Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 186: Die Krisen hinter der Krise

Ein Phönix namens CSU

Mit der Landtagswahl 2008 starb die alte CSU – welche ist die neue nach der Bundestagswahl?

aus: vorgänge Nr. 186, Heft 2/2009, S. 112-121

I Einleitung

Die bayerische Landtagswahl vom 28. September 2008 läutete nicht weniger als eine „Götterdämmerung“[1] der Staatspartei CSU ein – kurz vor dem 20. Todestag ihres „Übervaters“ Franz Josef Strauß. Seit 1962 nicht mehr auf Koalitionspartner angewiesen und seit 1970 nicht mehr unter 50 Prozent, stürzte die chronisch erfolgreiche Partei mit Verlusten von 17,3 Prozentpunkten mit 43,4 Prozent auf ihr schlechtestes Resultat seit über einem halben Jahrhundert. Das Ergebnis überraschte in dieser Deutlichkeit alle Beobachter: Keine repräsentative Umfrage sah die CSU im Vorfeld unter 47 Prozent. Vielmehr wurde von der Möglichkeit gesprochen, die CSU könne weiter alleine regieren. Nun muss die CSU mit der FDP koalieren. Sie kann nicht mehr auf die plakative Formel und den Nimbus „Landespolitik gleich CSU-Politik“ zurückgreifen.

Der Verlust der CSU wirkt umso schmerzlicher, wenn man das Ergebnis der vorherigen Landtagswahl von 2003 einbezieht, als die CSU mit 60,7 Prozent der Stimmen gar eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht hatte – das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte der CSU in Bayern überhaupt. Die breit diskutierte Krise der Volksparteien greift nun offensichtlich auf die CSU und damit fällt die Bastion des Typus Volkspartei, die bislang gegen alle Krisenerscheinungen resistent schien. Bis zum Herbst 2008 hieß es aus Expertenmunde, dass in Bayern „die Uhren anders ticken“[2], mit stabilen Milieus und folglich einer hohen Zahl an Stammwählern für die CSU. Der folgende Beitrag analysiert die Aufstiegs- und dann die Abstiegsfaktoren der CSU, anschließend die sich derzeit abzeichnenden Konsolidierungsfaktoren. Abschließend geht es vor diesem Hintergrund um die Perspektiven der Partei im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes von 2009.

II. Aufstiegs­fak­toren

II.1. Institutionelle Verflechtungen[3]

Das Image der Christlich-Sozialen Union (CSU) als bayerische Interessenpartei par excellence fußt auf einer Doppelstrategie, die bei Staat und Partei wie der Gesellschaft selbst ansetzt. Staatlich konnte sie eine hegemoniale Großbürokratie installieren, die eine Art „moderne ständische Honoratioren Gesellschaft “ abbildet. Die Säulen dieser Macht bestehen aus der katholischen Kirche, der Kulturpolitik und dem engen Draht zum bayerischen Rundfunk. Nachdem die Partei in den 1960er Jahren den „Bruderzwist“ mit der partikularistischen wie traditionalistischen Bayernpartei für sich entscheiden konnte, konnte sie sich eine Monopolstellung sichern. Sie fand einen Weg zwischen Tradition und Moderne und stellte die Weichen für einen insgesamt doch gemäßigten Wettbewerbsföderalismus.[4] Selbst den fränkisch-protestantischen, eigentlich auch sozialdemokratisch geprägten Traditionsraum konnte die CSU bis zu den 1970er Jahren einnehmen, ohne sich in die tradierten Konflikte zwischen Altbayern und Franken (weit weniger Schwaben) zu verstricken. Programmatisch vereinte sie scheinbar Unvereinbares, verband konservative, liberale und soziale Ansätze. Das ist insofern eine beachtliche Leistung, als Bayern regional fragmentiert war. Bis heute funktioniert die Partei nach der Logik des Bezirksproporzes, der bei personellen Weichenstellungen stets berücksichtigt wird.

