Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 246

Nachruf auf Sophie Rieger

Mitteilungen24605/2022Seite 33-35

Geboren 1933 in Beuthen (Schlesien), machte Sophie Rieger 1954 in Nürnberg ihr Abitur und schloss ihr Architekturstudium an der Technischen Hochschule München 1960 ab. Nach ihrem Abschluß war sie in Architekturbüros in Toulon/Frankreich und am Universitätsbauamt Erlangen tätig, bis sie sich 1972 als Architektin selbstständig machte. Mitglied der Humanistischen Union wurde Sophie Rieger nach ihrer Rückkehr aus Frankreich 1968. Nachdem sie sich lange in der bayrischen HU engagiert hatte und auch Mitglied des dortigen Landesvorstand war, wurde sie 2003 in den Bundesvorstand gewählt.

Neben ihrem Engagement in der HU war Sophie Rieger lange Jahre bei den Grünen aktiv. Nach sechs Jahren im Stadtrat wurde sie 1990 in den Landtag gewählt, wo sie ab 1994 auch im Präsidium war. Acht Jahre setzte sie sich für grüne Positionen und Nürnberger Interessen ein, bis der Kosovo-Konflikt Ende der 1990er-Jahre zur Zerreißprobe für die Grünen wurde. Sophie Rieger blieb standhaft bei ihren pazifistischen Überzeugungen und trat aus der Grünen Partei aus. 1999 stellte sie daher auf der Delegiertenkonferenz der HU ( mit Irene Sturm) den Antrag: „Eine neue Bewegung braucht das Land“. In dem Antrag wurde die HU zu mehr Zusammenarbeit mit anderen Organisationen aus der außerparlamentarischen Opposition aufgefordert, weil die bisherigen Ansprechpartner im Parteienspektrum durch die seit 1999 gebildete Große Koalition weitestgehend ausgefallen wären.. Aus der Begründung: „In der Opposition haben SPD und Bündnis90/DIE GRÜNEN einen großen Anteil der Anliegen der außerparlamentarischen Opposition thematisiert und in den Parlamenten vertreten. Ein Stück weit haben diese Parteien auch die Kräfte der außerparlamentarischen Opposition an sich gebunden. Wie sich herausstellt war die Verwurzelung aber nur oberflächlich. Trotzdem hat dies zu einer Schwächung der Bewegung geführt, wie sich gerade, aber nicht nur am Beispiel der Friedensbewegung darstellen läßt. Um jedoch den Bürgerrechten, Umweltanliegen, sozialen Belangen und auch der Friedenslage wieder mehr Gewicht zu geben, müssen neue Wege beschritten werden.“

Was Sophie Rieger zur aktuellen Situation – und zu ihrer ehemaligen Partei – heute zu sagen hätte, können wir uns denken. Hier wie auch an anderer Stelle werden ihre Konsequenz, ihr Mut und ihre Beharrlichkeit fehlen.

Sophie Rieger im Interview 2011

Für den Sammelband zum fünfzigjährigen Bestehen der HU führten die Herausgeber ein Interview mit Sophie Rieger, in dem sie ihren Weg zur HU, ihr Engagement und ihre Gedanken zur Zukunft der HU erläutert.  Es lohnt das erneuten Lesen:

Wie bist Du zur Humanistischen Union gekommen?“

„Das war ja die Zeit mit den Berufsverboten und mit § 218. Wie ich aus Frankreich zurückgekommen bin, hat mich das unheimlich gestört. Da unten hatte ich kommunistische Freunde, und ich hatte relativ rechts eingestellte Freunde, aus der Marine. Man traf sich im Hafen, konnte zusammen an einen Tisch sitzen – da gab es kein Problem. In Frankreich saßen die alle zusammen, und jeder hat eine andere Zeitung gelesen. Bei uns hier in Bayern gab es zwei Zeitungen: Die etwas Gebildeten haben die Abendzeitung gelesen, die einfacheren die Bild-Zeitung. Hier die zwei Zeitungen und da unten diese Vielfalt. Wenn man mal raus kam aus der BRD, hat man diesen Antikommunismus so richtig gespürt. Da habe ich dann angefangen, war bei Demonstrationen dabei, für die HU.“

„Die Trennung von Staat und Kirche war ja ein Gründungsthema der HU. Für Dich immer noch ein wichtiges Anliegen, oder?“

„Für uns in Bayern war und ist es ein Thema, denn wir haben ja immer wieder Eltern die verlangen, dass ein Kreuz aus der Schule raus kommt, und die dann als intolerant bezeichnet wird – also der bayrische Sonderweg. Das kommt vielleicht auch wieder daher, was ich in Frankreich erlebt habe – die krasse Trennung von Staat und Kirche, die ich in Ordnung finde. Ich bin auch nicht der Meinung, der Mehrheitsmeinung der HU, das Kopftücher von Lehrerinnen kein Problem sind. Ich muss nicht missionieren in der Schule, und wenn ich eben Lehrerin werden will, muss ich mich neutral verhalten. Wenn ich meinen Glauben unbedingt in meinem Äußeren demonstrieren muss, das finde ich nicht besonders feinfühlig oder klug. Religion oder Weltanschauung ist für mich ein sehr persönliches Anliegen. Wenn jemand ständig, entweder mit einem dicken Kreuz oder einem Kopftuch, herumlaufen muss um zu demonstrieren, ich bin Muslima oder ich bin Christ, dann stört mich das. Die merken gar nicht mehr, wie sie andere missionieren. Ich habe mich immer ungern in Religionsfragen eingemischt und bin für Religionsfreiheit, und ich würde auch für jeden eintreten. Aber ich glaube, wir täten uns leichter in Deutschland, wenn wir eine klare Trennung von Staat und Kirche hätten. Dann bräuchten wir diese ganzen Diskussionen nicht zu führen, dann sollen sich alle an das Grundgesetz halten und damit Basta.“

