Vom Koreakrieg bis zu Trump 2.0: Die Taiwan-Politik der USA im Wandel der Zeit
Am 5. November 2024 waren in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh alle Augen auf die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet. Denn an jenem Tag sollte sich entscheiden, wer künftig als Präsident*in der USA die Geschicke des politisch, ökonomisch und militärisch aktuell mächtigsten Staates der Erde leiten würde: Sollte es erneut Donald Trump werden, der sich während seiner ersten Amtszeit deutlich entschiedener als zuvor Barack Obama gegen die Volksrepublik China (VR China)i und damit auf Seiten Taiwans positionierte, zuletzt aber auch immer wieder schärfere Töne gegenüber der Regierung in Taipeh anschlug – demzufolge also eine gewisse Unsicherheit für Taiwan mit sich bringen würde? Oder sollte es vielmehr Kamala Harris werden, unter deren Führung aller Voraussicht nach kein signifikanter Kurswechsel gegenüber Taiwan zu erwarten wäre, nachdem die USA unter Joe Biden als Präsident und Harris als Vizepräsidentin den von Trump eingeschlagenen Kurs im Kern fortsetzten? Letzteres Szenario war angesichts der im Vergleich wohl etwas größeren Aussicht auf Stabilität und Sicherheit dann auch die Präferenz einer Mehrheit der Taiwanes*innen (vgl. Hioe 2024). Ihr Wunsch sollte sich jedoch bekanntermaßen nicht erfüllen.
Zwar wurde das Ergebnis der Präsidentschaftswahl angesichts der globalen Bedeutung der USA sicher von den meisten Regierungen sowie vielen Menschen weltweit mit Spannung und zum Teil Nervosität erwartet. Doch hatte es für die Regierung Taiwans sowie seine Bevölkerung eine besonders große Relevanz: Denn seitdem die Partei der Kuomintang (KMT)ii im Jahr 1949 die Republik China als de facto bis heute unabhängigen und souveränen Staat auf der Insel Taiwan etablierte, hängt die militärische Sicherheit des Inselstaates vor der VR China und damit auch der Fortbestand seiner faktischen Unabhängigkeit entscheidend von den als Schutzmacht fungierenden USA ab. De jure erkennen bereits jetzt nur noch einige wenige, überwiegend kleinere Staaten Taiwan als völkerrechtlich souveränen Staat an. Dazu hat allem voran der politische Druck geführt, den die VR China gemäß des von ihr eisern propagierten „Ein-China-Prinzips“iii bereits seit Jahrzehnten auf all jene Staaten ausübt, die Taiwan als souveränen Staat anerkennen. Die Frage, wer ab Januar 2025 im Weißen Haus in Washington sitzen und damit maßgeblich über die künftige US-Außenpolitik entscheiden würde, war und ist für das inzwischen Spitzenwerte in Demokratie-Indizes erreichende Taiwan (vgl. Freedom House 2024) also im wahrsten Sinne des Wortes von existenzieller Bedeutung.
Dass die Sicherheit Taiwans überhaupt bedroht ist und damit jeder politische Machtwechsel in den USA eine gewisse Unsicherheit für Taiwan in sich birgt, liegt an der Eindeutigkeit der Position, die die VR China offiziell gegenüber Taiwan vertritt: Es handele sich bei Taiwan um eine abtrünnige Provinz, deren Eingliederung in die Volksrepublik Teil der historischen Mission der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sei und daher notfalls auch kurzfristig mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden müsse (vgl. Wang 2021). Zwar stammen die Grundzüge dieser Position bereits aus der Ära Mao Zedongs, doch wird sie seit Xi Jinpings Amtsantritt als Staatspräsident im Jahr 2013 rhetorisch offensiver und aggressiver denn je vertreten sowie zunehmend auch durch entsprechendes Handeln untermauert; beispielsweise durch häufiger werdende und immer größer angelegte Militärmanöver der chinesischen Volksbefreiungsarmee in der Taiwanstraße (vgl. Jash 2024). Einige Beobachter*innen, wie der ehemalige australische Politiker und ausgewiesene Experte chinesischer Außenpolitik Kevin Rudd, gehen gar davon aus, dass Xi willens ist, Taiwan unter allen Umständen noch während seiner Amtszeit in die Volksrepublik einzugliedern; oder wie Rudd (2022: 99) es formuliert: „Xi ist ein Mann in Eile, wenn es um Taiwan geht.“iv Der Rolle der USA als Schutzmacht Taiwans kommt demnach aktuell eine besonders große Bedeutung zu. Hinzu kommt die stetig wachsende Intensität des Konfliktes zwischen den USA und China um globalen Einfluss. Denn dieser hat spätestens mit dem unter Barack Obama 2011 verkündeten „Pivot to Asia“v rasant an Fahrt aufgenommen, nachdem sich die VR China durch diese strategische Neuausrichtung der US-Außenpolitik in ihrer vermeintlich natürlich gegebenen geopolitischen Einflusszone des Indopazifiks bedroht sah (vgl. Shambaugh 2013: 10). Und ebendieser geopolitische Schlüsselkonflikt des 21. Jahrhunderts manifestiert sich heute an kaum einem Ort der Welt derart deutlich wie in der Taiwanstraße.