II.2. Ressourcenstärke

Die Ressourcenstärke leitet sich von den verschiedenen Machtzentren der Partei ab, von der Staatsregierung und -kanzlei sowie der Landtagsfraktion in Bayern, einer eigenen Parteistiftung sowie der besonders privilegierten CSU-Landesgruppe als festem Bestandteil der CDU-CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Der frühere Parteivorsitzende Theo Waigel hat das Selbstbild der CSU einmal auf die Formel gebracht: „Seit ihrer Gründung versteht sich die CSU als bayerische Partei mit bundespolitischem Anspruch“[5]. Auch nach der deutschen Einheit konnte die CSU ihre Stellung behaupten, wiewohl die CDU durch den Landesverbände Zuwachs innerhalb der Union mehr Gewicht bekam. Die Vergrößerung des Wahlgebiets wirkte sich auf den Stimmenanteil im Bund, welcher in den 1980er Jahren regelmäßig im Zehnprozentbereich gelegen hatte, negativ aus Eigene parteitaktische Strategien im Zuge der deutschen Einheit mit der Förderung der Deutschen Sozialen Union (DSU) zerschlugen sich schnell.

Nicht zuletzt ist die Partei mit dem bayerischen Vereinsleben verwoben, mit annähernd 3.000 Ortsverbänden und über 100 Kreisverbänden bestückt, ebenso mit einer Vielzahl von internen Organisationen und Arbeitskreisen. In der Außenansicht wird dieser „Graswurzelcharakter“ der CSU häufig unterschätzt. Die lange Phase der Dominanz hat der Partei immer neue Ressourcen verliehen: „Sie ist mehr als nur eine Partei, sie ist ein Netzwerk der Macht.“[6] Gerade in der Ära von Franz Josef Strauß, dem „Übervater der Partei, bildete sich ein klientelistisches System heraus – mit symbiotischen Abhängigkeiten zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Die Partei verfügt über eine Deutungskultur[7], in der zahlreiche gesellschaftliche Transmissionsriemen Zubringerdienste leisten. Immer wieder kann sich die Partei auch personell erneuern und muss weit weniger Mitgliederschwund als die beiden anderen Volksparteien, CDU und die stark betroffene SPD, erleiden.

II.3. Profiteur der späten Vollindustrialisierung Bayerns

Die CSU hat nicht nur von der ländlichen Struktur des Landes profitiert (bis heute nehmen die ländlichen Räume mehr als 80 Prozent der Gesamtfläche ein). In der Rolle des Protagonisten hat sie sich die späte Vollindustrialisierung im Land zunutze gemacht. Der Mangel an Rohstoffen, der Bayern mit Beginn der Industrialisierung zum Nachteil gereicht hatte, sollte sich von den 1950er Jahren an als Vorteil erweisen. Während Bundesländer wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen nach wie vor in die Kohle- und Stahlindustrie investierten, gelang in Bayern die Ansiedlung solcher Industriezweige, die nicht auf die Verarbeitung von Rohstoffen angewiesen waren. Dazu zählen der Maschinen- und Fahrzeugbau, die Luft- und Raumfahrttechnik, die Elektrotechnik, die Feinmechanik und Optik sowie die chemische Industrie.

Ab Mitte der 1980er Jahre erkannte die CSU-Regierung die Zeichen der Zeit und schuf verstärkt Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Im Jahr 2000 startete man eine „High-Tech-Offensive“, um die internationale Spitzenstellung Bayerns in Forschung und Technologie zu stärken. Immer stärker wurde fortan, auch in den eigenen Reihen, das Schlagwort „Laptop und Lederhose“ bemüht. Durch den Wirtschaftsfaktor „Fremdenverkehr“ hat die CSU es verstanden, sich zur „Wohlfühl-Partei“ zu stilisieren und ein bayerisches Lebensgefühl auszudrücken. Durch die emotionale Komponente hat sich eine substaatliche, territoriale Mobilisierung der Bevölkerung für die CSU geformt, die selbst in Zeiten des „multi-level-governance“ Bestand zu haben schien.[8]

