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»Freedom of Information«

vorgängevorgänge 7811/1985Seite 95-104

Ein Instrument zur Überwindung staatlicher Geheirnhaltungspraxis?

aus vorgänge Nr. 78 (Heft 6/1985), S.95-104

Die Schlagworte von der „Informationsgesellschaft“ und dem „Computerzeitalter“ verweisen auf die wachsende Bedeutung der Information:  Staat und Verwaltung sind auf Informationen angewiesen, um ihren vielfältigen Planungs- und Steuerungsaufgaben gerecht werden zu können. In gleicher Weise benötigen auch die Bürger Informationen, um ihr individuelles und gesellschaftliches Handeln sinnvoll zu organisieren. Angesichts des Angewiesenseins auf Informationen wird die Verfügungsgewalt über sie zu einer „zentralen gesellschaftlichen Potenz, die einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung wie auch zur Veränderung bestehender Herrschaftsverhältnisse“ leisten kann[1].

Empirische Untersuchungen zeigen jedoch, daß die Informationsströme zwischen Verwaltung und Bürgern asymmetrisch verlaufen: Im Bereich der Verwaltung häufen sich zunehmend Informationen an, über die die Administration zu eigenem Nutzen verfügt; insbesondere technische Informationssysteme, die innerhalb der Verwaltung monopolisiert und nicht dem Bürger zu dienen bestimmt sind, lassen eine Informationskonzentration in der öffentlichen Verwaltung vermuten[2].

Die gestörten Informationsprozesse zwischen Staat und Bürgern sind um so folgenreicher, als sich die Verwaltung zunehmend der politischen Steuerung entzieht. Die von Max Weber beschriebene Bedeutung der Verwaltung als sozialer Machtfaktor erhält unter den Bedingungen des modernen Planungsstaates eine neue Dimension: Wenn Weber die Verwaltungstätigkeit durch ihre Regelhaftigkeit aufgrund konditionalprogrammierter Gesetze gekennzeichnet sah[3], so wird genau diese Regelhaftigkeit durch die administrative Übernahme ehemals politischer Planungsfunktionen in Frage gestellt – die durch zweckrationeles Handeln bestimmte Verwaltungstätigkeit löst sich zunehmend ab von gesetzlicher Programmierung und programmiert sich selbst[4].

Ist damit die Verwaltung in erheblichem Maße der politischen Steuerung entzogen, so kommt der Mitwirkung an und der Kontrolle von Verwaltungstätigkeit durch die Bürger eine hervorragende Bedeutung zu. Informationsrechte, verstanden als Gegengewicht zur staatlichen Informationsverarbeitungspraxis, könnten zur Aufbrechung administrativer Verselbständigungs- und Geheimhaltungstendenzen und zu einer demokratischen Kontrolle durch Schaffung von Transparenz beitragen.

Information und Geheim­hal­tung im bundes­deut­schen Recht

Die „Überlegenheit des berufsmäßig Wissenden sucht jede Bürokratie noch durch das Mittel der Geheimhaltung ihrer Kenntnisse und Absichten zu steuern. Bürokratische Verwaltung ist ihrer Tendenz nach stets“ Verwaltung mit Ausschluß der Öffentlichkeit“[5] – dieser Webersche Befund findet seine Widerspiegelung in den Gesetzesvorschriften, die den Informationszugang des Bürgers und die Zulässigkeit staatlicher Geheimhaltung normieren.

Die Informationsfreiheit des Art. S, Abs. 1, S. 1 GG gibt jedermann das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“. Das BVerfG erkannte, daß erst die Informationsfreiheit es dem Bürger ermöglicht, „sich selbst die notwendigen Voraussetzungen zur Ausübung seiner persönlichen und politischen Aufgaben zu verschaffen, um im demokratischen Sinne verantwortlich handeln zu können[6]. Da Art. 5 GG dieses Recht aber auf „allgemein zugängliche Quellen“ beschränkt und eine solche nur dann gegeben ist, wenn die Informationsquelle „technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d.h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen“[7], soll der behördliche Bereich von der Informationsfreiheit ausgenommen sein – die „öffentliche“ Verwaltung ist eben doch nicht ganz öffentlich. Mit der scharfsinnigen Begründung, behördliche Akten seien keine allgemein zugänglichen Informationsquellen, „weil sie der öffentlichen Einsicht nicht allgemein zugänglich sind“[8], verweigern die Gerichte unisono einen auf Art. 5 GG gestützten allgemeinen Informationsanspruch des Bürgers gegenüber der Verwaltung.

