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Etatis­ti­scher Sozialismus

Zur Fiskalpolitik der Partei „Die Linke“ *,

aus: vorgänge Nr. 190, Heft 2/2010, S. 135-141

I. Anlass und Absicht

Vor mehr als hundert Jahren entwickelte Knut Wicksell die Idee, dass die einzige Legitimationsgrundlage der Besteuerung die an Gründen orientierte Übereinstimmung der Bürger sein könne. Wicksells Konsensidee wird nicht durch den Umstand illusorisch, dass Staatsbürger von Steuern in aller Regel ungleichmäßig in ihren Privatinteressen betroffen sind, denn die Bürger können auch bspw. dahingehend übereinstimmen, dass stärkere Schultern mehr Lasten tragen können, eine Besteuerung von Energiekonsum klimapolitisch sinnvoll wäre usw. Aus dieser Konsensidee entwickelte Wicksell eine Regel für steuerpolitische Debatten, die besagt, dass keine staatlichen Ausgaben ohne nähere Angaben darüber beschlossen werden sollten, wie die Mittel zu ihrer Deckung aufgebracht werden sollten. Dies betrifft natürlich alle Formen von Sozialpolitik.

Ich möchte Wicksells Gedanken voraussetzen und unter dieser Voraussetzung die steuerpolitische Grundkonzeption der Partei „Die LINKE“ beurteilen. Die LINKE fordert sozialpolitisch die Schaffung eines staatlichen bzw. öffentlichen Sektors der Daseinssicherung. Die Mittel hierfür müssen durch zusätzliche Steuern aufgebracht werden. Die LINKE fordert, wie dies Herr Ernst in einem taz-Gespräch vom 12. März diesen Jahres in aller wünschenswerten Deutlichkeit und in der Beachtung der Wicksell-Regel dargelegt hat, Steuererhöhungen im Bund, die jährlich zusätzlich 160 Milliarden Euro einbringen sollen. Diese Summe soll „eingetrieben“ (Ernst) werden, um die staatlichen Leistungen zu finanzieren, „die wir brauchen“ (Ernst). Beabsichtigt ist also eine Umverteilungspolitik, bei der die deutsche Oberschicht und auch die oberen Mittelschichten hinsichtlich ihres Einkommens und Vermögens herangezogen werden. Ernst: „Das ist Absicht.“ In vielen Dokumenten der LINKEN werden in diesem Sinne neben der Erhöhung der Einkommensbesteuerung vor allem eine Vermögenssteuer oder -abgabe sowie eine Erhöhung der Erbschaftssteuer gefordert. Der erste Entwurf eines Grundsatzprogramm der LINKEN fordert neben der kräftigen Anhebung des Spitzensteuersatzes auf Einkommen die Einführung einer jährlichen Vermögenssteuer in Höhe von 5 Prozent auf private Millionenvermögen und eine deutliche Anhebung der Erbschaftssteuer auf große Vermögen. Die genauen Vermögensschwellen bleiben im Grundsatzprogrammentwurf unbestimmt. Selbst wenn man, wie ich, nicht generell gegen derartige Besteuerungen oder Steuererhöhungen ist, schwindelt es angesichts des Ausmaßes, das für die Realisierung der politischen Ziele erforderlich scheint. Es erscheint fair, angesichts dieses Ausmaßes von einer Deproprietarisierungspolitik zu sprechen, da die bestehenden Vermögen reduziert werden sollen. Man muss gewiss kein Anhänger von Peter Sloterdijk sein, um eine solche Steuerpolitik für begründungsbedürftig zu halten. Die Gründe, die man ad hoc heranziehen kann, um den Aufbau von sozialen Diensten im weiteren Sinne zu begründen (solche „sozialen“ Gründe finden sich immer), erscheinen nicht ausreichend für eine Legitimierung einer solchen Deproprietarisierungspolitik. Ich werde daher im Folgenden zuerst die Möglichkeiten einer normativen Begründung ausloten, um im Anschluss daran einige makroökonomische und sozialpolitische Konsequenzen dieser Politik zu analysieren. Zuletzt frage ich, ob das hinter dieser Fiskalpolitik stehende Politikmodell für Mitglieder der Partei von Bündnis 90/Die Grünen attraktiv ist.

