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Suizid­bei­hilfe: Grenzen der Krimi­na­li­sie­rung

In: vorgänge 210/211 (2-3/2015), S. 53-68

Von den vier im Bundestag diskutierten Gesetzentwürfen zielen drei auf eine generelle oder partielle Kriminalisierung der bislang straflosen Beihilfe zum Suizid. Ein solcher Schritt hätte grundsätzliche Bedeutung für die Strafrechtskultur, weit über das Thema hinaus.  Nicht zuletzt deshalb haben sich über 140 deutschsprachige Strafrechtslehrer_innen in einer öffentlichen Stellungnahme gegen eine Ausweitung der Strafbarkeit der Suizidbeihilfe ausgesprochen (s. den Beitrag von Hilgendorf in diesem Heft). Vor diesem Hintergrund geht Bijan Fateh-Moghadam der Frage nach, welche rechtsstaatlichen Grenzen für eine Kriminalisierung der Suizidbeihilfe bestehen. Anhand seiner Ergebnisse unterzieht sein Beitrag die Reformvorschläge einer kritischen Würdigung.
I. Geltendes Recht und Reformdebatte
Die aktuelle rechtspolitische Diskussion knüpft nahtlos an den in der 17. Legislaturperiode gescheiterten Versuch an, einen Straftatbestand der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung im Strafgesetzbuch zu verankern.1 Fragt man nach den Motiven für den erneuten Anlauf zu einer gesetzlichen Regelung der Suizidbeihilfe,  stehen zwei Gesichtspunkte im Vordergrund. Zum einen die Skepsis gegenüber der Tätigkeit von sogenannten Sterbehilfevereinen und anderen Formen organisierter Sterbehilfe, zum anderen die unübersichtliche Gemengelage von konfligierenden strafrechtlichen, betäubungsmittelrechtlichen und standesrechtlichen Regelungen, die die geltende deutsche Rechtslage zur Suizidbeihilfe kennzeichnet. Erst die Gesamtbetrachtung dieser Vorschriften erhellt den scheinbar paradoxen Befund, dass die Praxis des ärztlich assistierten Suizids und der organisierten Suizidbeihilfe in Deutschland effektiv größeren Beschränkungen unterliegt als in der Schweiz, obwohl das Schweizer Strafgesetzbuch, anders als hierzulande, zumindest die Beihilfe aus selbstsüchtigen Motiven verbietet (Art. 115 StGB-Schweiz).2 Der Grund hierfür liegt zusammengefasst darin, dass in Deutschland die Beihilfe zum Suizid nach geltendem Strafrecht zwar auch für Ärzt_innen und organisierte Suizidhelfer_innen straflos ist,3 gleichzeitig aber der Zugang zu geeigneten Substanzen, die einen sicheren und leidensfreien Tod ermöglichen, durch die verwaltungsgerichtliche Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes versperrt wird.4 Hinzu kommt, dass die Mitwirkung an einem Suizid im ärztlichen Standesrecht in einigen Bundesländern (z.B) ausdrücklich untersagt ist5 und von der Bundesärztekammer als mit der ärztlichen Standesethik unvereinbar angesehen wird (Bundesärztekammer 2011).6 Auch wenn ausnahmslose standesrechtliche Verbote der ärztlichen Suizidassistenz in den von den Landesärztekammern erlassenen Berufsordnungen nach überzeugender Auffassung formell und materiell verfassungswidrig sind (Lindner 2013),7 beschränken sie doch praktisch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von ärztlichem Rat und Hilfe. Patient_innen, die ihrem Leiden ein selbstbestimmtes Ende setzen wollen, können gerade hierdurch in den „Brutal-Suizid“ (Hilgendorf/Rosenau 2015) mittels Schusswaffen, selbstgemixten Medikamentencocktails oder dem Sprung aus dem Fenster getrieben werden (Borasio 2014: 102 f.).
II. Ethisierung des Medizinstrafrechts?
Betrachtet man die Vielfalt der normativen Perspektiven, die sich zur Frage der strafrechtlichen Grenzen der Suizidbeihilfe äußern, drängt sich der Befund einer Hyper-Materialisierung des Rechts auf. Für die rechtliche Beurteilung der Suizidbeihilfe genügt es offenbar nicht mehr, deren Rechtmäßigkeit zu gewährleisten, vielmehr scheint darüber hinaus eine vermeintlich höhere Weihe, nämlich ihre „ethische Vertretbarkeit“ erforderlich zu sein. Diese bildet sodann eine Brücke für den Einfluss außerrechtlicher Perspektiven auf die rechtspolitische Diskussion, wie derjenigen der ärztlichen Standesethik bis hin zu religiös motivierten Stellungnahmen. Eine solche Ethisierung des Medizinstrafrechts steht freilich vor dem Problem, dass es weder die eine standesethische Position, noch die eine gesellschaftlich konsentierte ethische Position zur Suizidbeihilfe gibt; eine Erkenntnis, die das Schweizer Vernehmlassungsverfahren zur geplanten Reform der Suizidbeihilfe im Jahr 2011 bestätigt. Danach „besteht keinerlei Konsens über die Lösung für dieses schwierige und heikle Problem (Schweizer Bundesrat 2011, S.29).8
Eine zunächst nahe liegende Lösung für das Problem des Pluralismus der ethischen Positionen zur Suizidbeihilfe besteht darin, die (straf-)rechtlichen Grenzen der Suizidbeihilfe der demokratischen Mehrheitsentscheidung zu überlassen. Der besonderen ethischen Relevanz der Fragestellung wird dabei dadurch Rechnung getragen, dass man die individuelle Gewissensentscheidung der Abgeordneten betont und den sogenannten „Fraktionszwang“ aufhebt. Dementsprechend handelt es sich bei den vorliegenden Gesetzentwürfen zur Suizidbeihilfe um fraktionsübergreifende Gruppenanträge, die das ethische Meinungsspektrum weitgehend abdecken. Zu erwarten ist, dass auch diese Parlamentsdebatte zur Suizidbeihilfe hoch emotional verlaufen und Sprecher_innen auf den Plan rufen wird, die aus ihren je höchstpersönlichen Erfahrungen und ethischen Überzeugungen schöpfen.9 Der zukünftige (straf-)rechtliche Standard der Sterbehilfe wäre dann letztlich davon abhängig, welche der vielfältigen individualethischen Überzeugungen auf der „Suche nach dem guten Tod“10 sich als mehrheitsfähig erweist.
