Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 186: Die Krisen hinter der Krise

Wege aus der Wachs­tums­falle

Für eine Reform des Geldsystems und des Aktienrechts,

aus: vorgänge Nr. 186, Heft 2/2009, S. 23-27

Die Grenzen des Wachstums

Das stete Wirtschaftswachstum in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – zuerst in Europa und in den USA, dann auf globaler Ebene – hat zu einer großen Vermehrung des Reichtums geführt, gleichzeitig aber auch zu einer beschleunigten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und zur Belastung der Umwelt durch Abfälle und Emissionen. Da die Natur -und damit der Ressourcenvorrat und die Umweltkapazität -begrenzt ist, muss das ökonomische Ziel der Reichtumsmehrung durch fortgesetztes wirtschaftliches Wachstum und das ökologische Ziel der Erhaltung der endlichen Natur miteinander unausweichlich in Konflikt geraten. Zwar hat man schon über Jahrzehnte vielfältige Maßnahmen ergriffen, um die Effizienz des Ressourceneinsatzes zu erhöhen und die Umwelt zu schützen, aber das wirtschaftliche Wachstum hat im Großen und Ganzen alle diese Maßnahmen überspielt. Eine echte Qualifizierung des Wachstums im Sinne der Nachhaltigkeit ist bisher nicht gelungen. Die quantitative Produktionsmenge ist stärker gestiegen als der Ressourcenverbrauch pro Produktionseinheit gesunken ist, z. B. die Anzahl der Autos und die Fahrkilometer stärker als die Reduktion des Benzinverbrauchs und damit der CO2-Emissionen pro Auto und Fahrkilometer. Viele Belastungen der Umwelt, insbesondere der Verbrauch von Boden für Siedlungen und Straßen, haben sich sogar uneingeschränkt fortgesetzt. Will man den Ressourcen- und Umweltverbrauch bremsen, also von der Effizienz- zu einer nachhaltigen Suffizienzstrategie übergehen, ist eine dauernde Senkung der Wachstumsraten notwendig.

Eine solche Senkung schien bis vor Kurzem ein aussichtsloses Unterfangen zu sein, waren doch alle Bemühungen darauf ausgerichtet, ein möglichst hohes Wachstum des so genannten „realen“ Bruttosozialprodukts zu garantieren. Dies aber hat sich geändert. Das Wachstum ist in eine spekulative Finanzblase ausgeartet, der Ansätze für eine neue Inflationsphase vorausgegangen waren. Diese „Ausartung“ des Wachstums hat man lange Zeit übersehen. Das plötzliche Platzen der Finanzblase im Jahr 2008 und die daraus folgende Wirtschaftskrise haben aber deutlich werden lassen, dass das Wachstum des Sozialprodukts mit der Gefahr von Schäden verbunden ist, die die Funktionsweise der Wirtschaft selbst betreffen. Will man diese Schäden vermeiden, muss die einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf Wachstum schon aus ökonomischen Gründen aufgegeben werden. Dazu sind durchgreifende Reformen notwendig, die die institutionellen Grundlagen der Wirtschaft, auf welchen diese einseitige Ausrichtung auf hohe Wachstumsraten beruht, verändern (vgl. Binswanger 2006).

Die Eigen­dy­namik des Wachstums

Der Wachstumstrend der modernen Wirtschaft gründet auf der unbegrenzten Fähigkeit der Zentralbank zur Ausgabe von Banknoten, d. h. von Papiergeld, sowie der Möglichkeit der Banken zur Schaffung von Buchgeld, d. h. von Guthaben auf den Girokonten, welche die Nicht-Banken (Unternehmen, Staat und Haushalte) bei den Banken unterhalten. Das Buchgeld kann zwar in Papiergeld eingelöst werden, aber das Papiergeld nicht mehr in Gold oder Silber. Daraus ergibt sich das Potenzial zu einer im Prinzip „unendlichen“ Kredit- und Geldschöpfung aus dem „Nichts“.