Der vorliegende Beitrag nimmt daher die globale Relevanz des Konfliktes sowie die jüngst erfolgte Wahl Trumps zum US-Präsidenten und die damit verbundene Frage, welche Auswirkungen diese Wahl auf Taiwan haben könnte, zum Anlass, die Taiwan-Politik der USA im Wandel der Zeit zu betrachten – vom Koreakrieg bis zu Trump 2.0. Neben Geschichte und Gegenwart sollen somit abschließend auch mögliche Zukunftsszenarien des Konfliktes sowie die Rolle der USA darin thematisiert werden. Zunächst soll aber die Historie der Taiwan-Politik der USA seit 1949 nachgezeichnet werden, mit einem besonderen Fokus auf den Entwicklungen der letzten Jahre unter den US-Präsidenten Trump (2017-2021) und Biden (2021-2025). Dabei muss die US-Politik gegenüber Taiwan allerdings auch und vor allem unter Berücksichtigung der Position und des Handelns der VR China gegenüber Taiwan betrachtet werden. Daher nimmt der Beitrag nicht nur Taiwan selbst und die USA als dessen Schutzmacht, sondern auch die VR China in den Blick. Das Ziel ist es demnach, aktuelle sowie mögliche künftige Entwicklungen im Taiwan-Konflikt durch eine historisch fundierte Betrachtung der komplexen Dreiecksbeziehung Taiwan-USA-China nachvollziehbar darzustellen.
Eine kurze Geschichte der Taiwan-Politik der USA (1949 bis 2017): Stabilität in einer Welt des Wandels
Bereits im Jahr 1945, mit der totalen Kapitulation Japans, wurde die bis dato japanische Kolonie Taiwan de facto zum Staatsterritorium der Republik China und wurde damit quasi vom einen auf den anderen Tag von der Kuomintang regiert, zu deren Staatsgebiet zu jener Zeit auch noch das ab 1949 von der Volksrepublik kontrollierte chinesische Festland gehörte. Wie oben erwähnt, flüchteten mit der Niederlage im Bürgerkrieg dann 1949 die Eliten der KMT auf die Insel Taiwan, woraufhin ihnen zahlreiche weitere Anhänger*innen folgten. Seitdem bilden faktisch lediglich noch die Insel Taiwan sowie einige kleinere umliegende Inseln das Staatsgebiet der Republik China. Noch im Oktober 1949 konnte eine militärische Eroberung der Insel durch die frisch ausgerufene Volksrepublik verhindert werden. Ab 1950 sicherten dann bereits die USA das politische Überleben der damals noch autoritär unter Kriegsrecht regierenden KMT-Regierung unter Führung Chiang Kai-sheks militärisch ab – konkret durch das Einrücken der US-Pazifikflotte in die Taiwanstraße, die zwischen dem chinesischen Festland und der Insel Taiwan verläuft. Dieses Manöver resultierte unmittelbar aus dem im Kontext des Kalten Krieges als Stellvertreterkrieg ausgefochtenen Koreakrieg, der 1950 begonnen hatte und in dessen Rahmen die USA politische und militärische Verbündete in der Region benötigten. Taiwans besondere geostrategische Bedeutung als „anti-kommunistische[r] Flugzeugträger“ (Schubert 2023: 261) der USA in unmittelbarere Nähe zum chinesischen Festland manifestierte sich dann 1954 in einem zwischen den Regierungen in Washington und Taipeh geschlossenen Verteidigungspakt (vgl. Schubert 2023: 260f.). Seitdem nehmen die USA die Rolle als Schutzmacht des – zumindest de facto – bis heute unabhängigen und seit 1987 demokratisch regierten Taiwans ein.
Bis 1971 wurde China zudem in den Vereinten Nationen (UN) offiziell von der Republik China repräsentiert, bevor dann die Volksrepublik diesen Status in ebenjenem Jahr übernahm. Entsprechend hatte die Regierung Chiang Kai-sheks aber bis 1971 auch einen Sitz im mächtigen UN-Sicherheitsrat inne, was den Beziehungen zu Taiwan aus Sicht der USA zusätzliche strategische Bedeutung verlieh. Zwar entspannten sich die bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Peking ab 1969 schrittweise, nachdem das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der VR China nach einem militärischen Grenzkonflikt endgültig zerrüttet war und sich China und die USA somit nun einen gemeinsamen Kontrahenten teilten. Diese Annäherung mündete schließlich 1979 auch in der offiziellen Anerkennung der Volksrepublik als alleinige legitime Vertretung Chinas durch die USA, wodurch die Republik China diesen Status verlor. Doch sorgten diese Entwicklungen keineswegs dafür, dass die USA ihre Rolle als militärische Schutzmacht Taiwans aufgaben – ganz im Gegenteil: Noch im selben Jahr, 1979, wurde der Taiwan Relations Act in den USA verabschiedet, demgemäß die USA sich gesetzlich dazu verpflichteten, Taiwan mit den nötigen Waffen für seine Verteidigung gegenüber der VR China auszurüsten. Seitdem haben die USA Taiwan mit Rüstungsgütern im Milliardenwert beliefert. Überdies hat das Gesetz vorgesehen, dass Washington auch nach der offiziellen Anerkennung der VR China weiterhin Beziehungen, wenn auch inoffizieller Natur, nach Taipeh unterhält (vgl. Congressional Research Service 2023; Naß 2023: 87; Sutter 2020: 214-216). Schließlich wird im Taiwan Relations Act auch explizit festgehalten, dass „die Vereinigten Staaten ihre Fähigkeit aufrechterhalten werden, sich der Anwendung jeglicher Form von Gewalt oder anderen Zwangsmaßnahmen widersetzen zu können, die die Sicherheit oder das gesellschaftliche oder wirtschaftliche System der taiwanischen Bevölkerung gefährden würden“ (Congressional Research Service 2023).