III. Die ethische Neutralität des Strafrechts
Auch wenn der Hinweis auf das Mehrheitsprinzip in einer Demokratie ebenso nahe liegend wie respektabel ist, müssen die Grenzen zulässiger Kriminalisierung der Suizidbeihilfe im pluralistischen Rechtsstaat deutlich enger gezogen werden. Den zentralen argumentativen Anknüpfungspunkt für eine solche Strafrechtsbegrenzungstheorie bildet die rechtsphilosophische Theorietradition des politischen Liberalismus,11 die sich verfassungs- und strafrechtlich in Form des Grundsatzes der weltanschaulichen Begründungsneutralität (straf-)rechtlicher Normen abbilden lässt.
Was mit ethischer Neutralität des Medizinstrafrechts gemeint ist, lässt sich im Kontrast zum Begriff der Toleranz verdeutlichen. Letzterer bildet zugleich den schärfsten Konkurrenten des Neutralitätsgrundsatzes im Streit um den richtigen Umgang mit dem „Faktum des Pluralismus“ (Rawls 2003:12). Das Toleranzgebot soll nicht anders als der Neutralitätsgrundsatz ein Korrektiv gegenüber einer drohenden Hegemonie der Mehrheitsmoral in bioethischen Fragen bilden. Exemplarisch für diese Position sind die rechtsethischen Stellungnahmen des Bonner Sozialethikers Hartmut Kreß. Toleranz sei heute nicht mehr nur für Religion oder religiöse Dogmen, sondern für den Lebensalltag in Allgemeinen bedeutsam geworden. Persönliche und kulturelle Toleranz sei unerlässlich, weil Menschen unterschiedliche Lebensformen praktizierten und etwa gerade dann geboten, wenn der eine zu Themen der Sterbehilfe anders denke als der andere (Kreß 2015:45). Alldem könnte man zustimmen, wenn es sich um eine Erinnerung an die Tugendpflichten guter Staatsbürger_innen im gesellschaftlichen Miteinander handeln würde. Kreß charakterisiert aber auch und gerade die Haltung der Rechtsordnung gegenüber der Vielfalt ethischer Lebensentwürfe als tolerant im Sinne einer materialen Konzeption der Toleranz. Diese gesteigerte Form „bioethischer Toleranz“ zeichne sich dadurch aus, wie Kreß im Anschluss an Überlegungen des Frankfurter Philosophen Rainer Forst ausführt, dass sie abweichende Überzeugungen nicht nur dulde, sondern als gleichberechtigt respektiere (Kreß 2015:45).
Aber auch eine solche Respekts-Konzeption der Toleranz (Forst 2003:45) kann als rechtsphilosophische Pluralismustheorie nicht überzeugen, weil sie den kategorialen Unterschied zwischen der Ebene der Bürger und der Ebene des Staates bzw. der Rechtsordnung als Adressaten des Toleranzgebotes verfehlt. Der Toleranzbegriff beinhaltet, das ist unbestritten, neben einer positiven Akzeptanz-Komponente, stets auch eine negative Ablehnungs-Komponente (Forst 2003:32): Tolerieren kann man nur eine ethische Überzeugung oder Lebensweise, die man selbst ablehnt. Staatliche Toleranz setzte mithin voraus, dass Staat und Rechtsordnung selbst Partei ergreifen und eine bestimmte bioethische Position beziehen. In unserem Fall also etwa die Position einer grundsätzlichen Missbilligung auch des freiverantwortlichen Suizids, die dann aber in bestimmten Grenzen hiervon abweichende individuelle Entscheidungen toleriert. Wo die Grenze des Tolerierbaren verläuft wäre dann eine graduelle Frage, die typischerweise im Wege einer Abwägung beantwortet wird wie sie das Verhältnismäßigkeitsprinzip kennzeichnet.
Genau diese Parteinahme in Bezug auf ethische Fragen des guten Lebens ist der Rechtsordnung indes durch den Neutralitätsgrundsatz verwehrt (Forst 1996:55 ff; Nussbaum 2011:36).12 Der Rechtsordnung steht es danach nicht zu, die Entscheidung eines Menschen, freiverantwortlich aus dem Leben zu scheiden, inhaltlich zu bewerten. Sich zu entscheiden, ob das Leben wert ist gelebt zu werden oder nicht, bedeutet nach dem Diktum von Albert Camus, auf die Grundfrage der Philosophie zu antworten. Die individuelle Freiheit hierzu wird dabei vorausgesetzt; sie zu negieren, bedeutete die Freiheit des Menschen schlechthin zu negieren. In der Terminologie des politischen Liberalismus handelt es sich um eine höchstpersönliche ethische Frage und nicht um eine Frage des gerechten Zusammenlebens im Sinne der Abgrenzung kollidierender Freiheitssphären. Das Recht bildet gemäß dem Modell eines solchen Neutralitätsliberalismus eine Schutzhülle, unter der die Bürger_Innen auch und gerade im Wege kritischer Lebensentscheidungen ihre je eigenen Vorstellungen des ethisch Guten verfolgen (Forst 1996:203; Nussbaum 2011:36) und so schrittweise eine ihnen entsprechende Lebensform entwerfen. Rechtliche Normen, die einen allgemeinen Geltungsanspruch erheben, müssen dagegen unabhängig von partikularen ethischen oder religiösen Überzeugungen gerechtfertigt werden. Diesem liberalen Gebot öffentlicher Rechtfertigung (Rawls 2003:312 ff; Habermas 2005: 126ff.) von Rechtsnormen korrespondiert die strafrechtliche Rechtsgutstheorie, die die Aufgabe des Strafrechts darauf beschränkt, „seinen Bürgern ein freies und friedliches Zusammenleben unter Gewährleistung aller verfassungsrechtlichen Grundrechte zu sichern“ (Roxin 2006:16).
