechtspopulismus. Beide Phänomene müssen aber nicht Hand in Hand gehen. Rechtspopulistische Parteien greifen durchaus auch auf andere Mobilisierungsthemen als Euroskeptizismus zurück, beispielsweise einen generellen Anti-Islam, Immigration, soziale Versprechungen auf Kosten von Exkludierten. Freilich können diese Themen anschlussfähig zu einer umfassenden Kritik der EU sein.
     

  • Rechtspopulismus als konstitutives Merkmal für Euroskeptizismus? Nein. Euroskeptizismus kann theoretisch von allen politischen Lagern, auch von politischen Eliten vorgetragen werden. Hier spielt auch die politische Kultur eine Rolle. Länder wie Großbritannien und Österreich sind traditionell euroskeptisch ausgerichtet, wie sich in Bevölkerungsumfragen zeigt. Der politische (Eliten-)Diskurs ist dadurch stark beeinflusst. Die populistische Logik „Wir gegen Die-da-oben” eignet sich gleichwohl gut für das Thema „EU”. Die nicht-xenophoben „Wahren Finnen” kritisierten die nationale Regierung ebenso wie die Rettungspakete der EU für Portugal, ohne eine weitere rechts-populistische Agenda vorzutragen. So distanzierte sich die Partei deutlich von den Schwedendemokraten, die 2010 ebenfalls erstmalig in das nationale Parlament einziehen konnten. Der Rechtspopulismus hat den Charakter eines Primärmerkmals, Euroskeptizismus höchstens den des Sekundärmerkmals. So brauchen rechtspopulistische Formationen häufig sogar Europa, wenn es um Fragen eines Schutzwalles gegen Immigration geht.
  • VI. Fazit

    Insgesamt wird das Bild eines parteipolitisch organisierten Euroskeptizismus wandelbar bleiben, wie der Erfolg der „Wahren Finnen” zeigt. Für einen Europopulismus ist es sicherlich kein ausreichendes Kriterium, dass eine eurorealistische Position einfach und unberechtigterweise in ein negatives Licht gerückt wird Euroskeptikern kommt immerhin der Verdienst zu, Debatten über Legitimität, Effizienz, das „Wie” von Integration sowie Interdependenz zwischen den nationalen Regierungen und der EU und mehr Demokratie auf dem europäischem Level angestoßen und im Sinne des Actio-Reactio-Prinzip und des Agenda-Setting forciert zu haben.[17] Dabei ist es essentiell, eine legitime, notwendigerweise zu artikulierende Kritik an den vielen Problemlagen der EU – Demokratiedefizit, Kritik an weiteren Erweiterungen wie dem Beitritt der Türkei, kritischer Beitrag zu bürokratischen Maßnahmen in einzelnen Politikfeldern wie der Landwirtschafth Skepsis gegenüber der von den finanzstarken Mitgliedsstaaten getragenen Solidarität für auch durch eigene Misswirtschaft in Not geratene Mitgliedsländer – nicht einfach mit Euroskeptizismus zu vermengen bzw. diesen normativ, zudem pauschal negativ aufzuladen. Die Krise des Jahres 2011 sorgt dafür, dass die europäischen Eliten in Brüssel offen nach einem Mehr an wirtschaftlicher und sozialer Integration schreien und diese auch forcieren werden. Das funktioniert aber nur, wenn für Europa und die EU erfolgreich geworben wird und konkrete Schritte für eine europäische Öffentlichkeit nicht nur bei jungen karrierebewussten und vielsprachigen Kosmopoliten eingeleitet werden. Die nationalen Medien beschäftigen sich seit der Krise 2011 vermehrt mit der Entwicklung in den Nachbarländern und haben dabei nicht nur die Regierungen im Blick.

    Der Integrationsprozess wird weiterhin von den Regierungen der Mitgliedsstaaten getragen, so dass Euroskeptizismus wohl eher weiterhin als die Oppositionsinstrument in den nationalen Parteienwettbewerben genutzt werden, wird. Freilich gibt es auch hier Gegentendenzen, wie in Großbritannien zu beobachten ist. Euroskeptizismus ist im europäischen Parteienwettbewerb, auch bedingt durch den begrenzten Einfluss der europäischen Integration auf die nationalen Parteiensysteme, keine Mainstream-Erscheinung. Für eine euroskeptische Parteienfamilie fehlt es trotz derartiger konjunktureller Gelegenheitsstrukturen dennoch an einem strukturellem Identitätskern, Vertrauen und Solidarität untereinander sowie einer programmatisch-strategischen Agenda, obwohl beträchtliche Teile in der europäischen Öffentlichkeit euroskeptisch eingestellt sind. Diese Teile können ihren Unmut aber lediglich indirekt, über die Second-Order-Elections zum Europäischen Parlament und eine im Vertrag von Lissabon zementierte, aber in der Praxis diffizil umsetzbare Bürgerinitiative kundtun. Das heißt, es wird zu keiner populistischen oder euroskeptischen Internationalen kommen. Dem Problem des Rechtspopulismus wird also im nationalen Rahmen zu begegnen sein. Es spricht Vieles dafür, dass die Auseinandersetzung um die Zukunft der Europäischen Integration und der EU stärkeren Einfluss haben wird und muss. Die Eliten sollten endlich die Finalitätsdiskussion auf zwei Ebenen führen: in Bezug auf die Europäische Integration und die EU als politisches System sui generis. Zudem sollte die Rechtspopulismusdebatte nicht davon ablenken, sich mit der Zukunft der repräsentativen Demokratie, dem Verhältnis zu den Finanzmärkten sowie neuen, für die junge Generation ansprechende Partizipationsformen zu beschäftigen. Vor allem geht es aber um verantwortliches (nicht populistisches) Re-gieren unter dem Signum von Austerität und Rezession in Europas Schuldenstaaten.