III. Abstiegs­fak­toren im Zuge der Landtags­wahl 2008

III.1. „Stoibers Sturz“

Edmund Stoiber, einst Generalsekretär unter Franz Josef Strauß, drückte der Partei den Stempel auf. Seine starke Stellung als Ministerpräsident und Parteivorsitzender konnte er durch zahlreiche Wahlerfolge legitimieren. Obwohl er nicht charismatisch im Sinne eines naturbegnadeten Redners war, konnte er mit dem Image als akribischer „Aktenfresser“ reüssieren. Fest stand für die damalige „Stoiber-Partei“ lange vor der Landtagswahl von 2008: „Die Stellung der CSU kann nur durch die CSU selbst gefährdet werden.“[9] Genau dieses Szenario trat ein. In erster Linie waren und sind die Probleme der CSU hausgemacht. Personelle Faktoren spielen dabei insofern eine gewichtige Rolle, als Landtagswahlen immer „Landesvaterwahlen“ sind. Ein populärer Ministerpräsident hat daher einen Amtsbonus, der seiner Partei in der Wahl unmittelbar zugute kommt.

Günther Beckstein, bundesweit als Fachminister für Inneres profiliert, konnte nach dem erzwungenen Rücktritt Edmund Stoibers nie dessen Popularität erreichen. „Chaostage“ zum Jahreswechsel 2006/07 entstanden dadurch, dass Stoiber keine Anstalten für einen geordneten Übergang seiner Ämter machte. Im beschaulichen, für die CSU seit Franz Josef Strauß Zeiten legendären Wildbad Kreuth wurde in den Hinterzimmern Edmund Stoibers Sturz eingeleitet – ein Paradebeispiel für die verborgene Machtpolitik einer Partei. Dessen Erfolgsimage litt an seinem überraschenden Rückzug aus Berlin. Sollte er, der 2002 beinahe Bundeskanzler geworden wäre, doch nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages „Superminister“ in der Großen Koalition werden. Mit dem Rückzug war auch die Rolle der CSU als bundespolitisches Schwergewicht beschädigt.

Edmund Stoiber beging einen Fehler, den viele Spitzenpolitiker machen. Er baute keinen direkten Nachfolger auf und bekundete seine Bereitschaft, auch bei der Landtagswahl von 2008 Spitzenkandidat sein zu wollen, da seine Unantastbarkeit schon nach seinem Rückzug als Superminister in Berlin schon kurzfristig infrage gestellt wurde. Nicht nur das, wie Heinrich Oberreuter konstatierte: „Massiv war die Kritik an der Parteibasis und der Bevölkerung. Stoibers Wankelmut wurde dort als Verrat an der bayerischen Geradlinigkeit und Verlässlichkeit empfunden. […] Die Mandatsträger bekamen dies bei ihrer Wahlkreisarbeit, auch bei der Parteiarbeit, intensiv zu spüren, bis hin zu zahlreichen Parteiaustritten.“[10] So musste sich Stoiber „erklären“, vor der Landtagsfraktion und der Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Intern machte sich darüber Unmut breit. Auslöser, nicht Ursache für den Rücktritt Edmund Stoibers war die Kritik der Landrätin Gabriele Pauli, die sich, nachdem sie zunächst nicht beachtet wurde, öffentlich breit vermarktete. Damit gab sie der internen Kritik an der Dominanz des Ministerpräsidenten mit seiner Zentralisierung der Problemlösungskompetenz ein Gesicht. Die ewigen Kronprinzen Günther Beckstein und Erwin Huber konnten sich darauf einigen, dass der eine Ministerpräsident, der andere Parteivorsitzender werde.

Schon der Beginn war allerdings zumindest für Erwin Huber wenig glücklich. Er musste sich der Konkurrenz von Horst Seehofer erwehren, der ihn in eine, für die CSU völlig untypische Kampfkandidatur zwang. Seehofer galt schon damals in der Gesamtbevölkerung als beliebter, musste jedoch öffentlich gestreute Enthüllungen aus seinem Privatleben ertragen. Die neue, in der Vergangenheit durchaus schon praktizierte Doppelspitze mit der Aufteilung der Ämter erwies sich gerade kommunikationstechnisch als problematisch, sprachen doch Erwin Huber und Günther Beckstein nicht immer mit einer Zunge. Das zeigte sich beispielsweise bei der Bewertung der Kommunalwahl im Frühjahr 2008: Huber sprach von einem Erfolg, Beckstein realitätsnäher von einem Warnschuss. Die Lücke, die Edmund Stoiber hinterlassen hat, konnten seine jahrzehntelangen Weggefährten nie kompensieren.

