Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 239/240: Keine Chance für den Frieden?

Staatliche Reaktion auf Klima­pro­teste aus der Perspektive des inter­na­ti­o­nalen Menschen­rechts­schutzes – Versuch einer Einordnung

Neue Protestformen gegen unzureichenden Klimaschutz, insbesondere das Ankleben von Personen auf Straßen, Start- und Landebahnen von Flughäfen sowie an Kunstwerken, führen immer wieder zu Behinderungen im täglichen Leben. Regelmäßig geht die Polizei dagegen vor, wobei umstritten ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen für das polizeiliche Einschreiten immer gegeben sind. Dies hat zu politischen Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts und einem härteren Vorgehen gegen die Proteste geführt. Teilweise werden die Klimaaktivist* innen als Extremisten beschrieben, die an die frühere RAF erinnerten.

In Medien und Fachöffentlichkeit wird der Umgang mit diesen Protestformen kontrovers diskutiert. Dabei wird ein breites Spektrum grundsätzlicher Fragen hinsichtlich der Legitimität der Proteste, seines verfassungsrechtlichen Schutzes, dem Charakter als ziviler Ungehorsam, der Angemessenheit strafrechtlicher Normen im Umgang hiermit und der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft bei der Umsetzung internationaler Verpflichtungen zum Klimaschutz aufgeworfen. Der folgende Beitrag untersucht die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen und für den staatlichen Umgang mit Klimaprotesten.

Inter­na­ti­o­nale Menschen­rechte und Klimawandel

Der Klimawandel stellt für den internationalen Menschenrechtsschutz eine besondere Herausforderung dar. (Humphreys 2010) Aufgrund als gesichert geltender wissenschaftlicher Erkenntnisse können Szenarien nach Ort, Zeit, betroffenen Personen und Handlungsabläufen entwickelt werden, die unmittelbar mit der Erderwärmung zusammenhängen. Teilweise sind die Gefahren bereits in Schädigungen umgeschlagen. Die gesamte Situation ist für bestimmte Regionen, Wirtschaftssektoren und gesellschaftliche Kontexte dokumentiert. (IPCC 2022)

Der Klimawandel wirkt sich direkt negativ auf die Rechte der Menschen auf Leben, Gesundheit, Wohnen, Wasser und Nahrung aus. Diese negativen Auswirkungen werden mit der Zeit exponentiell zunehmen. Durch staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung und zum Ausgleich des Klimawandels werden schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen, darunter Frauen, Kinder, ältere Menschen, indigene Völker, Minderheiten, Migranten, Landarbeiter, Menschen mit Behinderungen und die Armen mindestens indirekt in weiteren Rechten betroffen sein. (United Nations 2022)

Während die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten grundsätzlich darauf beschränkt sind, den Rechten Wirksamkeit zu verleihen, liegen die Umsetzungsmaßnahmen aber in ihrer nationalen Entscheidung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Klimawandel nur innerhalb eines engen Zeitfensters verhindert werden kann, indem die anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen begrenzt werden. Die Wirkung ordnungspolitischer Maßnahmen auf die Emissionsmenge kann gemessen und damit ihre Schutzwirkung für die Menschenrechte bewertet werden.

Durch den Zeitfaktor und die Transparenz staatlicher Maßnahmen wird der Entscheidungsspielraum der Staaten und ihrer Gesetzgebungsorgane zunehmend eingeschränkt. Der IPCC-Bericht zeigt auf, dass die 1,5°C-Grenze immer noch erreichbar ist, und skizziert die kritischen Maßnahmen, die in allen Sektoren und von jedem Einzelnen auf nationaler und internationaler Ebenen erforderlich sind. Unterschiedliche politische Systeme reagieren auf diesen Verlust von Gestaltungsmacht mit unterschiedlichen Maßnahmen. Gemeinsam ist ihnen laut IPCC jedoch, dass die Maßnahmen fragmentiert bleiben, nur langsam ergriffen werden, nicht sektorübergreifend und ungleich über die Regionen verteilt sind. Haupthindernisse für effektive staatliche Maßnahmen sind u.a. begrenzte Ressourcen, mangelndes Engagement des Privatsektors und der Bürger, unzureichende Mobilisierung der Gesellschaften, unzureichende Finanzmittel (auch für die Forschung), geringe Klimakompetenz, mangelndes politisches Engagement, und ein geringes Bewusstsein für die Dringlichkeit der Situation in der Bevölkerung. Nach Einschätzung des IPCC „[…] ist die Zivilgesellschaft weitgehend der einzige verlässliche Motor, der die Institutionen dazu bringt, sich in dem erforderlichen Tempo zu verändern“. (IPCC 2023)

Fraglich ist, welche Auswirkungen internationale Menschenrechtsverpflichtungen als Ausdruck konkreter Unrechtserfahrungen in dieser Situation gesellschaftlicher Umbrüche auf den Umgang mit Klimaprotesten in Deutschland haben könnten.

Rechtliche Einordnung staatlicher Maßnahmen des Klima­schutzes in Deutschland

Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG enthält eine positive Verpflichtung des Staates, die Bürger im Rahmen seiner Möglichkeiten vor Gefährdungen zu schützen.

Der Klimawandel ist nach Erkenntnis des BVerfG eine internationale Herausforderung. Darum ist Deutschland verpflichtet, eine Lösung des Klimaschutzproblems auch auf internationaler Ebene zu suchen. Die Pflicht, gegen Gefahren des Klimawandels zu schützen, verlangt ein international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung (z.B. durch Verhandlungen, in Verträgen oder in Organisationen) auf Klimaschutzaktivitäten hinzuwirken, in die eingebettet dann nationale Maßnahmen ihren Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels leisten. Das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot in Art. 20a GG hat so von vornherein auch eine internationale Dimension.

