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Direkte Demokratie in Deutschland

Sieben häufig vorgebrachte Gegenargumente, von denen man sich verabschieden sollte;

aus: vorgänge Nr. 190, Heft 2/2010, S. 100-111

Direkte Demokratie als Ergänzung der repräsentativen Demokratie besteht in Deutschland auf Landes- und Kommunalebene mittlerweile flächendeckend.[1] Politisch umstritten ist nach wie vor eine Ergänzung des Grundgesetzes um direktdemokratische Elemente. Diese Frage kann man – wie die Problematik einer „gemischten“ Demokratie überhaupt – klug diskutieren und Chancen und Risiken dabei sorgsam abwägen. Üblich ist aber weithin ein Typus – behutsam formuliert – weniger kluger Gegenargumente, von denen man sich verabschieden sollte. Sieben von ihnen seien hier vorgeführt.

I. Eine simple Ja/Nein-Ent­schei­dung

Gegen die direkte Demokratie wird vorgebracht, das Verfahren sei unterkomplex, weil bei einer Volksabstimmung nur eine simple Ja-/Nein-Entscheidung möglich sei, was der Schwierigkeit heutiger politischer Probleme nicht gerecht werden könne. Beim parlamentarischen Problemlösungsverfahren hingegen handele es sich um einen höchst beweglichen Entscheidungsprozess, in dem vor allem regelmäßig Kompromisse gefunden würden.

Eine Ja/Nein-Entscheidung fällt bei einer Volksabstimmung gewiss – aber das ist doch kein Gegenargument! Ein Parlament entscheidet auch nicht anders (dass die Geschäftsordnungen noch die dritte Möglichkeit „Enthaltung“ vorsehen, kann hier außer acht bleiben). Es handelt sich schlicht um eine entscheidungstechnische Regel, die zu Eindeutigkeit anhalten und Klarheit schaffen will. Weder repräsentative noch direkte Demokratie sind praktikabel, wenn Leute mit „wahrscheinlich Ja“, „Nein, solange nicht“, „überwiegend dafür“ oder ähnlich votieren wollen. Insofern sollte man hier nicht zweierlei Maß anlegen.

Freilich ist nicht zu verkennen, dass hinter diesem verqueren Vorwurf ein ernsthaftes Problem steht: Die Flexibilität der direkten Demokratie ist geringer als die der repräsentativ-demokratischen Verfahren. Damit sollen indes nicht Gemeinplätze der Art unterstützt werden, dass „kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist.“[2] Dieses so genannte „Strucksche Gesetz“ blendet zunächst den wichtigen Typus der Ratifikationsgesetze aus, vor allem im Völkerrecht, bei denen überhaupt nichts zu modifizieren ist. Dem Vertrag von Maastricht, der die Einführung des Euro brachte, der Europäischen Verfassung und dem Vertrag von Lissabon konnte nur zugestimmt werden oder nicht. Die gesamte, dem Parlament nachgerühmte Flexibilität seines Verfahrens hatte die Exekutive konsumiert, die den Vertrag aushandelte. Der Bundestag wie die Parlamente der anderen EU-Länder standen in keiner anderen Entscheidungssituation als die Völker, die über diese Verträge in einigen Ländern (Dänemark, Frankreich, Irland, den Niederlanden) abstimmen durften: Gefordert war eine simple Ja/Nein- Entscheidung.

Aber selbst im Bereich nationaler Gesetzgebung ist die direkte Demokratie „von unten“ bei weitem nicht so starr, wie ihr nachgesagt wird. Dafür gibt es vier Gründe.

Erstens: Die Volksgesetzgebung hat den Charakter eines sekundären Verfahrens. Das vorherige Optimierungsverfahren, in dem eine politische Vorklärung stattfindet und unterschiedliche Lösungsmodelle entwickelt, Kompromissmöglichkeiten ausgelotet sowie das jeweilige Pro und Contra herausgearbeitet werden, ist das parlamentarische Primärverfahren.[3] Daher ist der Modifizierungsbedarf von vornherein nicht so groß.

Zweitens: Wie in der repräsentativen Demokratie müssen auch für die direkte Demokratie Mehrheiten organisiert und dafür Entwürfe konsensfähig gemacht werden. Daher pflegen die Initiatoren ihren Gesetzentwurf, der zum Volksbegehren gestellt werden soll, sorgfältig mit Blick darauf auszuarbeiten, dass sich möglichst viele Bündnispartner dahinter stellen und später Bürgerinnen und Bürger zustimmen können. Eigenbrötelei – lehrt die Erfahrung – führt in einem massendemokratischen Verfahren unweigerlich zum Scheitern an den Hürden.[4] Nun sage man nicht, dies seien ja interne Verhandlungen, in der repräsentativen Demokratie jedoch würden Gesetzentwürfe öffentlich diskutiert und verbessert. Die parlamentarische Öffentlichkeit ist weithin die Öffentlichkeit des „Staatstheaters“. Die eigentliche Kompromissarbeit findet in Koalitionsrunden, bei Spitzentreffen oder im nichtöffentlich tagenden Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat statt. Der Unterschied beider Verfahren zeigt sich deutlich in den anderen Akteuren, viel weniger im Modus der Politik. Schmerzhafte Kompromisse gelingen in beiden Fällen am ehesten im Hinterzimmer.