In gleicher Weise verneinen die Gerichte regelmäßig eine Veröffentlichungspflicht für allgemeine Verwaltungsvorschriften. Vorschriften, die etwa den Ermessensgebrauch bei der Gewährung von Sozialhilfe oder der Ausweisung von Ausländern regeln und deshalb u.a. für Rechtsanwälte eminent bedeutsam sind, müssen nicht nach Art. 5 GG zugänglich gemacht werden. Sie sind nicht allgemein zugänglich, weil sie gemäß Rechtsprechung nur innerbehördlich gelten[9] – ungeachtet ihrer faktischen Außenwirkung.

Da Informationsansprüche gegenüber der Verwaltung nach herrschender Auffassung nicht auf das Grundgesetz gestützt werden können, bleiben neugierigen, interessierten und betroffenen Bürgern nur die einfachgesetzlichen Akteneinsichtsrechte. Nach § 29 VwVfG besteht aber ein Akteneinsichtsrecht nur für „Beteiligte eines Verwaltungsverfahrens“, und dies auch nur, „soweit die Aktenkenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist“. Das hierdurch bereits personell und gegenständlich begrenzte Einsichtsrecht wird durch großzügige Ausnahmetatbestände noch weiter geschmälert: So besteht ein Anspruch auf Akteneinsicht nicht, „soweit durch sie die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben der Behörde beeinträchtigt wird“, oder „das Bekanntwerden des Inhalts der Akten dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde“, oder soweit „die Vorgänge ihrem Wesen nach geheimgehalten werden müssen“. Letzterer Ausnahmetatbestand soll nach den Intentionen des Gesetzgebers vor allem die „Privatsphäre“ Dritter schützen; faktisch dient er jedoch der Verwaltung als Auffangtatbestand für Geheimhaltungsinteressen, die sich den anderen Ausnahmetatbeständen nicht zuordnen lassen. Dem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig sind z.B. sogenannte Sicherheitsakten, die über einen Bundesbahnbeamten angelegt wurden, der an einer mutmaßlichen sicherheitsempfindlichen Stelle eingesetzt war, ebenso wie Akten des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, aus denen sich die Arbeitsweise der Behörde und der Kreis der Mitarbeiter ersehen ließent[10]. Tatsächlich beruhen die Gerichtsentscheidungen wohl eher auf der Anerkennung des massiven Eigeninteresses von Verfassungsschutz und Nachrichtendienst an der Geheimhaltung, das sich schlicht aus dem Umstand ergibt, „daß Schnüffelei alles andere als ein ehrenwertes Geschäft ist, auch dann, wenn es staatlich organisiert wird“[11].

Die Geheimhaltung von Akten wird den Behörden zusätzlich noch dadurch erleichtert, daß eine gerichtliche Überprüfung administrativer Geheimhaltungsansprüche nicht oder nicht rechtzeitig möglich ist. Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht, wenn überhaupt, nur im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen, zu denen auch Entscheidungen über die Gewährung von Akteneinsicht zählen sollen, können aber nur zusammen mit der eigentlichen Sachentscheidung geltend gemacht werden (§ 44a VwGO). Eine isolierte Klage auf Einsichtgewährung ist deshalb nicht statthaft. Selbst wenn aber eine Klage auf Aktennotiz vom Gericht als zulässig erachtet wird, steht es den Behörden frei, die Aktenvorlage an das Gericht unter Berufung auf deren Geheimhaltungsbedürftigkeit „dem Wesen nach“ zu verweigern (§99 VwGO) – die exklusive Definitionsmacht über die Geheimhaltungswürdigkeit liegt bei der Administration.

