Der parlamentarische Boden des Rechtsextremismus in Ostdeutschland
aus: vorgänge Nr. 186, Heft 2/2009, S. 122-124
Am 30. August 2009 wird in Bandenburg und Sachsen der Landtag gewählt – zum fünften Mal seit der deutschen Einheit. In beiden Parlamenten sitzt eine rechtsextremistische Fraktion, in Brandenburg seit 1999 die der „Deutschen Volksunion“ (DVU), im sächsischen Freistaat die der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“ (NPD). Ob das auch nach der nächsten Wahl der Fall ist? Im Ausblick auf diese Wahlen verdient eine Neuerscheinung besonderes Interesse.
Sebastian Rehse, Die Oppositionsrolle rechtsextremer Protestparteien. Zwischen Anpassung und Konfrontation in Brandenburg und Sachsen; Nomos Baden-Baden 2008, 329 S., 44 Euro.
Die neuen Bundesländer bieten aus sozialisationsbedingten (die DDR war keine weltoffene Gesellschaft) und aus situativen Gründen (die ökonomische Lage ist weiterhin deutlich schlechter als im Westen) Rechtsaußenparteien bessere Chancen. Im Jahre 1998 war die DVU mit 12,9 Prozent der Stimmen in den Landtag von Sachsen-Anhalt eingezogen und hatte dort ein jämmerliches Bild geboten.
Sie war mehr mit sich als mit den Kontrahenten beschäftigt.
Das aus einer politikwissenschaftlichen Dissertation bei Everhard Holtmann (er hatte die DVU nach ihrem Erfolg in Sachsen-Anhalt untersucht[1]) hervorgegangene Buch von Sebastian Rehse analysiert instruktiv die Oppositionsrolle der DVU im Landtag von Brandenburg und die der NPD in dem von Sachsen. Für den Untersuchungszeitraum wählt er bei der DVU die Jahre 1999 bis 2001, bei der NPD die Jahre 2004 bis 2006. Auf diese sinnvolle Weise wird jeweils die Anfangszeit der Parteien im Landtag erfasst. Der Autor, vergleichend und methodisch anspruchsvoll vorgehend, berücksichtigt nicht nur parlamentsinterne (z. B. Gesetzentwürfe) und parlamentsexterne (z. B. Aufzeichnungen von Reden) Quellen, sondern stellt auch eigene Erhebungen an (Leitfadeninterviews mit Abgeordneten aller Fraktionen in den Landtagen sowie Verwendung von Fragebögen). So ist eine Arbeit entstanden, die die bisherigen Studien zum Rechtsextremismus in den Landtagen in den Schatten stellt.[2]
Der Verfasser, nun Referent in der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt, nimmt eine differenzierte Analyse der Funktionen von Oppositionsfraktionen in parlamentarischen Regierungssystemen vor (Kritik-, Kontroll- und Alternativfunktion). Beide Parteien – DVU wie NPD – gehören nicht zu einer systemloyalen Opposition, stehen nicht auf dem Boden einer freiheitlichen Ordnung. Bei den politikwissenschaftlichen Erklärungsangeboten für die dritte Welle rechtsextremer Mobilisierung stellt der Autor vor allem auf die gewachsenen Gelegenheitsstrukturen (z.B. nachlassende Integrationsfähigkeit der großen Parteien) ab. Die Angebotsstrukturen freilich kommen den Rechtsextremisten nicht entgegen.
Rehse analysiert das Verhalten der beiden rechtsextremistischen Parteien (im Plenum und in den Ausschüssen) ebenso wie die Reaktionen der Kontrahenten. DVU und NPD zeichnen sich im Plenum durch populistische Ressentiments aus. Die Initiativen der Parteien liefen oft auf Provokation hinaus. Hingegen hielten sie sich in den nichtöffentlich tagenden Ausschüssen zurück. Die Rolle der provokativ auftretenden NPD firmiert zu Recht insgesamt als systemfeindlich, die der DVU als systemkritisch. Der parlamentarische Einfluss der rechtsextremistischen Kräfte (die NPD zeigte sich professioneller als die DVU) blieb äußerst begrenzt – auch wegen des Verhaltens der anderen Parteien.