Drittens: Ist der Zulassungsantrag gestellt, ist das moderne Verfahren keineswegs mehr so starr wie früher. Vielmehr gibt es folgende Flexibilisierungsvarianten:

  • Jedenfalls beim dreistufigen Verfahren können die Antragsteller selbst, etwa unter dem Eindruck der vorangegangenen Diskussionen, für die (zweite) Etappe des Volksbegehrens ihren Entwurf ändern – so nach dem sächsischen und dem hamburgischen Regelwerk.[5]
  • Das Parlament kann den volksbegehrten Gesetzentwurf in einer „geänderten Fassung“ annehmen; haben die Initiatoren diese Änderung gebilligt – darüber werden also vorher Verhandlungen stattfinden -, entfällt der Volksentscheid – so die Lösung in Schleswig-Holstein.[6]
  • Das Parlament kann den volksbegehrten Entwurf modifizieren; bleibt er „im Wesentlichen unverändert“, entfällt der Volksentscheid – so in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.[7] Ob dieser Spielraum eingehalten oder überdehnt wurde, entscheidet gegebenenfalls das Landesverfassungsgericht.

Viertens: Während die drei vorgenannten Möglichkeiten nur eine relativ geringe Flexibilisierung bedeuten – die freilich im Einzelfall wichtig sein mag, weil ansonsten eine ganzes direktdemokratisches Projekt an einem speziellen Detail scheitern würde -, bietet die parlamentarische Konkurrenzvorlage, die alle Landesverfassungen außer der bremischen vorsehen, die Chance eines echten politischen Kompromisses durch teilweises Entgegenkommen. Der bayerische Landtag hat mit dieser Variante gute Erfahrungen gemacht – man konnte die „gemäßigte“ Konkurrenzvorlage als teilweises Entgegenkommen gegenüber dem „radikalen“ ursprünglichen Entwurf herausstellen, so z. B. beim Volksentscheid zum Abfallrecht 1991 -, bis dann 1995 bei der Einführung des kommunalen Bürgerentscheids erstmals diese Taktik nicht mehr „zog“ und die Bürger das Original bevorzugten.

II. Niemand ist verant­wort­lich

Bei direktdemokratischen Entscheidungen trage, wird eingewandt, niemand die Verantwortung.

Dieses Argument kommt theoretisch anspruchsvoll daher – und transportiert gleichzeitig unterschwellig das Gift, dass man assoziativ von „niemand verantwortlich“ zu „unverantwortlich“ hinübergleitet.[8] Es ist kein kluges Gegenargument, es verkennt nämlich „den Sinn staatsrechtlicher (oder sonstiger) Verantwortlichkeit. Dieser Sinn besteht darin, in Treugeber/Treunehmer-Verhältnissen möglichst zu sichern, dass der Treunehmer die Interessen des Treugebers vertritt und nicht seine eigenen. Dieses Problem kann gar nicht auftreten, wenn der Treugeber selbst entscheidet, wie dies bei direkter Demokratie der Fall ist“,[9] genauer gesagt: wenn überhaupt kein Treuhandverhältnis vorliegt. Die Forderung nach Verantwortlichkeit gilt also in der repräsentativen Demokratie für die Volksvertreter im Parlament; aber sie ist sinnlos für demokratische Urakte, wenn also das Volk selbst wählt oder abstimmt.[10] Auch die Rede von Selbst- oder Eigenverantwortlichkeit ist beschönigend, so ähnlich wie mit „Selbstbedienung“ sprachlich kaschiert wird, dass man in Wirklichkeit überhaupt nicht „bedient“ wird, sondern alles selbst machen muss.

Die Realität ist nüchtern: Eine Mehrheit der Abstimmenden an den Urnen hat eine Entscheidung gefällt, deren Folgen das ganze Volk treffen. Aber für jene Mehrheit gilt v. Arnims bitter-realistische Einsicht: „Der Umstand, dass die Menschen selbst die Folgen ihrer Entscheidung zu tragen haben, ist im Zweifel eine bessere Gewähr für sinnvolles Verhalten und Entscheiden als eine – in der Praxis doch nur schwer zu realisierende – politische Verantwortung im parlamentarischen System.“[11]

Freilich kann das „schiefgehen“: wenn das Volk „falsch“ wählt – wie 1925 und 1932 einen Reichspräsidenten v. Hindenburg oder bei den Reichstagswahlen von 1930 bis 1933 die NSDAP -, und gegebenenfalls eben auch, wenn es „falsch“ abstimmt. Das heißt, es besteht hier schon ein Problem, aber dieses sitzt tiefer, als jenen lieb sein kann, die auf diese Weise die direkte Demokratie schlecht machen wollen. Jenes Argument legt die Axt an die Wurzeln der Demokratie überhaupt. Oder positiv formuliert: Ohne ein Grundvertrauen in das Volk ist Demokratie schlechthin, ob repräsentativ- oder direktdemokratisch organisiert, nicht möglich. Wer jenes Vertrauen gar nicht aufbringt, muss folgerichtig zu einer – wohlwollenden – Diktatur kommen.

III. Direkte Demokratie schwächt das Parlament

Dieser Einwand erscheint schlagend: Die Einführung der direkten Demokratie gleiche „einem Nullsummenspiel: Was die eine Seite – hier: die Bürger – gewinnt, muss die andere – die Vertretung – abgeben. Eine solche Reform bedeutet eine Machtverlagerung. Ein Parlament, das für eine Maßnahme auf die Zustimmung des Elektorats angewiesen ist bzw. dessen Entscheidung durch Volksabstimmung aufgehoben werden kann, ist tatsächlich nicht so mächtig wie eine Vertretung, die faktisch ‚souverän‘ entscheidet. Für die politische Elite stellt sich eine entsprechende Verfassungsrevision daher als ‚Status quo minus‘ dar.“[12]