Der trostlose Rechtszustand wird auch von Juristen zunehmend als unbefriedigend empfunden. Seit einigen Jahren fordern Kritiker die Schaffung eines allgemeinen, voraussetzungslosen und durchsetzbaren Informationsanspruchs, der der vielbeschworenen „bürgernahen Verwaltung“ zu ihrem Recht verhilft. So fordern beispielsweise Die Grünen die Einführung eines allgemeinen Einsichtsrechts in Umweltakten. Als Vorbild für eine solche Reform gilt regelmäßig der US-amerikanische „Freedom of Information Act“ (FOIA). Eine Analyse der Entstehungsbedingungen und Funktionsweisen des FOIA kann möglicherweise Aufschluß darüber geben, welche Chancen und Unwägbarkeiten in einem bundesdeutschen Freedom of Information Act liegen.

Entstehung und Struk­tur­prin­zi­pien des FOIA

Im Jahr 1953 hatte der Justitiar des „New York Herald Tribune“, Harold Cross, im Auftrag der „American Society of Newspaper Editors“ eine Studie erarbeitet über „The People’s Right to Know“[12]. Seine Recherchen ergaben, daß die Tätigkeit der Exekutive hinter verschlossenen Türen stattfand und die Einsichtnahme in Behördenakten nahezu routinemäßig verweigert wurde. In den bald darauf beginnenden Vorarbeiten zu einem Informationsgesetz wurden Hunderte von Experten gehört und 17 dickleibige Bände mit Hearing-Stenogrammen gefüllt. Die Behörden, die sich im Rahmen der Hearings äußerten, lehnten einhellig ein Informationsgesetz ab – sie sahen die Funktionsfähigkeit der Behörden gefährdet. Die Notwendigkeit der Gesetzgebung begründete der Kongress mit demokratietheoretischen Erwägungen: Verwaltungshandeln und Behördenakten seien „öffentliches Eigentum“; das Prinzip einer „informierten Wählerschaft“ gebietet eine Regelung, die der Öffentlichkeit Zugang zu allen Behördenakten verschaffe. Im Jahre 1966 wurde endlich der Freedom of Information Act vom Kongreß verabschiedet (5 U.S.C. § 552).

Das Gesetz, das vornehmlich auf Druck der Presse zustandegekommen war, wurde von einer breiteren Öffentlichkeit zunächst jedoch kaum zur Kenntnis genommen – tatsächlich war es zu schwach, um das überkommene administrative Geheimhaltungsdenken durchbrechen zu können. Die Behörden machten sich Inkonsistenzen der Gesetzgebungsgeschichte (die Gesetzeserläuterungen des Senats waren wesentlich informations-freundlicher als die Begründungen des Repräsentantenhauses) zunutze, um Umgehungsstrategien zu entwickeln: Sie verzögerten die Bearbeitung von Informationsgesuchen, um aktuelle Informationen durch Zeitablauf wertlos zu machen; sie forderten astronomische Gebühren und Vorschüsse für die Anfertigung von Kopien; oder sie ließen einfach Akten verschwinden.

Die von der Presse und von Bürgerrechtsgruppen erhobenen Vorwürfe veranlaßten den Kongress 1972 schließlich zur Anberaumung neuer Hearings. Die Ausschüsse kamen zu dem Ergebnis, daß vor allem prozedurale Mängel für die wenig eindrucksvolle Implementation des FOIA verantwortlich waren. Das 1974 verabschiedete Änderungsgesetz präzisierte und erweiterte u.a. die Informationspflichten der Behörden, formulierte Standards für die Berechnung von Gebühren, statuierte drastische Fristen für die Bearbeitung von Informationsgesuchen und schuf ein parlamentarisches Überwachungsprogramm. Der Reformeifer der Parlamentarier wurde nicht zuletzt von den traumatischen Watergate-Erfahrungen beflügelt – es galt, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Funktionsfähigkeit der Verwaltung wiederherzustellen.

Der FOIA ist ein Bundesgesetz und verpflichtet nur die Bundesbehörde. Die Einzelstaaten haben aber durchweg entsprechende Informationsgesetze verabschiedet. Neben den eigentlichen Behörden werden auch staatliche Eigenbetriebe (z.B. die Tennessee Valley Authority) oder staatlich beherrschte Unternehmen (wie etwa Amtrak) vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfaßt. Das Gesetz, das sich als umfassendes Informationskonzept versteht, gliedert sich in drei Teile.

