Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 249: Kontrolle der Polizei

Editorial

In den zurückliegenden circa anderthalb Jahrzehnten war die Kontrolle der Polizei ein politisches Dauerthema. Aus bürger*innenrechtlicher Perspektive ist dieses Thema von besonderer Bedeutung, bereits wegen der umfangreichen und immer weiter gewachsenen Befugnissen der Sicherheitsbehörden, in Grundrechte einzugreifen: vom Sammeln und Auswerten von Daten in Zeiten rasanter Technologieentwicklungen über Freiheitsbeschränkungen bis zum physischen Zwang und Schusswaffengebrauch. Im Polizeibereich sorgen insbesondere Konflikte im Kontext von Demonstrationen, Fälle unangemessener Gewaltanwendung und Diskriminierungen bei Kontrollen für Diskussionen über eine unabhängige externe Kontrolle polizeilichen Handelns. Damit solche Kontrollen transparent und demokratisch kontrollierbar sind, ist es von großer Bedeutung, dass Kontrollstellen nicht der Polizei oder dem für die Polizei zuständigen Ministerium zugeordnet sind, sondern eine eigenständige, von der polizeilichen Perspektive unabhängige Erfassung und Auswertung von Beschwerden und Kontrolle der Polizei ermöglichen. Diese Unabhängigkeit ist zugleich eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen, die schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben, Beschwerden überhaupt vorbringen.

Die Humanistische Union und die vorgänge haben sich mit diesen Themen regelmäßig befasst. Unser Heft Nummer 204 – (Un-)Kontrollierbar? Probleme der Steuerung von Polizeihandeln – aus dem Jahr 2013 zum Beispiel enthielt nicht nur eine Reihe von Fachbeiträgen zum Themenfeld, sondern dokumentierte auch den Gesetzentwurf der Humanistischen Union „zur Institutionalisierung eines Polizeibeauftragten“. Seither gab es weitreichende Entwicklungen, die in der vorliegenden Ausgabe kritisch reflektiert werden. Die Forderung der Humanistischen Union nach der Etablierung unabhängiger Polizeibeauftragter ist seit 2014 in etwa der Hälfte der Bundesländer aufgegriffen worden, 2024 auch auf Bundesebene. Doch sind die bürger*innenrechtlichen und zivilgesellschaftlichen Forderungen und Erwartungen damit vollends erfüllt worden? Was können die neu eingerichteten Polizeibeauftragten leisten und was nicht? Wo bestehen weiterhin grundrechtliche Defizite, und wie könnten diese behoben werden? Der Schwerpunkt dieser Ausgabe beleuchtet zentrale Aspekte dieser Entwicklungen und aktualisiert bürger*innenrechtliche Kritiken und Vorschläge aus juristischer, sozialwissenschaftlicher und politischer Perspektive.

Begonnen wird der Schwerpunkt mit einer Analyse der vielfältigen Erwartungen an externe Polizeibeschwerdestellen in Relation zu dem, was Polizeibeauftragte aufgrund ihrer Stellung, Befugnisse und Ausstattung leisten können. Hartmut Aden sieht sich die daraus entstehenden Dilemmata an, auch im internationalen Vergleich. Für den historischen Kontext zivilgesellschaftlicher Forderungen nach externen Polizeibeschwerdestellen wirft Martin Herrnkind einen Blick in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Seit Ende der 1960er Jahre gerieten Polizeiübergriffe stärker in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung. Welche Vorschläge wann kursierten, welcher Professionalisierungsgrad der Erfassung, Auswertung und Überprüfung unterstellt wurde, welche Ideen keinen Bestand hatten, aber auch welche Fortschritte erreicht werden konnten, beschreibt er in seinem Beitrag.

Darauf folgen mehrere Beiträge zur Rolle von Polizeibeauftragten in Deutschland. Jonas Botta gibt einen Überblick über die wichtigsten Regelungen des neuen Polizeibeauftragtengesetzes des Bundes. Dabei identifiziert er auch eine Reihe von Defiziten des Gesetzes, darunter die restriktiveren Zugangshürden für Eingaben aus der Bevölkerung im Vergleich zu Eingaben aus der Polizei selbst. Ergänzt wird dies durch ein Interview mit Uli Grötsch, dem Polizeibeauftragten des Bundes beim Deutschen Bundestag, das Hartmut Aden und Philip Dingeldey geführt haben. Dabei geht es insbesondere um die Doppelrolle des Polizeibeauftragten für Eingaben aus der Polizei selbst und der Zivilbevölkerung. Benjamin Derin argumentiert in seinem Beitrag, dass sowohl außerstrafrechtliche Stellen wie Polizeibeauftragte ausgebaut werden müssen als auch zusätzlich eine neue Ermittlungsstelle innerhalb des Strafjustizsystems geschaffen werden könnte und sollte, damit in einschlägigen Fällen nicht länger „Polizei gegen Polizei“ ermittelt. Und Alexander Bosch und Roman Thurn analysieren und kritisieren die Positionierung der Polizeigewerkschaften in Deutschland zur Einführung und Rolle von unabhängigen Polizeibeauftragten.

Daneben bietet die vorliegende Ausgabe der vorgänge viele Hintergrundbeiträge, die sich mit aktuellen Themen jenseits des Schwerpunktes befassen. Gábor Lengyel überlegt in seiner in diesem Heft abgedruckten Rede, was die Losung „Nie wieder Auschwitz“ heute bedeutet. Boris Vormann analysiert, wie es zur Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten kommen konnte und was dies für Europa und die EU bedeutet. Anschließend befasst sich Lars C. Konheiser mit der Frage, welche Auswirkungen die US-Präsidentschaftswahl für den Konflikt zwischen der Volksrepublik China und Taiwan hat und ordnet dies historisch ein. Auch Manfred Pappenberger befasst sich in seinem Beitrag mit der internationalen Politik: Er versucht den aktuellen Konflikt zwischen Israel und Palästina völkerrechtlich einzuordnen und plädiert für eine Zwei-Staaten-Lösung. Dabei betont er die Bedeutung des humanitären Völkerrechts und Völkerstrafrechts ohne Doppelstandards. Ernst Fricke analysiert juristisch die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums gegen das Magazin Compact vom Sommer 2024.

Zudem finden Sie in dieser Ausgabe auch wieder Rezensionen: zu Katharina Bluhms Buch Russland und der Westen und zu Thomas Schüllers Buch Unheilige Allianz.

Die Redaktion wünscht eine anregende Lektüre des neuen Heftes und freut sich wie immer über Feedback.

Hartmut Aden und Philip Dingeldey

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