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Die Moder­ni­sie­rung der Familie im Lichte der Verfassung

aus: vorgänge Nr. 183, Heft 3/2008, S. 61-68

I Die verfas­sungs­recht­liche Stellung der Familie

Unsere Bundesverfassung, das Bonner Grundgesetz vom 23.5.1949, hat in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie den besonderen Schutz des Staates zugesichert und damit dem Staat – vor allem dem Bundesgesetzgeber – die Aufgabe gestellt, Ehe und Familie vor Beeinträchtigungen zu bewahren und durch geeignete Maßnahmen zu fördern; es hat darüber hinaus das Verbot ausgesprochen, Ehe und Familie als elementare Lebensgemeinschaft in Bestand und Entfaltung zu stören. Diesen Schutz genießen alle in Deutschland lebenden Bürgerinnen und Bürger, die eine Ehe eingehen wollen oder geschlossen haben, aber auch alle Eltern und Elternteile, alle Kinder und Verwandte einer Familie.

Lange war umstritten, ob durch Art. 6 Abs. 1 GG nur oder doch in erster Linie die bürgerliche, legale Ehe geschützt ist oder auch andere Verbindungen, die – jedenfalls dann, wenn Kinder geboren werden – als Familie im Sinne des Grundgesetzes anzusehen und entsprechend zu schützen sind. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht schon am 14.11.1973[1] entschieden, dass eine auf natürlicher und rechtlicher Bindung beruhende Familie unabhängig davon, ob eine Ehe ihren Kern bildet, eine lebenswichtige Funktion für die menschliche Gemeinschaft bildet, so dass auch ihr der Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG einschließlich aller sozialstaatlicher Förderung zukommt.

Auch die Verfassung der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik[2] stellte Ehe, Familie und Mutterschaft unter den besonderen Schutz des Staates. Sie gewährte jedem Bürger der DDR das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Ehe und Familie. Kinderreiche Familien und allein stehende Eltern hatten das Recht auf besondere Fürsorge und Unterstützung.

Art. 6 GG schützt in seinem Abs. 2 das Elternrecht, in Abs. 4 die Mutter und Abs. 5 enthält das Gebot, uneheliche Kinder den ehelichen gleichzustellen.

II Die gesell­schaft­liche Situation bei Inkraft­treten der Bundes­ver­fas­sung

Im Mai 1949, als das Bonner Grundgesetz in Kraft trat, hatte Deutschland den Zweiten Weltkrieg gerade erst vier Jahre hinter sich gelassen. Deutschland lag in Trümmern, real, aber auch ideell. Ganze Generationen von Bürgerinnen und Bürgern standen vor dem Nichts, zu denken ist nur an die Millionen von Flüchtlingen, von Vertriebenen, von Menschen, die durch Bombenangriffe alles verloren hatten, an Millionen Kriegsgefangene. Wegen der flächendeckenden Zerstörung von Städten und Gemeinden gab es kaum Arbeit, die öffentliche Verwaltung lag zum Teil noch bei den Besatzungsmächten, Deutschland erhielt erst allmählich seine Souveränität zurück.

In dieser Situation gab es nur eine Institution, an die sich die Menschen halten, in der sie Schutz und Beistand finden und ihr Überleben sichern konnten: Die Familie. Diese war rechtlich geprägt durch das gesellschaftliche Verständnis des 19. Jahrhunderts. Das seit dem 1.1.1900 geltende Bürgerliche Gesetzbuch hatte die einheitliche Zivilehe eingeführt und das Verhältnis von Eheleuten und Kindern in absolut patriarchalischer Weise geregelt: Der Ehemann entschied allein in allen Angelegenheiten, die das eheliche Kind betrafen, aber auch allein über Wohnsitz und Einkommen der Familie. Er verfügte allein über das Vermögen und Einkommen, auch Arbeitseinkommen der Ehefrau, er war der alleinige gesetzliche Vertreter der ehelichen Kinder. Die Mutter hatte zwar eine so genannte Nebengewalt, der Inhaber der elterlichen Hauptgewalt war jedoch der Vater, und im Streitfalle entschied er, er hatte den so genannten Stichentscheid. Scheiterte eine Ehe, so wurde sie aus Verschulden geschieden. Ehebruch war ein absoluter Scheidungsgrund, wer schuldig geschieden wurde, verlor alle Ansprüche und musste seinerseits, wenn er leistungsfähig war, Unterhalt an den anderen Ehegatten bezahlen. Uneheliche Kinder waren mit ihrem Vater, der Erzeuger genannt wurde, nicht verwandt, die uneheliche Mutter hatte eine eingeschränkte elterliche Gewalt über ihr eigenes Kind.