Allerdings muss man sehen, dass diese Argumentation sich auf der Ebene sozusagen der bloßen Machtmechanik bewegt. Genauso gut könnte man argumentieren, dass ein Parlament, das einer Rechtskontrolle durch ein Verfassungsgericht unterliegt, weniger mächtig ist, als es ohne diese Kontrolle wäre. Doch was beobachten wir? Die unbestreitbare Machteinbuße des Parlaments durch die verfassungsgerichtliche Normenkontrolle wird in Kauf genommen, weil die Vorzüge einer durchweg verfassungskonformen Gesetzgebung überwiegen. Entsprechend gilt es zu fragen, ob das Weniger an Parlaments-Macht bei einer politischen Akzeptanzkontrolle durch die Bürgerinnen und Bürger aufgewogen wird durch eine bessere Balance der Gewalten innerhalb des politischen Systems. Dafür sprechen in der Tat zwei Überlegungen. Erstens: Zuständigkeiten an das Volk abzugeben, ihm etwa die Entscheidung in Grundsatzfragen zuzuweisen oder es Hochumstrittenes selbst entscheiden zu lassen, kann auch als Entlastung verstanden werden. Hier lauert wieder ein Schlagwort: „Flucht aus der Verantwortung!“ – erneut ein Weimarer Trauma. Doch soweit das historisch überhaupt real war, ist als Antwort jedenfalls das Gegenteil töricht. Das krampfhafte Ansichziehen aller nur möglichen Verantwortung und das Festkrallen an einmal errungenen Machtpositionen sind individuell verfehlt – da heißt es z. B. Ämterhäufung – und institutionell ebenso wenig gut. Sich zurücknehmen, Macht abgeben, kann weise sein.

Zweitens käme man von der misslichen Situation weg, dass Abgeordnete sich auf ihr Mandat berufen und dann vier oder fünf Jahre lang abgehobene Entscheidungen treffen. Wenn immer die Möglichkeit besteht, gegen Gesetze – schweizerisch gesprochen – „das Referendum zu ergreifen“ (was natürlich nicht heißt, dass das auch jeden Tag geschieht), könnte das Nicht-Gebrauch-Machen von dieser Möglichkeit vernünftigerweise als Einverständnis der großen Mehrheit mit der aktuellen Politik ihrer Vertreter verstanden werden.[13] Das aus der Sicht der Machtmechanik „geschwächte“ Parlament würde also tatsächlich durch eine größere demokratische Legitimation seines Handelns gestärkt. Wo zunächst die Machtverlagerung unbestreitbar erschien, kann tatsächlich eine Win-win-Situation entstehen.

IV. Das Grundgesetz hat einen „anti­ple­bis­zi­tären Zug“

Diese besonders von dem Bonner Staatsrechtslehrer Isensee vertretene Meinung[14] wird etwa wie folgt begründet: Möge in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG auch das Wort „Abstimmungen“ stehen, so habe der Parlamentarische Rat 1948/49 doch – früher hieß es hier regelmäßig: aufgrund der negativen „Weimarer Erfahrungen“ mit Volksbegehren und Volksentscheid[15] – von der Aufnahme aller konkreten Formen direkter Demokratie (Volksbegehren, Volksentscheid, Referendum) abgesehen. Einzige Anwendungsfälle seien die Territorialplebiszite nach Art. 29 (Neugliederung des Bundesgebiets) und Art. 118 (Neugliederung der badischen und württembergischen Länder). Dieser Befund lasse sich als „antiplebiszitäre(r) Zug“ des Grundgesetzes auf den Punkt bringen.

Mit den Territorialplebisziten in diesem Zusammenhang zu argumentieren ist dogmatisch verfehlt. Seit Ebsens eingehender Untersuchung „Abstimmungen des Bundesvolkes als Verfassungsproblem“ (1985)[16] kann als gesichert gelten, dass es sich bei den in Art. 29 GG vorgesehenen Volksbefragungen und Volksentscheiden nicht um „Abstimmungen“ im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG handelt. Es geht um eine Betroffenenbeteiligung, nicht mehr.

Nun heißt das nicht, dass Isensees Meinung erst recht zuträfe. Seine Schlussfolgerung, zu den „Abstimmungen“ in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG gebe es keine Anwendungsfälle, das Grundgesetz weise deshalb einen „antiplebiszitärer Zug“ auf, ist irrig; dies zeigt die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, was durch die Forschungen der juristischen Zeitgeschichte bestätigt und vertieft worden ist. Die „Abstimmungen“ wurden 1948 nicht mit Blick auf die Territorialplebiszite, sondern wegen des damals noch vorgesehenen obligatorischen Verfassungsreferendums in den Entwurf des Grundgesetzes eingefügt.[17] Sie sollten in dem nachmaligen Art. 20 GG als Basisnorm verankert werden, auf die sich die konkreten Einzelformen direkter Demokratie im Grundgesetz beziehen konnten und die ihrerseits diesen Halt gab. Alle diese Anwendungsformen – Volksgesetzgebung, Verfassungsreferendum, auch das Gründungsplebiszit – wurden jedoch im weiteren Verlauf der Grundgesetzberatungen gestrichen, ohne dass sich an der Nennung der „Abstimmungen“ in Art. 20 etwas geändert hätte. So hatten der Abgeordnete v. Brentano (CDU) und drei CSU-Abgeordnete die systematische Logik auf ihrer Seite, als sie am 4. Mai 1949 beantragten, in Art. 20 die Worte „und Abstimmungen“ zu streichen.[18] Gleichwohl lehnte das Plenum am 6. Mai den Antrag ab.[19] Die Mehrheit des Parlamentarischen Rates zog damit nicht den offenkundigen.[20] Schluss der Antragsteller, dass mangels Ausführungsregelungen auch das Prinzip entfallen könne. Umgekehrt folgte sie aber auch nicht der Argumentation der Zentrumspartei, die aus der Aufrechterhaltung des Prinzips die Notwendigkeit der (sozusagen „Durchführungs“)Volksgesetzgebung folgerte („wenn der Absatz 2 des Artikels 20 nicht etwas versprechen will, was nicht gehalten wird oder gehalten werden soll“).[21] Vielmehr entschied sich der Parlamentarische Rat für die raffinierte Lösung, Abstimmungen als Mittel der direkten Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk grundsätzlich weiterhin anzuerkennen, alle einzelnen Formen unmittelbar-demokratischer Entscheidungsverfahren aber praktisch abzulehnen. Ich habe dies als eine plebiszitäre Strukturoption bezeichnet.

