Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 246

Editorial

Mitteilungen24605/2022Seite 1-3

Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde,

der Krieg der Russischen Föderation gegen den souveränen Staat Ukraine dauert an und beherrscht zu recht auch bei uns weiterhin die politische Debatte. Es besteht kein Zweifel über den Aggressor und über das große Leid, das durch diesen Krieg bei den Betroffenen in der Ukraine verursacht wird. Das ist nicht zu relativieren und wird auch von der Humanistischen Union nicht relativiert.

Auch in diesem Konflikt, bei den Täter:in und Opfer offensichtlich so klar zu identifizieren sind, und bei dem von furchtbaren Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung berichtet wird, muss es eine politische Debatte geben, wie darauf reagiert werden soll. Die Bundesregierung hat im Einklang mit der NATO entschieden, auch schwere Waffen in das Kriegsgebiet zu liefern und damit die Ukraine in ihrem Kampf gegen den Angreifer zu unterstützen. Gleichzeitig werden wir weiterhin von Russland mit Gas beliefert und unterstützen so durch unsere Zahlungen beide Konfliktparteien gleichzeitig. Der Forderung, Gaslieferungen aus Russland zu stoppen, wird bisher nicht gefolgt – die Abhängigkeit von Russland ist (noch) zu groß. Die Zusammenarbeit mit Russland in den vergangenen Jahren war sicherlich richtig, doch es wurde versäumt, eine Abhängigkeit von einem einzelnen Staat zu vermeiden. Diese unterstreicht damit gleichzeitig die Notwendigkeit einer nachhaltigen Energie- und Klimapolitik. Klimapolitik steht nicht in Konkurrenz zur Sicherheitspolitik, Klimapolitik ist Sicherheitspolitik. Nicht alle haben diesen Weckruf verstanden.

Gleichzeitig wird die Forderung laut, die Unterstützung der Ukraine weiter zu verstärken, beispielsweise durch eine Flugverbotszone direkt in den Konflikt einzugreifen. Doch wollen wir den direkten Konflikt zwischen Atommächten riskieren, der das Risiko der Vernichtung Europas in sich birgt? Das wäre die Konsequenz der militärischen Durchsetzung einer solchen Zone.

Und was soll nach dem Ende des Konflikts passieren? Manche Konservativen frohlocken: Endlich hat die von ihnen diagnostizierte „Wohlstandsverwahrlosung“ ein Ende. Rufe nach Wiederaufnahme der ausgesetzten Wehrpflicht werden laut. Unter dem Jubel der Abgeordneten verkündet Bundeskanzler Scholz ein gigantisches Rüstungsprogramm für die Bundeswehr, in einem Umfang, der das bisher propagierte 2%-Ziel sogar noch übersteigt. Wollen wir wirklich in die Welt der 1980-er Jahre zurückfallen, mit sich gegenüberstehenden Militärblöcken und der ständigen Angst vor dem Atomtod? Wer wie ich in ländlichen Gegenden aufwuchs, bekam die Gefahr durch ständig übende Tiefflieger damals eindringlich demonstriert. Doch der durch die Garantie der gegenseitigen Vernichtung aufrechterhaltene, scheinbare Frieden war eine Illusion. Der Krieg fand statt, nicht nur in Europa, sondern er wurde in vielen Fällen exportiert: nach Korea, nach Vietnam, nach Afghanistan.

Die Humanistische Union hat eine Stellungnahme veröffentlicht, in der wir den völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine scharf verurteilten. Dass wir, mit dem Ziel zu differenzieren, wo eine Differenzierung nur schwer möglich ist, auf die Vorgeschichte des Konflikts hingewiesen haben, wurde uns als Rechtfertigung ausgelegt und mit Austritten beantwortet. Dies bedauern wir sehr. Dass wir versäumt haben, auf die Oppositionsbewegung in Russland hinzuweisen, bedauern wir ebenso – wir stehen auch an der Seite der Menschen in Russland, die ein hohes persönliches Risko eingehen, um ihrer Ablehnung  dieses Kriegs eine Stimme zu geben. Die Gräuel des Krieges aber allein Präsident Putin anzulasten, ist fragwürdig: Zu jedem Befehl gibt es einen Menschen, der ihn erteilt und Menschen, die ihn ausführen.

Die Welt nach diesem Krieg wird eine andere sein als die Welt vor diesem Krieg – dies ist eine allzu häufig  strapazierte Floskel. Doch zweifellos wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik in Europa verändern. Wie – das können wir jetzt wohl noch nicht sagen. Doch eins ist für uns klar: „Der Frieden ist das erste Menschenrecht“ muss die Leitlinie dafür sein. Ob eine Rückkehr zur Politik der  militärischen Stärke die Lösung ist, bezweifeln wir. Und wir bezweifeln, dass „nie wieder Krieg“, wie die Leitartiklerin des Spiegel vom 7. Mai 2022  behauptet, nicht mehr zeitgemäß sei, gerade jetzt.

Die Covid-19-Pandemie und der Angriff auf die Ukraine beherrschen die Schlagzeilen. Doch die Bürgerrechtsarbeit der Humanistischen Union geht darüber hinaus. So finden sich in dieser Ausgabe der Mitteilungen Dokumente unserer Arbeit zum kirchlichen Arbeitsrecht, zu Staatsleistungen an die Kirchen, zum Beweisverwertungsverbot in der Strafprozessordnung, zum Schangerschaftsabbruch (§ 219a StGB) und zu den vielfältigen Aktivitäten unserer Landes- und Ortsverbände. Besonders möchte ich hier unsere geplante bundesweite Tagung zum Thema „Triage“ hervorheben, die am 17./18. September 2022 in Marburg stattfinden soll.

Es freut uns sehr, dass der Beirat der Humanistischen Union um zwei Mitglieder und deren umfassende Bürgerrechtliche Kompetenz reicher geworden ist. Wir begrüßen Prof. Dr. Rosemarie Will und Prof. Dr. Kirsten Wiese, die unsere Einladung angenommen haben.

Aus unterschiedlichen Gründen haben sich leider gleichzeitig zwei unserer Vorstandsmitglieder zum Rücktritt entschlossen. Ingmar Kumpmann begründet seinen Rücktritt ab Seite 18; die Position des Bundesvorstands stellt Wolfram Grams ab Seite 16 dar. Auch Lena Rohrbach hat sich leider aus anderen politischen Gründen zum Rücktritt entschieden. Wir bedauern dies sehr und hoffen auf eine weitere Zusammenarbeit in anderem Kontext.

Duch die Rücktritte wird eine Neuaufstellung des Bundesvorstands notwendig. In der für September 2022 geplanten Mitgliederversammlung wird eine Neuwahl erfolgen – wir rufen die Mitglieder der Humanistischen Union zur Kandidatur auf, um unsere Bürgerrechtsarbeit auch in Zukunft zu sichern.

Mit herzlichen Grüßen

Stefan Hügel

 

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