Die Erhöhung der Geldmenge und der Kredite ist attraktiv für die Banken, weil sie durch die Zinsen, welche die Nicht-Banken für die Kredite bezahlen, Gewinne erzielen, und zwar umso mehr Gewinne, je mehr sie die Möglichkeit zur Erhöhung der Kredit- und Geldmenge voll ausschöpfen und je niedriger die Zinsen sind, welche die Zentralbanken verlangen, wenn sie den Banken das von ihnen benötigte Papiergeld (nach)liefern.

Für die Nicht-Banken ist die Erhöhung der Geldmenge durch Kredite ebenfalls attraktiv:

• für die Unternehmen, wenn sie mit dem zusätzlichen Geld Investitionen tätigen, um zusätzliche Gütermengen zu produzieren und diese mit Gewinnen verkaufen können, die höher sind, als die von ihnen zu bezahlenden Zinsen,
• für die Haushalte, wenn sie mit dem zusätzlichen Geld Vermögenswerte kaufen, von denen sie annehmen dürfen, dass deren Wertsteigerung in der Zukunft größer ist als der Zinssatz,
• für den Staat, wenn er mit dem zusätzlichen Geld seine steigenden Ausgaben vorfinanzieren kann, in der Annahme, dass wegen der Erhöhung der Geldmenge und den daraus resultierenden höheren Gewinnen der Unternehmen sowie wegen der höheren Einkommen der Haushalte die Zunahme der Steuereinnahmen größer sein wird als die Zinsen, die man den Banken schuldet.

Somit kommt alles auf dieses „wenn“ an. Der „Zaubertrick“ der modernen Wirtschaft ist nun, dass die Bedingung dieses Zaubertricks gerade durch die Nachfrage der Unternehmen nach zusätzlichem Geld selbst gewährleistet ist, denn dann können die höheren Produktionsmengen wegen der Zunahme der Geldmenge mit entsprechend höheren Gewinnen abgesetzt werden und in der Folge auch die Vermögenswerte und die Steuereinnahmen weiter steigen. Warum? Weil sich die mit Hilfe der Geldvermehrung finanzierten Investitionen dadurch realisieren, dass zusätzlich Produktionsleistungen – Arbeit, Energie, Rohstoffe -in den Produktionsprozess einbezogen werden und damit auch die Haushalte zusätzliches Einkommen erhalten. Dabei geht der Einkommenseffekt der Investitionen dem Produktionseffekt voraus, denn die Leistungen der Haushalte müssen heute bezahlt werden, während die Produktion Zeit beansprucht und die Produkte erst morgen verkauft werden können, nachdem sie hergestellt worden sind. Die Nachfrage der Haushalte steigt mit der Erhöhung der Einkommen, während die Unternehmen erst die Produkte der Vorperiode anbieten, die vor der neuen Investition produziert worden sind. Für deren Herstellung haben sie also im Betrag der neuen Investition weniger Geld ausgegeben. Da Gewinne die Differenz sind zwischen den Einnahmen und den Ausgaben für die Produkte, aus deren Verkauf die Einnahmen erzielt werden, entstehen auf diese Weise gesamtwirtschaftlich ständig Gewinne. Diese sind wiederum die Voraussetzung dafür, dass Investitionen getätigt werden und damit das weitere wirtschaftliche Wachstum, das auf der Fortsetzung der Investitionen beruht, attraktiv bleibt. So hält sich der Wachstumsprozess selbst im Gange. Er wird zu einem perpetuum mobile.

Das spekulative Wachstum

In diesem Zusammenhang spielen die Aktiengesellschaften und der mit den Aktiengesellschaften verbundene Wachstumsdrang eine besondere Rolle. Sie sind der wichtigste Promotor eines „unendlichen“ Wachstums, aber dadurch auch verantwortlich für die Überforcierung desselben. Der Wachstumsdrang ergibt sich daraus, dass die Aktiengesellschaft bzw. die Aktionäre, wenn sie schon das Risiko der Investition eingehen, nicht nur einen minimalen, sondern einen möglichst großen Reingewinn erzielen wollen. Dieses Streben nach Gewinnmaximierung wird dadurch verstärkt, dass sich der Wert des Eigenkapitals bzw. der Aktien, d. h. der Preis, zu dem eine Aktie an der Börse verkauft werden kann, orientiert am Gegenwartswert der Summe der mit dem Zinssatz abdiskontierten erwarteten künftigen Gewinne; und weil die Gewinnerwartung und damit auch die Dividendenerwartung umso höher ist, je größer die Investitionen sind, je größer also das Wachstum der Produktion ist.