Der Hintergrund dieser Entscheidung erschließt sich, wenn man näher betrachtet, warum alle jeweils vorgeschlagenen, bereits aufgenommenen oder zumindest erwogenen Formen direkter Demokratie aus dem Entwurf des Grundgesetzes wieder gestrichen wurden. So viele spezielle Motive und Sonderinteressen dabei mitspielten[22] – ein großer Grund ist durch die juristische Zeitgeschichte eindeutig erwiesen. Es ging nicht um die Vergangenheit – „Weimar“ -, sondern um die Gegenwart. Man wollte im Kalten Krieg den Kommunisten – SED und KPD -, die bei den bislang abgehaltenen Wahlen bemerkenswert schlecht abgeschnitten hatten, keine Chance geben, mit „attraktiven“ Einzelthemen politisch zu punkten. Über den jungen Weststaat wurde deshalb eine „plebiszitäre Quarantäne“ verhängt. Die große „Vision“ der Gründer der Bundesrepublik ist eindeutig: Wenn die Kommunisten domestiziert seien und die Teilung überwunden sei, sollte auf dem überlieferten Wege einer Nationalversammlung und/oder einer Volksabstimmung eine deutsche Verfassung gegeben werden, die dann selbstverständlich auch Elemente direkter Demokratie enthalten würde.[23]

Für die Übergangszeit und das Grundgesetz sahen die Verfassungseltern folgende kleine Perspektive: Wenn man nicht mehr zu befürchten brauche, dass das westdeutsche Volk, angestachelt und verleitet von den Kommunisten, einen unrechten, ja schädlichen Gebrauch von den unmittelbar-demokratischen Sachentscheidungsrechten machen würde, gäbe es keinen Grund mehr für deren Suspension. Die Räson des „demokratischen Ausnahmezustandes“ wäre entfallen und es würden wieder als Regel die Partizipationsrechte gelten, die schon 1919 bis 1933 und noch einmal 1946/47 in Deutschland gegolten hatten. Diese müssten durch eine Änderung des Grundgesetzes mit qualifizierten Mehrheiten beschlossen werden. Die strukturelle Entscheidung dafür im änderungsfesten Kern der Verfassung (Art. 20) war bereits getroffen.[24]

Rechtfertigt dieser Befund die Rede von einem prononciert antiplebiszitären Grundgesetz? Vor einer Antwort sei auf einen Parallelfall hingewiesen. Art. 3 Abs. 2 GG – eine prominente Stelle im Grundrechts-Abschnitt, gleich nach Menschenwürde und Allgemeinem Persönlichkeitsrecht – lautete ursprünglich lapidar: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Gleichwohl bestimmte im Abschnitt „Übergangs- und Schlussbestimmungen“ Art. 117 Abs. 1: „Das dem Artikel 3 Absatz 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953.“ Rechtfertigte diese Verfassungsrechtslage die Qualifizierung als prononciert „anti-emanzipatorisches“ Grundgesetz? Gewiss nicht. Offensichtlich entschieden sich die Verfassungseltern grundsätzlich für emanzipatorische Gleichheit, bestimmten dann aber aus praktischen Gründen – die Anpassung des überkommenen Rechts war eine gewaltige Aufgabe – nur: „nicht sofort“. Ähnlich die Interpretation bei unserem Thema: Die Grundsatzentscheidung für Volksabstimmungen und damit für eine gemischte Demokratie traf der Parlamentarische Rat selbst. Eine konkrete Ausgestaltung im Abschnitt VII des Grundgesetzes („Die Gesetzgebung des Bundes“) wurde vor allem wegen des Kalten Krieges aufgeschoben. Dabei werden die Unterschiede nicht verkannt: Dort eine ausdrückliche Verfassungsbestimmung, die sogar eine Frist setzte. Hier dagegen sozusagen beredtes Schweigen. Eine Klausel: „Volksabstimmungen finden nicht statt, solange Kalter Krieg herrscht“, verbot sich aus Gründen der verfassungspolitischen Etikette, und gar eine Frist hier zu setzen hieße, in die Zukunft schauen zu wollen. Aber die Struktur von positiver Grundsatzentscheidung und Vorbehalt aus situativen Erwägungen ist gleich. Vor dem Hintergrund dieser historisch-politischen Umstände ist dem Grundgesetz – gerade umgekehrt zu Isensee – ein prononciert proplebiszitärer Zug zu entnehmen. Es gibt kein „super-repräsentatives“ Grundgesetz, es gibt nur eine unzulängliche Verfassungsinterpretation.

V. Die Bürger sind inkompetent

Die Probleme moderner komplexer Gesellschaften zu lösen erfordere hohen Sachverstand. Hier selbst als Gesetzgeber sachgemäße Entscheidungen zu treffen, sei der normale Bürger schlechterdings außerstande. Er würde unvermeidlicher Weise nach Willkür, Stimmung usw., aber jedenfalls nicht rational abstimmen.

Diesem Inkompetenz-Argument liegt ein falscher Kompetenzbegriff zugrunde. Ernsthaft in Betracht kommen kann für direkte Demokratie natürlich nicht die Kompetenz der Experten, sondern nur die staatsbürgerliche Kompetenz, jene Mischung aus Grundwissen und gesundem Menschenverstand, die gewissermaßen das personale Substrat der Demokratie darstellt. Dazu hat schon der große Soziologe Max Weber in klassischer Einfachheit formuliert, man brauche „sicherlich selbst kein Schuster zu sein, um zu wissen, ob der Schuh drückt, den der Schuster hergestellt hat.“[25]

Zudem kann, wer die staatsbürgerliche Kompetenz in Abrede stellt, konsequenterweise auch nicht das demokratische Prinzip der allgemeinen Wahl rechtfertigen. Es ist widersprüchlich, wegen intellektueller Insuffizienz den Stimmbürger abzulehnen, zugleich aber das Gemeinwesen der Wahlentscheidung derselben Personen auszuliefern. Schließlich wird, wie so oft in diesem Kontext, zweierlei Maß angelegt: Während Abstimmungen „aus dem Bauch heraus“ die direkte Demokratie disqualifizieren sollen, werden die Mandate aus Wahlen ganz selbstverständlich angenommen, ohne lange zu fragen, welchen Körperteil die Wähler dabei benutzt haben.