  • In einem ersten Abschnitt werden Veröffentlichungspflichten der Behörden normiert. Danach müssen allgemeine Verwaltungsvorschriften, Organisationspläne und Verfahrensregelungen regelmäßig im „Federal Register“ publiziert werden. Für den Fall, daß die Behörde ihrer Veröffentlichungspflicht nicht nachkommt, formuliert das Gesetz ein Benachteiligungsverbot für eventuell betroffene Personen. Zweck der Regelung ist es, der Öffentlichkeit die Möglichkeit zu geben, herauszufinden, wie und an wen Anträge und Anfragen zu richten sind. Die Informationspflicht wird danach als notwendige Voraussetzung für weitergehende Informationsgesuche verstanden.
  • Der zweite Abschnitt verpflichtet die Behörden, bestimmte Dokumente zugänglich („available“) zu machen. Hierbei handelt es sich vor allem um „endgültige Stellungnahmen zur Entscheidung von Einzelfällen“, die über laufende Kataloge systematisiert und erschließbar gemacht werden müssen. Die „availability“-Regelung verfolgt den ausdrücklichen Zweck, das behördliche „case law“ jeder Person zugänglich zu machen. Das in Tausenden von Einzelfallentscheidungen gesammelte Recht hat in der angelsächsischen Rechtstradition häufig die Kraft von Gesetzesrecht, da es als Präzedenz zur Entscheidung ähnlich gelagerter Fälle herangezogen wird – als „secret law“ der Behörden war es zuvor der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

  • Der dritte und wohl bedeutsamste Abschnitt regelt den Anspruch auf Zugang zu allen Behördenakten. Das Zugangsrecht steht jedermann zu und ist nicht an ein spezifisches anerkennenswertes Interesse gebunden – ein bemerkenswerter Unterschied zur bundesdeutschen Rechtslage. Der Informationssuchende muß die gewünschten Akten angemessen spezifizieren, soweit ihm dies möglich ist. Für Aktensuche und Kopieraufwand – der Aktenzugangsanspruch ist rechtstechnisch als Aktenüberlassungsanspruch ausgestaltet – dürfen die Behörden Gebühren berechnen, die aber auf die unmittelbar entstehenden Kosten zu begrenzen sind.
  • Die Dokumente sind kostenfrei zugänglich zu machen, wenn dies im „öffentlichen“ Interesse geboten ist – eine Regelung, die vor allem den sog. „public interest groups“ zugute kommt, die ja als Multiplikator offengelegter Informationen fungieren. Die Admini-stration muß binnen zehn Tagen auf ein Informationsgesuch reagieren. Hält sie die Dokumente für geheimhaltungsbedürftig, so muß sie dies binnen dieser Frist dem Informationssuchenden mitteilen. Unterläßt sie es, so formuliert das Gesetz einen Ableh-nungsfiktion: Der Antragsteller kann die unterstellte Weigerung zunächst bei einer Widerspruchsbehörde, dann gerichtlich anfechten. Die kurze Bemessung der Fristen stieß auf scharfen Widerstand der Behörden, die die Funktionsfähigkeit der Verwaltung in Frage gestellt sahen und die Regelung als kontraproduktiv bezeichneten. Allerdings ist auch bei Einhaltung der Fristen das Verfahren immer noch recht schwerfällig; bei Ausschöpfung aller Fristen dauert der durchschnittliche FOIA-Fall mindestens neun Wochen.

    Eine behördliche Weigerung der Einsichtsgewährung ist nur dann zulässig, wenn ein Dokument unter mindestens einen der im Gesetz genannten neun Ausnahmetatbestände fällt. Neben dem FOIA dürfen – müssen aber nicht – zurückgehalten werden:

    • Angelegenheiten, die im Interesse der nationalen Sicherheit gemäß Regierungsanordnung geheimhaltungsbedürftig sind;
    • interne Behördenregelungen;
    • Akten, die durch spezialgesetzliche Geheimhaltungsgebote geschützt sind;
    • Geschäftsgeheimnisse und vertrauliche geschäftliche und finanzielle Informationen, die die Behörde durch Dritte erlangt hat;
    • Akten, die den behördlichen Entscheidungsbildungsprozeß reflektieren;
    • Personalakten, ärztliche Unterlagen und ähnliche Akten, deren Veröffentlichung einen Eingriff in die Privatsphäre Dritter darstellen würde;
    • Straf- und verwaltungsrechtliche Ermittlungsakten, wenn ihre Veröffentlichung zu einem von sechs im Gesetz genannten Schadenstypen führt;
    • Akten der Steuerbehörden;
    • geologische und geophysikalische Angaben zu Ölquellen.