IV. Begründungsneutralität als Verfassungsgrundsatz
In verfassungsrechtlicher Hinsicht lässt sich die ethische Neutralität des Strafrechts über den vom Bundesverfassungsgericht zur religions- und integrationspolitschen Übernorm (Waldhoff 2010:42) ausgebauten Grundsatz der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates abbilden.13 In seiner Ausprägung als Begründungsneutralität verlangt dieser, dass Freiheitseingriffe gegenüber dem Betroffenen „nicht unter Hinweis auf religiös-weltanschauliche Wahrheitsansprüche oder partikulare Konzeptionen des Guten gerechtfertigt werden“ (Huster 2002: 652) können (vgl. auch Dreier 2013:17). Die Verpflichtung zur Neutralität ist dabei über religiöse und weltanschauliche Lebensentwürfe hinaus zu einer umfassenden Lebensformneutralität14 zu erweitern. Was bedeutet nun aber ein solches Recht auf ethisch neutrale Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen für die rechtliche Regulierung der Suizidbeihilfe?
1. Unzulässigkeit der ethischen Bewertung des freiverantwortlichen Suizids
Die ethische Neutralität des Sterbehilferechts verlangt zunächst, dass Beschränkungen der Suizidbeihilfe nicht mit einer direkten oder indirekten negativen ethischen Bewertung des freiverantwortlichen Suizids verbunden sind. Das Recht, das eigene Leben zu beenden, wird über die freiheitsrechtliche Dimension des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Antoine 2004:242), jedenfalls aber über die allgemeine Handlungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit der Menschenwürde geschützt.15 Auch der EGMR erkennt das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Tod an und bezieht dabei auch die Möglichkeit der Erlangung eines Mittels zum Zweck der eigenverantwortlichen Lebensbeendigung in den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK) mit ein.16 Mit dieser grund- und menschenrechtlichen Verankerung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Sterben ist es nicht vereinbar, den Suizid als rechtswidrig anzusehen, wie dies der Bundesgerichtshof indes noch im Jahr 2001 getan hat (Saliger 2015:135).17 Dass sich die Rechtswidrigkeit des Suizids nicht über eine religiös begründete Heiligkeit des Lebens begründen lässt, ist eine allgemein anerkannte Folge der Neutralitätsdoktrin, die eine säkulare Begründung von Normen verlangt (Saliger 2015:133 f.).
Der Neutralitätsgrundsatz verbietet es aber auch, die Unzulässigkeit des Suizids und die Notwendigkeit einer Kriminalisierung der Beihilfe zum Suizid unmittelbar aus einer – bestreitbaren – Interpretation der kantischen Moralphilosophie abzuleiten. Beispielhaft hierfür steht der Ansatz des Hamburger Rechtsphilosophen Michael Köhler, der aus „Grundpflichten der rechtlichen Selbstkonstitution die Rechtspflichtwidrigkeit der Selbsttötung ableitet und hieran die Pflicht des Staates knüpft, jegliche akzessorische Teilnahme an einer Selbsttötung unter Strafe zu stellen (Köhler 2006:443). Dies ist nicht nur deshalb nicht überzeugend, weil es gute rechtsphilosophische Gründe dafür gibt, die kantischen Pflichten gegen sich selbst als Tugend- und nicht als Rechtspflichten zu verstehen und den anti-paternalistischen Charakter der kantischen Rechtslehre zu betonen (Kersting 1993: 215). Gegen Köhler ist vielmehr der methodische Einwand zu erheben, dass rechtliche Freiheitseinschränkungen sich unter Geltung des Neutralitätsgrundsatzes nicht unmittelbar auf eine umfassende partikulare moralphilosophische Lehre stützen lassen.
Der Neutralitätsgrundsatz schließt darüber hinaus auch (hart) paternalistische Rechtfertigungen aus, die mit dem wohlverstandenen Interesse des Suizidenten weiterzuleben argumentieren. Denn paternalistische Interventionen setzen eine inhaltliche Bewertung des Freiheitsgebrauchs des Rechtsgutsträgers voraus, die gegen das Neutralitätsgebot verstößt (Rigopoulou 2013:73).18 Dabei wird die höchstpersönliche und unvertretbare Abwägung zwischen dem Interesse weiterzuleben und dem Interesse an der Beendigung eines subjektiv nicht erträglichen Leidenszustands, durch eine vermeintlich objektive Interessenabwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und Lebensschutz ersetzt. Eine solche Abspaltung von Selbstbestimmungs- und Lebensschutz wäre aber nur dann möglich, wenn man das Rechtsgut „Leben“ nicht dem Rechtsgutsträger als Individuum, sondern einem Kollektiv (dem Staat, der Gemeinschaft) oder einer transzendenten Größe (Gott) zuordnet. Das Modell einer Abwägung von Selbstbestimmungs- und Lebensschutz trägt noch nicht einmal den Schutz vor nicht frei verantwortlichen Suiziden, denn auch hier ist es gerade der Schutz der Dispositionsfreiheit über das eigene Leben, der staatliche Eingriffe zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches rechtfertigen kann und eben nicht ein abstrakter Lebensschutz.