Der Taiwan Relations Act bildet bis heute die Grundlage der Taiwan-Politik der USA. Seine Kerninhalte sind seitdem von keiner US-Administration ernsthaft und nachhaltig in Frage gestellt worden. Denn auf Phasen, in denen die USA Zugeständnisse gegenüber der Volksrepublik machten – wie 1982, als sie in Form eines Kommuniqués zumindest vage zusicherten, die Rüstungsexporte nach Taiwan zu begrenzen – folgten stets Phasen, in denen die USA sich wieder klarer und offensiver für die Sicherheit Taiwans einsetzten. So führte zum Beispiel das historische Tiananmen-Massaker der chinesischen Regierung an der eigenen Bevölkerung 1989 dazu, dass die USA sich vom autokratischen China abwendeten und gleichzeitig zum inzwischen demokratisch regierten und wirtschaftlich blühenden Taiwan hinwendeten; konkret wurden ab 1992 wieder vermehrt Rüstungsgüter nach Taiwan geliefert und es wurde erstmals seit dem Abbruch der offiziellen Beziehungen mit Taipeh 1979 ein US-Regierungsmitglied dorthin entsandt (vgl. Sutter 2020: 216f.).
Derartige, durch konkrete Ereignisse ausgelöste Dynamiken prägten auch in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends die Dreiecksbeziehung Taiwan-USA-China. So sicherte George W. Bush noch im April 2001 Taiwan die bedingungslose Unterstützung der USA im Falle eines militärischen Angriffs durch die Volksrepublik zu, bevor kurz darauf die Terroranschläge vom 11. September dafür sorgten, dass die USA erstmals seit 1989 wieder mehr Nähe zur VR China suchten, um eine möglichst breite Front in ihrem „Kampf gegen den Terror“ hinter sich zu wissen. Gleichzeitig belasteten offen formulierte Unabhängigkeitsbestrebungen der damaligen taiwanischen Regierung unter Chen Shui-bian die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Taiwan, da derartige Bestrebungen die Bemühungen der USA um bessere Beziehungen zur Volksrepublik konterkarierten. Auf diese anfänglichen Dynamiken folgte dann allerdings ein Jahrzehnt, in dem sich das komplexe Beziehungsgeflecht der drei Akteure zumindest oberflächlich durch eine neu gewonnene Stabilität auszeichnete. Denn letztlich überwogen die gemeinsamen politischen und ökonomischen Interessen der politischen Führungen um George W. Bush und Hu Jintao ihre unter der Oberfläche weiter brodelnden Differenzen um Taiwan (vgl. Sutter 2020: 217f.).
Wie fragil diese vermeintliche neue Stabilität allerdings sein sollte, zeigte sich infolge des eingangs erwähnten „Pivot to Asia“ unter Obama im Jahr 2011. Als primäres Ziel dieser Neujustierung der US-Außenpolitik war von Vornherein erkennbar, dass China zunächst auf seinem Weg zur dominierenden Macht im Indopazifik und langfristig zur globalen Großmacht behindert werden sollte (vgl. Naß 2023: 60). 2012 wurde dann zudem Xi Jinping Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und 2013 auch Präsident der VR China. Im Vergleich zu seinem Vorgänger Hu scheute Xi von Anfang an nicht davor zurück, seine außenpolitische Vision von Chinas „Rückkehr zu alter Größe“ offen auszusprechen sowie seinen Worten durch unmissverständliche politische und militärische Taten Nachdruck zu verleihen: Xi zufolge sollte China sich in möglichst kurzer Zeit als Großmacht etablieren und die von den USA geschaffene und jahrzehntelang dominierte Weltordnung durch eine neue, von China maßgeblich mitbestimmte neue Ordnung ersetzt werden (vgl. Naß 2023: 32-34; Zhao 2023: 78f.). Ein elementarer Bestandteil dieser Vision war dabei von Beginn an auch die Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik. Denn die vermeintliche Wiedervereinigung mit dem faktisch unabhängigen Inselstaat – der nie Teil der Volksrepublik war – sei, so Xi, aus außenpolitischer Sicht eine notwendige Bedingung für Chinas weiteren Aufstieg (vgl. Naß 2023: 84). Aus innenpolitischer Sicht könnte die Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik Xi zudem „ein Level an politischer Unsterblichkeit in den Augen von Partei und Land sichern, welches dem Maos Konkurrenz macht“ (Rudd 2022: 99).
Doch obwohl Chinas Rhetorik und Handeln gegenüber den USA und Taiwan unter Xi von Anfang an deutlich offensiver wurden, waren die letzten Jahre der Obama-Administration von US-Seite aus dennoch durch einen abwartenden und meist konstruktiven Ansatz gegenüber China geprägt – der offene Konflikt wurde bewusst gescheut (vgl. Sutter 2020: 219f.). Eine Kehrtwende in der US-Politik gegenüber der Volksrepublik und damit verbunden auch gegenüber Taiwan sollte erst mit Trump erfolgen.
