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Wie Integra­ti­ons­pro­bleme gemacht werden

Ein Vademekum durch die institutionelle Diskriminierung von Migranten,

aus: vorgänge Nr. 183, Heft 3/2008, S. 140-141

Die Untersuchung der institutionellen Diskriminierung liegt nicht gerade im Fokus der deutschen Migrationsforschung. Umso erfreulicher ist es, dass sich ein Leipziger Forschungsteam unter der Leitung von Helena Flam dieser Problematik angenommen hat.

Helena Flam (Hg.): Migranten in Deutschland. Statistiken – Fakten – Diskurse. UVK Verlag 2007, 321 S., 19,90 Euro

Der Band „Migranten in Deutschland. Statistiken – Fakten – Diskurse“ kann als eine Antwort auf die gängige Forschungstendenz und diskursive Praxis betrachtet werden. In der stehen die Defizite bzw. die mangelnde Integrationsbereitschaft im Mittelpunkt, die Diskriminierung wird meistens auf individuelle Vorurteile zurückgeführt. Flam & Co. wenden sich dagegen dem institutionellen Umfeld, in dem Migranten in Deutschland leben, zu. Den untersuchten Quellenkorpus bilden Gesetze und andere Regelungen, Statistiken, Interviews, der öffentliche Diskurs und die politische Semantik. Anhand exemplarischer Analysen aus Berlin, Leipzig und Augsburg werden verschiedenartige Diskriminierungspraktiken aufgezeigt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den „gate keepers“.

Die vorgestellten Ergebnisse wurden im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts (2002-2006) erarbeitet, das auf zwei für den gesellschaftlichen Erfolg der Migranten wichtige Bereiche fokussiert war: Bildungssystem und Arbeitsmarkt. Auf beiden Gebieten erforscht das Leipziger Team Machtstrukturen, institutionelle Regeln, kollektive Deutungsmuster und verschiedene Formen von Gruppendruck, die das Wesen der institutionellen Diskriminierung ausmachen.

Die Schule wird in der hier besprochenen Publikation als ein „Instrument gleichzeitiger Eliten- und Unterschichtenproduktion“ geschildert. Schwache Deutschkenntnisse werden mit Lernschwäche gleichgesetzt und Deutsch fungiert als das wichtigste Kriterium bei Entscheidungen über den Schulverlauf. Verfügungen werden dabei nicht selten willkürlich und nicht ohne Einfluss von kulturdeterministischen, alltagsrassistischen Rezension Kornelia Konczal Wie Integrationsprobleme gemacht werden Ein Vademekum durch die institutionelle Diskriminierung von Migranten und politisch-medialen Diskursen getroffen. Paradoxerweise wird Zweisprachigkeit als Hindernis wahrgenommen bei gleichzeitiger Förderung der Fremdsprachenkenntnisse im weiteren Verlauf der Schulsozialisation. Schließlich mangelt es an deutschen Schulen an Unterstützung im Deutschunterricht für Kinder mit Migrationshintergrund und es gibt nur wenige Lehrkräfte, die selbst einen solchen Hintergrund haben.

Diese Probleme verschärfen sich noch beim Übergang in die Arbeitswelt, wo ähnliche Mechanismen bei der Berufsberatung und -ausbildung funktionieren und wo die Konkurrenz zwischen „Fremden“ und „Eigenen“ noch prägnanter wird. Migranten werden zusätzlich durch verschiedene Formen der schwachen sozialen Einbettung (z.B. Netzwerke) benachteiligt. Dazu kommen nicht nur das Ausgeschlossensein vom Beamtenstatus, sondern auch Probleme mit Titelanerkennung, nationalspezifischen Etikettierungen und Understatements oder der oft entscheidende „chaotische amtliche Zufall“. Das Glück der Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund wird oft von Probezeiten, befristeten bzw. prekären Arbeitsverhältnissen, negativen Stereotypisierungen und dem so genannten „alltäglichen Rassismus“ getrübt.

Diese Schwierigkeiten korrespondieren mit der Tatsache, dass zwei Drittel der Deutschen die Idee der Bundesrepublik als Einwanderungsland ablehnen (S. 193).

Der empirische Teil des Bandes wird durch Kapitel ergänzt, die sich mit dem historischen, gesellschaftlichen und politischen Kontext der Situation der Migranten beschäftigen. Ein Überblick über relevante Diskriminierungstheorien und -studien wird durch eine ausführliche Bibliographie abgerundet, die zahlreiche weiter führende Lektürehinweise bietet. An einigen Stellen könnten allerdings Redundanzen vermieden und der Stil verbessert werden, dann würde der Band eine leichtere Lesekost.

„Migranten in Deutschland. Statistiken – Fakten – Diskurse“ versteht sich als eine kritische Auseinandersetzung mit gängigen sozialwissenschaftlichen Theorien und Forschungspraktiken zur Diskriminierung und ist ein überzeugendes Plädoyer für einen differenzierteren Blick auf Migranten und für mehr Interesse an symbolischen bzw. institutionellen Exklusionsmechanismen. Angesichts der Tatsache, dass jedes dritte Kind in Deutschland Migrationshintergrund hat, ist das besonders notwendig.

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