2. Materielle Akzessorietät von Beihilfe und freiverantwortlichem Suizid
Während bisher nur der Suizid als solcher in den Blick genommen wurde, ist im nächsten Schritt zu fragen, ob sich an der rechtsphilosophischen und rechtlichen Bewertung etwas ändert, wenn es nicht um die Handlung des Suizidenten, sondern um die eines Dritten geht, der den Suizid fördert oder ermöglicht. Nach verbreiteter Auffassung soll sich die rechtliche Bewertung der Beihilfehandlung von der Bewertung der Haupttat grundsätzlich trennen lassen. Der strafrechtliche Grundsatz, dass eine strafbare Beihilfehandlung eine rechtswidrige Haupttat voraussetzt (Akzessorietät der Teilnahme), woran es bei der Beihilfe zum Suizid schon wegen dessen Tatbestandslosigkeit fehlt, erscheint gemäß dieser Auffassung als eine bloß regelungstechnische Hürde, die der Gesetzgeber ohne weiteres dadurch überwinden kann, dass er die Beihilfehandlung selbständig unter Strafe stellt.
Der über den Akzessorietätsgrundsatz hergestellte Zusammenhang zwischen der Rechtmäßigkeit einer Handlung und der rechtlichen Bewertung ihrer Förderung im Wege der Beihilfe ist aber auch materiell-inhaltlich begründet. Akzeptiert man die Prämisse, dass der freiverantwortliche Suizid nicht rechtswidrig, sondern vielmehr Ausdruck des Grundrechts auf ein selbstbestimmtes Sterben ist, so stößt eine Durchbrechung des Akzessorietätsgrundsatzes auf unüberwindbare Probleme. Die Beihilfe zum freiverantwortlichen Suizid stellt sich dann als Förderung oder Ermöglichung einer rechtmäßigen Grundrechtsausübung dar und kann als solche nicht zugleich von der Rechtsordnung missbilligt werden. Solange der Suizid freiverantwortlich und tatherrschaftlich durchgeführt wird, fehlt es aus strafrechtstheoretischer Sicht hinsichtlich des Todes des Suizidenten an einem Erfolgsunrecht, das dem Helfer zugerechnet werden könnte. Da niemand in strafrechtlich relevanter Weise seine eigenen Rechtsgüter angreifen kann (Roxin 2006:§ 13, Rn. 12), kann auch in der Beihilfe zu einem eigenverantwortlichen Suizid kein rechtswidriger Angriff auf ein fremdes Rechtsgut liegen. Aber auch ein Handlungsunrecht liegt nicht vor, solange der Teilnehmer weiß, dass der Suizident freiverantwortlich handelt und seinen eigenen Beitrag hiervon abhängig macht. Dies gilt sogar dann, wenn der Teilnehmer zugleich selbstsüchtige Motive verfolgt, denn das strafwürdige Unrecht würde sich sonst allein aus einer missbilligenswerten Gesinnung ergeben.19
Gegen eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung von Suizid und Handlungen Dritter, die diesen fördern, spricht zudem, dass staatliche Verbote der Beihilfe zum Suizid nicht nur die Grundrechte derjenigen betreffen, die einem Angehörigen oder einem Patienten bei dessen freiverantwortlichen Suizid beistehen möchten. Als indirekt paternalistische Normen (Fateh-Moghadam 2010a: 24) greifen sie in gleicher Weise in das Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten ein, der für die Beendigung seines Lebens die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen möchte oder hierauf sogar zwingend angewiesen ist. Das Verbot der Suizidbeihilfe kann darüber hinaus sogar die abwehrrechtliche Dimension des Grundrechts auf Leben unheilbar erkrankter Personen betreffen, weil diese sich gezwungen sehen können, bereits zu einem so frühen Zeitpunkt aus dem Leben zu scheiden, dass sie hierzu noch ohne fremde Hilfe in der Lage sind.20
Dass die Gesellschaftsbezogenheit der Suizidbeihilfe21 keinen normativen Grund für eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts des Suizidenten bildet, zeigt schließlich die neuere Rechtsprechung zum Behandlungsabbruch nach Maßgabe des Patientenwillens.22 Danach hängt die Rechtfertigung sogar der tatherrschaftlichen Herbeiführung des Todes eines Patienten durch Dritte allein davon ab, dass der Behandlungsabbruch dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entspricht. Dies muss erst Recht gelten, wenn der Dritte dem Patienten lediglich dabei hilft, eine lebenserhaltende Behandlung selbst abzubrechen und damit Beihilfe zu einem Suizid leistet. All dies zeigt, dass die Förderung einer vom Staat nicht zu bewertenden rechtmäßigen Handlung als solche nicht ohne Wertungswidersprüche als rechtswidrig qualifiziert werden kann.