Diese entschlossen sich zu einem konzertierten Vorgehen gegen DVU und NPD. So reagierten in Brandenburg die parlamentarischen Geschäftsführer der anderen Parteien auf Initiativen der DVU kurz und bündig, ohne inhaltliche Akzentsetzung, um keine Aufwertung der Partei zuzulassen. Wie es ein CDU-Abgeordneter ausdrückte: „Meine Politik war immer – und die habe ich durchgesetzt: Kein Forum, „ins Leere lassen“; sie nicht ernst nehmen, Redebeiträge so kurz wie möglich halten. Ich habe immer nur wenige Sekunden gesprochen. […] Wir haben sie in Watte laufen lassen. Und ich sage das hier: Es gab immer eine unausgesprochene Verständigung mit der Landespresse. Es war […] ein ungeschriebenes Gesetz, eine ungeschriebene Regel, dass die darüber auch nicht berichtet haben. Erst mit der neuen Wahlperiode, ab 2004, gab es Kräfte, auch in der öffentlichen Wahrnehmung, die plötzlich über die DVU berichtet haben“ (S. 223). In der Tat ist die „Verweigerung inhaltlicher Debatten“ (S. 250) unangemessen.
In Sachsen kam es zu einer Vereinbarung der anderen fünf Fraktionen. Jeweils ein Vertreter der Koalition und der Opposition nahm zu den Initiativen der NPD Stellung.[3] Rehse kritisiert vorsichtig und völlig zu Recht, auf diese Weise werde „der für ein parlamentarisches Regierungssystem kennzeichnende strukturelle Gegensatz zwischen Regierungsmehrheit und Opposition (dadurch) stellenweise überlagert“ (S. 236). Vor allem, und das kommt bei dem Autor nicht angemessen zur Sprache, firmiert die PDS (bis 2005), die Linkspartei (bis 2007) und die LINKE (seit 2007) nun gleichsam als „demokratisch“. Der antiextremistische Konsens erfährt so eine Aushebelung, wiewohl diese Partei in demokratietheoretischer Hinsicht mit ihrem „weichen“ Extremismus nicht auf einer Stufe steht wie die NPD mit ihrem „harten“.
Die DVU und die NPD verhalten sich nicht den Prinzipen der demokratischen Zivilgesellschaft entsprechend. Das ist wahr, und wer dies leugnet, setzt sich dem Verdacht aus, die Positionen solcher Parteien, wenn nicht zu rechtfertigen, so doch zu verharmlosen. Gleichwohl sollten sich die Repräsentanten der demokratischen Parteien im Interesse der parlamentarischen Demokratie keineswegs kollektiv mit den Rechtsextremisten auseinandersetzen. Bisher konnten die „von DVU und NPD vorgelegten Initiativen nicht mehr zum Gegenstand einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Regierung werden“ (S. 247). Das schadet den auf Wettbewerb angelegten Strukturprinzipien des parlamentarischen Systems.
[1] Vgl. Everhard Holtmann, Die angepassten Provokateure. Aufstieg und Niedergang der rechtsextremen DVU als Protestpartei im polarisierten Parteiensystem Sachsen-Anhalts, Opladen 2004.
[2] Vgl. u.a. Christoph Butterwegge u.a., Rechtsextremisten in Parlamenten. Forschungsstand, Fallstudien, Gegenstrategien, Opladen 1997; Matthias Schmidt, Die Parlamentsarbeit rechtsextremer Parteien und mögliche Gegenstrategien. Eine Untersuchung der „Deutschen Volksunion“ im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Münster 1997; Jürgen Hoffmann/Norbert Lepszy, Die DVU in den Landesparlamenten: inkompetent, zerstritten, politikunfähig. Eine Bilanz rechtsextremer Politik nach zehn Jahren, Sankt Augustin 1998; Bernd Neubacher, Die Republikaner im baden-württembergischen – von einer rechtsextremen zu einer rechtsradikalen etablierten Partei?, Stuttgart 2002.
[3] In Mecklenburg-Vorpommern gar reagiert nur ein Repräsentant der anderen Parteien auf Vorstöße der NPD. Vgl. Mathias Brodkorb/Volker Schlotmann (Hrsg.), Provokation als Prinzip. Die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin 2008.