    Kommt es zu einem gerichtlichen Verfahren, so trifft das Gericht eigene Tatsachenfeststellungen („de novo review“), die ihr die Befugnis geben, die im Streit befindlichen Dokumente unter Ausschuß der Öffentlichkeit („in camera“) zu inspizieren. Die Behörde trägt die Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Geheimhaltung. Hält das Gericht die Geheimhaltung für unberechtigt, so kann es die Freigabe der Akten anordnen. Nach der Konstruktion des Gesetzes unterliegen also behördliche Sekretierungsentscheidungen grundsätzlich einem „judicial check“ – eine dem bundesdeutschen Recht weit überlegene Regelung.
    Mit der Novellierung des FOIA im Jahr 1974 wurde das Gesetz um einen Abschnitt ergänzt, der den Behörden eine Berichterstattungspflicht gegenüber dem Parlament auferlegt. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber ein Überwachungsprogramm institutionalisieren, das wohl erzieherisch auf die Behörden einwirken, als auch Anstöße für weitere legislative Maßnahmen liefern soll.

    Konzept und reale Umsetzung – Der FOIA in der praktischen Bewährung

    Will man zu einer verläßlichen Einschätzung der Wirksamkeit des FOIA gelangen, so empfiehlt sich eine kurze Analyse der Ausnahmetatbestände des FOIA – sie entscheiden letztlich über den tatsächlichen qualitativen Umfang des Informationsrechts. Da diese Ausnahmen jedoch rechtlicher Interpretation bedürfen, kommt den Bewertungsmaßstäben entscheidende Bedeutung zu. Die Gerichte haben bereits frühzeitig den Grundsatz formuliert, daß die Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind, da sie die Verwaltung begünstigen. Aus diesem Grundsatz folgt das weitere Prinzip, daß in Zweifelsfällen die Auslegung zu wählen ist, die für die Veröffentlichung spricht. Dieser Ansatz kontrastiert auffällig mit dem behördlichen Bemühen, den Ausnahmebestimmungen grundsätzlich eine sehr weite Bedeutung zu geben. Die Rechtssprechungspraxis der vergangenen Jahre zeigt jedoch, daß auch die Gerichte den Informationszugang zunehmend restriktiver handhaben, wie im folgenden an einigen Beispielen zu zeigen sein wird.