Andererseits verpflichtet Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Staat auch, soweit der Klimawandel nicht aufgehalten werden kann oder bereits eingetreten ist, den dadurch verursachten Gefahren durch positive Schutzmaßnahmen zu begegnen. Trotz der Fortschritte der Klimamaßnahmen bestehen Anpassungs- und Abmilderungslücken. Diese werden bei den derzeitigen Umsetzungsraten zunehmen. Harte und weiche Fristen für die Anpassung sind in einigen Ökosystemen und Regionen bereits abgelaufen.

Soweit noch wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge bestehen, schließt die durch Art. 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht nach dem BVerfG ein, bereits belastbare Hinweise für die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Die Schutzpflicht des Staates greift nicht erst dann, wenn Verletzungen bereits eingetreten sind, sondern ist auch in die Zukunft gerichtet. Fraglich ist, wie die internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands diese allgemeinen Schutzpflichten konkretisieren können.

Verpflich­tungen aus inter­na­ti­o­nalen Menschen­rechts­ver­trägen

Nach den Menschenrechtsverträgen sind die Staaten verpflichtet, die größtmöglichen Mittel für die schrittweise Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie für den Schutz und die Förderung der bürgerlichen und politischen Rechte zu mobilisieren und bereitzustellen. Eine abnehmende Wirksamkeit von Menschenrechten auf nationaler Ebene bedeutet grundsätzlich eine Verletzung dieser Vertragsverpflichtungen. Das Versäumnis, angemessene Maßnahmen zu ergreifen und die dafür notwendigen Ressourcen zu mobilisieren, um vorhersehbare Menschenrechtsverletzungen durch den Klimawandel zu verhindern, verstößt gegen diese Verpflichtung.

Wichtig für die Qualität wirksamer staatlicher Maßnahmen ist neben dem Ergebnis auch das Verfahren, in dem sie getroffen werden. Menschenrechtliche Verpflichtungen erfordern für die Rechtfertigung staatlicher Eingriffen die Abwägung aller betroffenen Interessen. (Fremuth 2019) Darüber hinaus garantieren der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und andere Menschenrechtsverträge allen Menschen das Recht auf freie, aktive, sinnvolle und informierte Beteiligung an öffentlichen Angelegenheiten. Diese internationalen Verpflichtungen bilden den Maßstab für wirksame, auf Rechten basierende Klimaschutzmaßnahmen und erfordern offene und partizipative Institutionen und Prozesse sowie genaue und transparente Messung der Wirkungen von Maßnahmen auf Treibhausgasemissionen. Hierfür sollten besonders die internationalen Richtlinien für die Beteiligung von verletzlichen Personen, Gruppen und Völkern an Entscheidungsprozessen beachtet werden. (UN Habitat 2015)

Der internationale Menschenrechtsschutz ist grundsätzlich systemindifferent, nicht jedoch neutral. Die Verpflichtungen der Staaten sind auf die Wirksamkeit jedes einzelnen Rechts gerichtet. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit staatlicher Handlungen durch Gesetz und andere, etwa soziale oder wirtschaftliche Maßnahmen, die mit einem autoritären Staatssystem unvereinbar sein können. Nicht gleichzusetzen sind die erforderlichen demokratischen Elemente aber mit der Parteiendemokratie deutschen Musters. Da mangels politischer Optionen das Klientel der jeweiligen Parteien in den gesetzlichen Kompromissen nicht wie gewünscht bedient werden kann, ist der Machtverlust durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Klimawandel gerade für kleine Parteien existenziell. Es ist wahrscheinlich, dass als Reaktion darauf mit einer Ab- und Ausgrenzungsrhetorik das eigene Klientel mobilisiert wird.

Die grundsätzliche Bedeutung internationaler menschenrechtlicher Entwicklungen für den Umgang der deutschen Staatsgewalt mit dem Klimawandel und Klimaprotesten ergibt sich aus ihrer Bindung an Grund- und Menschenrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG und Art. 20 Abs. 3 GG.

Das BVerfG hat aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG entwickelt, dass die drei Staatsgewalten bei allen ihren Entscheidungen die internationalen Menschenrechtsverträge mit einbeziehen müssen, die Deutschland ratifiziert hat. Diese haben damit über ihren normenhierarchischen Rang als einfaches Bundesrecht hinaus praktische Wirkung auch bei der Auslegung von Grundrechten und von später erlassenem oder speziellerem Bundesrecht. Dabei ist diese Orientierungswirkung ein dynamisches Verhältnis, das primär durch die Entscheidungen der internationalen Vertragsüberwachungsverfahren bestimmt wird, wie etwa des EGMR oder des UN Menschenrechtsausschusses. Aber auch die Anwendung der internationalen Standards durch nationale Gerichte anderer Staaten kann wichtige Hinweise auf menschenrechtskonforme Lösungen liefern.