Diese rechtlichen Regelungen hatten den Ersten Weltkrieg überdauert, die Weimarer Republik, das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg. Viele Männer kehrten aus dem Krieg zurück und übernahm wie selbstverständlich wieder Führung und Alleinentscheidung in der Familie, auch wenn ihre Ehefrauen während des Krieges und der Abwesenheit des Mannes alle häuslichen und beruflichen Aufgaben allein gelöst hatten. Die ehelichen Kinder blieben nach wie vor der alleinigen gesetzlichen Vertretung des Vaters ebenso unterworfen wie seiner Alleinentscheidungsbefugnis über Wohnung, Schulausbildung, Berufsausbildung, usw. Die Situation im Jahre 1949 war – mit einem Wort – sehr ähnlich derjenigen von Effi Briest, deren Schicksal Theodor Fontane in seinem 1890 begonnenen Roman so eindrucksvoll geschildert hat: Ein Seitensprung, der Jahre zurücklag, führte dazu, dass Effi Briest nicht nur allein schuldig geschieden wurde, sondern dass sie ohne einen Pfennig das Haus des Mannes verlassen musste und dass jegliche Verbindung zu ihrer Tochter beendet wurde.

III Die Entwicklung seit 1949

Was die Gesellschaft in Deutschland im Jahre 1949 unter Ehe und Familie verstand, unterscheidet sich grundlegend von heutiger gesellschaftlicher Anschauung. Die gesellschaftlichen Veränderungen und der Wandel von moralischen und sozialethischen Anschauungen haben in den letzten 50 Jahren nicht nur die Lebenswelt von Ehe und Familie tief greifend verändert, sondern auch die Auffassung über die Beziehung der Geschlechter zueinander.

a Demogra­phi­sche Entwicklung

Ein Blick in den demographischen Entwicklungsprozess macht dies deutlich:

Die Zahl der Eheschließungen ist rückläufig (1980: 496.603; 2001: 389.561), die Zahl der Ehescheidungen steigt (1980: 156.425; 2001: 197.468; 2004: 214.000). 2001 wurden 734.475 Kinder geboren, davon 183.816 nichtehelich (25%). Anfang des Jahres 2002 gab es in Deutschland rund 22,5 Mio. Familien, 12,7 Mio. davon hatten Kinder, während es allein erziehende Eltern 2,15 millionenfach gab. Jede 4. Familie mit Kindern hatte also nur einen Elternteil. Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften wurde im Jahre 1999 auf ca. 2,1 Mio. geschätzt[3].

b Rechtliche Verän­de­rungen

Diesen, sich bereits 1949 bei Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes abzeichnenden tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen galt es, durch gesetzliche Regelungen zu entsprechen, sie nachzuvollziehen oder aber auch sie vorauseilend zu prägen. Das ist seit 1949 in vielfältigster Weise geschehen, dieser Prozess hält bis heute an.