Die Taiwan-Politik der USA unter Donald Trump und Joe Biden (2017-2025): Kalkulierte Verhärtung der Fronten
Um zu verstehen, warum sich die bereits seit Jahrzehnten angespannte politische Situation zwischen Taiwan und der Volksrepublik seit Beginn der ersten Amtszeit Donald Trumps im Jahr 2017 nochmals deutlich zugespitzt hat, müssen alle drei Akteure in den Blick genommen werden: Zum einen hat Xi die Vereinigung mit Taiwan im Rahmen seiner nationalistischen Agenda zu einem zentralen politischen Ziel erklärt und seine Politik gegenüber Taiwan entsprechend aggressiv ausgerichtet. Zum anderen wird Taiwan seit 2016 von der im Vergleich zur KMT deutlich chinakritischeren Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) regiert. Im Gegensatz zur KMT strebt die DPP danach, den aktuellen Status Taiwans als de facto unabhängiger Staat weiter zu zementieren, ohne sich dabei jedoch de jure für unabhängig zu erklären – wohlwissend, dass die Volksrepublik dies nicht hinnehmen und wohl militärisch reagieren würde. Um faktisch auch auf lange Sicht unabhängig zu bleiben, kündigte die 2016 gewählte taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen nach ihrer Wahl auch den „Konsens von 1992“ mit der VR China auf, demzufolge sowohl Taiwan als auch China am „Ein-China-Prinzip“ sowie am Ziel der langfristigen Wiedervereinigung festhalten würden. Da dieser Konsens bis dato die Grundlage der Taiwan-Politik der VR China bildete, stellte Peking daraufhin jegliche direkte Kommunikation mit der taiwanischen Regierung ein. Die KMT hingegen schließt eine (Wieder-)Vereinigung mit der Volksrepublik zumindest nicht kategorisch aus und würde die Gesprächskanäle zur Volksrepublik gern wieder öffnen, wenn sie wieder in Regierungsverantwortung käme (vgl. Naß 2023: 82; Schubert 2023: 278f.). Als dritte und nicht minder entscheidende Ursache für die aktuell hochangespannte Lage zwischen Taiwan und der VR China ist schließlich die deutliche Neuausrichtung der Taiwan-Politik der USA unter Trump zu nennen.
Der intensivierte Austausch zwischen den USA und Taiwan in Trumps erster Amtszeit (zwischen 2017 und 2021) ist vor allem vor dem Hintergrund der im Vergleich zu Obama deutlich konfrontativeren China-Politik Trumps und seiner Regierung zu betrachten: Während Obama noch versuchte, Konflikte eher hinter verschlossenen Türen und durch Kompromisse zu lösen, anstatt die chinesische Regierung öffentlich zu attackieren, warf Trump China bereits 2016 in seinem Wahlkampf vor, die USA mit einer unfairen Wirtschaftspolitik zu „vergewaltigen“ (Diamond 2016). Konkret meinte Trump damit, dass China seine Währung gezielt manipuliere, um chinesische Exportgüter international wettbewerbsfähiger zu machen und damit der US-Wirtschaft zu schaden (vgl. Diamond 2016). Dementsprechend extrem richtete die Trump-Administration dann nicht nur ihre Rhetorik, sondern auch ihre Politik gegenüber der Volksrepublik aus. Konkret brach Trump einen Handelskrieg in Form von drastisch erhöhten Einfuhrzöllen auf chinesische Produkte und strikten Exportbeschränkungen für Produkte der Hochtechnologie nach China vom Zaun. Matthias Naß (2023: 60f.), internationaler Korrespondent der ZEIT und ausgewiesener China-Experte, konstatiert in seiner aktuellen Monografie zum Konflikt zwischen China und den USA daher sogar, dass das Verhältnis der beiden Mächte nie schlechter gewesen sei als unter Trump. Wohlwissend um die geostrategische Bedeutung Taiwans im Konflikt mit China – auch hinsichtlich des komplexen, über den Taiwan-Konflikt hinausgehenden Konfliktes im Südchinesischen Meervi – intensivierten die USA gleichzeitig ihre Beziehungen zum Inselstaat. Zum einen wurden in Trumps erster Amtszeit mehr Waffen als unter jedem anderen US-Präsidenten nach Taiwan exportiert. Zum anderen bewegten sich die USA auch auf diplomatischer Ebene deutlich auf Taiwan zu: Trumps Amtszeit startete – noch vor ihrem offiziellen Beginn im Januar 2017 – damit, dass er im Dezember 2016 einen Gratulationsanruf von Tsai Ing-wen, der damaligen Präsidentin Taiwans, entgegennahm, was die VR China als Angriff auf das „Ein-China-Prinzip“ auffasste; und sie endete damit, dass die Regierung Trump in ihren letzten Zügen alle zuvor geltenden Beschränkungen im offiziellen Umgang mit taiwanischen Regierungsvertreter*innen aufhob – mit der Ausnahme, dass auch weiterhin keine taiwanische Flagge in staatlich-offiziellen Kontexten zu sehen sein darf (vgl. Naß 2023: 87f.; Sutter 2020: 226f.).