    [1] Mudde hat das bislang beste Überblickswerk unter Einschluss Osteuropas verfasst. Vgl. Cas Mudde: Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge 2007.
    [2] Florian Hartleb: Vier Konferenzen von vier verschiedenen Fraktionen (Grüne, Liberale, Christdemokraten und Sozialisten) zum selben Thema mit dem Titel „Neue Gefahr des Populismus” im Europäischen Parlament (30./31. März 2011 und 21. Juni 2011) in Brüssel, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 42 (2), S. 466-469.
    [3] Vgl. Paul Taggart: Populism, Buckingham 2000.
    [4] Vgl. Anton Pelinka: Bestimmungsfaktoren des Euroskeptizismus, in: Ders./Fritz Plasser (Hrsg.): Europäisch Denken und Lehren. Festschrift für Heinrich Neisser, Innsbruck 2007, S. 233-247.
    [5] Jose Manuel Duräo Barroso: in deutscher Fassung „Erneuerung Europas — Rede zur Lage der Union 2011” http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=SPEECH/11/607&format=HAT ML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en (abgerufen am 2. November 2011).
    [6] Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel am 26. Oktober 2011 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 26. Oktober 2011 in Berlin, http://www.bundesregierung.de/nn_1272/Content/DE/Bulletin/2011/10/111-1-bk-bt.html (abgerufen am 4. November 2011).
    [7] Vgl. http://ec.europa.eu/public_opinion/index_en.htm (konstant abrufbar mit immer aktualisierten Umfragen).
    [8] Vgl. Florian Hartleb: Nach ihrer Etablierung. Rechtspopulistische Parteien in Europa. Begriff — Strategie — Wirkung, Zukunftsforum Politik, Sankt-Augustin/Berlin 2011; ders.: After their establishment: Right-wing Populist Parties in Europe, Centre for European Studies/Konrad-Adenauer-Stiftung, Brüssel 2011.
    [9] Vgl. zum Phänomen Wilders und seiner Entwicklung Koen Vossen: Vom konservativen Liberalen zum Nationalpopulisten: Die ideologische Entwicklung des Geert Wilders, in: Friso Wielenga/Florian Hartleb (Hrsg.): Populismus in der modernen Demokratie. Die Niederlande und Deutschland im Vergleich, Münster u. a. 2011, S. 77—104.
    [10] Vgl. für Ungarn Melani Barlai/Florian Hartleb. Ungarischer Populismus und Rechtsextremismus.
    Ein Plädoyer für die Einzelfallforschung, in: Südosteuropa Mitteilungen, 48 (2008) 4, S. 34-5 1.
    [11] Vgl. Friso Wielenga/Florian Hartleb: Einleitung, in: Dies. (Hrsg.): Populismus in den Niederlanden
    und in Deutschland im Vergleich, Münster 2011, S. 7—16.
    [12] Vgl. http://ec.europa.eu/public_opinion/index_en.htm (konstant abrufbar mit immer aktualisierten Umfragen).
    [13] Vgl. genauer Florian Hartleb: A thorn in the side of European elites: The new Euroscepticism, Centre for European Studies, Brüssel 2011.
    [14] Vgl. Paul Taggart/Aleks Szczerbiak: Introduction: Opposing Europe? The Politics of Euroscepticism in Europe, in: Dies. (Hrsg.): Opposing Europe? Comparative and Theoretical Perspectives, Vol. 1, Oxford 2008, S. 1—15.
    [15] Vgl. Melani Barlai/Florian Hartleb: Rechtsextremismus als Posttransformationsphänomen — der Fall Ungarn, in: Totalitarismus und Demokratie, 7 (2010) 1, S. 83 -104.
    [16] Krisztina Morvai: Ungarn muss notfalls aus der EU austreten, in: Die Welt vom 12. April 2010.
    [17] Vgl. Cecile Leconte: Understanding Euroscepticism, Houndsmills 2010, S. 37-42.

    nach oben