Im Übrigen wird in diesem Zusammenhang nicht nur, was das Volk angeht, mit einem falschen Kompetenzbegriff operiert. Auch die Situation in den Parlamenten wird nicht realistisch gesehen. Diese sind hocharbeitsteilig organisiert. Man nimmt an, dass die Abgeordneten vielleicht von zehn Prozent der Vorlagen, über die sie abstimmen, selbst etwas verstehen. Ansonsten verlassen sie sich auf die Fachleute ihrer Fraktion, vertrauen den jeweiligen Kollegen, die sich in die Materie eingearbeitet haben, den sachpolitischen „Sprechern“ und den entsprechenden Arbeitskreisen.[26] Vertrauen, nicht eigene Universalexpertise macht also die parlamentarische Arbeit im Ganzen möglich. Ebenso können aber auch die abstimmenden Bürger bei ihrer Entscheidung vertrauen: sachkundigen Mitbürgern oder Autoritäten wie den Kirchen, Verbänden vom ADAC bis zu Greenpeace, aber natürlich auch einzelnen Politikern anderer Couleur, als man vielleicht bei einer Wahl bevorzugt.

Die üble Nachrede, dass Volksabstimmungen zwangsläufig irrational seien, ist jüngeren Ursprungs. In den Beratungen zur Weimarer Reichsverfassung 1919 beispielsweise war man umgekehrt der Überzeugung, dass durch die thematische Reduktion (nur eine einzelne Sachfrage) und die Abkoppelung von Personalambitionen die direkte Demokratie zu einer Versachlichung der Politik beitrüge.[27]

VI. Die Bürger handeln moralisch unver­ant­wort­lich

Dass die Bürger unverantwortlich handeln würden oder zumindest handeln könnten – vor allem in Finanzdingen -, sagt natürlich kein Politiker rundheraus. Aber genau diese Überzeugung steckt etwa hinter dem famosen deutschen Finanztabu, womit alle deutschen Landesverfassungen alle Volksbegehren mit Ausgaben über einer Bagatellgrenze für unzulässig erklären. Deutlich wird dies an der „Muttervorschrift“ des Art. 73 Abs. 4 Weimarer Reichsverfassung. Gezweifelt wurde in dieser Bestimmung nicht an der intellektuellen Kapazität des Volkes – auf Veranlassung des Reichspräsidenten (also „von oben“) konnte es ja durchaus „über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen“ abstimmen. Die Politiker misstrauten vielmehr der moralischen Festigkeit der Bürger und wollten ihnen daher verwehren, selbst („von unten“) den Volksentscheid über diese Materien zu betreiben – mit dem offenkundigen Hintergedanken, dass die Bürger ansonsten entweder auf der Einnahmeseite (Abschaffung der Steuern) oder bei den Ausgaben (Wohltaten für alle) die Staatsfinanzen ruinieren würden.

Diese „demokratische Misanthropie“[28] war von vornherein anachronistisch. Die Zeiten, wo die ständischen Landtage versuchten, den jeweiligen Landesfürsten davon abzuhalten, sich sein eigenes Klein-Versailles zu bauen, waren vorbei. Moderne Parlamente sind ausgabefreudig und müssen durch die Exekutive gebremst werden, was die Schöpfer der Weimarer Reichsverfassung durchaus erkannten.[29] Seitdem ist die Entwicklung noch viel weitergegangen. Aus Abgeordneten, welche die Interessen der Bürger vertreten – nämlich von Steuern und Abgaben möglichst verschont zu bleiben -, sind Mitglieder einer politischen Klasse geworden, die zuerst ihre eigenen Interessen verfolgen, allen voran das Interesse an Wiederwahl, und dafür gerne Wohltaten beschließen. Die Überschuldung in Deutschland auf allen Ebenen wurde nicht durch eine ausgabenfreudige Direktdemokratie, sondern von den angeblich so finanzkundigen und verantwortungsvollen Volksvertretern herbeigeführt.

Jene Weichenstellung der Nationalversammlung vor nunmehr 91 Jahren hat Deutschland auf einen Sonderweg geführt.[30] In der Schweiz und in den US-Bundesstaaten gehört die Abstimmung des Volkes über Finanzvorlagen zu den vornehmsten Volksrechten und macht geradezu den Kern der direkten Demokratie aus. Dort staunt man jedenfalls, dass in Deutschland das Budgetrecht, historisch von den Parlamenten den Monarchen abgerungen, heute von den Volksvertretungen wie ein Privileg gegenüber ihren eigenen demokratischen Auftraggebern verteidigt wird. Es zeugt nachgerade von politischer Verblendung, dass, sobald es irgendwie finanziell ernst wird – zuletzt vom Bundesverfassungsgericht festgestellt für einen Fall, der 0,7 Prozent der Gesamtausgaben betraf[31] -, die direkte Demokratie in Deutschland endet. In den schweizerischen Kantonen dagegen griff im Durchschnitt bei diesem Wert schon 1970 das obligatorische Finanzreferendum.[32] Das heißt: Von der gleichen Schwelle an, wo in der obrigkeitsstaatlichen Demokratie Deutschlands das Volk – qua Finanztabu – automatisch ausgeschlossen wird, bezieht die schweizerische Demokratie die Bürger – durch das obligatorische Finanzreferendum – notwendig ein.