II. Normative Recht­fer­ti­gungs­basis

Sicherlich kann man eine Deproprietarisierungspolitik der Oberschichten auf marxistischem Wege begründen. Marx selbst fordert bekanntlich die „Expropriation der Expropriateure“. Diese berühmte Formel liefert die Begründung gleich mit. Das Vermögen der Kapitalistenklasse insbesondere an Produktionsmitteln wurde und wird unrechtmäßig, nämlich durch die Aneignung von Mehrwert, erworben und darf ihr daher genommen werden. Diese Auffassung setzt allerdings die marxsche Arbeitswertlehre zwingend voraus. Die Arbeitswertlehre wird selbst von linken Ökonomen kaum noch vertreten und dürfte in der Form, in der sie Marx selbst im „Kapital“ aus Abstraktionen einfacher produktiver Arbeit entwickelt hat, theoretisch nicht zu verteidigen sein. Es könnte sogar sein, dass der post-fordistische Kapitalismus die klassische Arbeitswertlehre obsolet gemacht hat. Der Versuch, eine zeitgemäße Arbeitswertlehre zu entwickeln, wäre zwar theoretisch aller Ehren wert, liegt aber meines Wissens nicht vor. Bei Quasselstrippen wie Hardt und Negri sucht man jedenfalls vergeblich. Hier ist die LINKE in der Bringschuld, ein zeitgemäßes marxistisches Argument zu formulieren. Dies wäre zugleich eine Probe aufs Exempel der Theoriefähigkeit dieser Partei.

Gerne beruft sich die LINKE auf die (soziale) Gerechtigkeit. Eine bloße Berufung (oder Beschwörung) ist allerdings noch kein Argument. Auf die Prinzipien der gegenwärtig meist vertretenen Gerechtigkeitsethiken kann sich die LINKE nun gerade nicht stützen. Mit den Prinzipien, die von John Rawls, Michael Walzer, Amartya Sen, Thomas Pogge u. a. begründet werden, lässt sich diese Politik nicht rechtfertigen. Nicht einmal das höchst respektable Argument von Gerald Cohen, das eine Begrenzung des zulässigen Höchsteinkommens fordert, kann herangezogen werden, um massive Eingriffe in vorhandene Privatvermögen zu rechtfertigen. Auch der Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum eignet sich konzeptionell nicht für eine solche Begründung, da er nur fordert, dass alle Menschen die realen Möglichkeiten haben sollen, eine Reihe von menschlichen Fähigkeiten auszubilden und auszuüben. Dieser Standard an sich scheint hierzulande selbst für Bezieher von ALG II im Großen und Ganzen erfüllt. Diese Behauptung kann man natürlich unter Hinweis auf die psychischen Befindlichkeiten bestreiten, unter denen (viele) Empfänger von ALG II leben (mögen). Dies führt auf das weite Feld der sozialpsychologischen Erforschung der BezieherInnen von Transfereinkommen, das hier nicht abgeschritten werden kann. Davon auszugehen, dass auf der monetär schmalen Grundlage von ALG II ein menschenwürdiges Dasein geführt werden kann, bedeutet natürlich nicht, ALG II in seiner heutigen Form zu verteidigen.

Man sieht jedenfalls, welcher interpretatorischer Leistungen es bedarf, besagte Politik explizit gerechtigkeitsethisch zu legitimieren. Die Bürgerschaft hat daher ein Anrecht darauf, erfahren zu dürfen, welche Gerechtigkeitsethik die LINKE ihrer Besteuerungspolitik eigentlich zugrunde legt.