Entgegen den Erwartungen und Hoffnungen der chinesischen Regierung setzte Joe Biden nach seiner Amtsübernahme im Januar 2021 die China- und Taiwan-Politik seines Vorgängers nahtlos fort. Antony Blinken, US-Außenminister unter Biden, traf sich gar bereits vor der offiziellen Übernahme der Regierungsgeschäfte mit der damals höchsten politischen Vertreterin Taiwans in den USA, Hsiao Bi-khim, zu Gesprächen. Kurz darauf, im März 2021, fand dann bereits das erste außenpolitischen Spitzentreffen zwischen den USA und China nach Bidens Amtsantritt statt. Bei dem Treffen in Anchorage, Alaska, bestätigte sich schnell der Eindruck, dass sich in den sino-amerikanischen Beziehungen unter Biden zunächst nicht signifikant etwas verändern würde (vgl. Naß 2023: 87-89; Rudd 2022: 301-303). Ausgehend von diesen frühen, unmissverständlichen Signalen Washingtons in Richtung China habe sich die Unterstützung Taiwans, so Naß (2023: 88), zu einer wichtigen außenpolitischen Maxime der Biden-Regierung entwickelt. Für die Öffentlichkeit wurde diese Maxime besonders deutlich, als Biden im Oktober 2021 überraschend klar formulierte, dass die USA Taiwan im Falle eines militärischen Angriffs durch die Volksrepublik in jedem Fall verteidigen würden (ZEIT Online 2021). Überraschend war die Formulierung Bidens für viele Beobachter*innen vor allem deshalb, weil sie durchaus als Bruch mit der bisher gefahrenen Strategie der Zweideutigkeit mit Blick auf den Taiwan-Konflikt interpretiert werden konnte. So hatten die USA Taiwan und China – zumindest öffentlich – doch bis dato stets im Unklaren darüber gelassen, ob die USA im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan tatsächlich Soldat*innen zur Verteidigung der Insel entsenden würden – oder vielmehr lediglich ihre Waffenlieferungen aufstocken würden, wie im Falle des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine. Die Formulierungen Bidens schienen nun aber genau diese bislang fehlende Eindeutigkeit herzustellen. Bestätigt wurde dies vom Weißen Haus jedoch nie. So hielt die Biden-Administration offiziell weiter an ihrem Kurs der „strategischen Ambiguität“ (Naß 2023: 90) fest. Nichtsdestotrotz haben manche US-amerikanische Sicherheits- und Militärstrateg*innen der US-Regierung seit jenen öffentlichen Aussagen Bidens wiederum öffentlich dazu geraten, diese Strategie offiziell aufzugeben und damit strategische Klarheit zu schaffen. Auch wenn Bidens Regierung auf derartige Ratschläge offiziellen Verlautbarungen nach nicht weiter eingegangen ist, spricht die Taiwan-Politik der Biden-Administration doch eine recht eindeutige Sprache (vgl. Naß 2023: 90f.).
So betonten die USA unter Biden zum einen in internationalen Kommuniqués zunehmend explizit die Bedeutung von Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße. Zum anderen entsendeten sie neben weiteren Rüstungsgütern auch militärische Ausbilder*innen und – unmittelbar nach dem Beginn des Ukraine-Krieges 2022 – eine hochrangige Delegation ehemaliger Militärs und Sicherheitspolitiker*innen nach Taiwan. Gleichzeitig wurde ein Zerstörer der US-Marine in die Taiwanstraße entsendet (vgl. Naß 2023: 90f.). Als Höhepunkt der diplomatischen Besuche hochrangiger US-Repräsentant*innen auf Taiwan kann dabei sicherlich der Besuch Nancy Pelosis in ihrem Amt als Sprecherin des US-Repräsentantenhauses im Jahr 2022 betrachtet werden, von dem sich die chinesische Regierung besonders stark verärgert zeigte (vgl. Global Times 2022) – was vor dem Hintergrund Pelosis internationaler Prominenz sowie ihrer zentralen Position im politischen System der USA eine wenig überraschende Reaktion seitens Chinas darstellte.
Derartige diplomatische und militärische Aktivitäten der USA sind jedenfalls nicht nur aus Sicht von Expert*innen wie Naß eindeutig und widersprechen damit der offiziell weiterhin ausgegebenen Losung der strategischen Zweideutigkeit, sondern werden auch in Peking gemäß der Prämisse, bei Taiwan handele es sich um eine abtrünnige chinesische Provinz, eindeutig als unrechtmäßige Einmischung der USA in innerchinesische Angelegenheiten – und damit als Angriff auf die staatliche Souveränität und Integrität der VR China – aufgefasst. Davon zeugen beispielsweise die regelmäßig, phasenweise beinahe im Tagesrhythmus in der international ausgerichteten KPCh-Parteizeitung Global Times veröffentlichten Aufforderungen an die USA, die Unterstützung Taiwans unverzüglich einzustellen (vgl. Global Times 2024a; 2024b). Aus dieser Gemengelage heraus hat die chinesische Regierung insbesondere seit Ende 2021 nicht nur die offizielle Rhetorik gegenüber den USA noch weiter verschärft – wie beispielsweise anhand der besagten Global-Times-Artikel erkennbar ist –, sondern auch ihre militärischen Aktivitäten in der Taiwanstraße sowie in der taiwanischen Luftraumüberwachungszone – die vom nationalen Luftraum zu unterscheiden ist (vgl. Ebbighausen 2021) – nochmals massiv in Häufigkeit und Umfang erhöht (vgl. Jash 2024: 7). In dieses Bild fügen sich auch die jüngsten, im Oktober und Dezember 2024 sowie Anfang April 2025 durchgeführten und dabei abermals groß angelegten Militärübungen der Volksbefreiungsarmee rund um Taiwan ein (vgl. Eyssel 2024; Pierson/Chien 2024; ZEIT Online 2025). Die Manöver aus dem vergangenen Dezember wurden von den meisten Beobachter*innen als unmittelbare Reaktion Chinas auf den USA-Besuch des erst seit Mai 2024 amtierenden taiwanischen Präsidenten Lai Ching-te (DPP) Anfang Dezember interpretiert. Taiwan reagierte mit Unverständnis und warf China vor, mit derlei Manövern die Sicherheit des gesamten Indopazifiks zu gefährden (vgl. Eyssel 2024). Ein Ende der sich immer weiterdrehenden Spirale aus Provokationen in der komplexen Dreiecksbeziehung Taiwan-USA-China ist folglich nicht in Sicht – vielmehr nimmt das Eskalationspotenzial stetig weiter zu.