    • Nach der Ausnahmeregelung für die „nationale Sicherheit“ können Materialien dann zurückgehalten werden, wenn sie gemäß einer präsidentiellen Regierungsanordnung („executive order“) geheimgehalten werden müssen und entsprechend den Kriterien der Anordnung klassifiziert worden sind. Der gesetzliche Verweis auf Vorschriften, die vom Präsidenten ohne parlamentarische Zustimmung erlassen werden können, indiziert bereits, daß der tatsächliche Umfang geheimhaltungsbedürftiger Dokumente von der Exekutive abgesteckt wird: Die Gerichte können nur überprüfen, ob die Klassifizierung der Dokumente gemäß den Kriterien der Regierungsanordnung erfolgt ist; sie können jedoch nicht Klassifizierungsmaßstäbe in Frage stellen.
      Die Reagan-Administration setzte – erwartetermaßen – 1982 die recht liberale „executive order“ des Amtsvorgängers Carter außer Kraft und verabschiedete eine Anordnung, die den Behörden die Klassifizierung von Dokumenten erheblich erleichtert[13]. Da die Gerichte auf die Geheimhaltungskriterien keinen Einfluß haben, können sich jetzt behördliche Geheimhaltungsansprüche wesentlich leichter durchsetzen.
    • Die Ausnahmebestimmung für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse erfuhr eine folgenreiche Umorientierung: Wirtschaftsunternehmen erkannten bald die Potenz des FOIA, interessante Details über Konkurrenzunternehmen zu erfahren. Entgegen der eigentlichen gesetzgeberischen Intention, die Öffentlichkeit über die Tätigkeit der Verwaltung zu informieren, wurde und wird mit mehr oder weniger Erfolg versucht, den FOIA als Instrument der Wirtschaftsspionage zu mißbrauchen. Betroffene Unternehmen, die ihre Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gefährdet sahen, strengten auf den FOIA gestützten Klagen an mit dem Ziel, eine behördliche Informationsfreigabe zu verhindern. Das Oberste Bundesgericht entschied allerdings 1979 in einer grundlegenden Entscheidung, daß private Geheimhaltungsansprüche nicht auf den FOIA gestützt werden könnten, da das Gesetz ausschließlich ein „disclosure statute“ sei [14]. Die Rechtsprechung hat aber Kriterien entwickelt, die das Geheimhaltungsinteresse betroffener Unternehmen angemessen berücksichtigen sollen: Eine Information gilt dann als vertraulich, wenn ihre Offenlegung (1) die Fähigkeit der Regierung beeinträchtigen würde, in der Zukunft notwenige Informationen zu erhalten oder (2) die Wettbewerbsposition der Person, von der die Information erlangt wurde erheblich beeinträchtigen würde[15]. Allein die Existenz zahlreicher sog. „FOIA reverse suits“ zeigt jedoch augenfällig, wie schnell sich ein Gesetz wie der FOIA von seiner eigentlichen Zweckprogrammierung ablösen läßt.
    • Ein weiteres Einfallstor für Beschränkungen des Informationszugangs bietet die Ausnahmebestimmung für spezialgesetzliche Geheimhaltungsgebote, die nach der Konstruktion des Gesetzes dem allgemeinen Informationsanspruch vorgehen. Durch die Schaffung von Geheimhaltungsgesetzen, die die Behörden zur Geheimhaltung bestimmter Dokumente verpflichten, kann der Kongress den Umfang des Informationsrechts erheblich schmälern. So haben die Gerichte in verschiedenen Entscheidungen beispielsweise den „National Security Act“ und den „Central Intelligence Agency Act“ als Geheimhaltungsgesetze („withholding statutes“) anerkannt [16]. Nach diesen Gesetzen müssen u.a. Namen von Behördenangestellten und Operationsmethoden der CIA geheimgehalten werden. Auch der „Atomic Energy Act“, der Behördenpläne über Einsatzkapazitäten bei atomaren Störfällen als „safeguards information“ bezeichnet, soll als spezielles Geheimhaltungsgesetz qualifizieren[17]. Ebenso wird im Bereich der Wirtschaftsverwaltung mit spezialgesetzlichen Geheimhaltungsgeboten operiert. So entschied das Oberste Bundesgericht, daß der „Consumer Product Safety Act“ teilweise ein „withholding statute“ sei[18]. Das Gesetz verpflichtet u.a. die Behörden, vor einer Preisgabe von Drittinformationen – hier: eine Studie über durch Fernsehgeräte verursachte Unfälle – den Informationslieferanten zu konsultieren.
    • Prekär ist auch das Verhältnis des FOIA zum personenbezogenen Datenschutz, der in den USA im „Privacy Act“ kodifiziert wurde. Zwar enthält der FOIA bereits eine Ausnahmebestimmung zum Schutz der „Privatsphäre“, er räumt aber den Betroffenen u.U. größere Zugangsmöglichkeiten zu den eigenen Daten ein als der Privacy Act. Denkbar sind andererseits aber auch Fälle, in denen nach dem Privacy Act personenbezogene Daten zugänglich gemacht werden müssen, die nach dem FOIA geheimzuhalten sind – offensichtlich Kompatibilitätsprobleme, die sich aus der fehlenden Deckungs-gleichheit der jeweiligen Ausnahmetatbestände ergeben.