Der Wachstumsdrang macht aber nicht bei der Finanzierung des realen Wachstums halt. Vielmehr werden in der Dynamik der Geldvermehrung auch Bankkredite aufgenommen, die nicht der Finanzierung produktiver Investitionen dienen, sondern dazu, spekulative Vermögenswerte zu kaufen. Man kauft Aktien, weil man annehmen kann, dass sie im Preis steigen werden, wenn sich die Nachfrage wegen der ständigen Geldausweitung weiter erhöht. Wenn man sie jetzt kauft, kann man daher ohne Anstrengung einen Vermögensgewinn erzielen. Es lohnt sich daher, sich zu verschulden, also Kredite aufzunehmen und dafür Zinsen zu zahlen, wenn der Zins niedrig und die erwartete Preissteigerung der Aktien höher ist als der Zins.

Diese Erwartung ist eine Spekulation. Sie ist allerdings – wie jede Spekulation – gefährdet und zwar insbesondere dadurch, dass die Zinsen, die man für die spekulativen Kredite aufgenommen hat, steigen können. Sie steigen, wenn die Zentralbank die Kredite für die Zurverfügungstellung von Zentralbankgeld, die die Banken wegen der Ausweitung ihrer Kredite benötigen, nur noch gegen höhere Zinsen gewährt. Die Zentralbanken erhöhen die Zinsen, wenn sie wegen der spekulativen Geldvermehrung, die nicht mehr zu einer realen Gütervermehrung führt, eine inflationäre Entwicklung befürchten müssen. Dann kommt es, weil die Zinsen zu hoch werden, um die spekulativen Kredite zu rechtfertigen, zu einer Krise. Genau dies ist im Jahr 2008 geschehen.

Was ist aber, wenn es keine Finanzkrisen geben würde? Wäre dann alles in Ordnung? Nein, weil sich der Wachstumsdrang nur durchsetzen lässt, wenn genügend natürliche Ressourcen vorhanden sind, aus denen die Rohstoffe und die Energie gewonnen werden, welche die Basis der Produktion bilden. Dabei gilt: Die Rohstoffe und Energieträger können der Natur entnommen werden, ohne dass der Eigentümer etwas dafür bezahlen muss; der Verbrauch der Natur ist für ihn gratis. Dies kommt einer Verschuldung gegenüber der Natur gleich, die man nicht begleichen muss. Das macht es lukrativ, sich möglichst viele Ressourcen der Natur anzueignen und diese zu verwerten. Denn es entstehen dort die größten Gewinne, wo man etwas verkaufen kann, das man nicht gekauft hat, weil man es ohne Bezahlung in Besitz nehmen konnte.

Trotzdem wird das Wirtschaftswachstum mehr und mehr mit der langfristigen Knappheit der Natur konfrontiert, weil die Eigentümer der natürlichen Ressourcen in Voraussicht künftiger Engpässe heute schon höhere Preise verlangen, die morgen zur Verteuerung der Produktion führen. Daraus resultiert eine Inflationstendenz nicht nur wegen Erhöhung der Geldmenge, sondern auch wegen Verknappung der natürlichen Ressourcen. Dies gilt insbesondere für Energie und Nahrungsmittel. Deren Preise sind zwar infolge der Wirtschaftskrise wieder gefallen, dürften aber schnell wieder steigen, wenn die Krise überwunden werden kann.

Die Begrenzung des Wachstums

Unter diesen Umständen ergibt sich schon aus rein ökonomischen Gründen, d. h. sowohl zur Vermeidung der aus der Spekulationsanfälligkeit sich ergebenden Krisen wie der Vermeidung von Inflation, die Notwendigkeit, das Wachstum in Grenzen zu halten. Mit der ökonomischen Notwendigkeit zur Wachstumsbegrenzung öffnen sich zugleich neue Chancen, um das Wachstum durch entsprechende Reformen auf ein Niveau zu senken und in der Struktur so zu ändern, dass es mit den ökologischen Anforderungen kompatibel wird. Die Effizienzstrategie kann in eine Suffizienz- und Konsistenzstrategie übergehen – nachhaltige Wirtschaft.

