Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 246

Stolper­steine im neuen kirchlichen Arbeits­recht

Im Jahre 2018 hatte der Europäische Gerichtshof eine Zeitenwende im kirchlichen Individualarbeitsrecht herbeigeführt. In seinen Urteilen in Sachen Egenberger und im Chefarztfall hatte der EuGH auf Vorlage des Bundesarbeitsgerichts das bisherige kirchliche Sonderarbeitsrecht zertrümmert. Gestützt vom Bundesverfassungsgericht hatten die Kirchen nach ihrem eigenen Selbstverständnis und durch die staatlichen Arbeitsgerichte nicht überprüfbar besondere Kündigungsgründe praktiziert, wie etwa Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehe, Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen an katholischen Kliniken, Wiederverheiratung nach Scheidung oder Kirchenaustritt. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies ausdrücklich gebilligt, gestützt auf ein angebliches Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nach der Weimarer Reichsverfassung. Im Chefarztfall wurde einem Chefarzt gekündigt wegen Wiederverheiratung nach Scheidung, da nach katholischem Verständnis die Ehe unauflöslich ist und die staatliche Scheidung nicht akzeptiert wird und folglich bei neuer Verheiratung eine Bigamie vorliegt. Und Frau Egenberger hatte sich bei einem evangelischen Verein beworben für eine befristete Stelle zur Bearbeitung eines Parallelberichts für die Umsetzung der Menschenrechte in Deutschland für die UNO – sie war aber nicht Mitglied der Evangelischen Kirche und wurde deshalb nicht eingestellt, eine bis zu diesem Zeitpunkt übliche Praxis. Beide Maßnahmen erklärte der EuGH für rechtswidrig, da gegen das Verbot der Benachteiligung aus religiösen Gründen verstoßend. Das BAG übernahm diese Rechtsprechung in seinen Urteilen vom 25. Oktober 2018 und 20. Februar 2019.

Die EKD hat diese Rechtsprechung nicht hingenommen, sondern in Sachen Egenberger – Ablehnung der Bewerbung wegen fehlender Mitgliedschaft in einer protestantischen Kirche – Verfassungsbeschwerde eingelegt (Bundesverfassungsgericht 2 BvR 934/19), über die immer noch nicht entschieden ist.

Während andere Arbeitsgerichte nunmehr das allgemeine Arbeitsrecht auch im kirchlichen Bereich anwenden, also keine spezifischen religiösen Kündigungsgründe und keine Benachteiligung bei der Einstellung, hatte Herr Militzer bei der Bewerbung um eine Stelle als Rechtsreferent bei der EKD in Hannover Pech. Ausgeschrieben war eine Stelle für einen Volljuristen für das Referat Grund- und Menschenrechte, Europarecht und Religionsverfassungsrecht. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit im nordrhein-westfälischen Landtag konnte Herr Militzer diese Kenntnisse problemlos nachweisen. Bedingung für die Einstellung sollte allerdings die Mitgliedschaft in einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland sein – was Herr Militzer nicht bieten konnte. Er war seinerzeit aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, weil er nicht an die jungfräuliche Geburt von Maria glauben mochte. Er bezeichnet sich aber dennoch als gläubiger Christ und glaubt an Jesus, Gott und die Dreifaltigkeit. Wegen fehlender Mitgliedschaft in einer Gliedkirche der EKD wurde er nicht zum Vorstellungsgespräch gebeten und seine Bewerbung abgelehnt, wogegen er vor dem Arbeitsgericht Hannover klagte – allerdings vergeblich.

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union hat beschlossen, zur Durchsetzung des neuen kirchlichen Arbeitsrechts – das heißt des allgemeinen Arbeitsrechts auch im Bereich der Kirche – Herrn Militzer in diesem Prozess zu unterstützen und ihm für das Berufungsverfahren Rechtsanwalt Dr. Till Müller-Heidelberg, den früheren Bundesvorsitzenden der Humanistischen Union, zur Verfügung zu stellen.

Obwohl der Fall von Herrn Militzer nahezu identisch mit dem Fall Egenberger ist, war die Schadensersatzklage wegen religiöser Diskriminierung auch vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen erfolglos. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat sich zwar nicht die Position der EKD zu eigen gemacht, dass diese neue Rechtsprechung verfassungswidrig wäre, sondern hat verbal behauptet, die Rechtsprechung von EuGH und BAG zu akzeptieren – tatsächlich jedoch hat es dagegen entschieden. Während nach der neuen Rechtsprechung besondere kirchliche Anforderungen wie etwa im vorliegenden Fall die Mitgliedschaft in der EKD nur gestellt werden dürfen, wenn dies (nicht nach dem Selbstverständnis der Kirche! sondern) für die konkrete Tätigkeit „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ erscheint und das heißt nach der Rechtsprechung „notwendig“ ist und folglich nach EuGH und BAG praktisch nur in zwei Fällen noch erlaubt ist, wenn nämlich entweder die Person die Kirche in ihrer Gesamtheit in der Öffentlichkeit repräsentiert und vertritt oder aber ihre Tätigkeit verkündigungsnah ist (natürlich müssen Pfarrer und Diakone und Kirchenpräsidenten die Gebote ihrer jeweiligen Religion verkörpern und glaubwürdig vertreten), hat das LAG Niedersachsen die Auffassung vertreten, auch ein Referent für Menschenrechte, Europarecht und kirchliches Verfassungsrecht müsse dies auf der Basis religiöser Auffassungen tun, was er nur glaubwürdig dokumentieren könne durch seine Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche. Dass nach den Untersuchungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) nur 50 % der als Baby getauften Personen sich später überhaupt firmen bzw. konfirmieren lassen, nur 3,5 % der Kirchenmitglieder der EKD sonntags zur Kirche gehen, nur 12 % wenigstens einmal im Monat zur Kirche gehen und damit als praktizierende Christen gelten und somit die formale Kirchenmitgliedschaft (mangels Austritt aus der Kirche im Erwachsenenalter) über die religiöse oder christliche Überzeugung wirklich nichts aussagt, konnte das Landesarbeitsgericht nicht davon überzeugen, die formale Kirchenmitgliedschaft dennoch für „notwendig“ zu erachten, um Fragen der Menschenrechte, des Europarechts und des Religionsverfassungsrechts zu bearbeiten. Tatsächlich versucht also das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, weiterhin das Selbstverständnis der Kirchen zum Maßstab zu machen, was im kirchlichen Arbeitsrecht gelten soll. Dies kann so nicht hingenommen werden. Der Bundesvorstand hat daher beschlossen, Herrn Militzer auch in der nächsten Instanz zu unterstützen und die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zur Durchführung des Revisionsverfahrens zu finanzieren.

Till Müller-Heidelberg, Bingen

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