Betrachtet man diese Politikstrategie aus dem Blickwinkel des Grundgesetzes, also verfassungspatriotisch, so trifft zwar zu, dass das Grundgesetz das Privateigentum weniger stark schützt als die Ausübung von Grundfreiheiten. Besteuerung von Vermögen ist verfassungskonform. Das Eigentum einschließlich des Erbrechts wird allerdings gewährleistet (Art 14 (1)). Diese Gewährleistung ist in erster Linie ein Abwehrrecht gegen den staatlichen Zugriff. Weiter heißt es in Absatz 2: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Wohlgemerkt: Dieser Absatz besagt nicht, dass das Eigentum selbst dem Allgemeinwohl dienen solle, sondern sein Gebrauch. Gebrauch von Eigentum setzt dieses allerdings voraus. Dies setzt einer Deproprietarisierungspolitik verfassungsrechtliche Schranken. Diese ist also nicht durch den Wortlaut von Art 14 gedeckt, sondern müsste interpretatorisch hergeleitet werden. Ein solches verfassungspolitisches Argument ist die LINKE aber bislang schuldig geblieben.

Natürlich kann es weitere Begründungsstrategien geben. So könnte man etwa eine kollektive Haftungsverantwortung wohlhabender Schichten für die Finanz- und Wirtschaftskrise geltend machen. Allerdings weist eine solche Begründung eine komplexe Prämissenbasis auf, die eigens zu explizieren wäre. Trifft es zu, dass sich größere Privatvermögen primär der Finanzspekulation verdanken? Sollen alle Mitglieder einer bestimmten Gruppe (Vermögende) für das Fehlverhalten einiger Mitglieder der Gruppe (Finanzspekulanten) haften müssen?

III. Makro­öko­no­mi­sche Konse­quenzen

Die Auswirkungen von Steuerpolitiken müssen makroökonomisch analysiert werden. Solche Analysen sind konsequentialistisch, d.h. sie fragen unter bestimmten Voraussetzungen zu erwartenden Verhaltens danach, wie sich eine Fiskalpolitik mittel- und langfristig auswirken dürfte. Die verhaltenstheoretischen Prämissen werden häufig als „homo-oeconomicus“– Test konzipiert. Diesen Test gedanklich durchzuführen, impliziert nicht, die Modellfigur homo oeconomicus als Menschenbild anzuerkennen. Dieser Test fragt, wie die Reaktionen auf eine Politik ausfallen dürften, wenn sich die überwiegende Zahl der direkt betroffenen Personen auch oder in erster Linie an ihren ökonomischen Privatinteressen orientiert. Dies bedeutet für den Fall der Steuerpolitik der LINKEN, wie sich die betroffenen Schichten wahrscheinlich verhalten werden, wenn diese Politik in Reinkultur realisiert würde. Es soll hier also nicht abgeschätzt werden, welche Abstriche die LINKE in denkbaren Regierungskoalitionen von ihren Forderungen zu machen genötigt wäre, sondern darum, die Politik der LINKEN als solche ernst zu nehmen.

Wichtig für die Analyse ist der Betrachtungszeitraum. Wenn die besagten 160 Mrd. Euro jährlich aufgebracht werden müssen, da ja mit diesen Mitteln die sozialen Dienste bzw. die zwei Millionen neue Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen und, vor allem, dauerhaft finanziert werden sollen, so erscheint ein Betrachtungszeitraum von mindestens zehn Jahren angemessen. Dieser Zeitraum müsste auch für die LINKE als fair gewählt gelten, da die LINKE, so sie (mit)regierte, eine Legislaturperiode bräuchte, die Politik einzuleiten, und darauf hofft, für diese Politik mindestens einmal wiedergewählt zu werden. Zudem sollen die neuen sozialen Dienste als dauerhafte Institutionen und Organisationen aufgebaut werden. Solche Dienste können gar nicht alle paar Jahre auf- und abgebaut werden. Das Beispiel Griechenland lehrt zumindest so viel, dass einmal etablierte Strukturen des öffentlichen Dienstes ihre eigene Trägheit hinsichtlich der Finanzierungsbedarfe aufweisen. Innerhalb des besagten Zeitraums wären demnach ca. 1,5 Billionen Euro zusätzlich einzutreiben. Das ist mehr als ein Drittel des Gesamtgeldvermögens aller Bürger.