Internationale Menschenrechtsabkommen enthalten grundsätzlich sowohl negative Unterlassungspflichten als auch positive Gewährleistungspflichten und Schutzpflichten zugunsten von Privaten für jedes vereinbarte Recht. In Bezug auf alle drei Pflichtenebenen müssen die staatlichen Maßnahmen gesetzlich vorgeschrieben sein (Bedingung der Rechtmäßigkeit), durch die Verfolgung eines legitimen Ziels gerechtfertigt sein (Bedingung der Legitimität) und schließlich muss der Eingriff auf das beschränkt sein, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist bzw. es müssen zumindest alle betroffenen Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden (Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit). Darum ist es wichtig, die Entscheidungen internationaler Vertragsüberwachungsverfahren und die internationale Diskussion im Einzelnen nachzuverfolgen und in nationalen Abwägungsprozessen zu nutzen. (De Schutter 2010)

Die internationale Climate change litigation databasei listet z.Zt. 122 Fälle auf, in denen weltweit Regierungen wegen behaupteter Verletzungen von Menschenrechten verklagt wurden. Die Zahl der Verfahren hinsichtlich des Klimawandels gegen Regierungen und Unternehmen beträgt insgesamt ca. 2.000, viele mit Menschenrechtsbezug in ihrer rechtlichen Begründung. Auch UN-Ausschüsse zur Überwachung der Einhaltung verschiedene Verträge haben in Fällen zum Klimawandel entschieden. Vor dem EGMR sind aktuell 12 Verfahren anhängig. Nach der Rechtsprechung des EGMR ergeben sich auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) positive Verpflichtungen der Staaten zum Schutz vor lebens- und gesundheitsgefährdenden Umweltbeeinträchtigungen.

In ihrem Kern zielen diese Verfahren auf eine Konkretisierung der Gewährleistungs- und Schutzpflichten der Staaten hinsichtlich der menschlichen Ursachen des Klimawandels aus dem Recht auf Leben, dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und dem Recht auf eine gesunde Umwelt. Dabei verlangen besonders verletzliche Gruppen, d.h. Kinder, Frauen, Klimamigrant*innen, ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen, für sich besondere staatliche Maßnahmen, die bisher nicht ausreichend ergriffen wurden. Damit sollen Regierungen verpflichtet werden, unabhängig von den aktuellen nationalen Klimagesetzen oder Aktionsplänen, eine bestimmte Wirksamkeit entsprechend ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen und gemessen an den Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Die Verpflichtung kann sich hinsichtlich anderer Staaten, Völker und Individuen auch aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht und internationalen Verträgen außerhalb des Menschenrechtsschutzes ergeben. Ihre Verletzung kann rechtliche Konsequenzen für Staaten zur Folge haben, die diese Verpflichtungen nicht einhalten, insbesondere Schadensersatzpflichten. Diese Fragen wird auch der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Gutachten untersuchen. (United Nations 2023)

Aufgrund der internationalen Verpflichtungen sind die Maßnahmen des Klimawandels den staatlichen Organen damit teilweise vorgegeben und Entscheidungsoptionen werden ihnen zunehmend aus der Hand genommen. Diese Situation ist etwa in Bezug auf den Terrorismus nicht unbekannt, für die der UN-Sicherheitsrat sogar für die Staaten bindende Entscheidungen nach Kapitel VII der UN-Charta erlassen und damit den nationalen Gesetzgebungsprozess teilweise substituiert hat.ii (United Nations 2019)

Grenzen des Umgangs mit Klima­pro­testen durch das Verbot der Überkri­mi­na­li­sie­rung

durch Die zunehmende Beschränkung von staatlichen Handlungsoptionen durch die Konkretisierung internationaler Schutzpflichten führt zu politischen Spannungen. In dieser Situation verdienen menschenrechtliche Begrenzungen des Umgangs mit Klimaprotesten besondere Beachtung.

Die Anwendung des Strafrechts, zivilrechtliche Schadensersatzklagen und polizeilicher Präventivgewahrsam als Regelungsinstrumente von neuen Formen des Klimaprotestes führen zu einer Überkriminalisierung. Diese beschreibt den übermäßigen Einsatz des Strafrechts als Mittel zur Beeinflussung menschlichen Verhaltens. Die menschenrechtliche Relevanz entsteht, weil der Bestrafung eine besondere soziale, moralische und rechtliche Bedeutung zukommt. Bestrafung im internationalen Verständnis beinhaltet Freiheitseinschränkungen, insbesondere der persönlichen Freiheit. Nur besonderes Fehlverhalten kann eine Rechtfertigung für diese schwerwiegende Einschränkung der Menschenrechte darstellen. Das Strafrecht impliziert, dass ein solches Verhalten nicht vorkommen darf, und hat in dieser Hinsicht auch eine präventive Funktion. Auf verfahrensrechtlicher Ebene ermächtigt es die Strafverfolgungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft), Maßnahmen zu ergreifen, um solche Verhaltensweisen zu verhindern und diejenigen zu verfolgen, die im begründeten Verdacht stehen, Straftaten begangen zu haben, um sie vor Gericht zu stellen, damit sie verurteilt werden können. (Husak 2008) Dies ist hinsichtlich der Anwendung des § 129 StGB auf die Aktivitäten der letzten Generation deutlich sichtbar geworden.

Eine Überkriminalisierung liegt insbesondere vor, wenn die Härte der Strafe nicht mehr im Verhältnis zur Straftat steht, d.h. wenn die Strafe über das hinausgeht, was der Täter nach gesellschaftlichen Vorstellungen verdient. Dazu gehören Straftatbestände für ein Verhalten, das nach Meinung großer Teile der Bevölkerung überhaupt keine Bestrafung verdient, z. B. Homosexualität, Prostitution oder Abtreibung, oder wenn erschwerende Umstände im Gesetz selbst nicht definiert sind, z. B. Terrorismus oder Extremismus, und unklar ist, wie die härtere Bestrafung im Vergleich zu gewöhnlichen Straftaten begründet wird.