    1. Entscheidend hierfür war außer dem tatsächlichen gesellschaftlichen Wandel das Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 2 GG. Alles Familienrecht, das dem Gleichberechtigungsgrundsatz widersprach, trat am 31.3.1953 außer Kraft. Der Deutsche Bundestag hatte es nicht vermocht, bis zu diesem Tag neues, verfassungskonformes Recht für Ehe und Familie zu schaffen, und so entstand im gesamten Familienrecht eine große Lücke, die erst vier Jahre später im Juli 1957 durch das Gleichberechtigungsgesetz[4] geschlossen wurde. Zwar führte das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 im ehelichen Güterrecht die so genannte Zugewinngemeinschaft ein und schaffte zugleich die ausschließliche ehemännliche Verwaltung und Nutznießung des Frauenvermögens ab. Auch versuchte das Gleichberechtigungsgesetz, die ehelichen Eltern in ihrem Verhältnis zu den ehelichen Kindern gleichzustellen. Aber der Deutsche Bundestag konnte sich nicht entschließen, die Gleichberechtigung in der Stellung der Eltern zu ihren Kindern wirklich durchzusetzen. So enthielt das Gleichberechtigungsgesetz noch immer den so genannten Stichentscheid des Vaters und dessen alleinige gesetzliche Vertretung für das eheliche Kind. Schon ein Jahr später erklärte das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 29.7.1959[5] diese beiden Regelungen für nichtig. Wiederum entstand eine erhebliche Lücke im Gesetz, die erst mehr als 20 Jahre später, durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge[6] geschlossen wurde.
    2. Im Familienrecht fanden weitere tief greifende Reformen statt, die hier nur in ihren wesentlichen Teilen genannt und auch nur skizziert werden können.

a) Das Nichtehelichengesetz

So trat am 1.7.1970 das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder[7] in Kraft. Erst seit dem 1.7.1970 hießen Kinder, deren Eltern bei der Geburt nicht miteinander verheiratet waren, nicht mehr uneheliche Kinder, sondern nichteheliche Kinder. Von diesem Tag an waren sie mit ihrem Vater verwandt mit der Folge, dass sie legale Beziehungen auch zur Vaterfamilie hatten. Und das wiederum hatte zur Folge, dass sie erbberechtigt waren. Allerdings war das Erbrecht der nichtehelichen Kinder anders ausgestaltet als das ehelicher Kinder. Die Mutter blieb die alleinige Inhaberin der elterlichen Gewalt, wie sie seinerzeit noch hieß, ihre Zuständigkeit blieb aber beschränkt: Soweit es um die gesetzliche Vertretung des Kindes ging, war die Mutter zwar Inhaberin der elterlichen Gewalt. Sie konnte jedoch das Kind bei der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, bei der Klärung der Abstammungsfrage und bei Erbansprüchen nicht selbst vertreten, sie erhielt hierfür vom Vormundschaftsgericht einen Amtspfleger gestellt.

 

b) Das Eherechtsreformgesetz

c) Das Sorge­rechts­ge­setz

Seit dem 1.1.1980 ist das rechtliche Verhältnis von Eltern und ehelichen Kindern zueinander reformiert worden: Das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge[9] hat die Beziehungen von Eltern zu ehelichen Kindern demokratisiert. Seither sind die Eltern verpflichtet, bei der Pflege und Erziehung der Kinder die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge zu besprechen und mit dem Kind Einvernehmen anzustreben. Das Sorgerechtsreformgesetz hat auch endlich die absolute Gleichstellung der Eltern in der gesetzlichen Vertretung gebracht, die seit dem Jahre 1958 zwar von der Rechtsprechung so behandelt wurde, es fehlte jedoch an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung.

Das Sorgerechtsgesetz von 1980 brachte auch zum ersten Mal eine Vorschrift, nach welcher entwürdigende Erziehungsmaßnahmen unzulässig sind, sowie die Bestimmung, dass in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs die Eltern insbesondere auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht zu nehmen haben.