„Du hast einmal gesagt, die HU sei früher bei vielen Debatten vorweg gegangen. Wo zum Beispiel?“

„Es war ja so, dass die HU als erste Organisation die Abschaffung des § 218 angegangen ist, die das Thema überhaupt in die Diskussion gebracht hat. Genauso war es, meine ich, beim § 175– auch da war die HU zumindest eine der ersten Organisationen, die seine Aufhebung verlangten.“

[…]

Eins der wenigen Themen, wo der Tabubruch heute noch funktioniert, ist die Sterbehilfe. Könnte die HU dort an ihre frühere Arbeitsweise anknüpfen?

„Ja, das wäre mir sehr wichtig. Ihr macht ja jetzt eine Veranstaltung zu dem Thema. Da sollte nicht nur die Meinung von anderen eingeholt werden. Das ist mir bei Veranstaltungen der letzten Jahre aufgefallen, das sich da etwas geändert hat: Man will immer hören, was die anderen sagen und bringt sich selbst nicht mehr aktiv genug ein. Ich habe so das Gefühl, man will sich anhören, was die Meinung in der Öffentlichkeit, die Mehrheitsmeinung ist und wie man darauf aufbauen kann. Das ist meines Erachtens nach nicht Aufgabe der HU. Die HU muss es wagen, allein da zu stehen mit ihrer Meinung, sobald sie der Auffassung ist, dass es um Bürgerrechte geht. Für mich habe ich den Eindruck, dass man sehr viel erst abwartet – was kommt von außen und was können wir weiter tragen – aber sich hinzustellen und zu sagen: ‚Wir sind der Meinung …‘ und das in der Öffentlichkeit zu vertreten, ist meines Erachtens nach ein Stück verloren gegangen.
Das war, meine ich, auch das Versäumnis in der Diskussion um Patientenverfügungen. Wir hatten Vorschläge erarbeitet, die waren abgestimmt und sind dann nicht so an die Öffentlichkeit gekommen, wie wir uns das vorgestellt hatten.Wir haben geschaut, welcher Entwurf der Parteien ist der beste – und den unterstützt man dann. Dann wurde gesagt, man will das Schlimmere verhindern. Diese Haltung, meine ich, sollte nicht die HU-Haltung sein. Die HU sollte den Mut haben, ihre Positionen in den Raum zu stellen. Ob sie damit ankommt oder nicht, das ist zweitrangig. Es hat sich gezeigt: Wenn die HU richtig lag, hat es vielleicht eine Weile gedauert, bis die anderen in der Diskussion näher gekommen sind. Aber es hat sich gelohnt.

„Was waren für Dich die Sternstunden in der HU?“

Na ja, Sternstunden … Ich meine, wir haben uns furchtbar gefreut damals, als wir die erste Vorsitzende gewählt hatten, eine Frau – die Charlotte Maack. Denn es war sonst schon eine starke Männerdominanz in der HU. Es gab zwar immer streitbare Frauen dort, aber es gab schon eine Männerdominanz, am Anfang vor allem. Und als wir die Charlotte Maack dann als Vorsitzende hatten, das fanden wir schon ein Ereignis.

„Und was hat sich da geändert?“

Ja, es gab einen anderen Ton. Diese manchmal arrogante Art vom Vorstand. Sie hat ein anderes Klima reingebracht. Für uns wurde es persönlicher, obwohl sie sehr streitbar war.

„Was waren für Dich die größten Erfolge in der HU?“

Zu Zeiten von Till Müller-Heidelberg ging es noch um den § 175 StGB. Dessen endgültige Streichung fand ich damals einen sehr großen Erfolg. Das kommt vielleicht auch daher, dass ich in der ersten Ehe mit einem Homosexuellen verheiratet war und mir das ein Anliegen war. Diese Ehe war in Frankreich. Dort war Homosexualität an und für sich nicht verboten, sie wurde aber in der Gesellschaft geächtet. Deshalb haben die Homosexuellen versucht, über die Eheschließung einen Weg zu finden, der ihre berufliche Laufbahn nicht gefährdet. Mir war damals sehr wichtig, das sich diese Einstellung zu Homosexuellen verändert in unserer Gesellschaft, und nicht nur rechtlich. Sehr engagiert habe ich mich auch für die Freigabe von Drogen. Und da hat sich insgesamt ja auch einiges bewegt. Es kam zwar nicht zur einfachen Freigabe, aber zumindest mehr Behandlungsmöglichkeiten und Ausstiegsmöglichkeiten haben wir erreicht, das war für mich schon wichtig.“

nach oben