III.2. Opfer des eigenen Erfolgs und der Reformpolitik

Die eigentlichen Ursachen für den Wahlausgang liegen freilich tiefer: Im Zeichen überbordenden Machtgefühls, unmittelbar nach der Zweidrittelmehrheit von 2003, wurde eine im Wahlkampf nicht angesprochene Reformpolitik mit allen Konsequenzen durchgeführt, die in scharfem Kontrast zum eigenen Motto „Näher am Menschen“ stand. Verwaltungsreformen, die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit sowie rigide Kürzungen in allen öffentlichen Bereichen für das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts verprellten Lehrer, Polizisten, Universitätsangehörige, Landwirte, Wohlfahrtsverbände und Kommunen. Die Folgen der Reformen wirkten bis zur Wahl von 2008 nach, wobei sich gerade die Kommunen als Leidtragende empfanden.[11]

Im Wahljahr 2008 wandten sich auch noch viele Gastwirte von der „Stammtischpartei“ CSU ab, da sich die Landtagsfraktion für ein rigides Rauchverbot einsetzte. Erst nach dem Dämpfer bei der Kommunalwahl im Frühjahr des Jahres wurde es mit Blick auf die Landtagswahl aufgelockert. Das Scheitern des Prestige- und Innovationsobjekts „Münchener Transrapid“ kratzte am Selbstverständnis der CSU als Modernisierungspartei im Sinne von „Laptop und Lederhose“. Zudem ist die CSU gewissermaßen Opfer ihres eigenen Erfolgs als Regierungspartei geworden: Fast alle Bayern halten ihr Land für wirtschaftlich besser aufgestellt als die anderen westdeutschen Bundesländer, was sie explizit der CSU-Performanz zuschreiben.[12] Auch nach der Landtagswahl wurde der Partei in wichtigen Bereichen wie Wirtschaft und Arbeit sowie innere Sicherheit eine höhere Kompetenz als allen anderen Parteien bescheinigt. Gleichwohl musste die CSU, Folge der Reformpolitik unmittelbar nach der letzten Wahl, Verluste in allen Wählergruppen hinnehmen.

III.3. Verpatzter Landtagswahlkampf

Günther Beckstein lag in der personellen Bewertung klar vor dem SPD-Kandidaten Franz Maget, wobei trotz eines erstmaligen TV-Duells eine wirkliche Rivalität zwischen CSU und SPD nicht gegeben war. Anders als der bewährte Wahlkämpfer Edmund Stoiber verstanden es Erwin Huber und Günther Beckstein nicht, Visionen für Bayern zu verkünden und eine nach vorne gerichtete Bilanz der Reformpolitik zu ziehen. Stattdessen herrschte weitgehend inhaltliche Leere, die mit der Forderung, die Pendlerpauschale wiedereinzuführen, übertüncht werden sollte. Allerdings stimmte die CSU einst selbst für die Abschaffung und die Landesgruppe lehnte nur wenige Tage vor der Wahl einen dementsprechenden Antrag im Bundestag mit der Begründung ab, er komme von der Fraktion „Die Linke“ und sei ein „durchsichtiges taktisches Manöver“.

Die Linke, in Bayern bislang ohne jede Relevanz, wurde frühzeitig zum Hauptfeind Nr. 1 im Wahlkampf erklärt. Erwin Huber rief sogar in plumper „Hau-drauf-Rhetorik“ „einen Kreuzzug gegen Die Linke“ aus, der auch im eigenen Lager wenig Zugkraft entfaltete. Kein besonders gelungener Griff der Wahlkampfstrategie war es ebenso, die Bedeutung einer Einparteienregierung zu untermauern und zum Leitmotto „Bayern wählen!“ zu greifen. Wie die ersten Wahlanalysen zeigen, sprach sich selbst die absolute Mehrheit der CSU-Anhänger gegen eine weitere CSU-Alleinregierung aus. Weniger Gewicht hatte im Lichte des genannten Ursachenbündels die Bundespolitik mit der unpopulären Großen Koalition, an der die CSU mit zwei Ministern partizipiert. Gleichwohl machte Günther Beckstein die Bundeskanzlerin Angela Merkel mitverantwortlich für das Wahlergebnis.[13]