Soweit es das so genannte Umgangsrecht, also das Besuchsrecht zwischen Kind und abwesendem Elternteil angeht, blieb das Sorgerechtsgesetz von 1980 noch bei einer Unterteilung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern: Während der abwesende eheliche Elternteil nach der Trennung die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind behielt, hatte der nichteheliche Vater das Recht, sein Kind zu sehen, nur dann, wenn entweder die Mutter dem zustimmte oder aber das Vormundschaftsgericht ihm dieses Recht einräumte.

d) Das Kinds­chafts­rechts­re­form­ge­setz

Seit dem 1.7.1998, dem Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes[10], unterscheidet das Gesetz nicht mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern. Beide Begriffe sind aus dem Gesetz verschwunden. Als Konsequenz folgt daraus, dass eheliche wie nichteheliche Kinder generell gleich behandelt werden. So haben sie identische Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil, der sie nicht betreut. Erstmals können seit dem 1.7.1998 auch Eltern eines nichtehelichen Kindes gemeinsam sorgeberechtigt sein, allerdings nur, wenn die Mutter zustimmt, während die Eltern eines ehelichen Kindes mit der Geburt des Kindes gemeinsam sorgeberechtigt werden und dies auch bleiben, wenn sie sich trennen. Zwar lässt das Gesetz die familiengerichtliche Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen der beiden ehelichen Elternteile zu, jedoch nur, wenn das Kind zustimmt oder aber wenn besondere Gründe dies erfordern. Der Regelfall ist also seit 1.7.1998, dass alle in einer Ehe geborenen Kinder beiden Eltern gleichmäßig zugeordnet sind und dies auch bleiben, falls die Eltern sich trennen oder scheiden lassen. Für nichteheliche Eltern gilt dies so noch nicht. Es ist jedoch zu erwarten, dass sich auch hier im Laufe der Zeit eine absolute Angleichung der Rechtsstellung der Eltern herausbilden und sodann gesetzlich normiert werden wird.

Seit dem 1.7.1998 sind auch alle Kinder gleichmäßig erbberechtigt, die nichtehelichen Kinder sind erbrechtlich jetzt gänzlich den ehelichen gleichgestellt.

e) Das Gewal­täch­tungs­ge­setz

Seit Inkrafttreten des Gewaltächtungsgesetzes am 3.11.2000[11] hat das Kind ein ausdrückliches Recht auf gewaltfreie Erziehung.

f) Das Unter­halts­rechts­än­de­rungs­ge­setz

Am 1.1.2008 ist das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz[12] in Kraft getreten. Die Regeln für den so genannten nachehelichen Unterhalt sind erheblich verändert, das gilt auch für den Betreuungsunterhalt des nichtehelichen Elternteils sowie für den Kindesunterhalt. Seither haben nur Kinder den absoluten Vorrang vor allen anderen Verwandten, soweit es um Unterhaltszahlungen geht. Dies gilt für minderjährige Kinder und solche Kinder, die zwar volljährig sind, aber noch zur Schule gehen (privilegierte Volljährige). Rangmäßig müssen alle Erwachsenen zurücktreten, insbesondere auch Kinder betreuende Elternteile finden sich gemeinsam im zweiten Unterhaltsrang wieder. Sie haben untereinander denselben Rang, also eine geschiedene Mutter ebenso wie eine Mutter in aktueller Ehe oder aber auch die nicht verheiratete Mutter.

Entscheidendes Kriterium der neuen Regelung ist die gesteigerte Eigenverantwortung des geschiedenen, unterhaltsbedürftigen Ehegatten. Zwar bestand der Grundsatz der Eigenverantwortung schon seit dem 1.7.1977, er hat sich aber in der Rechtsprechung nicht wirklich durchgesetzt. Daran hat auch das erste Unterhaltsänderungsgesetz von 1986 Entscheidendes nicht verändert. Jetzt aber ist das Gesetz so formuliert, dass generell im Unterhaltswege nur noch ehebedingte Nachteile ausgeglichen werden, Ziel der Unterhaltsregelungen nach einer Scheidung ist nicht mehr, dem unterhaltsbedürftigen Ehegatten den Ehestandard zu sichern. Das Gesetz enthält seit dem 1.1.1980 Vorschriften, die eine Befristung und Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts ermöglichen und erleichtern, erste Gerichtsentscheidungen machen deutlich, dass die Gerichte von diesen Beschränkungsmöglichkeiten auch entschlossen Gebrauch machen werden.

