Beitragsbild Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“
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Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“

in: vorgänge 210/211 (2+3/2015), S. 234f.

Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“

Beginnend mit Irmtrud Wojaks Habilitationsschrift „Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie“ (2009) und Ilona Zioks Dokumentarfilm „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ (2010) erlebten Fritz Bauer und sein Werk in der breiteren Öffentlichkeit eine kleine Renaissance. Das zeigt sich auch an den seitdem nach ihm benannten Straßen und Plätze. 2013 erschienen – fünfzig Jahre nach dem Beginn des Auschwitz-Prozesses – zahlreiche Artikel, die auf Bauers Rolle als Initiator und Wegbereiter bei dem Prozess hinwiesen. Im gleichen Jahr veröffentlichte Ronen Steinke seine populär geschriebene Biographie „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“. In Frankfurt, Erfurt und Stuttgart wurde die vom Fritz-Bauer-Institut kuratierte Ausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“ 2014 und 2015 gezeigt. 2014 widmete Christian Petzold sein düsteres Nachkriegsdrama „Phoenix“ Fritz Bauer (auch wenn das wohl nur wenige mitbekommen haben). Schließlich tauchte Fritz Bauer (gespielt von Gert Voss) als wichtige Nebenrolle in Guido Ricciarellis „Im Labyrinth des Schweigens“ auf, der die Vorgeschichte zum Auschwitz-Prozess erzählt.

Ab dem 1. Oktober läuft, als aktueller Höhepunkt der Bauer-Renaissance, Lars Kraumes Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ mit Burghart Klaussner als Fritz Bauer an. Kraume wurde bekannt durch Kinfofilme wie „Meine Schwestern“, „Die kommenden Tage“ oder „Keine Lieder über die Liebe“ sowie TV-Filme wie „Dengler: Die letzte Flucht“ (ebenfalls mit Ronald Zehrfeld), „Guten Morgen, Herr Grothe“ und mehrere „Tatorte“. Sein Film über Fritz Bauer gewann beim Filmfestival in Locarno bereits den prestigeträchtige Publikumspreis. Axel Bussmer stellt den Film vor und sprach mit dem Regisseur über seine Darstellung Bauers.

Kraume und sein Co-Drehbuchautor Oliver Guez konzentrierten sich in ihrem sehenswertem Biopic auf Bauers Rolle bei der Ergreifung des SS-Obersturmbannführers Adolf Eichmann 1960 in Argentinien. Der Film beginnt 1957, als Bauer einen glaubwürdigen Hinweis auf den Verbleib von Eichmann in Südamerika erhält. Weil er den deutschen Ermittlungsbehörden, die immer wieder seine Ermittlungen gegen Nazi-Verbrecher sabotieren, misstraut, entschließt er sich, Kontakt mit den israelischen Behörden aufzunehmen. Der Mossad soll Eichmann verhaften und dann nach Deutschland ausliefern, so Bauers Plan. Damit der funktioniert, darf niemand etwas davon erfahren. Denn juristisch handelt es sich um Landesverrat und viele warten nur darauf, dass sie Bauer bei einem Fehler erwischen.

Währenddessen wird der junge Staatsanwalt Karl Angermann sein Vertrauter. Angermann ist eine erfundene Figur, einer von Bauers Untergebenen, der ihn wegen eines Verfahrens gegen einen Strichjungen um Rat fragt. Dem Angeklagten wird wegen wechselseitiger Onanie ein Verstoß gegen den von den Nationalsozialisten verschärften § 175 Strafgesetzbuch vorgeworfen. Homosexuelle Handlungen werden regelmäßig mit einem längeren Gefängnisaufenthalt bestraft. Bauer weist den jungen Staatsanwalt auf das „Valentin-Urteil“ von 1951 hin, bei dem zwei Homosexuelle nur zu einer geringen Geldstrafe verurteilt wurden. Nachdem beide zueinander Vertrauen gefasst haben, bezieht Bauer Angermann in seine Suche nach weiteren, vom Mossad geforderten Beweisen über den Aufenthaltsort Eichmanns ein.

Diese Geschichte erzählt Kraume weitgehend in Dialogen, vielen Innenaufnahmen und stimmig ausgestattet. So entsteht schon auf der visuellen Ebene ein Gefühl für die damalige Zeit, in der die Bundesrepublik sich (noch) nicht mit dem Dritten Reich und den personellen, ideologischen und juristischen Kontinuitäten beschäftigen wollte. In diesem Umfeld ist Fritz Bauer ein einsamer Rufer in der Wüste, der nur wenige Unterstützer hat und auf die jungen Deutschen hofft. Diese Hoffnung drückt er auch in der TV-Sendung „Heute Abend Kellerklub“ aus. Im Film wird sie nachgestellt, obwohl der Auftritt erst Jahre später, im Dezember 1964, war.

Weil „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ein Spielfilm ist, nimmt sich Lars Kraume einige wenige dramaturgische Freiheiten. So erfindet er mit Karl Angermann eine Figur, die sich seiner Homosexualität stellen muss, während Bauer seine Homosexualität verheimlicht und auch verheimlichen musste, um als Generalstaatsanwalt seine selbstgewählte Mission zu verfolgen. Das SPD-Mitglied war, was im Film ausführlich gezeigt wird, aufgrund seiner Biographie als Flüchtling und Jude und aufgrund seiner Überzeugung, dass Deutschland sich seiner Vergangenheit stellen muss, vielfältigen Anfeindungen ausgesetzt. Die Drohbriefe gehörten dabei noch zu den kleineren Anfeindungen.

Die ausführliche Thematisierung der Homosexualität, die es vergleichbar auch in Morten Tyldums Alan-Turing-Biopic „The Imitation Game – Ein streng geheimes Leben“ (2014) gibt, zeigt uns, wie sehr sich die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Noch 1957 bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit des § 175 Strafgesetzbuch. Zwischen 1950 und 1957 wurden über 17.000 Männer wegen „Unzucht“ verurteilt. 1969 und 1973 wurde der Straftatbestand zwar reformiert, aber erst 1994 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Heute ist das einst strafbare Handeln, das bei den Betroffenen auch zu einem entsprechendem Verhalten führte, nicht nur straffrei, sondern auch  gesellschaftlich akzeptiert.

Im Zentrum des Films steht allerdings eine zweite, heute wieder aktuelle Frage: Was man als Einzelner tun soll, wenn der Staat unrecht handelt oder Unrecht verschweigt. Das zeigen der „Geheimnisverrat“ von Edward Snowden und die inzwischen eingestellten Ermittlungen gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrats.

Fast parallel zu Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“ entstand auch die SWR-Produktion „Der General“ von Stephan Wagner mit Ulrich Noethen als Fritz Bauer. Ein Sendetermin steht noch nicht fest. In jedem Fall wird Fritz Bauer und sein Werk wieder bekannter.

Der Staat gegen Fritz Bauer (Deutschland 2015)
Regie: Lars Kraume
Drehbuch: Lars Kraume, Olivier Guez
mit Burghart Klaussner (Fritz Bauer), Ronald Zehrfeld (Karl Angermann), Sebastian Blomberg (Ulrich Kreidler), Jörg Schüttauf (Paul Gebhardt), Lilith Stangenberg (Victoria), Götz Schubert (Georg-August Zinn), Michael Schenk (Adolf Eichmann)
Länge: 105 Minuten, FSK 12
Filmbewertungsstelle: besonders wertvoll
Webseite:
http://www.alamodefilm.de/kino/detail/der-staat-gegen-fritz-bauer.html

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