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Ingmar Kumpmann: Warum ich ausgetreten bin.

Mitteilungen24605/2022Seite 18 -19

Katharina Rürup hat mir angeboten, meinen Rücktritt vom Vorstand und Austritt aus der Humanistischen Union (HU) an dieser Stelle zu begründen. Das weiß ich sehr zu schätzen. Denn es ist nicht selbstverständlich, einem, der geht, noch ein Forum zu bieten.
Seit Beginn der Corona-Krise gibt es in der Gesellschaft eine Polarisierung der Meinungen zwischen zwei Seiten: Die eine Seite nimmt die Bedrohung durch das Virus sehr ernst und bejaht die harten staatlichen Maßnahmen zu dessen Eindämmung. Die andere Seite hält das Virus für nicht außergewöhnlich gefährlich und lehnt die harten Anti-Corona-Maßnahmen ab.

Ein dritter, bürgerrechtlicher Standpunkt wäre es, die außerewöhnliche Bedrohung durch das Virus ebenfalls sehr ernst zu nehmen, aber zugleich dem Staat als einzigem Problemlöser zu misstrauen und das Autoritäre in seinen Anti-Corona-Maßnahmen zu kritisieren. Als Bürgerrechtler*innen wissen wir, dass in staatlichen Strukturen eine Eigendynamik übermäßiger Machtausübung steckt, die durch institutionelle Vorkehrungen wie Grundrechte, Befristung politischer Ämter, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit usw. begrenzt werden muss. So notwendig die Pandemiebekämpfung war und ist, so notwendig ist es auch, autoritäre Tendenzen zu kritisieren, zum Beispiel:

  • • die wachsende Machtkonzentration in Händen der Exekutive,
  • • die Vernachlässigung der Opfer der Anti-Corona-Maßnahmen (z.B. von vereinsamten Menschen in Pflegeheimen),
  • • überschießende Grundrechtseinschränkungen (z.B. Ausgangssperren),
  • • die zunehmende digitale Überwachung,
  • • die Abhängigkeit gesellschaftlicher Teilhabe vom Impfstatus (durch die 2G-Regel),
  • • die Neigung, Probleme durch Vorschriften zu lösen (z.B. eine Impfpflicht).

Ich bin in die HU eingetreten, weil sie mir zeitweise für einen solchen Standpunkt offen zu sein schien: Ihr Positionspapier „Grund- und Menschenrechte gerade in der Krise bewahren“ vom April 2020 folgte dieser Linie. Diesem Geist folgten auch Positionspapiere zur Versammlungsfreiheit und zur allgemeinen Corona-Politik der HU Berlin-Brandenburg, die dort aber bereits auf Widerstand stießen. Unser bundesweiter Arbeitskreis „Corona-Krise und Grundrechte“ hat im ersten Halbjahr 2021 auch Positionspapiere in diesem Sinne erarbeitet . Diese wurden vom damaligen Bundesvorstand mehrfach blockiert – leider ohne Gesprächsangebot. Immerhin hat der Vorstand auf unsere Initiative hin und nach intensivem Drängen eine etwas entschärfte Pressemitteilung gegen Ausgangssperren herausgegeben.

Am 11. September 2021 wurde ein neuer Bundesvorstand gewählt, dem ich bis 9. Februar 2022 angehörte. Hier gibt es für eine Kritik an autoritären Tendenzen des Staates in der Corona-Krise erkennbar keine Mehrheit. Meine Initiativen in dieser Richtung wurden abgelehnt bzw. von der Tagesordnung gestrichen. Viele scheinen es selbstverständlich zu finden, dass auf eine besondere Gefahr nur mit einem starken Staat bzw. einer starken Exekutive reagiert werden kann. Doch ein bürgerrechtlicher Standpunkt sähe anders aus. Er würde die Gefahr übermäßiger Machtausübung ansprechen und die Potenziale sozialer Selbstorganisation der Menschen einbringen.

Zugleich habe ich den Eindruck, dass einige Vorstandsmitglieder aus der Befürchtung heraus, die HU könnte in die „Querdenken“-Ecke geschoben werden, überhaupt die Debatte vermeiden möchten. Dabei ist auch Misstrauen gegenüber den eigenen HU-Mitgliedern spürbar. Bei der Mitgliederversammlung wurde der Antrag auf Mitgliederbefragung in der HU zum Corona-Thema knapp abgelehnt. Ebenso hat die Vorstandsmehrheit meinen Antrag, die Vorstandssitzungen für HU-Mitglieder öffentlich zu machen, abgelehnt. Für das Corona-Themenheft der vorgänge wurde der Arbeitskreis „Corona-Krise und Grundrechte“ gar nicht erst angefragt. Der Vorschlag einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zum Corona-Thema fand keine Unterstützung. Aus Furcht, die Falschen könnten in den Sitzungen mithören oder gar sich zu Wort melden, macht man die Türen lieber zu und sagt gar nichts. In der größten Grundrechtsfrage unserer Zeit vermeidet die Mehrheit im Vorstand die Diskussion und ein Statement nach außen.

Dabei würden wir in dieser Krise dringend eine hörbare antiautoritäre, bürgerrechtliche Stimme brauchen, die dabei keinen Zweifel daran lässt, dass sie die Infektion ernst nimmt, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Vorrang gibt, mit den Schwachen solidarisch ist und sich klar gegen Rechts abgrenzt.

Mir ist klar geworden, dass ich für einen autoritätskritischen Standpunkt hier kaum Gleichgesinnte finde. Sicher finde ich sie außerhalb der HU.

Ingmar Kumpmann

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