IV Zusam­men­fas­sung und Ausblick

Diese stark verkürzte tour d´horizon der gesetzlichen Entwicklung seit 1949 zeigt, dass der besondere Schutz, den Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG genießen, zwar vom Bundesgesetzgeber und vom Bundesverfassungsgericht gewahrt und gewährleistet wird.
Jedoch hat der Inhalt dieser Schutz-und Förderungsbestimmung einen deutlichen Wandel erfahren: Wenn einerseits die Zahl der Eheschließungen zurückgeht, die Zahl der Scheidungen steigt, aber auf der anderen Seite immer mehr Menschen unverheiratet zusammenleben und Kinder haben, müssen Staat und Gesellschaft diese neuen Lebensformen nicht nur akzeptieren, sie müssen ihr auch einen sozialen Mindestschutz gewähren. Auf diesem Wege schreiten Gesetzgebung und Rechtsprechung fort: So ist der Schutz der nichtehelichen Mutter im Unterhaltsrecht seit dem 1.1.1980 gegenüber der ehelichen Mutter deutlich verstärkt worden. Die Rechtsprechung, die bisher das nicht legalisierte Zusammenleben von heterosexuellen Paaren kaum geschützt hat, geht dazu über, diese Haltung aufzugeben. Aus hiesiger Sicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann für nichteheliche, gefestigte Lebensgemeinschaften insgesamt ein gewisser Mindestschutz gesetzlich eingeführt wird. Denn derzeit besteht das etwas skurrile Faktum, dass heterosexuelle Partner heiraten können, homosexuelle Partner sich offiziell verpartnern können mit der Folge, dass sie eheähnliche Wirkungen für ihre Partnerschaft haben, während die nichteheliche Lebensgemeinschaft heterosexueller Partner bisher kaum geschützt ist. Dies ist jedenfalls dann, wenn Kinder aus einer solchen Verbindung hervorgehen, nicht tolerabel. Denn in diesen Fällen wird fast stets einer der beiden Partner sozial schwächer oder bedürftig sein, wenn und soweit er oder sie die gemeinsamen Kinder über Jahre versorgt hat.

Betrachtet man das neue Unterhaltsrecht, so nehmen Gesetz und Rechtsprechung in Kauf, dass ein großer Teil geschiedener Eheleute, zumeist Frauen, sich weder aus eigener Kraft erhalten noch durch Unterhalt des anderen Ehegatten ihren Unterhalt sichern können. Das bedeutet im Endeffekt, dass diese geschiedenen Eheleute von der Allgemeinheit unterhalten werden müssen. Man könnte diese Wandlung im Verständnis von Ehefolgen so bezeichnen, dass Staat und Gesellschaft hier familiäre Aufgaben, nämlich Sicherung der nachehelichen Existenz, übernehmen.

Das Bonner Grundgesetz wahrt die Grenzen zwischen familiärer Autonomie und staatlichem Eingriff nicht nur, es hat diese Grenzen durch Art. 6 sehr scharf gezogen. Stets sind die Eltern „zuvörderst“ zuständig für Erziehung und Ausbildung der Kinder, eine staatliche Erziehung hat das Bonner Grundgesetz auf jeden Fall verhindern wollen. Hierüber besteht auch Einigkeit. Dennoch gibt es eine Entwicklung, die im Jugendhilferecht die Kompetenzen der Jugendämter allmählich gestärkt hat und wohl weiter stärken wird. Durch das Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz[13], in Kraft seit dem 1.10.2005, haben die Jugendämter wieder die eigene Aufgabe und Zuständigkeit erhalten, Risikolagen für Kinder selbständig einzuschätzen und im Falle, dass die Eltern die Gefährdung nicht beseitigen können oder wollen, haben die Jugendämter die Pflicht, die Familiengerichte von sich aus anzurufen. Dieser neue § 8a SBG VIII fängt erst an, sich allmählich auszuwirken. Noch sind viele Jugendämter unsicher darin, wie sie die entsprechende Gefährdungslage sachverständig einzuschätzen haben und welche Folgerungen zu ziehen sind. Immerhin lässt sich konstatieren, dass durch eine solche Regelung die Grenzen zwischen familiärer Autonomie und staatlichem Eingriff zu Gunsten des staatlichen Eingriffs verschoben sind.