3. Sicherung der Freiverantwortlichkeit des Suizids als legitimes Regulierungsziel
In neutralitätskonformer Weise lassen sich gesetzliche Beschränkungen der Suizidbeihilfe nur dann rechtfertigen, wenn sie der Sicherung der Freiverantwortlichkeit des Suizids dienen (Dworkin et al. 1997) und damit zugleich eine Bewertung des freiverantwortlichen Suizids vermeiden. Eine solche autonomie-orientierte, „weich“ paternalistische Regelung der Suizidbeihilfe setzt indes zum einen voraus, dass der von der Norm vorausgesetzte Zusammenhang zwischen den Umständen der Beihilfehandlung und einer erhöhten Gefahr der fehlenden Freiverantwortlichkeit des Suizids plausibel gemacht werden kann (Fateh-Moghadam 2010a:37; Geth 2012:75). Zum anderen darf die Verbotsnorm die Grundrechte von Patient_innen mit Sterbewunsch und potentiellen Helfer_innen nicht unverhältnismäßig beschränken. Prozeduralen Modellen der Absicherung der Freiwilligkeit des Suizids im Wege von Einzelfallprüfungen gebührt daher der Vorrang vor pauschalen Verboten bestimmter Formen der Suizidbeihilfe. Die derzeit diskutierten Gesetzentwürfe werden diesen Rechtfertigungsbedingungen, wie abschließend zu zeigen ist, nur teilweise gerecht.
V. Bewertung der aktuellen Gesetzentwürfe
Die bisher vorgestellten Gesetzentwürfe zur Suizidbeihilfe wurden in diesem Heft  bereits ausführlich dokumentiert. Die mit ihnen umgesetzten Positionen reichen von einer umfassenden Kriminalisierung der Beihilfe zum Suizid (Entwurf Sensburg,  Doerflinger et al.)23, der Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Entwurf Brand, Griese et al)24, der Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung in Verbindung mit strafbewehrten Verfahrensregelungen für die geschäftsmäßige Suizidhilfe (Entwurf Künast, Sitte et al.)25, bis hin zum Vorschlag auf den Einsatz des Strafrechts zu verzichten und gleichzeitig zivilrechtlich klarzustellen, dass die ärztlich begleitete Lebensbeendigung unter spezifischen Voraussetzungen zulässig ist (Entwurf Reimann, Hintze et al.).26 Daneben gibt es einen Antrag der sich dafür ausspricht an der bestehenden Rechtslage festzuhalten und insbesondere auf neue Straftatbestände für die Suizidbeihilfe zu verzichten (Antrag Keul).27 Gemeinsam ist den ersten drei der genannten Gesetzentwürfe eine repressive und punitive Tendenz, die sich darin ausdrückt, dass auf vermeintliche oder tatsächliche Gefährdungslagen im Bereich der Suizidbeihilfe vorrangig durch den exzessiven Einsatz des Strafrechts reagiert werden soll.28
1. Das kategorische Verbot der Suizidbeihilfe
Das kategorische Verbot der Förderung der Hilfe zur Selbsttötung gemäß dem Gesetzentwurf von Sensburg und Doerflinger 29 bestätigt die hier behauptete Abhängigkeit der rechtlichen Bewertung der Beihilfehandlung von der Bewertung des Suizids unter umgekehrten Vorzeichen. Dem Entwurf liegt die im säkularen Rechtsstaat unhaltbare Prämisse zugrunde, dass der Suizid(-versuch) selbst rechtswidrig sei und lediglich deshalb nicht bestraft würde, weil der den Selbstmordversuch Überlebende ausreichend durch die Folgen seiner Tat gestraft sei.30 Die Gesetzesbegründung zielt auf den Schutz der Unverfügbarkeit des Lebens, indem sie Art. 1 Abs. 1 GG von einer Grundnorm personaler Autonomie31 in einen staatlichen Eingriffstitel umdeutet, der den Bereich geschützter Autonomie begrenzt. Mit dem behaupteten Widerspruch zwischen Selbsttötung und Autonomie wird in der Sache eine Rechtspflicht zum Weiterleben um jeden Preis postuliert, die sich nicht ohne Rückgriff auf partikulare religiöse oder weltanschauliche Vorstellungen begründen lässt und damit das Gebot der Begründungsneutralität verletzt.
Ein kategorisches Verbot der Beihilfe zum Suizid wäre mit Blick auf die betroffenen Grundrechte darüber hinaus selbst dann unverhältnismäßig (Lindner 2013, 138; Hilgendorf 2014, 551), wenn man es begründungsneutral als abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutz vor defizitären Suizidentscheidungen konzipieren würde. Diese Auffassung wird durch ein historisches Urteil des Supreme Court of Canada bestätigt, der das kategorische Verbot der Beihilfe zum Suizid des kanadischen Strafrechts für verfassungswidrig erklärt hat.32 Der Umgang eines Menschen mit einer schweren und nicht heilbaren Erkrankung, einschließlich der Entscheidung das Leben zu beenden, sei ein zentrales Element seiner Würde und seiner Autonomie (Carter v. Canada (Attorny General), 2015 SCC 5:Rn. 75). Das gesetzgeberische Ziel, besonders verletzliche Personen davor zu bewahren, in einem Moment der Schwäche zum Suizid verleitet zu werden, trage jedenfalls kein pauschales Verbot der Beihilfe zum Suizid.
Ein solches Gesetz sei nicht nur nicht erforderlich im Sinne der Existenz milderer Mittel, sondern es sei overbroad (ebenda:Rn. 85 ff), also in seinem Anwendungsbereich zu breit, weil es auch unheilbar erkrankte Patienten erfasse, die sich autonom, rational und stabil dafür entschieden haben, ihr Leben zu beenden. Das pauschale Verbot erfasse mithin Verhaltensweisen, die in keinem Zusammenhang mit dem  – einzig legitimen – Ziel des Schutzes vor nicht frei verantwortlichen Suiziden stünden. Den allgemeinen Lebensschutz („the preservation of life“) als Ziel des Verbotes der Suizidbeihilfe anzusehen (Rn. 75), weist das Gericht dagegen ausdrücklich zurück, was im Hinblick auf die im common law verbreitete Doktrin der sanctity of life (Fateh-Moghadam 2010b: 925) bemerkenswert ist.
2. Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
Die zweitrestriktivste Strategie zielt auf die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Entwurf Brand, Griese et al.)33 Geschäftsmäßig handelt nach herkömmlicher und auch von den Entwurfsverfassern geteilter Ansicht bereits derjenige, der die Wiederholung gleichartiger Tätigkeiten zum Gegenstand seiner Beschäftigung machen will (Fischer 2015, Vor. § 52, Rn. 63). Im Unterschied zum Kriterium der Gewerbsmäßigkeit kommt es weder auf das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht noch überhaupt auf einen Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit an.34 Damit würde indes nicht nur die Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen umfassend kriminalisiert, sondern auch der ärztlich assistierte Suizid. Palliativmediziner_innen werden zwar selten, im Zweifel aber nicht nur einmal mit dem Suizidwunsch ihrer Patient_innen konfrontiert (Schildmann et al 2015:22). Entschließt sich eine Ärztin bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen den Suizid ihrer unheilbar erkrankten Patientin zu begleiten, so wird sie dies in vergleichbaren Fällen ebenso handhaben wollen. Bereits der erstmalige ärztlich begleitete Suizid wäre somit auf Wiederholung angelegt und damit als strafbare geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung zu qualifizieren.
Gegen ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids spricht vor allem, dass es  sich nicht begründen lässt, wie aus einer rechtmäßigen Suizidbeihilfe durch bloße Wiederholung bzw. Wiederholungsabsicht strafrechtliches Unrecht entstehen soll. Geschäftsmäßigkeit ist ein Steigerungsbegriff, der sich allenfalls zur Quantifizierung begangenen Unrechts – im Rahmen der Strafzumessung oder eines Qualifikationstatbestandes – nicht aber als unrechtskonstituierendes Tatbestandsmerkmal eignet. Eine absurde Konsequenz der Regelung wäre, dass sich jedermann dafür entscheiden könnte, einmal im Leben Beihilfe zum Suizid zu leisten, nicht aber dazu, dies unter identischen Rahmenbedingungen zu wiederholen.
Die Entwurfsbegründung legt auch nicht plausibel dar, dass das Vorliegen von Geschäftsmäßigkeit seitens des Sterbehelfers die Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches des Patienten bedrohen würde. Diesen Zusammenhang verfehlt insbesondere das Normalisierungsargument. Das Gesetz soll gemäß seiner Begründung die „gesellschaftliche Normalisierung“ der Suizidbeihilfe verhindern und gewährleisten, dass diese nicht als „normale Therapieoption“ verstanden würde. Normalisierung verweist auf eine quantitative, auf die Gesamtbevölkerung oder ein Patientenkollektiv bezogene Größe. Als solche steht sie in keinem Zusammenhang mit der individuellen Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches. Der pauschale Hinweis auf einen diffusen Erwartungsdruck und Eigeninteressen der Suizidhelfer_innen genügt nicht, um ein erhöhtes Risiko für defizitäre Entscheidungen von Suizidwilligen plausibel zu machen. Das Normalisierungsargument beruht damit letztlich auf einer neutralitätswidrigen negativen Bewertung des freiverantwortlichen Suizids.

3. Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe
Der Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (Künast, Sitte et al.)35 hält an der grundsätzlichen Straflosigkeit der Hilfe zum Suizid fest und stellt klar, dass Ärzt_innen Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen (§§ 1 Nr. 3 und 2 Abs. 2 des Entwurfes). Strafrechtlich verboten wird jedoch die gewerbsmäßige Hilfe zur Selbsttötung, während die organisierte und geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung an eine Reihe von strafrechtlich abgesicherten Verfahrensvorschriften, insbesondere an eine umfassende Beratungspflicht geknüpft werden soll. Insgesamt formuliert der sich liberal und strafrechtsskeptisch präsentierende Entwurf nicht weniger als zehn neue Straftatbestände.36 Wie schon im Falle des im Vorfeld der Bundestagsdebatte lancierten Gesetzentwurfs „Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben“ (Borasio, Jox et al. 2014)37, wird hier die Liberalisierung des Standesrechts durch eine erhebliche Verschärfung des Strafrechts erkauft. Die liberale Selbstcharakterisierung beider Entwürfe beruht damit auf einem Kategorienfehler: Sie zielen auf eine Änderung des allgemeinen Strafrechts, messen sich in der Bewertung ihrer freiheitsbeschränkenden Konsequenzen aber nicht am geltenden Strafrecht, sondern an hiervon teilweise abweichenden (verfassungswidrigen) Regelungen des Standesrechts. Hieran zeigt sich einmal mehr, dass es zu rechtsstaatlichen Kollateralschäden führt, wenn sich der medizinstrafrechtliche Diskurs von den Selbstbeschreibungen der medizinischen Profession und den Institutionen ihrer Selbstorganisation abhängig macht.