Damit wird für die Oberschichten und für die obere Mittelschicht klar, was auf sie zukommt. Sicherlich wird für die Vermögenssteuer oder -abgabe eine Bemessungsgrenze (und womöglich Staffelungen) eingeführt werden. Da die LINKE von einer „Millionärssteuer“ spricht, dürfte diese Bemessungsgrenze Privatvermögen oberhalb von wenigen Millionen Euro erfassen. Gesetzt nun, dass diese Politik im Kreise der Betroffenen nur wenige überzeugte Anhänger findet, so dürfte der Personenkreis, der diese Steuern oder Abgaben aus politischer Überzeugung freiwillig entrichtet, eher klein sein. Unterscheidet man nun idealtypisch zwischen mobilen Formen des Finanzkapitals und bodenständigeren Formen des Realkapitals und der Privatvermögen, so erscheint es höchst wahrscheinlich, dass die mobileren Formen des Kapitals rasch in andere Steuersysteme transferiert werden. Die Finanzspekulanten trifft man also nicht. Auch eine geringfügige Besteuerung von Finanztransaktionen löst das Problem dieser zu erwartenden Transfers nicht. Die Gruppen, die man mit guten Gründen für die Bankenkrise des Jahres 2009 verantwortlich machen kann, trifft man also am wenigsten. Die bodenständigeren Vermögen muss man dafür umso härter treffen – und zwar kontinuierlich, da ja die zusätzlichen sozialen Dienste dauerhaft finanziert werden müssen.

Da die Gelder jährlich aufgebracht werden müssen, stellt sich die Frage, warum die LINKE nicht mit einem stark degressiven Steueraufkommen zu rechnen scheint, da ja im Laufe der Zeit immer mehr Haushalte von der Steuer befreit werden müssten, da sie aufgrund der Besteuerung selbst und aufgrund ihrer Nebeneffekte (Reduktion der Sparquoten) unter die Bemessungsgrenze rutschen. (Ich möchte nicht annehmen, dass immer besteuert wird, wer einmal besteuert wird.) Freilich könnte man dieser Gefahr degressiver Einnahmen begegnen, indem man die Bemessungsgrenze für die Vermögens- und Erbschaftssteuern kontinuierlich absenkt und zudem die höheren Einkommen stärker besteuert, also auch die Mittelschichten sukzessive zur Finanzierung der sozialen Dienste heranzieht. Was wären die absehbaren Folgen?

Aus der Perspektive der Betroffenen ergeben sich Tradeoffs. Die bürgerlichen Mittelschichten konsumieren ihre Einkünfte nicht nur, sondern sie finanzieren mit ihnen auch zivilgesellschaftliche Organisationen, entrichten Beiträge für Mitgliedschaften in Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden und politischen Parteien, spenden für karitative Zwecke, machen Geschenke usw. Wird nun die Steuerlast erhöht, so ergeben sich zwangsläufig Tradeoffs zwischen privatem Konsum und diesen zivilgesellschaftlichen Beiträgen. Unabhängig von der Frage, welche Mitgliedschaft man zuletzt kündigt, werden viele Tradeoffs zuungunsten zivilgesellschaftlicher Beiträge ausfallen. Diese Steuerpolitik schwächt somit die Organisationen der Zivilgesellschaft. Sicherlich kann man dies durch staatliche Verbändeförderung u. dergl. zu kompensieren suchen, aber damit etatisiert man diese Förderung und macht sie von administrativem Wohlwollen abhängig.