IV. Konso­li­die­rungs­fak­toren

IV.1. Personeller Faktor: Seehofer und ein „homo novus“

Nach dem Wahldesaster war das Intermezzo der Doppelspitze schnell beendet. Ein offener Führungskampf brach aus, in dem sich Kandidaten auch selbst ins Gespräch brachten. Ein kurzer innenpolitischer Machkampf tobte zwischen den Bezirksverbänden, der Landtagsfraktion und der Landesgruppe in Berlin. Schnell wurde klar, dass an Horst Seehofer zumindest als Parteivorsitzendem kein Weg vorbeiführte. Die Münchener Landtagsfraktion wollte ihre Ansprüche geltend machen, konnte aber gegen die Argumente, Seehofers Popularität beim „Volk“ sowie sein bundespolitisches Profil, wenig einwenden: Der politisch erfahrene wie beschlagene Horst Seehofer übernahm auch das Amt des Ministerpräsidenten, zumal ihn auch Edmund Stoiber, im Unterschied zu Huber und Beckstein, als Nachfolger „legitimierte“. Seehofer, schon unter Helmut Kohl Bundesminister, versucht als Parteivorsitzender und Ministerpräsident in Personalunion nach der kurz geratenen Ära der Landespolitiker Huber und Beckstein verstärkt die bundespolitische Eigenständigkeit der CSU herauszustreichen, vor allem nachdem seine Partei einen derart schweren Schlag verdauen musste und ihre Position als „50+X“Partei gefährdet sah.

In seinem Kabinett verzichtete Seehofer auf alt gediente Parteigänger. Er vollzog einen graduellen personellen Neubeginn, ohne allerdings bei der Verjüngung mit einem Glanzlicht aufzuwarten. Gleichwohl kamen zahlreiche neue Gesichter zum Zug, wie der neue Finanzminister Georg Fahrenschon oder die im Landtagswahlkampf erfolglose Christine Haderthauer als Arbeits- und Sozialministerin. Markus Söder, in der Partei bestens vernetzt und einstiger Adlatus Edmund Stoibers, soll sich nun als Umweltminister bewähren. Programmatisch war ein Neubeginn nicht zu erkennen – außer dem üblichen Appell an das parteiliche Selbstbewusstsein. Zu einer Schlüsselpersonalie kam es später, Anfang Februar 2009: Mitten in der Wirtschafts- und Finanzkrise berief Seehofer Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg an Stelle des glücklosen und amtsmüden Michael Glos in das Bundeskabinett. Glos konnte sich mit seinem ministeriellen Amt als „Stoiber-Ersatz wider Willen“ (Edmund Stoiber sollte Superminister in der Großen Koalition werden, zog aber mitten in den Koalitionsverhandlungen zurück) nie anfreunden.

Guttenberg, mit 37 Jahren jüngster Wirtschaftsminister in der Geschichte der Bundesrepublik, verkörpert den homo novus, wie ihn – vielleicht nach Joschka Fischer – die Bundespolitik nicht mehr hervorgebracht hat. Er tritt als Quereinsteiger auf, jugendlich dynamisch wirkend und mit großer medialer Präsenz. Der Aufsteiger bildet die CSU ab, die erfolgsträchtige Mischung aus zwei scheinbar unvereinbaren Größen: elitärer Snobismus mit feinster Artikulation und Ahnenbiografie einerseits und kommunale Bodenhaftung mit Kontakt zur Basis andererseits. Zu Guttenberg entstammt einem alten Christsozialen Adel. Er ist der Spross eines Geschlechts oberfränkischer Großgrundbesitzer aus dem gleichnamigen Ort Guttenberg. Guttenbergs Großvater hieß ebenfalls Karl-Theodor zu Guttenberg und war auch schon CSU-Politiker, parlamentarischer Staatssekretär im Kanzleramt zu Zeiten der ersten Großen Koalition.