Überkriminalisierung kann in Bezug auf die internationalen Menschenrechtsnormen im Spannungsfeld zwischen der Verpflichtung, das Strafrecht zum Schutz der Menschenrechte anzuwenden, und der Verpflichtung, jeden Eingriff in ihren Schutzbereich zu rechtfertigen, auftreten. Mehrere Menschenrechtsverträge enthalten die Verpflichtung, bestimmte Verhaltensweisen zu strafbaren Handlungen zu erklären. Darüber hinaus sieht der IPbpR in einigen Artikeln bestimmte Bereiche vor, in denen die Staaten positiv verpflichtet sind, die Aktivitäten von Privatpersonen oder Organisationen gesetzlich zu regeln. Wenn eine Verpflichtung nicht ausdrücklich die Verabschiedung von Strafgesetzen vorschreibt, können solche Verpflichtungen auch aus der allgemeinen Verpflichtung, den Rechten Wirksamkeit zu verleihen, in Verbindung mit spezifischen Rechten abgeleitet werden.

Es gibt ausdrückliche Verbote der Anwendung des Strafrechts zur Rechtfertigung von Eingriffen in bestimmte Menschenrechte, die im vorliegenden Zusammenhang aber nicht relevant sind. Implizite Einschränkungen der Anwendung des Strafrechts zum Schutz der Menschenrechte ergeben sich wiederum aus der allgemeinen Verpflichtungen, den internationalen Menschenrechten auf nationaler Ebene Wirkung zu verleihen. Jede nationale Risikobewertung, die als Grundlage für die Verabschiedung von Strafgesetzen dient, sollte auf der Grundlage von Erkenntnissen aus direkten Konsultationen mit der Zivilgesellschaft und gemeinschaftsnahen Organisationen durchgeführt werden. Die Auswirkungen von Rechtsvorschriften werden von internationalen Menschenrechtsmechanismen anhand einer empirisch gestützten Bewertung des Ausmaßes des möglichen Missbrauchs der jeweiligen Maßnahmen untersucht. Die Auswirkungen der nationalen Rechtsvorschriften werden auf der Grundlage der Feststellungen der Menschenrechtsvertragsorgane zu dem betreffenden Staat oder in vergleichbaren Situationen im Lichte der allgemeinen Funktionen des Strafrechts geprüft. Menschenrechtliche Verpflichtungen erfordern somit aufgrund ihrer Orientierungswirkung von den Strafverfolgungsbehörden und den Gerichten eine Prüfung der Anwendung des Strafrechts und des Gefahrenabwehrrechts in jedem Einzelfall auf der Grundlage menschenrechtlicher Verhältnismäßigkeit.

Für den Präventivgewahrsam sind die spezifischen menschenrechtlichen Vorgaben zu beachten, die sich u.a. aus der Rechtsprechung des EGMR ergeben. Präventivgewahrsam ist der Freiheitsentzug durch die Polizei zum Zweck der Gefahrenabwehr. Aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben muss der Gewahrsam unerlässlich sein, um u.a. Straftaten von erheblicher Bedeutung zu verhindern. Straßenblockaden sind seit langem ein zentrales und legitimes Mittel sozialer Bewegungen. Ihre Beschränkung muss sich an der Verhältnismäßigkeit einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit nach Art. 21 IPbpR messen lassen. In seiner Auslegung der Bestimmung erläutert der UN-Menschenrechtsausschuss, dass eine Versammlung auch dann als friedlich gelten kann, wenn in Rechte Dritter eingegriffen wird, sofern dies mit dem Versammlungszweck im engen Zusammenhang steht und ein solcher Eingriff nicht unverhältnismäßig Dritte belastet. Der Ausschuss führt aus, dass Protest fraglos den Schutzbereich von Art. 21 IPbpR verlässt, wenn es zu physischer Gewalt gegen Personen oder Sachen kommt; die Störung des Auto- oder Fußgänger*innenverkehrs stelle jedoch keine Gewalt dar. Des Weiteren erläutert der Ausschuss, dass präventiver Gewahrsam, der die Teilnahme von Personen an Versammlungen verhindern soll, nicht nur einen willkürlichen Freiheitsentzug und somit eine Verletzung von Art. 9 IPbpR darstellen kann, sondern auch einen unzulässigen Eingriff in die Versammlungsfreiheit, insbesondere dann, wenn der Freiheitsentzug länger als wenige Stunden dauert. (Human Rights Committee 2020) Dort, wo nationales Recht präventiven Freiheitsentzug zulasse, dürfe dieser nur in absoluten Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, so der Ausschuss unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR (Human Rights Committee 2014). Nach dem EGMR kann ein Präventivgewahrsam ausnahmsweise zulässig sein, um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung zu erzwingen (Art. 5 Abs. 1 lit. b EMRK) oder wenn ein begründeter Anlass zur Annahme besteht, dass dies notwendig ist, um eine Person an der Begehung einer Straftat zu hindern (Art. 5 Abs. 1 lit. c EMRK). In jedem Fall aber muss sich die Anordnung auf zeitlich und räumlich konkretisierte Umstände und eine klar definierte Rechtsverletzung beziehen. Erst recht muss die Beachtung der genannten Voraussetzungen für Verhaltensformen gelten, die Ausdruck von Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach Art. 10 EMRK und Art. 11 EMRK sind und daher in einer freiheitlichen Demokratie besonderen Schutz gegenüber dem Staat genießen. (EGMR 2018) Dies wird bereits durch den Wortlaut der Vorschriften unterstrichen, die übereinstimmend fordern, dass Einschränkungen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, d.h. einem zwingenden sozialen Bedürfnis, das Erwägungen der Nützlichkeit, Vernünftigkeit oder nach wünschenswertem Verhalten übersteigt.