Aus der Perspektive von Personen, die unter diesen Bedingungen darüber nachdenken, wie sie privates Geldvermögen anlegen, also worin sie investieren, ergibt sich, dass eine Verbindung aus hohen Renditen und hohen Risiken eine rationale Investitionsstrategie ist. Gesetzt, ein Investor hat unter dem Steuerregime der LINKEN die Wahl zwischen einer ethisch-ökologisch verantwortbaren Investition (lange Laufzeit, geringe Rendite, gute Sicherheit, gutes Gewissen) und einer spekulativen Investition auf Immobilien-, Rohstoff- oder Finanzmärkten, so gibt die Vermögensbesteuerung von jährlich 5 Prozent einen Grund, letztere Investition zu bevorzugen, da deren Risiko weniger schreckt. Die Investitionen fließen also nicht in die Branchen und Projekte, die auf Grund sozialethischer und ökologischer Kriterien zu bevorzugen wären. Demnach bewirkt das Steuerregime der LINKEN unter den Maßstäben einer sozialökologischen Politik eine Fehlallokation. Dem kann man natürlich durch Investitionslenkung und -kontrolle gegenzusteuern versuchen.

Aus der Perspektive von Personen, die über Ersparnisse verfügen, wird es zudem rational, Geldvermögen in hochwertige Sachgüter umzuwandeln, um unter die Bemessungsgrenze zu gelangen. Daher würde das Steuerregime die Konjunktur in bestimmen Branchen beleben; Teppiche, Musikinstrumente, Schmuck, Antiquitäten, Designermöbel usw. würden sich wohl recht gut verkaufen. Diese Konterstrategien könnten dann natürlich politisch wiederum gekontert werden, indem bspw. eine Luxussteuer eingeführt wird oder über die Angabe der Höhe von Hausratversicherungen auch das Sachvermögen steuerlich herangezogen würde. Aber was, wenn die Policen den realen Wert des Hausrates nicht mehr widerspiegeln, also Gründe für die Annahmen sprechen, dass das Sachvermögen der Oberschicht strukturell unterversichert ist? Will man dann Hausrat direkt in seinem (möglichen) Wert taxieren? Dies kollidierte mit der Unverletzlichkeit der Wohnung.

(Denken wir uns zum Spaß einen Bürger, der dann noch auf die Idee kommt, Teile seines Vermögens in die Weine zu investieren, von denen er glaubt, dass sie sich ihr Verkaufswert durch lange Lagerung erhöhen lässt. Er transformiert seine Ersparnisse also in einen wohlgefüllten Weinkeller und rutscht dadurch unter die Bemessungsgrenze.

Wie würde man im Rahmen der Vermögensbesteuerung auf diese Umgehungsstrategie reagieren (müssen)? Mit einer Cru-Steuer auf bestimmte Weine?)

Diese Fiskalpolitik birgt eine polemogene Dynamik für die Bürgerschaft insgesamt. In ihren vorprogrammierten Zwangsläufigkeiten liegen allerlei Untiefen und Tücken. Die fehlende normative Legitimität (s. o.) einer solchen Fiskalpolitik würde sich in der zunehmenden rechtlichen Fragwürdigkeit der Maßnahmen fortsetzen, die man bräuchte, sie dauerhaft umzusetzen. Die normativen Defizite würden sich, mit Adorno gesagt, an dieser Fiskalpolitik rächen. Weiterhin ist die Gefahr, Strukturen zu schaffen, die sich angesichts von Ausweichstrategien und degressiven Einkünften als mittelfristig nicht finanzierbar erweisen, keineswegs von der Hand zu weisen. Dies betrifft nicht zuletzt das Risiko, einen stark ausgebauten Dienstleistungssektor über kurz oder lang partiell über Staatskredite finanzieren zu müssen. Eine solche Fiskalpolitik wäre über kurz oder lang haushalts-, rechts- und sozialpolitisch vom Scheitern bedroht.

