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LETZTE MELDUNG: Bischof von Münster verlangt Abberufung Professor Horst Herrmanns

vorgängevorgänge 1611/1975Seite 109

Bischof von Münster verlangt Abberufung Professor Horst Herrmanns

aus: vorgänge Nr. 16 (Heft 4/1975), S. 109

(vg) Nach Abschluß des Satzes dieses Heftes erhielten wir am 24. Juli diese Nachricht:
Heinrich Tenhumberg, der Bischof von Münster, hat beim nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Johannes Rau beantragt, gegen den Ordinarius für katholisches Kirchenrecht an der Universität Münster, Professor Horst Herrmann, „vorzugehen” und „für einen dem Lehrbedürfnis entsprechenden Ersatz zu sorgen”. Der Bischof beruft sich dabei auf Artikel 12 des Preußischen Konkordats von 1929, nach dem ihm das Recht zustehe, einen Theologie-Professor beim Ministerium „anzuzeigen”, wenn dieser nach Meinung des Bischofs „der katholischen Lehre zu nahe tritt”. Mit einer 30seitigen „Dokumentation” hat Bischof Tenhumberg seinen Antrag gegen Herrmann beim Minister begründet. Die Pressestelle des Bischofs teilte mit, der Bischof habe vor seinem Schritt Herrmann, der derzeit auch Dekan des Fachbereichs Katholische Theologie an der Universität Münster ist, „zweimal vergeblich um ein klärendes Gespräch gebeten”. Herrmann führte inzwischen ein erstes Gespräch mit Wissenschaftsminister Rau.
Anstoß erregte Herrmann bei der Amtskirche mit seinen Büchern „Ehe und Familie” und „Ein unmoralisches Verhältnis”, in dem er die Lage von Staat und Kirche in der Bundesrepublik analysiert; er trat für die Abschaffung der Kirchensteuer bzw eine modifizierte Form einer Abgabe für sozial-kulturelle Zwecke ein, hielt das FDP-Kirchenpapier für einen beachtlichen Ansatz zur Neuordnung des Kirche-Staat-Verhältnisses und verlangte in seiner Antrittsvorlesung vom Sommer 1972 eine Parteinahme von Christen für den Sozialismus.
Horst Herrmann ist einer der Hauptautoren dieses Heftes („Wider die Lobbyisten der Transzendenz, Seite 51–65); sein Buch „Ein unmoralisches Verhältnis” ist auf den Seiten 103–105 besprochen.
Der Fall Tenhumberg-Herrmann ist deshalb von größter Gewichtigkeit, weil hier unseres Wissens erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Vertragsklauseln der Konkordate mit dem Heiligen Stuhl verfassungswidrig, nämlich gegen die Garantie der Wissenschafts- und Lehrfreiheit, eingesetzt werden sollen. (Natürlich hat es vorher schon, meist unter Ausschluß der Öffentlichkeit, Fälle gegeben, in denen Professoren an staatlichen Theologischen Fakultäten beseitigt wurden, weil sie als katholische Priester etwa eine Ehe geschlossen haben. Der Fall Herrmann aber ist einer der in Artikel 5 Grundgesetz garantierten Wissenschaftsfreiheit.)

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