Hierher gehören auch Überlegungen, die kindlichen Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht der Eltern zu machen. Bisher ist eine solche obligatorische Untersuchung aus verfassungsrechtlichen Gründen, Art. 6 Abs. 2 GG, stets verneint worden. Ähnliche Überlegungen sind anzustellen, wenn es um die Einführung einer eventuellen Kindergartenpflicht, jedenfalls für das letzte Jahr vor der Einschulung, geht. Auch hier muss stets abgewogen werden zwischen der elterlichen Erziehungsautonomie einerseits und dem Bedürfnis und Interesse der Gesellschaft andererseits, Kinder bestmöglich zu fördern. Ist man mit seinen Überlegungen so weit gediehen, ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Initiative, die seit einigen Jahren von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und gesellschaftlichen Gruppen verfolgt wird: Die Aufnahme von eigenen Kindergrundrechten in unsere deutsche Bundesverfassung. Durch solche eigenen Kindergrundrechte soll nicht nur der bessere Schutz von Kindern ermöglicht werden, darüber hinaus soll den Kindern ein eigenes Grundrecht auf bestmögliche Förderung und Bildung und ein Recht auf Teilhabe an allen Entscheidungen, die sie selbst betreffen, durch einen solchen Grundgesetzartikel eingeräumt werden.

Die Diskussion steht erst am Anfang. Da für jede Grundgesetzänderung eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich ist, wird es nach hiesiger Einschätzung auch noch längere Zeit dauern, bis mit einer solchen Grundgesetzänderung gerechnet werden kann. Interessant ist aber die Entwicklung und die Bewegung, die eine solche Initiative zeigt: Macht sie doch deutlich, dass es viele Kritiker in unserem Lande gibt, die den Schutz, aber auch die Förderung von Kindern nicht für ausreichend verfassungsrechtlich geregelt halten und die darüber hinaus dafür plädieren, 50 Jahre nach Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes die absolute Elternautonomie jedenfalls dann in Frage zu stellen, wenn es um Schutz, Förderung und Beteiligung von Kindern geht.

[1] BVerfGE 36, 146, 167 = NJW 1974, 545 ff.

[2] vom 6.4.1968 in der Fassung der Novelle vom 7.10.1974; Sorgenicht [Hrsg.], Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik 1969.

[3] Statistisches Bundesamt [Hrsg.], Statistisches Jahrbuch 2003 für die Bundesrepublik Deutschland; Münch/Ph. Kunig [Hrsg.]/Coester-Waltjen, Grundgesetz Kommentar 5. Auflage 2000 zu Art. 6, 536.

[4] vom 18.6.1957, BGBl I, 609.

[5] BVerfGE 10, 59 = NJW 1959, 1483.

[6] vom 18.7.1979, BGBl I, 1061.

[7] vom 19.8.1969, BGBl I, 1243.

[8] vom 14.6.1976, BGBl I, 1421.

[9] s. Fn. 6.

[10] v. 16.12.1997, BGBl I, 2942.

[11] Gesetz v. 2.11.2000, BGBl I, 1479.

[12] Gesetz zur Änderung des Unterhaltsrechts vom 21.12.2007, BGBl I, 3189.

[13] vom 8.9.2005, BGBl I, 2729.

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