Zu Guttenberg, der sich als Transatlantiker und Außenpolitiker, nicht als Wirtschaftspolitiker verstand, gilt vielen nun als ordnungspolitisches Gewissen der Nation. Sein „Nein“ zur staatlich forcierten Opel-Rettung, gegen die Bundeskanzlerin und den SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, hat ihm aktuell viel Sympathie eingebracht – auch jenseits der CSU. In der Bevölkerung hat er innerhalb kurzer Zeit ungewöhnlich hohe Beliebtheitswerte. Bereits zuvor, bei seiner USA-Reise zu Vertretern des Opel-Mutterkonzerns General Motors, betrieb er eine ausgesprochene Symbolpolitik, die aber zugleich auch Handlungsfähigkeit demonstrierte. Der schnelle Aufstieg ist eigentlich völlig untypisch für die streng hierarchische Partei, in der das vorherrschende Bewegungsmuster das „Hochdienen“ ist. Der Weg über die Nachwuchsorganisation, die verschiedenen Parteigliederungen oder Verwaltungstätigkeiten gehören zum ungeschriebenen Credo einer CSU-Laufbahn. Guttenberg wirkt hingegen wie jemand, der eine positiv verstandene Distanzierung vom herkömmlichen Politikertypus erreichen kann. Gut drei Monate nach seiner Ernennung zum Generalsekretär schaffte zu Guttenberg, der erst mit Ende 20 in die CSU eintrat, einen erneuten Karrieresprung. Sein politisches Talent, die eigentliche Nagelprobe, stellte er schon zuvor unter Beweis: In einer Kampfabstimmung, von der er den damaligen Parteivorsitzenden Erwin Huber nicht in Kenntnis gesetzt hatte, setzte er sich 2007 gegen den etablierten Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk, als oberfränkischer CSU-Bezirkschef durch.

IV.2. Europawahl 2009

Die Europawahl vom 7. Juni führte die CSU zu einer Konsolidierung: Sie kam auf 48,1 Prozent der Stimmen, ein Ergebnis, mit dem noch nicht einmal die Optimisten unter den Parlamentariern gerechnet hatten. Lange zitterten die eigenen Reihen davor, bundesweit unter die Fünfprozentmarke zu geraten. Mit dem Erfolg bestand Horst Seehofer seine elektorale Bewährungsprobe. Dieses Worst-Case-Szenario vor Augen, mobilisierte die Partei mitten in der Pfingstferienzeit eine geschickte Briefwahlkampagne, die sogar dazu führte, dass die Wahlbeteiligung leicht stieg. Anstatt mit den unbekannten Europawahlkandidaten (sieht man von der teilweise diskreditierten Strauß-Tochter Monika Hohlmeier ab) zu werben, fanden sich auf den landesweiten Plakaten die derzeit populärsten Figuren: Seehofer und zu Guttenberg. Programmatisch lautete die patriotische Parole „Die CSU hat Europa im Blick und Bayern im Herzen.“[14] Horst Seehofer äußerte unmittelbar vor der Europawahl im Parteiblatt: „Wer andere Parteien wählt, schickt nicht-bayerische Kandidaten nach Brüssel.“[15] Bürgernähe wollte Seehofer mit der Forderung nach Volksentscheiden demonstrieren.[16]

Beim Wirtschaftsminister wirkte sein Nein zur Opelrettung nach. Die CSU konnte damit neues Selbstbewusstsein in der Tradition bayerischer Eigenständigkeit vermitteln. Auch Seehofer entfachte mit abweichenden Positionen immer wieder internen Streit in der Union. Seehofer geht damit einen anderen Weg als Edmund Stoiber. Am Zenit seines Erfolgs transformierte er die CSU faktisch zu einer bundesdeutschen Partei. Vorgaben wie ausgeglichener Haushalt sollten zeigen, was er als Regierungschef leisten könne (hier wirkte die nur knapp verpasste Chance von 2002 nach). Seehofer, obwohl lange Bundespolitiker, stellt hingegen vermehrt die Landespolitik in den Vordergrund und wandelt damit auf den Spuren von Franz Josef Strauß.[17]