Menschen­rechte und Extre­mis­mus­be­kämp­fung

Nachdem die Vorwürfe des Extremismus gegen die neuen Protestformen der Klimaaktivist*innen zunächst auf die politische Diskussion beschränkt waren, haben die Strafverfolgungsbehörden inzwischen einen entsprechenden Anfangsverdacht zumindest impliziert.iii

Es gibt keine allgemeingültige Definition von Extremismus; tatsächlich hat der Begriff keine Grundlage in verbindlichen internationalen Rechtsnormen. In nationalen Gesetzen wird Extremismus etwa beschrieben als „Anwendung oder Unterstützung von Gewalt“; die „Bereitschaft“ zur Gewaltanwendung; die Begehung, Befürwortung oder Ermutigung von Gewalttaten; und „die Förderung von Ansichten, die Gewalt zur Unterstützung bestimmter Überzeugungen schüren und aufstacheln und Hass schüren, der zu Gewalt zwischen Gemeinschaften führen könnte“. Damit besteht das Risiko, dass nationale Gesetze auch Handlungen kriminalisieren, die durch internationale Menschenrechtsnormen geschützt sind.

Die Forschung dazu, was insbesondere junge Männer zu einer extremen Ideologie treibt, die zu Gewalttaten führt, hat noch nicht zu belastbaren Ergebnissen geführt. Trotzdem haben die Staaten Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Extremismus ergriffen. (United Nations 2015) Nach Ansicht verschiedener Menschenrechtsmechanismen darf die nationale Definition von Extremismus keine Erkenntnisse vorwegnehmen, die wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen oder umstritten sind. Die Wirksamkeit mancher Vorschriften kann dabei schwer zu messen sein, da es an semantischer und begrifflicher Klarheit fehlt, z. B. in Bezug auf einen prädiktiven Zusammenhang zwischen Radikalisierung und Terrorismus. Solche Bestimmungen sind prima facie mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in internationale Menschenrechte unvereinbar. Die Kriminalisierung extremistischen Gedankenguts und extremistischer Überzeugungen als vermeintliche Vorstufe des Terrorismus stellt einen Paradigmenwechsel gegenüber der strafrechtlichen Unterscheidung zwischen gewalttätigen und nicht gewalttätigen Handlungen dar. Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung nationaler oder internationaler Vorschriften wird dabei international als Indikator dafür verwendet, ob die rechtlichen, politischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen ausreichend berücksichtigt werden. Die Staaten müssen sicherstellen, dass ihre Maßnahmen keine unverhältnismäßigen Auswirkungen auf die Rechte der Zivilgesellschaft auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und Schutz der Privatsphäre haben.

Der Verwendung des Begriffes des Extremismus riskiert, Motive in Straftatbestände einzubeziehen, die eine Bestrafung nicht rechtfertigen. Im Zusammenhang mit der Prävention muss die Frage der Bekämpfung als extremistisch klassifizierter Ideologien an den Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und des IPbpR gemessen werden. Die beiden Bestimmungen bekräftigen das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Die Art. 19 AEMR und des IPbpR über die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind ebenfalls von Bedeutung. Wie der UN Menschenrechtsausschuss hervorgehoben hat, ist das Recht auf freie Meinungsäußerung eine unverzichtbare Voraussetzung für die volle Entfaltung der Persönlichkeit und bildet den Grundstein für jede freie und demokratische Gesellschaft.

Um den betroffenen Rechten in diesem Spannungsverhältnis Wirksamkeit zu verleihen, haben mehrere Menschenrechtsmechanismen erfolgreiche Maßnahmen zur Prävention von Extremismus zusammengetragen. Dazu gehören insbesondere die aktive Einbindung der betroffenen Gruppe und die Förderung einer aktiven Rolle der Jugend in Staat und Gesellschaft. Wenn solche Präventivmaßnahmen eine Geschlechterperspektive berücksichtigen, sozial inklusiv sind und auf spezifische lokale Kontexte zugeschnitten werden, können sie zur Förderung eines Klimas des Vertrauens beitragen. In diesem Sinne sind der Schutz zivilgesellschaftlichen Engagements und die Gewährleistung der Beteiligung von Bürgern an Prozessen, die sie betreffen, Grundvoraussetzungen für gesellschaftliche Resilienz, Frieden und Entwicklung. Auch wenn die Zusammenhänge im einzelnen noch schwer zu verstehen sind, entwickelt sich Extremismus nicht in einem Vakuum und kann nicht durch eine Variable allein vorhergesagt werden. (United Nations 2019)

Der staatliche Umgang mit den Klimaprotesten hat eine wichtige Wirkung auf die Gefahr der Radikalisierung. Die Auswirkungen des Klimawandels verringern die Legitimität des Staates unabhängig von seinem politischen System, weil der Wettbewerb um Ressourcen und wirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten verschärft und eine von Teilen der Gesellschaft als ungerecht wahrgenommene Politik wahrscheinlicher macht. Nichtstaatliche Akteure könnten auf diese Entwicklungen mit Gewaltanwendung reagieren, um staatliches Verhalten zu beeinflussen oder staatliche Entscheidungen in bestimmten Bereichen vorwegzunehmen oder zu ersetzen. (Gordon 2022) Die Ermittlungen gegen die Letzte Generation wegen des Anfangsverdachts einer Straftat nach § 129 StGB bedeutet für ihre Mitglieder und Unterstützer*innen, der Gefahr strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ausgesetzt zu sein. Ermittlungsmaßnahmen wirken stigmatisierend und sind mit Eingriffen in Grundrechte verbunden. Sie haben damit eine prohibitive Wirkung auf die Unterstützung der Letzten Generation. Wegen der zu erwartenden Dauer der Ermittlungen haben sie das Potenzial, ausgerechnet jene Personen von der Letzten Generation zu distanzieren, die diese Vereinigung vor einer Radikalisierung bewahren können. (Kubiciel 2023)