Die deutschen Befürchtungen, dass der (Finanz-)“Staatskarren“ unter diesen Umständen gegen die Wand gefahren würde, haben sich in der Staatspraxis nicht bestätigt. Gewiss wurden manche Projekte gestoppt, weil die Bürger sie nicht bezahlen wollten. Aber Steuerverweigerer oder Finanzchaoten – die Poujades und Glistrups aller Couleur – hatten, empirisch gesehen, bei Schweizern und US-Amerikanern nie eine Chance.

Wenn man beispielsweise nur den kleinen Halbkanton Appenzell Innerrhoden betrachtet, der bei der direkten Demokratie sogar noch die altertümliche Form der Landsgemeinde praktiziert,[33] so stellte das Landsgemeindemandat 2001 lapidar fest, dass „die Staatsfinanzen gesund sind“, und vor allem: „Der Kanton ist schuldenfrei.“[34] Auch neun Jahre später schloss die Rechnung mit einem Überschuss ab, der Eigenfinanzierungsgrad von Investitionen lag bei 129 Prozent und der Kanton sammelte eine Art „Staatsschatz“ an[35] – ein Wort, das man im repräsentativ-demokratisch regierten Deutschland kaum mehr kennt.

In Deutschland deuten die vorliegenden Erfahrungen aus dem Bereich der kommunalen Direktdemokratie in die gleiche Richtung: Es ist keineswegs so, dass die Steuerzahler, die mit ihren privaten Mitteln durchaus umzugehen verstehen und sich gegebenenfalls „nach der Decke strecken“,[36] sich bei öffentlichen Finanzfragen plötzlich in jene Spießer verwandeln, von denen schon Lenin spottete, dass sie „eine beliebige Menge Trüffel, Autos, Klaviere und dergleichen mehr“ verlangten,[37] sondern sie agieren eher als knauserige Haushalter. Auch auf Landesebene gibt es Beispiele dafür, dass die Bürger gerade exorbitante Belastungen oder Prestigeobjekte direktdemokratisch stoppen wollen: Genannt seien das Volksbegehren „Schluss mit dem Berliner Bankenskandal“ 2003/05 und das Volksbegehren gegen den Transrapid in Bayern 2007/08.[38]

Untersuchungen der Modernen Politischen Ökonomie aus der Schweiz und den USA haben in der Tat gezeigt, dass bei der direkten Demokratie langfristige Interessen bessere Chancen haben. Belegen lässt sich dies dadurch, dass in Kantonen bzw. Bundesstaaten mit intensiver direktdemokratischer Praxis die Verschuldung tendenziell geringer ist – Indiz für eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der zukünftigen Generationen – und die Ausgaben für Bildung tendenziell steigen. Gleichzeitig ist ein größeres Maß an Wirtschaftlichkeit bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und mehr Bürgerzufriedenheit festzustellen. Gemeinden, Kreise und Länder mit direktdemokratischen Elementen tendieren – wie es scheint – zu einer insgesamt besseren „performance“ als Gebietskörperschaften ohne solche Elemente.[39] Ausgehend von der strukturellen Kurzatmigkeit der Berufspolitik, die aus der auf den nächsten Wahltermin fixierten Perspektive der Akteure folgt,[40] ist es also nicht so, dass die Bürger sich gewissermaßen „noch schlimmer“ verhielten, vielmehr können sie, weil sie nicht mit ihrer ganzen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Existenz von Wahl- bzw. Abstimmungsergebnissen abhängig sind, sich durchaus eine längerfristige Perspektive „leisten“.[41]

VII. Die Rechte von Minder­heiten sind gefährdet

Wenn gegen direkte Demokratie vorgebracht wird, dass die Rechte von Minderheiten gefährdet seien, gilt es erst einmal die Grundregel in Erinnerung zu rufen. Demokratie ist Mehrheitsherrschaft – gleichviel, ob sie repräsentativ oder direkt organisiert ist. Die Minderheit hat sich der Mehrheit zu fügen und ist darauf verwiesen, bei den periodisch stattfindenden Wahlen oder bei einer neuen Abstimmung die Machtverhältnisse zu ändern und selbst zur neuen Mehrheit zu werden.

Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme. Der Verweis auf eine künftige Änderung der Machtverhältnisse wäre zynisch gegenüber strukturellen Minderheiten. Ob nationale Minderheiten (Sorben, Dänen in Schleswig-Holstein) oder situative Minderheiten (z. B. Menschen mit Behinderung) – über die Belange solcher Minderheiten darf natürlich die Mehrheit nicht hinweg „walzen“; hier entgegenzukommen, ist ein Gebot der politischen Klugheit, aber – das ist wichtig – damit wird kein spezifisches Problem der direkten Demokratie angesprochen. Dies gilt für eine parlamentarische Mehrheit nicht minder.