Mit Blick auf die Kriminalisierung der gewerbsmäßigen Beihilfe zum Suizid gilt, ähnlich wie im Falle der Geschäftsmäßigkeit, dass auch insoweit der behauptete Zusammenhang zwischen der Kommerzialisierung der Beihilfe zum Suizid und der Unfreiwilligkeit des Sterbewunsches nicht plausibel gemacht wird. Im Kontext einer kapitalistischen Marktwirtschaftsordnung, die auch den Bereich der medizinischen Versorgung durchdringt, ist es schwer begründbar, warum gerade beim assistierten Suizid die Gewerbsmäßigkeit eines Angebots mit der Entscheidungsfreiheit des Patienten nicht vereinbar sein soll (Henking 2015:179). Dass man „mit dem Tod keine Geschäfte machen solle“, wie vielfach betont wird, deutet denn auch eher auf eine allein an der sozialethischen Verwerflichkeit orientierte, moralistische Norm hin, die den Anforderungen an die strafrechtliche Normenbegründung im Rechtsstaat nicht gerecht wird (Neumann/Saliger 2006:288). Erwägenswert wäre es allenfalls, Patient_innen mit Suizidwunsch vor einer wucherischen Ausbeutung einer Zwangslage zu schützen (Schroth 2006, 571). Dies würde indes einen wucherähnlichen Straftatbestand voraussetzen, der auf den Schutz vor der Ausbeutung einer Zwangslage bei gleichzeitigem Vorliegen eines groben Missverhältnisses von Angebot und Leistung zielt.
Die strafbewehrte Beratungspflicht für Formen organisierter oder geschäftsmäßiger Hilfe zur Selbsttötung (§ 9 iVm §§ 3, 7 und 8 des Entwurfs) statuiert ein prozedurales Strafrecht, bei dem es für die Strafbarkeit nicht darauf ankommt, ob der Suizid tatsächlich freiverantwortlich durchgeführt wurde oder nicht, sondern allein auf die Nichtbeachtung bestimmter Verfahrensvorschriften. Die verfahrensmäßige Absicherung von Autonomiebedingungen bei der Beihilfe zur Selbsttötung ist mit dem hier vorgeschlagenen Legitimationsmodell der Begründungsneutralität grundsätzlich vereinbar. Die zehn unterschiedlichen Tatvarianten kriminalisieren aber in geradezu exzessiver Weise die Verletzung von neu geschaffenen Beratungs- und Informationspflichten, die sich weit im Vorfeld einer möglichen Gefährdung von Patient_innen bewegen, wie etwa die Pflicht von Mitarbeiter_innen eines Hospizes oder eines Krankenhauses, die Leitung des Hauses unverzüglich darüber zu informieren, dass sie um Hilfe zur Selbsttötung gebeten wurden. Grob wertungswidersprüchlich ist zudem, dass § 9 iVm § 3 Abs. 1 des Entwurfs die Hilfe zu einer nicht freiverantwortlichen Selbsttötung auf derselben Unrechtsstufe ansiedelt wie Verstöße gegen bloße Verfahrensvorschriften (§ 9 iVm § 3 Abs. 1 des Entwurfs). Damit würde der Unterschied zwischen einer bloß abstrakten Gefährdung der körperlichen Dispositionsfreiheit durch einen Verfahrensverstoß und ihrer Verletzung willkürlich eingeebnet. Schließlich wird die kriminalpolitische Notwendigkeit einer umfassenden Regulierung und Pönalisierung des Verfahrens bei organisierter und geschäftsmäßiger Sterbehilfe nicht hinreichend durch gesicherte empirische Erkenntnisse über existierende Missstände gestützt.
4. Klarstellung der Zulässigkeit ärztlich begleiteter Lebensbeendigung im Zivilrecht
Auf systematisch elegante Weise löst der Entwurf Reimann, Hintze et al.38 die Aufgabe, die rechtliche Zulässigkeit ärztlich begleiteter Lebensbeendigung klarzustellen, deren Voraussetzungen gesetzlich zu konkretisieren und zugleich auf eine Verschärfung des Strafrechts zu verzichten. Es ist der einzige vorliegende Gesetzentwurf, der konsequent auf eine zusätzliche Pönalisierung verzichtet.39 Die Entwurfsbegründung betont, insoweit durchaus in Übereinstimmung mit dem hier entwickelten Standpunkt, die Pluralität religiöser, weltanschaulicher und moralischer Einstellungen zur Hilfe zum Suizid, den Charakter der Suizidassistenz als höchstpersönliche Gewissensentscheidung und die fehlende Berührung von Rechtsgütern Dritter oder der Allgemeinheit.40 Vor diesem Hintergrund zielt der Entwurf gemäß seinem eigenen Anspruch darauf, „die unterschiedlichen Orientierungen in der Gesellschaft und innerhalb der Ärzteschaft gleichermaßen Geltung zu verschaffen und zugleich ein hohes Maß an Schutz vor übereilten und medizinisch nicht ausreichend fundierten Entscheidungen zu gewährleisten“.41 Umgesetzt wird das strafrechtsskeptische Regelungsmodell durch eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. In einem neu zu schaffenden eigenen Abschnitt im Familienrecht (4. Buch) mit dem Titel „Selbstbestimmung des Patienten“ soll E-§ 1921a BGB („Ärztlich begleitete Lebensbeendigung“) klarstellen, dass Patienten bei der selbst vollzogenen Beendigung ihres Lebens die Hilfestellung eines Arztes „zur Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens“ in Anspruch nehmen können. Als materielle Voraussetzungen des ärztlich assistierten Suizids werden die Volljährigkeit und Einwilligungsfähigkeit der Patient_innen, deren ernsthafter und endgültiger Sterbewunsch sowie eine unheilbare Erkrankung, die unumkehrbar zum Tode führt genannt. Hinzu kommt in prozeduraler Hinsicht die Notwendigkeit einer ärztlichen Beratung insbesondere über andere Behandlungsmöglichkeiten und die medizinische Feststellung der Unumkehrbarkeit des Krankheitsverlaufs sowie die Wahrscheinlichkeit des tödlichen Verlaufs, wobei sämtliche Voraussetzungen durch einen zweiten Arzt bestätigt werden müssen.
