Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 239/240: Keine Chance für den Frieden?

Der vermeidbare Ukrai­ne-­Krieg und die politischen Interessen

Gustav Heinemann hat der Friedensforschung einst empfohlen, sich verstärkt auf Kriegsvermeidung zu konzentrieren. Wolfram Wette greift diese Empfehlung im folgenden Beitrag auf und stellt die Frage, ob und wie der Ukraine-Krieg hätte verhindert werden können. Kriege als Menschenwerk zu begreifen heißt, dass sie grundsätzlich vermeidbar sind. Der Frieden muss aber politisch gewollt sein. In dieser Hinsicht sieht der Autor eine Reihe von Versäumnissen auf Seiten des Westens. Insofern schließt er sich der Einschätzung Klaus v. Dohnanyis an: „Putin ist der Aggressor, aber die Möglichkeit, den Krieg zu verhindern, lag beim Westen.“ Perspektivisch plädiert Wette für eine Wiederaufnahme der Vision vom „Gemeinsamen Haus Europa“ – verbunden mit der Idee der „Gemeinsamen Sicherheit.“

 

Vorbemerkung

Die deutsche Bundesregierung hat sich klar positioniert: Gegen den russischen Aggressor und für die angegriffene Ukraine. Die Unterstützung geschieht auf vielfältige Weise, von humanitärer Hilfe – für inzwischen mehr als einer Million ukrainischer Flüchtlinge – über Zuschüsse für den Unterhalt der staatlichen Struktur der Ukraine bis hin zu Waffenlieferungen, schwere Waffen eingeschlossen. Letztere sind wegen ihrer potentiell eskalierenden Wirkung höchst problematisch und daher umstritten. Denn wer kann ausschließen, dass diese Waffen der anderen Seite als Rechtfertigung für einen Krieg unter Einschluss von Atomwaffen dienen könnten?

Obwohl dieser Krieg weit entfernt stattfindet, belastet er uns psychisch. Wir fühlen mit der ukrainischen Zivilbevölkerung, mit den ukrainischen Soldaten. Gleichermaßen fühlen wir – das gilt zumindest für mich – mit den russischen Soldaten, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in diesen Krieg geführt wurden und die durch Propaganda ihrer Regierung noch immer irregeführt werden, Stichwort „militärische Spezialoperation“. Viele Informationen tragen den Stempel der Kriegspropaganda, sind also an Feindbildern orientiert. Unsere Medien berichten und kommentieren in ihrer großen Mehrheit in den Bahnen des transatlantischen Mainstreams.i Andere Sehweisen bleiben unterbelichtet. Sie haben es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Was können wir glauben? Wem können wir glauben? Viele Kriegslügen werden erst in Jahrzehnten durch Historiker nach dem Studium der geheimen Akten geklärt werden können. Über die Kriegsschuld von 1914 wird noch heute gestritten.

Wolfram Wette Prof. i.R., Dr. phil., geb. 1940, Historiker, 1971-1995 Militärgeschichtliches Forschungsamt, dann Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Mitbegründer der Historischen Friedensforschung; Mitherausgeber der Reihen „Geschichte und Frieden“ und „Frieden und Krieg“; Ehrenprofessor der russischen Universität Lipezk. Jüngste Veröffentlichung zum Friedensthema: Ernstfall Frieden. Lehren aus der deutschen Geschichte seit 1914. Bremen 2017.

Anmerkungen:

i Siehe Richard David Precht/Harald Welzer: Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. Frankfurt/M. 3. Aufl. 2022.

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