Verdrängte Wahrheiten
Im Jahr 2009 hat Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert. Festgeschrieben ist damit die uneingeschränkte Teilhabe behinderter Menschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Seither ist viel von Inklusion die Rede. Manche sehen für behinderte Menschen schon das Paradies zum Greifen nahe. Dabei ist es viel mehr so: Die jahrelangen Bemühungen um Integration sind gescheitert, deshalb kommt das Versuchsfeld mit dem Ansatz der Inklusion wie gerufen.
Ohne Zweifel ist es ein Fortschritt, dass die Forderung behinderter Menschen auf Teilhabe zum Menschenrecht erhoben wurde. Aber die ‚Allgemeine Erklärung der Menschenrechte‘ hat immerhin seit 1948 Geltung. Entweder – so wäre daraus zu folgern – ist diese Erklärung für behinderte Menschen bedeutungslos, so dass eine Sonderkonvention her musste. Oder aber das verbreitete Bewusstsein hat Personen mit Behinderung bis heute nicht als vollwertige und gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft akzeptiert. Vieles spricht für diese Behauptung. Zur Veränderung von Bewusstseinslagen sind Konventionen und Gesetze wenig geeignet. Sie sind hilfreiches Instrument für juristische oder parlamentarische Auseinandersetzungen. Der Alltag verlangt mehr.
Udo Sierck Jg. 1956, Dipl.-Bibliothekar, seit Ende der 1970er Jahre ein Protagonist der emanzipatorisch-politischen Behindertenbewegung, Dozent an der Ev. Hochschule Darmstadt und der Kath. Hochschule Münster; Autor zahlreicher Bücher, aktuelle Publikation: Bösewicht – Sorgenkind – Alltagsheld. 120 Jahre Behindertenbilder in der Kinder- und Jugendliteratur (2021). www.udosierck.com
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