Die Taiwan-Politik der USA unter Donald Trump 2.0 (ab 2025): Quo vadis?
Ob der Konflikt allerdings tatsächlich in den kommenden Jahren eskalieren und Xi versuchen wird, seinen Traum der Einverleibung Taiwans Wirklichkeit werden zu lassen, ist zum aktuellen Zeitpunkt reine Spekulation. Schlicht zu viele der Faktoren, die hierbei eine Rolle spielen, sind mit großer Unsicherheit behaftet. Nichtsdestotrotz lassen sich aber diese Faktoren selbst benennen und mit Blick auf die nähere Zukunft zumindest in Umrissen skizzieren.
Ein entscheidender Faktor hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Konfliktes um Taiwan ist das Agieren Taiwans selbst. Hierbei kommt es vor allem auf die Frage an, ob die taiwanische Regierung sich weiterhin mit der faktischen Unabhängigkeit Taiwans zufriedengibt oder sich künftig gar wieder auf die Volksrepublik zubewegt, oder sie vielmehr das Gegenteil tut und (langfristig) auch de jure auf Unabhängigkeit pocht. Letzteres Szenario erscheint unter den aktuellen politischen Bedingungen jedoch eher unwahrscheinlich. Zum einen ist das so, weil die VR China unter Xi dies unter keinen Umständen hinnehmen würde und auf eine formale Unabhängigkeitserklärung Taiwans aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich mit einem militärischen Angriff auf die Insel reagieren würde (vgl. Naß 2023: 85/90/246). Zum anderen ist das auch so, weil die USA genau dieses Szenario eines chinesischen Angriffs auf Taiwan bislang um jeden Preis vermeiden wollen, um nicht am Ende tatsächlich in die Situation eines „heißen“ Krieges mit der VR China gezwungen zu werden. Letztlich verfolgte die wachsende militärische und politische Unterstützung Taiwans unter Trump und Biden genau Folgendes weiterhin als Ziel: einen Krieg um Taiwan mittels Abschreckung zu verhindern (vgl. Naß 2023: 89-91). Realistischer erscheint daher aktuell, dass Taiwan – vor allem unter präsidialer Führung der DPP – sich vorerst weiterhin mit seinem Status als de facto unabhängiger Staat arrangieren wird und gleichzeitig weiter intensiv daran arbeiten wird, sich für einen möglichen Angriff Chinas zu wappnen.
Ob es zu diesem Angriff kommt, entscheidet allerdings nicht nur das zukünftige Agieren Taiwans oder der USA, sondern auch und vor allem Xi, dessen Handeln entsprechend als zweiter entscheidender Faktor zu betrachten ist. Während an Xis Ziel, Taiwan in die Volksrepublik einzugliedern, keinerlei Zweifel bestehen, so ist zumindest sein Zeitplan zur Erreichung dieses Ziels bislang unklar. Einschätzungen hochrangiger Generäle und Admirale des US-Militärs sowie anerkannter Expert*innen für Außen- und Sicherheitspolitik, wie Kevin Rudd oder Bonnie Glaser, dazu beruhen überwiegend auf Erwägungen zur militärischen Schlagfertigkeit der Volksbefreiungsarmee in einem etwaigen Krieg mit Taiwan und entsprechend möglicherweise auch den USA sowie – auch das ist angesichts der neuen US-Sicherheitsarchitektur im Indopazifik mittlerweile nicht mehr auszuschließen – seinen regionalen Verbündeten Japan und Australien. Hierbei gehen die Einschätzungen sowohl darüber, wann solch ein Angriff überhaupt realistischerweise erfolgen könnte – bereits 2025 oder doch erst nach 2030? – als auch über mögliche Ausgangsszenarien eines Krieges um Taiwan erheblich auseinander beziehungsweise umfassen sie eine große Bandbreite mehr oder weniger realistischer Szenarien (vgl. Naß 2023: 85-87/246; Rudd 2022: 331-340). Zum jetzigen Zeitpunkt herrscht demnach selbst unter Expert*innen keine Klarheit hinsichtlich dieser Fragen. Sicher ist nur, dass die Schlagfertigkeit des chinesischen Militärs stetig weiter zunimmt und China seinen Handlungsspielraum im Taiwan-Konflikt damit kontinuierlich erweitert (vgl. MERICS 2025: 5).
Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas in den kommenden Jahren. Denn dass der Volksrepublik angesichts ihrer rasant alternden Gesellschaft, einer bedrohlichen Immobilienblase, schwächelnder Binnennachfrage sowie einer weiteren Eskalationsstufe im Handelskrieg mit den USA – worauf Trumps Handelspolitik seit Anfang April 2025 eindeutig zusteuert (vgl. Tagesschau 2025) – ökonomisch herausfordernde Zeit bevorstehen, liegt auf der Hand (vgl. Kunath 2024; MERICS 2024: 3f.). Mit Blick auf Taiwan ist dies insofern von Bedeutung, als dass wirtschaftliche Stagnation die Gefahr dafür erhöhen könnte, dass Xi sich zum Zweck seines eigenen Machterhalts in blindem Nationalismus und daraus resultierend einem kurzfristigen Angriff auf Taiwan verrennt. Ob Xi allerdings tatsächlich den Weg seines vermeintlichen Freundes Wladimir Putin beschreiten wird, der bekanntermaßen aus zum Teil ähnlichen Motiven im Februar 2022 den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, wird auch davon abhängen, ob Xi aus den offensichtlichen Fehlern Putins gelernt hat. Denn damals waren sich schließlich wohl nicht nur Putin, sondern auch die meisten Beobachter*innen sicher, dass die Ukraine innerhalb weniger Tage, maximal Wochen fallen würde. So unterschiedlich die beiden Fälle trotz mancher Parallelen insgesamt auch gelagert sein mögen, so hat der bis heute erfolgreiche Widerstand der Ukraine China vor Augen geführt, dass sich der Ausgang eines Krieges nicht immer seriös vorhersagen lässt. Darüber hinaus haben die westlichen Sanktionen gegen Russland Xi erahnen lassen, womit auch China im Falle eines Angriffs auf Taiwan potenziell rechnen müsste. Es ist demzufolge davon auszugehen, dass sich Xi und die chinesische Regierung der erheblichen Risiken, Taiwan innerhalb der nächsten Jahre anzugreifen, durchaus bewusst sind. Ob sie bereit sind, diese Risiken dennoch einzugehen, bleibt für den Moment hingegen Spekulation – und wird nicht zuletzt auch davon abhängen, ob Trump weiterhin glaubwürdig vermitteln kann und will, Taiwan im Ernstfall auch mit US-Truppen zu verteidigen. Denn ein Krieg mit den USA würde für Xi ein ungleich größeres Risiko darstellen als eine ausschließlich gegen taiwanische Truppen geführte militärische Auseinandersetzung.
Angesichts all dieser Unsicherheiten bezüglich der kurz- und mittelfristigen Pläne Chinas mit Blick auf Taiwan, lohnt sich abschließend ein kurzer Ausblick auf den dritten und nicht minder entscheidenden Faktor: die künftige Taiwan-Politik der USA. Zur Frage, wie diese in der seit Anfang 2025 laufenden Ära Trump 2.0 aussehen wird, lassen sich nach Trumps Wahlkampf sowie seinen ersten Monaten im Amt einige Hypothesen aufstellen: Zwar hat Trump Taiwan im Zuge seines Wahlkampfes vorgeworfen, den USA ihre Halbleiterindustrie – eine, wenn nicht gar die Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts – genommen zu haben. Auch hat er deutlich formuliert, was er von Taiwan im Gegenzug für die Zusicherung amerikanischer Unterstützung im Ernstfall einfordert: nämlich eine Vervierfachung der bisherigen Verteidigungsausgaben auf rund zehn Prozent seines Bruttoinlandsproduktes, um sich künftig selbst besser vor der Volksrepublik schützen zu können (vgl. Feaver 2024; Hioe 2024; ZEIT Online 2024). Damit fährt er in dieser Hinsicht gegenüber Taiwan voraussichtlich dieselbe Strategie wie gegenüber der NATO und ihren Mitgliedsstaaten, an die er bereits während seiner ersten Amtszeit ähnliche Forderungen richtete. Doch ist gleichzeitig aktuell fest davon auszugehen, dass Trump seinen 2017 begonnenen Handelskrieg mit der VR China über seine zweite Amtszeit hinweg fortsetzen wird (vgl. MERICS 2024: 3; Mühling 2024). Seine aggressive Zollpolitik, die zwar die meisten Staaten weltweit trifft, China allerdings auf besonders harte Weise, bestätigen diese Annahme bis auf Weiteres (vgl. Tagesschau 2025). Dadurch kommt Taiwan in seiner Position als global führender Akteur in der Halbleiterindustrie und damit kaum zu ersetzender strategischer Partner der USA im Handelskonflikt mit China – das selbstverständlich ebenfalls Interesse an Taiwans Hochtechnologien hat – weiterhin eine kaum zu ermessende Bedeutung für Washington zu (vgl. Thome 2024: 261-263). Die Tatsache, dass die USA Halbleiter aus Taiwan von den Anfang April verhängten Zöllen auf taiwanische Importe explizit ausgenommen haben, unterstreicht diese Annahme nochmals (vgl. Tobin 2025). Zudem ist es weiterhin eines der zentralen außenpolitischen Ziele Trumps und seiner Administration – wie bereits während seiner ersten Amtszeit –, den Einfluss der VR China in jeglicher Hinsicht einzudämmen – das heißt nicht nur in ökonomischer, sondern vor allem auch geopolitischer Hinsicht. Und da Taiwan aufgrund seiner Lage im Osten des Südchinesischen Meers sowohl in dem ebendort ausgetragenen Konflikt als auch im Ringen um Einfluss im Indopazifik im Allgemeinen eine geostrategisch zentrale Rolle einnimmt – man denke an die Metapher von Taiwan als „unsinkbare[m] Flugzeugträger der Amerikaner vor der Küste der Volksrepublik“ (Naß 2023: 116) –, dürfte sich an der generellen Linie der zuletzt freundlichen Taiwan-Politik der USA aller polternden Wahlkampf-Rhetorik Trumps zum Trotz auch künftig kaum etwas ändern (vgl. Soong 2024). Für diese These spricht auch die Tatsache, dass Trump im Januar 2025 mit Marco Rubio einen erklärten Hardliner gegenüber China und Unterstützer Taiwans zum Außenminister berufen hat (vgl. Layne 2024; Simon/Barenberg 2024).