Die Analyse der für das Wirtschaftswachstum maßgebenden Bedingungen -des im Bankensystem enthaltenen Potenzials einer überbordenden Kredit- und Geldschöpfung sowie der Dominanz der auf ständige Erhöhung der Börsenwerte der Aktien ausgerichtete Aktiengesellschaft -gibt an, wo die Reformen zur Kontrollierung des Wachstums ansetzen müssen. Ich sehe zwei strategische Ansatzpunkte.

Es geht zum einem und vor allem um eine Reform des Geldsystems. Ausgangspunkt könnte die Idee des 100-%-Geldes des amerikanischen Ökonomen Irving Fisher sein, die er nach der Krise von 1929 entwickelt hatte (Fisher 2007) und die wieder hoch aktuell geworden ist (Huber & Robertson 2008). Danach erhält die Zentralbank das ausschließliche Recht zur Geldschöpfung, indem die Banken verpflichtet werden, die Sichtguthaben, also das Buch- oder Bankgeld, zu 100 Prozent durch Zentralbankguthaben bzw. Banknoten zu decken. Damit kann eine Vermehrung des Geldes ins Uferlose, sei es in den Aufbau spekulativer Blasen und/oder in eine inflationäre Preissteigerung verhindert und die Geldschöpfung in ökologisch verträglichen Maßen gehalten werden.

Die Reform des Geldsystems muss zum anderen durch eine Reform des Aktienrechts ergänzt werden. Aktiengesellschaften sind eine Schöpfung des Staates. Daher haben die Eigentumsrechte der Aktionäre nur bedingten Charakter – bedingt durch die Gesetzgebung des Staates. Es besteht somit im Grundsatz die Möglichkeit, durch Änderung der Gesetzgebung deren Inhalt zu verändern. Dazu könnte eine Begrenzung der Geltungsdauer der börsennotierten Aktien – z. B. auf 20 oder 30 Jahre – gehören, mit Rückzahlung des ursprünglichen Kapitaleinsatzes nach Ablauf der Geltungsdauer.

Wie sich mathematisch zeigen lässt, würde durch eine solche Begrenzung die Steigerung der Aktienwerte automatisch verringert -und damit auch der Wachstumsdrang, der sich aus der Aussicht auf eine ständige Steigerung des Aktienwerts durch das Wachstum der Wirtschaft ergibt. Damit würde nicht nur das Risiko verringert, dass sich immer neue Finanzblasen bilden, die nach kurzer Zeit wieder platzen; wegen der Minderung der Wachstumsrate würden auch der Ressourcenverbrauch und die Umweltbelastung reduziert.

Für den langfristigen Umbau der Wirtschaft sollten daher Unternehmensformen geschaffen werden, die sich stärker am Stiftungsgedanken und am Genossenschaftsgedanken orientieren. Stiftungen und Genossenschaften sind ihrem Zweck nach auf andere Ziele als auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Sie sind nicht an der Börse notiert und damit nicht spekulationsanfällig. Sie haben daher auch eher die Möglichkeit, sich auf ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele auszurichten.

Mit Hilfe solcher Reformen – von Geldwesen und Aktiengesellschaft -sollten der Wachstumsdrang der Wirtschaft und das Wachstum des Sozialprodukts so weit reduziert werden können, dass eine echte Chance für eine nachhaltige Wirtschaftsweise entsteht.

* Vorabdruck eines Beitrages, der im „Jahrbuch Ökologie 2010“ erscheinen wird.

Literatur

Binswanger, Hans Christoph, (2006): Die Wachstumsspirale. Marburg.

Fisher, Irving, (2007): 100%-Geld. Übersetzt von Klaus Karwat. Kiel.

Huber, Joseph & James Robertson, (2008): Geldschöpfung in öffentlicher Hand. Kiel.

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