Die meisten einschlägigen Fälle liegen aber anders; sie betreffen letztlich die Grenzen der Demokratie. Deren Mehrheitsprinzip unterliegt nämlich nur das Verfügbare, und dazu gehört eben nicht jener große Bereich, der in der abendländischen Rechtskultur durch Menschen- und Grundrechte geschützt ist. Paradebeispiele lieferte jüngst das Grundrecht der Religionsfreiheit. Ob man das Minarett-Verbot in der Schweiz oder das Burka-Verbot in Belgien nimmt: Wenn die untersagten Betätigungen und Verhaltensweisen durch das Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt sind (ob dem wirklich so ist, kann jetzt hier nicht erörtert werden), dann hat darüber keine Mehrheit zu befinden, und zwar weder direktdemokratisch noch repräsentativdemokratisch. Auch diese Problematik betrifft nicht spezifisch die direkte Demokratie. Beide Formen sind rechtsstaatlich gebunden. Eine Abstimmungsvorlage über derartige Verbote käme in Deutschland erst einmal vor ein Verfassungsgericht: ein entsprechendes Gesetz, parlamentarisch oder durch Volksentscheid verabschiedet, unterläge der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle. Obwohl dieses Setzen auf Richter nach den deutschen Erfahrungen mit der Justiz unter zwei Diktaturen nicht unbedingt einleuchtet, hat sich praktisch ein recht hohes Schutzniveau für den gefährdeten Bereich entwickelt. In der Schweiz, die auf eidgenössischer Ebene keine Verfassungsgerichtsbarkeit im eigentlichen Sinne und schon gar keine Normenkontrolle gegenüber Bundesgesetzen kennt, soll nach dem Demokratieverständnis des Landes das Volk selbst auf die Rechte der Bürger achten, auch im Menschen- und Grundrechtsbereich – das hat weithin funktioniert, kann aber offenkundig, wie der letztgenannte Fall zu illustrieren scheint, auch „schiefgehen“.

[1] Zuletzt führten Hamburg 1996 Volksbegehren und Volksentscheid auf Landesebene sowie Berlin 2005 den Bürgerentscheid auf Bezirksebene ein.

[2] Vgl. Thränhardt, Dietrich: Gesetzgebung, in: Andersen, Uwe/Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl., Wiesbaden 2009, S. 239-243 (241).

[3] Vgl. Jung, Otmar: Volksgesetzgebung in Deutschland, in: Leviathan 15 (1987), S. 242-265 (250).

[4] Konkrete Anschauungsfälle liefern die Konflikte des Landesverbandes Bayern von Mehr Demokratie e. V. mit der bayerischen SPD: 1999 kam über das (Doppel-)Volksbegehren „Macht braucht Kontrolle – für eine demokratischer Richterwahl in Bayern“ sowie „Macht braucht Kontrolle – für ein unabhängiges Verfassungsgericht in Bayern“ keine Einigung zustande; die Initiatoren starteten ihr Projekt ohne Unterstützung der SPD und kamen wohl auch deshalb nicht zum Erfolg.

[5] Vgl. Art. 72 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf.; Art. 50 Abs. 2 Satz 5, Abs. 3 Satz 4 HambVerf.

[6] Vgl. Art. 42 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SchlHVerf.

[7] So Art. 49 Abs. 1 Satz 1 Nds Verf.; ebenso Art. 60 Abs. 3 Satz 1 M-VVerf.; entsprechend Art. 62 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 4 BerlVerf.

[8] Vgl. Jung, Otmar: Direkte Demokratie – Forschungsstand und Perspektiven, in: Schiller, Theo/Mittendorf, Volker (Hrsg.): Direkte Demokratie. Forschung und Perspektiven, Wiesbaden 2002, S. 22-63 (56 f.).

[9] Arnim, Hans Herbert v./Heiny, Regina/Ittner, Stefan: Politik zwischen Norm und Wirklichkeit. Systemmängel im deutschen Parteienstaat aus demokratietheoretischer Perspektive, FÖV Discussion Paper Nr. 35, Speyer, Oktober 2006, S. 10.

[10] Vgl. Jung: Direkte Demokratie – Forschungsstand und Perspektiven, 2002, S. 57.

[11] Arnim, Hans Herbert v.: Vom schönen Schein der Demokratie. Politik ohne Verantwortung – am Volk vorbei, München 2000, S. 187.

[12] Jung: Direkte Demokratie – Forschungsstand- und Perspektiven, 2002, S. 55.

[13] Diesen Gedanken hat Hans Herbert v. Arnim, Heidrun Abromeit folgend, für die Legitimierung des Grundgesetzes entwickelt; er gilt aber allgemein für das Verhältnis Volk zu Volksvertretung, Vgl. Arnim, Hans Herbert v.: Vom Mehrwert direkter Demokratie, in: Heußner, Hermann K./Jung, Otmar (Hrsg.): Mehr direkte Demokratie wagen. Volksentscheid und Bürgerentscheid: Geschichte – Praxis – Vorschläge, 2. Aufl., München 2009, S. 39-53 (43 f.).

[14] Vgl. Isensee, Josef: Der antiplebiszitäre Zug des Grundgesetzes – Verfassungsrecht im Widerspruch zum Zeitgeist, in: Akyürek, Metin u.a. (Hrsg.): Verfassung in Zeiten des Wandels: Demokratie – Föderalismus – Rechtsstaatlichkeit. Symposion zum 60.

Geburtstag von Heinz Schäffer, Wien 2002, S. 53-83.

[15] Dieser Legende von den schlechten „Weimarer Erfahrungen“ als Ursache der antiplebiszitären Entscheidungen des Parlamentarischen Rats hat inzwischen der Protagonist Isensee selbst den Totenschein ausgestellt: „Die Entstehungsgeschichte ergibt insoweit ein klares Bild: der antiplebiszitäre Zug des Grundgesetzes lässt sich nicht als traumatische Reaktion auf einzelne Vorgänge in der Weimarer Republik deuten.“ (Isensee, a. a. O., S. 61) Die Entscheidung des Bonner Verfassungsgebers lasse sich „nicht, wie es eine stereotype Erklärung will, monokausal auf üble Erfahrungen mit den plebiszitären Elementen der Weimarer Verfassung zurückführen“ (Isensee, a. a. O., S. 64). – Vgl. zuletzt Ullrich, Sebastian: Der Weimar-Komplex. Das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und die politische Kultur der frühen Bundesrepublik 1945 – 1959, Göttingen 2009 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. 45), S. 418 ff.

[16] Ebsen, Ingwer, Abstimmungen des Bundesvolkes als Verfassungsproblem, in: AöR 110 (1985), S. 2-29.

[17] Vgl. Jung, Otmar: Grundgesetz und Volksentscheid. Gründe und Reichweite der Entscheidungen des Parlamentarischen Rats gegen Formen direkter Demokratie, Opladen 1994, S. 316 ff.