Doch auch wenn die Wahrscheinlichkeit derzeit entsprechend groß zu sein scheint, dass die Taiwan-Politik der vergangenen acht Jahre unter Trump und Biden im Grundsatz nahtlos fortgesetzt werden wird, so ist und bleibt Trump ein immer wieder erratisch handelnder und damit unberechenbarer Politiker. Insbesondere in Krisensituationen, die ein Angriff Chinas auf Taiwan zweifelsohne wäre, ist damit ein enormes Potenzial an Unsicherheit verbunden. Auf den Konflikt um Taiwan bezogen scheint daher aktuell jegliche Art von Reaktion Trumps im Bereich des Möglichen zu liegen. Es bleibt somit lediglich zu hoffen, dass Xi die mit Trump verbundene Unsicherheit nicht als günstige Gelegenheit für einen baldigen Angriff auf den Inselstaat begreift, sondern vielmehr als unkalkulierbares Risiko betrachtet und damit vorerst von einem militärischen Angriff auf Taiwan und seinen Status als de facto unabhängige und lebendige liberale Demokratie absieht.
Lars C. Konheiser M.A., geb. 1994, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sinologie der Universität Freiburg. Aktuell forscht er im Rahmen seines Promotionsprojektes zu den politischen und gesellschaftlichen Dimensionen des Wintersports in der Volksrepublik China. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit der gegenwärtigen Rolle der Volksrepublik China in der internationalen Politik, insbesondere im Bereich der Menschenrechtspolitik.
Literatur
Congressional Research Service 2023: Taiwan: The Origins of the U.S. One-China Policy, https://crsreports.congress.gov/product/pdf/IF/IF12503/1 (letzter Zugriff: 12.12.2024).
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Anmerkungen:
i Im Folgenden auch kurz als China bezeichnet.
ii Die Kuomintang (KMT) war die im chinesischen Bürgerkrieg von 1927 bis 1949 gegenüber der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) unterlegene Partei. Mit ihrer Niederlage im Jahr 1949 flohen die führenden Köpfe der Partei vom Festland – das heißt aus der heutigen Volksrepublik China – auf die Insel Taiwan und führten dort die Existenz der Republik China fort, zunächst in Form einer autoritären Einparteienherrschaft unter Führung Chiang Kai-sheks. Im heutigen demokratischen Taiwan ist die Kuomintang noch immer eine relevante politische Partei.
iii Das „Ein-China-Prinzip“ bezeichnet die von der VR China vertretene Prämisse, dass es nur ein China gebe, das zusätzlich zu dem von der Volksrepublik kontrollierten Festland (inklusive Macau und Hongkong) auch die faktisch unabhängige Republik China auf Taiwan umfasse. Die Anerkennung und Einhaltung dieser Prämisse wird zudem seitens der VR China von allen Staaten, mit denen sie offizielle diplomatische Beziehungen führt, streng eingefordert; das heißt, die Anerkennung des „Ein-China-Prinzips“ ist eine Bedingung für jeglichen weiteren diplomatischen Austausch.
iv Wörtliche Zitate, die im Original in englischer Sprache verfasst sind, wurden der besseren Lesbarkeit halber vom Verfasser dieses Beitrags ins Deutsche übersetzt.
v Der „Pivot to Asia“ der USA meint die Neujustierung der US-Außenpolitik in der ersten Amtszeit Obamas, bei der die Indopazifik-Region eine höhere Priorität bekommen sollte.
vi Das Südchinesische Meer ist als Teil der Indopazifik-Region einer der Hauptschauplätze des Ringens um geopolitischen Einfluss zwischen der VR China auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Allerdings wird im Südchinesischen Meer nicht nur der Konflikt zwischen den beiden Großmächten ausgetragen, sondern vor allem ereignen sich dort bereits seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Territorialkonflikte zwischen der VR China und mehreren südostasiatischen Anrainerstaaten um diverse Inselgruppen, wobei es sowohl um sicherheitspolitische als auch ökonomische Interessen in Form von Zugang zu Rohstoffen geht. Beteiligt an den zahlreichen Konflikten sind neben der VR China primär Taiwan, Malaysia, Brunei, Indonesien, Vietnam und die Philippinen.