Die gegen Mitglieder der Letzten Generation verhängten Freiheitsstrafen ohne Bewährung bedeuten für die Verurteilten Stigmatisierung, Isolation und schwere psychische Belastung. Nach § 47 StGB darf eine Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten nur im Ausnahmefall verhängt werden, „wenn besondere Umstände die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen“. „Besondere Umstände“ liegen nach der Rechtsprechung vor, wenn bestimmte Eigenschaften oder Verhältnisse den Täter von durchschnittlichen Tätern entsprechender Taten unterscheiden. Die Freiheitsstrafe ist „unerlässlich“, wenn sie unverzichtbar ist, um den Täter dazu zu bringen, künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Die Klima-Proteste sind gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie auf die Einhaltung völkerrechtlich verbindlicher Klimaschutzziele und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen als Grundlage jedes Staates zielen. Damit unterscheiden sie sich sicherlich von anderen Tätern, die Nötigungen und Straßenverkehrsgefährdungen begehen oder Widerstand gegen die Polizei leisten. Aus der bisher ausgeführten menschenrechtlichen Gesamtschau ist jedoch fraglich, ob Freiheitsstrafen hier dem Rechtfertigungstest für Eingriffe in die betroffenen internationalen Menschenrechte genügen können, da ihr Strafzweck nur erreicht werden kann, wenn Aktivist*innen auf unbestimmte Dauer in Haft bleiben. (Wenglarczyk, Wolf 2023)

Klima­pro­teste und inter­na­ti­o­nales Versamm­lungs­recht

Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG weist in ihrer Auslegung durch das BVerfG im Vergleich zu den internationalen Menschenrechten Besonderheiten auf.

Die Funktion des Versammlungsrechts liegt im internationalen Menschenrechtsschutz primär in seinem Beitrag für die Bildung, den Ausdruck und die Umsetzung politischer Meinungen und weniger in seinem Sinngehalt als Teil des Persönlichkeitsrecht. Letzterem räumt das BVerfG aufgrund seines Menschenbildes von einem gemeinschaftsbezogenen und gemeinschaftsverpflichteten Individuum hohes Gewicht ein. Aus der Funktion des Versammlungsrechts im internationalen Menschenrechtsschutz resultiert eine unvermeidbare Spannung zwischen den positiven Gewährleistungspflichten des Staates hinsichtlich des Versammlungsrechts (z.B. Verkehrsumleitung oder Schutz der Teilnehmer*innen durch die Polizei) und der Effektivität einer Versammlung, die gerade umso höher ist, je mehr sie sich gegen die Träger politischer Macht richtet. Diese Spannung ist zugunsten des Beitrags der Versammlung zur Demokratie aufzulösen, solange sie friedlich bleibt. Friedlich bedeutet entsprechend der Geschichte der Menschenrechte die Abwesenheit von physischer Gewalt, die geeignet ist, Körperverletzungen und den Tod von Menschen oder schwere Schäden an Sacheigentum zu verursachen; das Versammlungsrecht schließt historisch Formen zivilen Ungehorsams mit ein.

Ziviler Ungehorsam bedeutet in diesem Zusammenhang einen Rechtsverstoß, der bewusst begangen wird, um auf eine Ungerechtigkeit hinzuweisen und eine Anpassung des Rechts zu fordern. Ziviler Ungehorsam ist eines der mächtigsten und wirksamsten Instrumente auch in demokratischen Gesellschaften, wenn es darum geht, notwendige und unerlässliche Veränderungen durchzusetzen, die für die Verbesserung des politischen Systems und der gesellschaftlichen Lösung neuer Herausforderungen erforderlich sind. (Rawls 1971) Dies ist auch verfassungsrechtlich geboten, wenn politische Parteien sich gegen Beteiligungsformen wehren, wichtige gesellschaftliche Strömungen selbst aber nicht abbilden, und so den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. (Schröder 2023)

Die Orientierungswirkung internationaler Menschenrechtsverträge hinsichtlich des Versammlungsrechts würde eine geänderte Verfassungsinterpretation notwendig machen. (Häberle 1974) Im Gegensatz zum nationalen Recht sind die methodischen Auslegungsregeln für Völkerrechtsverträge in der Wiener Konvention über das Recht der Verträge (WVK) ausdrücklich geregelt und für die Vertragsstaaten bindend. In Art. 31 Abs. 3 WVK wird die Interpretation ausdrücklich dynamisch ausgerichtet, so dass die Norm im Blick auf spätere Praxis und Erklärungen der Parteien weiter zu entwickeln ist. Dahinter steht die Notwendigkeit, dass insbesondere Menschenrechtsverträge den gesellschaftlichen Wandel aufnehmen, um ihre Aufgabe der langfristigen Ordnung zu erfüllen.