V. Perspek­tiven

Gerne verwandte soziologische Erklärungsmuster, wie gesellschaftliche Globalisierungs- und Modernisierungsprozesse oder die Auflösung sozialer Milieus sind im nach wie vor ländlich strukturierten und christlich-konservativ geprägten Bayern mit Vorsicht zu betrachten. Das Wahlergebnis der Landtagswahl von 2008 resultierte eher aus eigenen Fehlern, der nach wie vor hegemonialen Partei-Reformpolitik, die den Menschen nicht mitgenommen hat, aus dem personeller Wechsel an der Spitze und einem zu wenig mobilisierenden Wahlkampf. Sie illustriert die Selbstgefährdung politischer Macht: Auf die Zwei-Drittel-Mehrheit 2003 folgte ein Gefühl der Allmacht das sich in Arroganz gegenüber dem Wähler äußerte. Diese elitär betriebene Machtpolitik ging auf Kosten des Anspruchs, Partei des bayerischen „Volkes“ zu sein – eines Anspruchs, der eigentlich als populistische-antielitär[18] zu bezeichnen ist.

Mittlerweile scheint sich die hierarchische Partei mit populistischen Zügen wieder zu regenerieren, was ihr in der Vergangenheit immer wieder glückte. Die Verjüngung des Kabinetts wurde von Horst Seehofer auf der einen Seite brachial eingeleitet. Auf der anderen Seite trägt das Kabinett nun deutlich seine Handschrift. Zupass kommt der ganten Partei ein homo novus, Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg, der sich als Wirtschaftsminister in Krisenzeiten binnen kürzester Zeit zu einem der wichtigsten bundesdeutschen Politiker entwickelt hat. Ob dieser nur für eine Erneuerung der CSU steht, wird sich zeigen. Ihren Nimbus hat die Partei erst endgültig verloren, wenn sie bei der nächsten Landtagswahl in Bayern erneut koalieren muss. Personalpolitisch könnte sich mittelfristig ein Zweikampf zwischen zu Guttenberg und dem einstigen Stoiber-Adlatus und jetzigen Umweltminister Markus Söder herauskristallisieren. Letztgenannter hat im Unterschied zum homo novus durch langjährige Tätigkeiten als Vorsitzender der Jungen Union und Generalsekretär „Münchener Seilschaften“ aufgebaut, die ihm ähnlich wie einst Edmund Stoiber gegen den im Bund profilierten Theo Waigel zur absoluten Macht in der Partei wie im Freistaat verhelfen könnte.

Für die Bundestagswahl 2009 wird sie trotz eines gemeinsamen Wahlprogramms auf Distanz zur CDU gehen. Eine Dreierkoalition – schwarz-gelb-grün – würde sie kaum mittragen, die Neuauflage der Großen Koalition nur mit Zähneknirschen. Erstere wurde intern schon nach der Bundestagswahl von 2005 negativ bewertet, letztere macht Horst Seehofer für den Absturz aller Volksparteien verantwortlich.[19] Die von zu Guttenberg nun diskutierten schwarz-grünen Konstellationen in ferner Zukunft dürfen nicht für bare Münze gehalten werden, es sind zumindest derzeit eher taktisches Geplänkel. Interessanter ist die Tatsache, dass Horst Seehofer verstärkt eine ökologische Profilierung der Partei sucht, die schon frühzeitig den Umweltschutz in die Programmatik aufnahm. Nach den personellen Diskussionen scheinen nun wieder Inhalte in den Vordergrund zu rücken. Die CDU weiß, dass sie die Wahl im September 2009 nur mit einem starken CSU-Ergebnis in Bayern gewinnen kann. Nur mit einer starken CSU hat die Union tatsächlich Chancen, eine Koalition mit der FDP im Bund zu schmieden. Wenn nicht, kann es zu einer grundlegenden Neuauslotung im Verhältnis zwischen CDU und CSU kommen.

[1] So Florian Hartleb: Götterdämmerung für die CSU. Zur Landtagswahl in Bayern, in: Deutschland-Archiv, 41 (2008) 6, S. 965-968.