Die doppelte Stoßrichtung des Entwurfs, einerseits Klarstellung der Zulässigkeit des ärztlich assistierten Suizids, andererseits Verhinderung der Beihilfe zu nicht freiverantwortlichen Suiziden, ist überzeugend. Problematisch ist indes, dass der Entwurf die Rechtmäßigkeit des ärztlich assistierten Suizids wie oben beschrieben von der Art und dem Stadium einer Erkrankung sowie von dem – hochgradig unbestimmten – Kriterium der „Wahrscheinlichkeit des Todeseintritts“ abhängig macht. Eine solche „Reichweitenbeschränkung“ für die Maßgeblichkeit des freiverantwortlichen Willens des Patienten ist ebenso wie im Falle der Patientenverfügung (§ 1901 a BGB) abzulehnen.42 Sie schränkt das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Tod auf eine Weise ein, die mit dem Recht auf neutrale Rechtfertigung von Freiheitseingriffen nicht vereinbar ist. Zwar sind die in E-§ 1921 a BGB genannten Voraussetzungen nicht selbständig strafbewehrt und lassen daher den Grundsatz der Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid unberührt,43 sie formulieren aber außerstrafrechtliche Rechtmäßigkeitsbedingungen für den ärztlich assistierten Suizid, die u.a. zivilrechtlich, berufsrechtlich und versicherungsrechtlich relevant sind. Als solche bringen Sie zum Ausdruck, dass die Hilfestellung eines Arztes zu einem Suizid in allen anderen Fällen auch dann von der Rechtsordnung missbilligt wird, wenn dieser freiverantwortlich erfolgt. Damit ist eine negative ethische Bewertung des freiverantwortlichen Suizids von nicht unheilbar erkrankten und unmittelbar vom Tode bedrohten Patienten verbunden, die gegen das Neutralitätsgebot verstößt. Denn Anforderungen an Art und Stadium der Erkrankung eignen sich nicht dazu, die Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches zu garantieren. Die gesetzliche Formulierung von objektiven Kriterien für die Plausibilität des Sterbeverlangens setzt sich vielmehr der zusätzlichen Kritik aus, dass damit implizit die Lebensinteressen von Patienten im Endstadium einer Erkrankung abgewertet werden, was mit der Gleichwertigkeit allen menschlichen Lebens unvereinbar ist. Vor diesem Hintergrund sollte eine gesetzliche Klarstellung der Zulässigkeit auch des ärztlich assistierten Suizids von einer Reichweitenbeschränkung in Bezug auf die Art und Stadium der Erkrankung des Patienten absehen. Daher gilt auch für diesen Entwurf, jedenfalls in seiner derzeitigen Fassung, dass die mit der (Zwangs-)Liberalisierung des Standesrechts verbundenen Kosten für die Liberalität und Rechtsstaatlichkeit des allgemeinen Rechts der Suizidbeihilfe zu hoch sind.
VI. Fazit
Das Recht auf neutrale Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen sperrt sich gegen moralistisch und paternalistisch begründete strafrechtliche Verbote der Suizidbeihilfe. Die rechtliche Regulierung der Suizidbeihilfe darf insbesondere weder direkt noch indirekt eine ethische Bewertung des freiverantwortlichen Suizids implizieren. Die Förderung einer rechtmäßigen Handlung kann, als solche, nicht ohne Wertungswiderspruch als rechtswidrig qualifiziert werden. In neutralitätskonformer Weise lassen sich allein solche Beschränkungen der Suizidbeihilfe legitimieren, die das „weich“ paternalistische Ziel verfolgen, die Freiverantwortlichkeit des Suizids abzusichern. Im Kontrast hierzu erweisen sich die gegenwärtig diskutierten pauschalen Verbote von gewerbsmäßiger, geschäftsmäßiger oder gar jeglicher Hilfe zur Selbsttötung als Ausdruck des Versuchs einer Re-Ethisierung des Strafrechts, die die Fundamente des hier skizzierten Neutralitätsliberalismus angreift. Eine gesetzliche Klarstellung, dass auch Ärzt_innen im Rahmen ihrer Berufs- und Gewissensfreiheit den freiverantwortlichen Suizid eines Patienten begleiten dürfen ohne negative standesrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen, wäre dagegen wünschenswert. Damit würde betroffenen Patient_innen die Möglichkeit eröffnet, sich mit ihrem Wunsch nach begleitetem Sterben an die Ärzte ihres Vertrauens zu wenden. Diese Stärkung des Vertrauensverhältnisses zwischen Ärzt_innen und Patient_innen würde eine größere suizidprophylaktische Wirkung entfalten als strafrechtliche Verbote und zugleich die Inanspruchnahme organisierter Sterbehilfe praktisch weitgehend überflüssig machen. Eine Verschärfung des Strafrechts der Suizidbeihilfe ist dagegen kriminalpolitisch nicht geboten und im Übrigen an enge rechtsstaatliche Grenzen gebunden.

BIJAN FATEH-MOGHADAM   Dr. jur. Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Westfälischen-Wilhelms-Universität Münster, Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne“ und vertritt gegenwärtig den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sein Forschungsinteresse gilt einer grundlagenorientierten, international und interdisziplinär ausgerichteten Strafrechtswissenschaft mit einem besonderen Schwerpunkt im Medizinstrafrecht.
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Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Gesetzesentwurf der MdB Hintze/Reimann et. al. „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung (Suizidhilfegesetz)“ vom 30.6.2015, BT-Drs. 18/5374
Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Gesetzesentwurf der MdB Künast/Sitte et. al. „Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung“ vom 30.6.2015, BT-Drs. 18/5375
Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Gesetzesentwurf der MdB Sensburg/Doerflinger zur „Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung“ vom 30.6.2015, BT-Drs. 18/5376
Anmerkungen:

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