Das Blockieren von Verkehrswegen im Rahmen einer Demonstration ist ein Verhalten, das nach internationalem Standard als friedlich anzusehen ist. Obwohl dies im Zusammenhang mit der Ausübung der Versammlungsfreiheit in modernen Gesellschaften keine Seltenheit ist, ist das absichtliche Behindern des Verkehrs und des normalen Ablaufs des Lebens in die Beurteilung der Notwendigkeit staatlicher Eingriffe mit einzubeziehen. Der EGMR räumt den Staaten einen Ermessensspielraum ein, wenn es darum geht, ob Regierungen Protestierende, die absichtlich das normale Leben stören, bestrafen wollen. Die Besetzung von öffentlichen Orten wird jedoch trotz ihrer Rechtswidrigkeit nach nationalem Recht und trotz der Störungen, die sie verursachen, als friedliches Verhalten angesehen.

Aktivist*innen für Klimagerechtigkeit sind nach Berichten des Sonderberichterstatters zur Versammlungsfreiheit weltweit Opfer von Verleumdungen und Desinformationen geworden, die darauf abzielen, ihre Arbeit zu diskreditieren, ihre Aktivitäten als ungesetzlich darzustellen und Skepsis gegenüber der Klimakrise zu schüren. Die Rechte auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sind für die Arbeit der Klimabewegung von wesentlicher Bedeutung. Klimaaktivist*innen wurden in verschiedenen Staaten als „Extremisten“ und „grüne Kriminelle““ abgestempelt, als „entwicklungsfeindlich“ und „ausländisch finanziert“ bezeichnet und so dargestellt, als dienten sie den Interessen von „militanten“, „linksextremen“, „kommunistischen“ oder „terroristischen“ Gruppen. Solche Desinformations- und Verleumdungskampagnen wurden von einer Vielzahl von Akteuren unterstützt, darunter auch hochrangigen Regierungsvertretern. Der Sonderberichterstatter erhielt laut seinem Bericht auch besorgniserregende Berichte darüber, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz in Deutschland die Umweltgruppe „Ende Gelände“ als „linksextremistisch“ eingestuft hat. Einige Staaten haben Gesetze erlassen, die Proteste gegen oder im Zusammenhang mit „kritischen Infrastrukturen“ kriminalisieren, wobei die Definition so weit gefasst wurde, dass sie auch Pipelines und Ölschifffahrtswege umfasst.

Eine andere Art und Weise, wie Staaten die Bewegung für Klimagerechtigkeit zu untergraben versuchen, ist der Einsatz des Justizsystems gegen Umweltaktivist*innen und ihre Organisationen. Bisweilen folgen auf strafrechtliche Verfolgungen Gefängnisstrafen. Selbst wenn solche Strafen nicht verhängt werden, stellt die strafrechtliche Verfolgung und andere Formen rechtlicher Schikanen eine ernsthafte finanzielle Belastung dar und hat erhebliche soziale, wirtschaftliche und psychosoziale Auswirkungen für die Beschuldigten, ihre Familien und ihre Unterstützer*innen. Die Verwendung solcher Anklagen gegen Klimaschützer*innen dient auch als eine Form der öffentlichen Propaganda, die die oben erwähnten Desinformationen verstärkt; sie lenkt von dem eigentlichen Anliegen der Umweltschützer*innen ab, da sie gezwungen sind, Zeit und Ressourcen für ihre Verteidigung aufzuwenden, anstatt sich um ihre grundlegende Sache zu kümmern; und sie hat einen abschreckenden Effekt, der andere davon abhält, sich der Bewegung für Klimagerechtigkeit anzuschließen und sich an ihr zu beteiligen. (United Nations 2021)

Schlussfolgerungen

Der Umgang des deutschen Staates mit den neuen Formen der Klimaproteste ist mit seinen Verpflichtungen aus internationalen Menschenrechten teilweise unvereinbar. Das Verhältnis zwischen Judikative und Legislative hinsichtlich der Maßnahmen gegen den Klimawandel wird sich zugunsten ersterer verschieben und zu einem politischen Machtverlust insbesondere der Parteien führen. In dieser Situation zunehmender Instabilität sollte die Exekutive, insbesondere die Polizei, im Interesse sachgerechter Organisation innerhalb der Gewaltenteilung internationale Entwicklungen frühzeitig aufgreifen und bei der Anwendung nationalen Rechts umsetzen. Dies sollte insgesamt zu einem weniger strafrechtlich geprägten Umgang mit den neuen Klimaprotesten zugunsten eines integrierten gesellschaftlichen Ansatzes führen, der die verschiedenen Aspekte – von Extremismusprävention bis zu demokratischen Beteiligungsformen – miteinander verbindet.

 

Prof. Dr. Ekkehard Strauss Jahrgang 1968, Professor für öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin mit den Schwerpunkten Grund- und Menschenrechte, Polizeirecht und internationales Konfliktmanagement; Berufs- und Führungserfahrung in unterschiedlichen Positionen in internationalen Organisationen und der Wissenschaft, davon mehr als 20 Jahre bei den Vereinten Nationen.

 

Literatur

De Schutter, Olivier 2010: International Human Rights Law. Cases, Materials, Commentary, Cambridge.

Fremuth, Michael Lysanter 2019: Menschenrechte. Grundlagen und Dokumente, Bonn.

Gordon, Noah 2022: How Climate Change Helps Violent Nonstate Actors, https://carnegieendowment.org/2022/12/14/how-climate-change-helps-violent-nonstate-actorspub-88637

Häberle, Peter 1974: Zeit und Verfassung, ZfP 1974, 111.

Höffler, Katrin 2023: „Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat“, VerfBlog, 2023/5/25, https://verfassungsblog.de/ziviler-ungehorsam-testfall-fur-den-demokratischen-rechtsstaat/, DOI: 10.17176/20230525-231102-0.

