Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 237/238: Diskriminierende Realitäten

Die Redaktion trauert um ihr Mitglied und ihren Freund Dr. Herbert Mandelartz, 27.11.1948 - 7.6.2022

Dass er bei Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde studierte, hat Herbert Mandelartz, Jahrgang 1948, immer mit zurückhaltender Bewunderung erwähnt. Nach Studium und Dissertation war Herbert Mandelartz Jurist, Publizist und Autor dreier Krimis, die das Innenleben von Verwaltungen kenntnisreich und oft ironisch beschrieben.

Bevor er stellvertretender Amtschef im Bundespresseamt wurde, führte ihn seine Berufsvita als Verwaltungsrichter nach Minden/Westfalen; 1984 ins Bundesministerium des Innern nach Bonn und von 1985 bis 1999 ins Ministerium des Innern des Saarlandes. Dort war seine große Zeit in der Politik unter Ministerpräsident Lafontaine, wo er als Innen-Staatssekretär von 1996 bis 1999 u.a. für die Polizei zuständig war. Viele seiner Politik-Anekdoten, die er gerne zum Besten gab, stammten aus dieser Zeit.

Schließlich erfolgte unter der Kanzlerschaft Angela Merkels das Ausscheiden des langjährigen SPD-Mitglieds aus dem Bundespresseamt durch Versetzung in den einstweiligen Ruhestand am 1. Februar 2006. Auch danach beschäftigte ihn die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung weiterhin. So nahm er einen Lehrauftrag an der Humboldt-Universität wahr: „Recht und Kommunikation in der Praxis.

Als Referatsleiter im Bundespresseamt hatte ich Gelegenheit, ihn als Vorgesetzten agieren zu sehen. Mit Staunen und Bewunderung nahmen wir Kolleginnen und Kollegen im Amt zur Kenntnis, dass der Neue historisch-zeitgeschichtlich besonders bewandert war und Haltung hatte. Er sorgte dafür, dass der große Saal im Bundespresseamt, der für Presskonferenzen und Personalversammlungen diente, in den „Dr. Theodor Haubach-Saal“ benannt wurde. Das Orchester einer Berliner Schule umrahmte die feierliche Installation einer Gedenktafel vor dem Saal mit dem Porträt des am 21. Januar 1945 in Berlin-Plötzensse ermordeten Widerstandsmitglieds Dr. Theodor Haubach. Er sollte nach einem gelungenen Staatsstreich gegen Hitler der erste Regierungssprecher der neuen freien Regierung werden.

Herbert Mandelartz konnte streng sein, wenn er Trägheit oder Desinteresse bei einzelnen Beschäftigten feststellte. Das waren die üblichen individuellen Probleme einer Behörde. Er hat sich zudem intensiv um die strukturellen Fragen von Verwaltung gekümmert. Mit dem schönen Titel „Sisyphos lebt. Modernisierung der Verwaltung – alte Probleme, neue Fragen“ (Berliner Wissenschaftsverlag, 2009) widmete er sich aus der Sicht des Praktikers der Geschichte der Verwaltungsmodernisierung seit den 1990er Jahren.

Anhand der unendlichen Geschichte der Leistungsbeurteilung zeigt er beispielsweise, wie lange es dauern kann, bis neue Ideen umgesetzt werden. Klischees, wonach durch massenhafte Ämterpatronage der Öffentliche Dienst die Unfähigen anziehe, wies der Autor zurück. Würden politische und administrative Vorgesetzte ihre Aufgabe und Verantwortung voll ernst nehmen, brauche sich der Öffentliche Dienst nicht vor der Privatwirtschaft zu verstecken. Mandelartz wusste genau, worüber er schrieb – Verwaltungserfahrung hatte er zur Genüge.

Aber auch andere Themen beschäftigten ihn intensiv. So hat er in dieser Zeitschrift, deren Redaktionskollegium er lange angehörte, einen Artikel zu Carl Schmitt veröffentlicht: „… nötigenfalls Vernichtung. Eine Fußnote zu Carl Schmitt.1 Dass Carl Schmitt ein Mensch mit erheblichen charakterlichen Schwächen war, wird gleich zu Anfang erwähnt. Nach 1933 habe er Freunde und Förderer fallen gelassen; vor allem sei er Antisemit gewesen und habe sich publizistisch den Nazis angebiedert.

Dann geht er auf eine wohl von Vielen in ihrer Bedeutung (bewusst?) übersehene Formulierung ein in der „Vorbemerkung über den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie“, die in der 1926 erschienen 8. Auflage von Carl Schmitts Schrift „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ zu finden ist. Darin heißt es: „Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen.“ (Hervorhebung von Red.). Carl Schmitt musste wissen, was er schrieb und wohin dies führen konnte – eben zur Vernichtung, meinte Herbert Mandelartz. Dass er die Vernichtung der Juden akzeptiert oder sogar gefordert hat, war für Mandelartz durch die Hinweise auf die Ausführungen in der Vorbemerkung belegt. Nach 1945 habe sich Carl Schmitt trotz Aufforderung zu diesen Formulierungen nie geäußert.