[2] Nach wie vor grundlegend für das Verständnis des Phänomens „CSU“ sind die Studien von Alf Mintzel. Vgl. u.a. ders.: Die CSU-Hegemonie in Bayern. Strategie und Erfolg. Gewinner und Verlierer, Passau 1998. Vgl. auch schon Jürgen W. Falter: Bayerns Uhren gehen wirklich anders. Politische Verhaltens- und Einstellungsunterschiede zwischen Bayern und dem Rest der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 13 (1982) 4, S. 504-521.

[3] Vgl. Stefan Immerfall: Die CSU: Faktoren ihrer Vorherrschaft und Stellung im Unionslager, in: Zeitschrift für Politik, 52 (2005) 4, S. 381-396, hier S. 385.

[4] Die heiklen Punkte sind bei aller Theatralik beschränkt auf brisante Punkte wie den Länderfinanzausgleich, von dem Bayern als Geberland besonders betroffen ist.

[5] Theo Waigel: Die geistigen Grundlagen der Christlich-Sozialen Union, in: Hanns-Seidel-Stiftung (Hrsg.): Geschichte einer Volkspartei. 50 Jahre CSU. 1945-1995, München 1995, S. 15-68, hier S. 25.

[6] Andreas Kießling: Die CSU. Machterhalt und Machterneuerung, Wiesbaden 2004, S. 346.

[7] Vgl. zum Begriff Gert Pickel/Susanne Pickel: Politische Kultur- und Demokratieforschung. Grundbegriffe, Theorien, Methoden. Eine Einführung. Wiesbaden 2006.

[8] Vgl. zum gesamten Komplex der territorialen Mobilisierung Eve Hepburn: The neglected Nation: The CSU and the Territorial Cleavage in Bavarian Party Politics, in: German Politics, 17 (2008) 2, S. 184-202.

[9] Andreas Kießling: Das Parteiensystem Bayerns, in: Uwe Jun/Melanie Haas/Oskar Niedermayer (Hrsg.): Parteien und Parteiensysteme in den deutschen Ländern, Wiesbaden 2008, S. 125-146, hier S. 144.

[10] Heinrich Oberreuter: Stoibers Sturz. Ein Beispiel für die Selbstgefährdung politischer Macht, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 39 (2008) 1, S. 112-118, hier S. 114. Vgl. zur Selbstschwächung der CSU auch Gerd Strohmeier: Quo vadis CSU? Die bayerische Landtagswahl und ihre Folgen, in: Volker Kronenberg/Tilman Mayer (Hrsg.): Volksparteien: Erfolgsmodell für die Zukunft?, Freiburg 2009, S. 143-161.

[11] Vgl. Heinrich Oberreuter: Stoibers Sturz. Ein Beispiel für die Selbstgefährdung politischer Macht, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 39 (2008) 1, S. 112-118.

[12] Vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V.: Zeitenwende in Bayern. Analyse zur Bayernwahl, Mannheim 2008.

[13] Vgl. o.A.: Beckstein geht auf Merkel los, in: Spiegel-online.de vom 30. September 2008.

[14] CSU: Europawahlprogramm 2009. Beschluss des CSU-Parteivorstandes vom 9. Mai 2009, S. 1.

[15] Host Seehofer: Nur die CSU gibt Bayern eine Stimme in Europa, in: Bayerkurier vom 6. Juni 2009, S. 3.

[16] Vgl. ebd., S. 2.

[17] Vgl. Sebastian Fischer: CSU-Wiederauferstehung. Seehofer macht den Strauß, in: Spiegel online vom 8. Juni 2009.

[18] Vgl. Claudius Wagemann: Why the Christlich-Soziale Union Only Partially Fulfils the Image of an „Alpine Populist Party“, in: Daniel Caramani/Yves Mény (Hrsg.): Challenges to Consensual Politics. Democracy, Identity, and Populist Protest in the Alpine Region, Brüssel 2005, S. 167-186.

[19] Vgl. CSU-Seehofer: Die große Koalition ist Schuld an dem Niedergang der Volksparteien, AFP-Meldung vom 9. April 2009.

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