Human Rights Committee 2014: General comment No. 35. Article 9 (Liberty and security of person), CCPR/C/GC/35.

Human Rights Committee 2020: General comment No. 37 (2020) on the right of peaceful assembly (article 21), CCPR/C/GC/37.

Humphreys, Stephen (Hrsg.) 2010: Human Rights and Climate Change, Cambridge.

Husak, Douglas. 2008: Overcriminalization. The Limits of the Criminal Law, Oxford University Press.

IPCC 2022: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability.

IPCC 2023: AR6 Synthesis Report: Climate Change 2023.

Kubiciel, Michael 2023: Manövrieren an den Grenzen des § 129 StGB, VerfBlog, 2023/5/26, https://verfassungsblog.de/manovrieren-an-den-grenzen-des-%c2%a7-129-stgb/, DOI: 10.17176/20230526-231102-0.

Langmack, Fin-Jasper; Brandau, Anna-Mira 2023: Die „Letzte Generation“, die EMRK und das Strafrecht, VerfBlog, 2023/6/08, https://verfassungsblog.de/die-letzte-generation-die-emrk-und-das-strafrecht/, DOI: 10.17176/20230608-231155-0.

Messerschmidt, Klaus 2023: Quantitative Vorgaben in der Gesetzgebung und ihre judikative Kontrolle, DÖV 2023, 225.

Rawls, John 1971: A Theory of Justice, Harvard University Press.

Schröder, Meinhard 2023: Der gesellschaftliche Zusammenhalt: ein Thema des Rechts, DÖV 2023, 388.

Siegel, Thorsten 2023: Zur Relevanz des Klimaschutzes in der Fachplanung, DÖV 2023 329.

UN Habitat 2015: Guiding Principles for City Climate Action Planning.

United Nations 2015: Plan of Action to Prevent Violent Extremism. Report of the Secretary-General, A/70/674.

United Nations 2016: Report of the Special Rapporteur on the situation of human rights defenders, A/71/281.

United Nations 2019: Impact of measures to address terrorism and violent extremism on civic space and the rights of civil society actors and human rights defenders. Report of the Special Rapporteur on the promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism, A/HRC/40/52.

United Nations 2021: Exercise of the rights to freedom of peaceful assembly and of association as essential to advancing climate justice, report of the Special Rapporteur on the rights to freedom of peaceful assembly and of association, A/76/222.

United Nations 2022: The impacts of climate change on the human rights of people in vulnerable situations. Report of the Secretary-General, A/HRC/50/57.

United Nations 2023: Request for an advisory opinion of the International Court of Justice on the obligations of States in respect of climate change, A/RES/77/276.

von Bernstorff, Jochen 2023: Ist der Umgang mit Klimaprotesten in Deutschland menschenrechtswidrig?, VerfBlog, 2023/6/04, https://verfassungsblog.de/ist-der-umgang-mit-klimaprotesten-in-deutschland-menschenrechtswidrig/, DOI:10.17176/20230604-231025-0..

Wenglarczyk, Fynn; Wolf, Jana 2023: Warum Haftstrafen für „Klima-Kleber“ die falsche Antwort sind, VerfBlog, 2023/5/02, https://verfassungsblog.de/warum-haftstrafen-fur-klima-kleber-die-falsche-antwort-sind/, DOI: 10.17176/20230502-204524-0.

Weitere Quellen

BVerfGE 58, 1 – Eurocontrol I.

BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II.

BVerfGE 111, 307, 324 – Görgülü.

BVerfGE 128, 326 – Sicherungsverwahrung.

BVerfGE 157, 30 – Klimaschutz.

Decision adopted by the Committee under the Optional Protocol to the Convention on the Rights of the Child on a communications procedure, concerning communication No. 104/2019, Chiara Sacchi et al. vs. Argentina, CRC/C/88/D/104/2019.

EGMR 2018: Präventivhaft für Fußballhooligans, NVwZ 1019, 135.

Views adopted by the Committee under article 5 (4) of the Optional Protocol, concerning communication No. 3624/2019, Daniel Billy et al. vs. Australia, CCPR/C/135/D/3624/2019.

Views adopted by the Committee under article 5 (4) of the Optional Protocol, concerning communication No. 2728/2016, Ioane Teitiota vs. New Zealand, CCPR/C/127/D/2728/2016.

Anmerkungen:

ii Seit 1963 haben Staaten innerhalb der UN 19 internationale Verträge zur Bekämpfung spezifischer terroristischer Handlungen, wie z. B. Flugzeugentführungen, ausgearbeitet, meist als Reaktion auf konkrete Ereignisse. In diesen Übereinkommen werden die Staaten aufgefordert, unterschiedliche Maßnahmen gegen bestimmte Verhaltensweisen zu ergreifen, doch die meisten enthalten die Verpflichtung, diese Verhaltensweisen unter Strafe zu stellen und mit anderen Staaten beim Austausch von Erkenntnissen, bei der gegenseitigen Rechtshilfe, beim Einfrieren und Einziehen von Vermögenswerten und bei der Auslieferung zusammenzuarbeiten, ohne dass eine Einigung über eine Definition des Terrorismus erzielt wurde.

iii Die Homepage der ‚Letzten Generation‘ wurde im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München – Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) – durch das Bayerische Landeskriminalamt beschlagnahmt.“ Sperr-Text des Bayerischen Landeskriminalamts auf der Website der Letzten Generation (letztegeneration.de).

nach oben