Im Redaktionskollektiv der „vorgänge. Zeitschrift für Bürgerrechte und Gesellschaftspolitik“ wurde Herbert sehr geschätzt, weil er seine Kenntnisse, Erfahrungen und seine Fähigkeit zur politischen Analyse immer intensiv einfließen ließ. Dass er seine Ungeduld kund tat, wenn Diskussionen zu sehr ausschweiften, war für alle Teilnehmenden Ausdruck seiner Professionalität, die er auch im Ruhestand nicht ablegen mochte.

Alemania Aachen war ihm Herzensangelegenheit. Er liebte Fußball, hat es früher wohl auch mit Leidenschaft gespielt. Und Marathon ist er gelaufen: ein Mal und das reichte. Was er nach Kilometer 33 erleiden musste, hat wohl alle ernüchtert, die ihm zuhörten und je in dieser Richtung träumten. Aber er lief bis zum Ende durch, sogar in einer beachtlichen Zeit.

Dass er Mitglied in der Saarländischen Galerie in Berlin war und kulturell engagiert, haben viele erst erfahren, als die Galerie in Berlin nach seinem Tod zum Gedenken einlud.

Mit seinen drei Krimis im Gmeiner Verlag („Rotkäppchen und Wodka“, „Schwarzer Engel ohne Kopf“, „Unter Verschluß“) hat Herbert allen Freundinnen und Freunden ein Vermächtnis hinterlassen, das mehr als vieles andere Einblick in seine Erlebniswelten gibt. Politik und Verwaltung werden in wunderbaren Szenen beschrieben – von der Dauer-Redensart eines Spitzenbeamten, der jedem, der mit irgendwelchen Wünschen zu ihm kommt, seine Aufgeschlossenheit mit den Worten mitteilt: „So viel Zeit muss sein.“ Es geht spannend zu in den Krimis und auch Deftig-Erotisches findet statt. Irgendwer hat immer eine Geliebte, die er oder sie nicht haben sollte.

Herberts SPD-Ortsvereinserfahrungen finden in „Schwarzer Engel ohne Kopf“ ihren Niederschlag. Die Szene: eine Wahlveranstaltung in Dortmund. Dr. Thomas Bode aus Düsseldorf „war sich bewusst, dass es eng werden würde. Er war seit fast 40 Jahren in der SPD. Im Zusammenhang mit der Neuregelung des Asylrechts wäre er beinahe ausgetreten. Aber nach einer langen Diskussion mit viel Bier und Schnaps hatte er sich überzeugen lassen, dass man aus der SPD nicht austritt … Als einfaches Mitglied hatte er Wahlkampfstände betreut und Hausbesuche gemacht … Wenn er an die Rede von Otto Wels2 dachte, lief es ihm immer noch kalt über den Rücken. Und dann wusste er, warum er nicht austrat. Aber manchmal fragte er sich schon, warum er sich das antat.“ In der Tat konnte man Herbert in Berlin Steglitz im Wahlkampf frühmorgens an der U-Bahn Handzettel verteilen sehen, bei Wind und Wetter. Der Staatssekretär a.D. war sich dafür nicht zu schade.

Herbert Mandelartz hatte zahlreiche Bekannte und pflegte diese Beziehungen in gleichsam hermetischen Runden, viele wussten nicht voneinander. Sehr gerne erzählte er – mit der gebotenen Zurückhaltung – von einigen Bekannten, die früher zu den Funktionseliten der DDR gehörten. Ihn faszinierten Berichte aus dem Innenleben des DDR-Systems, die von seinen Gesprächspartnern natürlich anders bewertet wurden, als es das allgemeine DDR-Bild unserer Medien vermittelte.

Mit Herbert Mandelartz haben wir einen Weggefährten verloren, der uns sehr viel gegeben hat. Streng als Chef war er aber angetan, wenn er es mit Beschäftigten von Sachverstand, Engagement und Vitalität zu tun hatte. Seine Menschlichkeit war immer da. Vor nicht langer Zeit ging er die Straße entlang und hörte, wie eine Gruppe junger Männer eine sie begleitende Frau bedrängte. Herbert mischte sich ein mit der Aufforderung „Lasst doch die Frau in Ruhe.“ Kaum gesagt, trat ihm einer der Männer die Beine weg. Herbert knallte aufs Pflaster, Verletzungen im Gesicht. Für ihn, der ohnehin seelisch litt, war dies ein furchtbares Erlebnis.

Wir werden Herbert in ehrender Erinnerung behalten. Er hätte es verdient, dass der Gmeiner Verlag seine drei Bücher auch als Printausgaben herausgibt.

Werner Koep-Kerstin

1S. vorgänge Nr. 216 (4/2016): „Rechtspopulismus/Rechtsextremismus“, S. 77-84.

2Otto Wels hielt als SPD-Vorsitzender am 23. März 1933 im Deutschen Reichstag bei der Verabschiedung des sog. Ermächtigungsgesetzes der Nazis vor johlenden SA-Leuten eine Rede, die in dem Ausruf gipfelte „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Die 94 anwesenden SPD-Abgeordneten stimmten als einzige gegen das Gesetz.

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