[18] PR 5.49 Ds 760 v. 4.5.49.

[19] PR Pl. 6.5.49, S. 181 (ohne Auszählung); im Hauptausschuss am Vortag hatte v. Brentano auf eine Abstimmung verzichtet (PR HA 5.5.49, S. 749).

[20] Es gab für den Antrag keine authentische Begründung, auch fand keine Debatte statt.

[21] Vgl. Abg. Brockmann (Z), PR Pl. 6.5.49, S. 184; vgl. ders., PR Pl. 8.5.49, S. 229: „Unser Antrag [sc. auf Einführung der Volksgesetzgebung] eröffnet eine Abstimmungsmöglichkeit, die bisher überhaupt nicht gegeben ist, obwohl sie in der Verfassung steht.“ Dem Zentrum gib es dabei eigentlich um das „Elternrecht“.

[22] Vgl. zuletzt Jung, Otmar: Das demokratische Defizit: Deutschland ohne Volksentscheid, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 54 (2009), H. 5, S. 97-102 (100).

[23] Vgl. Jung: Grundgesetz und Volksentscheid, 1994, S. 337.

[24] Vgl. a. a. O., S. 330.

[25] Weber, Max: Parlament und Regierung im neu geordneten Deutschland. Zur politischen Kritik des Beamtentums und Parteiwesens, in: ders.: Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 19141918, hrsg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger (Max Weber Gesamtausgabe I/15), Tübingen 1984, S. 432-596 (545 f.) (zuerst 1918).

[26] Vgl. Abromeit, Heidrun: Nutzen und Risiken direktdemokratischer Instrumente, in: Demokratisierung der Demokratie. Diagnosen und Reformvorschläge, hrsg. von Claus Offe, Frankfurt a. M. 2003, S. 95-110 (108).

[27] Vgl. Jung, Otmar: Zur Revision der „Weimarer Erfahrungen“ mit der Volksgesetzgebung. Stellungnahme zum Beitrag Meineke im Jahrbuch für Politik 1994, in: JfP 5 (1995), Halbband 1, S. 67-116 (102 f.), mit Nachweisen zu Reichsinnenminister Hugo Preuß, dem Erich Abg. Koch[-Weser] (DDP), Preuß‘ späterem Nachfolger, und dem Abg. Oskar Cohn (USPD).

[28] Kühne, Jörg-Detlef: Volksgesetzgebung in Deutschland – zwischen Doktrinarismen und Legenden, in: Zeitschrift für Gesetzgebung 6 (1991), S. 116-132 (118).

[29] Vgl. Art. 85 Abs. 4 WRV: „Der Reichstag kann im Entwurfe des Haushaltsplans ohne Zustimmung des Reichsrats Ausgaben nicht erhöhen oder neu einsetzen.“ Eindeutig stellte dann 1949 Art. 113 GG klar, wo man Geld ausgeben wollte und wo allenfalls gebremst wurde: „Beschlüsse des Bundestages und des Bunderates, welche die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Ausgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Bundesregierung.“

[30] Kühne spricht von einer „normative(n) Reduktion …, die außerhalb Deutschlands praktisch ohne Parallele ist“ (a. a. O., S. 118).

[31] Bundesverfassungsgericht, Beschluss v. 3. Juli 2000, in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 102, S. 176-192.

[32] Vgl. Trechsel, Alexander/Serdült, Uwe: Kaleidoskop Volksrechte. Die Institutionen der direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen (1970-1996), Basel Genf München 1999 (Collection genevoise), S. 40. Inzwischen betrifft das obligatorische Finanzreferendum bereits alle Ausgaben, die durchschnittlich 0,35 Prozent der Gesamtausgaben ausmachen.

[33] Zu dem anderen schweizerischen Kanton, der noch an der Landsgemeinde festhält, erschien eine bemerkenswerte Darstellung von Haberland, Marius/Tran, Chi Huy: Die Agora von Glarus. Die jährliche Landsgemeinde in einem Schweizer Kanton, in: vorgänge 45 (2006), H. 4, S. 126-132.

[34] Vgl. Kanton Appenzell Innerrhoden: Landsgemeindemandat 2001, S. 4 (Staatsrechnung 2000).

[35] Vgl. Kanton Appenzell Innerrhoden: Landsgemeindemandat 2010, S. 5 ff.

[36] Gewiss gibt es überschuldete Privathaushalte – aber die Quote der hochverschuldeten repräsentativ-demokratisch regierten Staaten liegt offenkundig höher.

[37] Lenin, Wladimir Iljitsch: Staat und Revolution [1917], in: LW 25, S. 393-507 (483).

[38] Vgl. Hahnzog, Klaus: Bayern als Motor für unmittelbare Demokratie, in: Heußner, Hermann K./Jung, Otmar (Hrsg.): Mehr direkte Demokratie wagen. Volksentscheid und Bürgerentscheid: Geschichte – Praxis – Vorschläge, 2. Aufl., München 2009, S. 235-256 (249-252).

[39] Vgl. Jung: Direkte Demokratie – Forschungsstand und Perspektiven, 2002, S. 57-60.

[40] Dass die Gefahr einer Überschuldung „auch in der inneren Logik der [sc. repräsentativ] verfassten Demokratie“ liegt, zeigt Wolff, Heinrich Amadeus: Die Änderungsbedürftigkeit des Art. 115 GG, in: Brink, Stefan/Wolff, Heinrich Amadeus (Hrsg.): Gemeinwohl und Verantwortung. Festschrift für Hans Herbert von Arnim zum 65. Geburtstag, Berlin 2004, S. 313-324 (316).

[41] Vgl. Arnim, Hans Herbert v.: Das System. Die Machenschaften der Macht, München 2001, S. 373 f.

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