IV. Und wofür?

Und man darf fragen, welche sozialen Dienste mit dem Geld konkret aufgebaut werden sollen. Wolkige Ankündigungen von Umwelt-, Sozial-, Kultur- und Gesundheitsdiensten reichen hier nicht. Sicherlich wird eine personelle Stärkung der Finanzbehörden unausweichlich sein. Aber die ist ja nur Mittel zum Zweck. Das Institut für Gesellschaftsanalyse hat in dem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung vertriebenen Magazin „kontrovers“ (02/2009, S. 20) die politische Vision folgendermaßen ausgemalt: „In einer zukunftsfähigen Gesellschaft wird das Öffentliche – öffentliche Güter, öffentliche Daseinsvorsorge, öffentliches Eigentum, öffentliche und öffentlich geförderte Beschäftigung, öffentliche Räume und Teilhabe der Öffentlichkeit an Entscheidungen – zur conditio humana für individuelle Freiheit.“ Unabhängig davon, ob wirklich „conditiohumana“ gemeint sein soll, fragt sich, ob der Begriff der Öffentlichkeit hier sachgerecht verwendet wird. Versteht man den Begriff der Öffentlichkeit (mit Kant, Arendt und Habermas) als Kommunikationsmedium und als Sphäre des Auftretens, so müsste in jedem Fall zwischen Öffentlichkeit und staatlichen Diensten unterschieden werden. Die pauschale Beschwörung des „Öffentlichen“ verwischt insofern wichtige kategoriale Unterschiede. Im Grundsatzprogramm der LINKEN heißt es, die Sektoren Energie, Wasser, Mobilität, Wohnen, soziale Infrastrukturen, Gesundheit, Bildung und Kultur dürften nicht dem privatkapitalistischen Gewinninteresse unterliegen.

Mir drängt sich angesichts solcher Ankündigungen die Vorstellung aufgeblähter staatlicher Fürsorgeapparate und Finanzverwaltungen auf, die teilweise mit sich selbst beschäftigt sind. Besonders attraktiv sind diese Aussichten für freie Bürger nicht. Dass der Aufbau eines solchen Fürsorgekomplexes die verbreitete Sozialstaatsskepsis der Mittelschichten beseitigt, ist nicht zu erwarten. In jedem Falle handelt es sich bei dieser Politik um eine stark etatistische Variante linker Politik, wie sie sich auch an anderen Stellen des Programmentwurfs der LINKEN deutlich zeigt. Wie viel Vertrauen also soll man in den Erfolg eines neuen etatistischen Sozialismus setzen, der über die Hintertür des Steuerrechts umgesetzt werden soll? Sicherlich wird für die Vertreter meiner Generation die Antwort auf diese Frage auch von der Erfahrung des Jahres 1989 beeinflusst, von der man als zoon politikon nicht beliebig abstrahieren kann. Ich kann nicht verhehlen, dass es zu meinen intensivsten, aber auch bittersten politischen Erfahrungen zählte, nach 1990 die Ruinen des real existiert habenden Sozialismus zu besichtigen, eines Regimes, das ökonomisch, moralisch und politisch bitterböse gescheitert war. Das Ende der DDR bescherte uns eine Revolution, die beanspruchen darf, in der Tradition von 1848 und 1918 zu stehen. Diese Revolution hat ihre Spur im Namen der politischen Partei behalten, deren Mitglied ich selbst bin und bleiben möchte: Bündnis 90. Soll sich, so die Frage, die Partei von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als politischer Partner der LINKEN auf die hier skizzierte Politik (und natürlich viele andere Politikziele) ernsthaft einlassen, zunächst wohl eher auf einer geistig-mentalen, später dann vielleicht auf einer realpolitischen Ebene? Die LINKE bietet eine solche Koalition mit der üblichen wohlklingenden Vokabelmannschaft hinsichtlich eines „gerechten“, „emanzipatorischen“, „solidarischen“, „zukunftsfähigen“ linken Projekts an, das den Kapitalismus (gleichsam im zweiten Versuch) überwindet. Natürlich klingt das Vokabular in den Ohren auch vieler älterer Grünen wie ein „Deja vú“. Hiervon sollte man sich den analytischen Blick auf unterschiedliche Politikmodelle und Traditionen aber nicht trüben lassen.

* Die in diesem Beitrag formulierte Kritik an dem fiskalpolitischen Etatismus der Partei „Die Linke“ stehen im Kontext der Positionen, die der Autor zum „Ökologischen Ordoliberalismus“ (vorgänge 179 3/07) und zum „Green New Deal“ (vorgänge 186 2/09) entwickelt hat.

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