Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 186: Die Krisen hinter der Krise

Deutschland, deine Muslime

Navid Kermani schreibt ein beeindruckendes Plädoyer gegen falsche Typisierungen des Islam;

aus: vorgänge Nr. 186, Heft 2/2009, S. 125-126

Die Auseinandersetzung mit dem Islam hat in Deutschland, nimmt man die öffentliche Diskussion als Maßstab, Züge eines von Freund-Feind-Denken geprägten Kulturkampfes angenommen. Schlagworte wie Ehrenmorde, Zwangsheirat, Hassprediger, Kopftuch beherrschen die von Unsachlichkeit, Klischees, Polemik und Vorurteilen bestimmte Diskussion.

Navid Kermani, Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime; C.H. Beck München 2009; 171 Seiten; 16,90 Euro

Fundamentalisten wie Broder, Giordano, Kelek u. a. gießen auf Podiumsdiskussionen, in Talkshows oder im Feuilleton mit ihren Pauschalkritik am Islam immer aufs Neue Öl ins Feuer, heizen die Islamophobie an und tragen so dazu bei, dass die so dringend nötige Versachlichung und Differenzierung der Auseinandersetzung unterbleibt. Da kommt ein Buch wie das des in Deutschland geborenen und in Köln lebenden iranisch-deutschen Islamwissenschaftlers und Publizisten Navid Kermani mit seinen ausgewogenen und keineswegs unkritischen Analysen des Islam gerade zur rechten Zeit. In neun Kapiteln und einer im Anhang abgedruckten Dankesrede anlässlich einer Preisverleihung belegt Kermani glaubwürdig und überzeugend, dass es einen moderaten, toleranten und auf Zusammenarbeit setzenden Islam gibt. Seine Analysen unterfüttert er immer wieder durch biografische Einsprengsel, sei es aus der eigenen Schulzeit, aus dem Sportverein, aus der katholische Grundschule seiner Tochter oder – für ihn ein wahres Erweckungserlebnis – seiner Teilnahme an einer Bürgerversammlung über den geplanten Moscheebau in Köln-Ehrenfeld. Es sind vor allem diese persönlichen Erlebnisse, die viel Farbe in das gut lesbare Buch bringen.

Immer wieder kommt Kermani auf das Thema Identität zurück und weist zu Recht darauf hin, dass die religiöse Identität nur eine Facette unter sehr vielen anderen Facetten jedes Menschen ist. Er beklagt, dass Migranten in Deutschland vor allem als Muslime wahrgenommen werden, als orientiere sich deren Lebensgestaltung ausschließlich am Islam. „Die“ Muslime gibt es für ihn gar nicht. „Ich sage von mir: Ich bin Muslim. Der Satz ist wahr, und zugleich blende ich damit tausend andere Dinge aus, die ich auch bin und die meiner Religionszugehörigkeit widersprechen können.“ Identität bezeichnet er als Vereinfachendes und Einschränkendes. Eine derartige Zuspitzung grenze aus (wir gegen die) und berge Gefahren bis hin zu Gewaltpotential. „Man fühlt sich niemals stärker der eigenen Gruppe zugehörig, als wenn sie angefeindet wird.“ Claus Leggewie nennt Kermanis Schrift ein Buch gegen das falsche Wir.

Fragen nach der Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit des Islam mit der Demokratie oder den Menschenrechten hält Kermani deshalb für müßig, weil es erstens den Islam nicht gäbe und er sie zweitens, selbst wenn es ihn gäbe, nicht beantworte. Der Islam sei kein einheitliches eindimensionales Gebilde mit konkreten Handlungsanweisungen, Fundamentalismus sei nicht in der islamischen Religion angelegt. Der Koran predige keineswegs den Pazifismus, setze der Anwendung von Gewalt aber klare Grenzen. Kermani wendet sich gegen das „Suren-Pingpong“, mit dem vor allem in Talkshows, die er wegen ihrer Ausgrenzung der gesellschaftlichen Wirklichkeit kritisiert und deshalb meidet, ein Teilnehmer den anderen von der Friedlichkeit bzw. der Gewaltsamkeit von Koranaussagen überzeugen möchte. Der Koran sei nur in seiner Gesamtheit und in seinem bestimmten historischen Kontext zu verstehen.

Besonders eindruckvoll liest sich das Kapitel über den Terrorismus mit seinen durch Nachdenklichkeit, ja teilweise Ratlosigkeit gekennzeichneten Erklärungsversuchen über seine Ursachen. Auch hier kommt Kermani erneut auf die Wir-Die-Problematik zurück, das Gefühl, niemals dazu gehören zu können. Nicht die Religion, sondern die gesellschaftlichen und politischen Zustände betrachtet er als Boden für den Terrorismus. Die deutsche Regierung habe sich bisher im Blick auf die Gefahr terroristischer Anschläge besonnen verhalten. Bürgerrechtler werden dem nicht uneingeschränkt zustimmen können. „Zwei, drei spektakuläre Anschläge in Deutschland mit vielen Toten – und nicht nur weite Teile der Bevölkerung, nicht nur die für ihre Feindbildproduktion einschlägig bekannten Zeitungen und Sender, sondern auch die Politik wird gegen Muslime Stimmung machen.“

Im Kapitel „Deutschland wird weltoffener“ malt Kermani ein etwas zu helles Bild von den Veränderungen im Umgang mit Ausländern. Dafür ist vermutlich der Hintergrund der weltoffenen und multikulturellen Stadt Köln ausschlaggebend. Würde er in einer Kleinstadt in der früheren DDR leben, hätte sein Bild wohl wesentlich dunklere Farben. Die hohe Zahl rassistisch begründeter Diskriminierung vor allem von Muslimen, stark rückgängige Einbürgerungszahlen, Kettenduldungen, Abschiebepraxis, menschenrechtswidriger Umgang mit Asylbewerbern und mit Menschen ohne Papiere – die Liste dunkler Flecken im Umgang mit Ausländern in Deutschland und in der Ausländerpolitik der Bundesregierung ließe sich fortsetzen. Die unwürdige Behandlung des „Bremer Talibans“ Murat Kurnaz durch die rot-grüne Bundesregierung prangert Kermani zu Recht selbst an.

Überraschend positiv beurteilt Kermani auch die von Innenminister Schäuble vor zwei Jahren einberufene Islamkonferenz, zu deren Mitgliedern auf Seiten der Muslime er gehört. Diese Bewertung kann man teilen, wenn man – wie offenbar Kermani – von dieser Konferenz keine Ergebnisse erwartet, sondern den Erfolg schon darin sieht, dass Vertreter der Mehrheitsgesellschaft mit Vertretern der Muslime reden – eine Selbstbescheidung, die Zeugnis davon ablegt, wie es um die Wirklichkeit dieses Verhältnisses steht. Wenig überraschend vor dem Hintergrund der Zusammensetzung dieser Konferenz ist demgegenüber die Feststellung von Kermani, dass die Fronten in den Diskussionen nicht etwa zwischen Deutschen und Muslimen verlaufen, sondern quer dazu, kommen die größten Anfeindungen des Islam doch von einigen Muslimen selbst.

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