    Eine interessante Parallele zur bundesdeutschen Diskussion um die Volkszählung liefern US-amerikanische Auseinandersetzungen um den Stellenwert des „Census Act“: In einem FOIA-Fall hatten die klagenden Gemeinden Daten aus der Volkszählung begehrt, die Aufschluß gaben über die Anzahl von Wohnungseinheiten und den Anteil leerstehenden Wohnraums – die Gemeinden fühlten sich „unterzählt“ und damit hinsichtlich föderaler Finanzzuweisungen benachteiligt. Die auf den Census Act gestützte Infarmations-verweigerung des Statistischen Bundesamtes wurde vom Obersten Bundesgericht bestätigt. Entscheidend war für das Gericht die Funktion des Zensus: Die Behörde sei bei der Erhebung der Daten auf die Kooperation der Bevölkerung angewiesen; diese könne jedoch nur dann erreicht werden, wenn die Vertraulichkeit sämtlicher individualisierbarer Daten sichergestellt sei[19]. Das Gericht stellte damit den Grundsatz der Vertraulichkeit der Angaben über das verfassungsrechtliche Gebot der Genauigkeit der Angaben.

    • An der gerichtlichen Überprüfung administrativer Geheimhaltungsansprüche läßt sich ablesen, daß die Geheimhaltungshypertrophie der Reagan-Administration offenbar auch an den Gerichten nicht spurlos vorbeigegangen ist. Die Gerichte machen, zumal wenn behördlich „national seeurity“-Ansprüche auf dem Spiel stehen, immer unwilliger von ihrem gesetzlich verbrieften Recht Gebrauch, die streitigen Dokumente „in camera“ zu inspizieren. Die Regelung, bei der Novellierung 1974 ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen, war von Anfang an umstritten und bewog den damaligen Präsidenten Ford zum – erfolglosen – Gebrauch seines Vetorechts. Die Gegner des „in camera“-Verfahrens mutmaßten, die Gerichte seien mit der Überprüfung von Geheimhaltungsentscheidungen im sicherheitsempfindlichen Bereich überfordert, gar möglicherweise durch ihr Wissen selbst ein Sicherheitsrisiko.

    Diese Befürchtung haben sich zahlreiche Gerichte anscheinend zu eigen gemacht. Häufig verzichten sie auf ihr Recht, die im Streit befindlichen Dokumente selbst einzusehen; sie begnügen sich stattdessen mit nur ihnen und nicht den FOIA-Klägern zugänglichen eidesstattlichen Versicherungen der Behördenvertreter – diese entsprechen in ihrer Aussagekraft wohl in etwa der „Glaubhaftmachung“, die das bundesrepublikanische Recht für die Weigerung der Aktenvorlage an das Gericht verlangt (§ 99 VwGO). Verzichten jedoch die Gerichte ohne Not auf ihr Recht auf Aktenvorlage, so bleibt die Entscheidung über die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Dokumenten bei der Administration – ein vom amerikanischen Gesetzgeber ursprünglich wohl kaum intendiertes Resultat.

    Konse­quenzen für einen deutschen FOIA

    Die vorstehende, doch recht ernüchternde Analyse des FOIA bedarf eines klarstellenden Satzes: Sie stellt im wesentlichen eine Negativauslese anhand der ausprozessierten Informationsansprüche dar mit dem Ziel, die Grenzen des Informationsrechts möglichst genau zu erfassen. Einem Großteil der Informationsgesuche wird jedoch noch auf unterster Verwaltungsebene stattgegeben, ohne daß es einer gerichtlichen Klärung bedurfte.

    Es zeigt sich aber auch, daß sich die emphatischen Hoffnungen des Gesetzgebers nur teilweise erfüllt haben. Eine grundsätzliche Aktenöffentlichkeit für jedermann impliziert zugleich auch eine tatsächlich interessierte Öffentlichkeit. Tatsächlich aber machen vorwiegend spezielle Interessengruppen von dem Gesetz Gebrauch. Dies sind neben Bürgerrechts-, Umwelt- und Konsumentenschutzgruppen auch Wirtschaftsunternehmen, die hinsichtlich des Informationszugangs schon immer privilegiert waren[20]. Auch durch noch so detailgenaue Regelungen läßt sich die Zweckentfremdung eines Informationszugangsgesetzes offenbar nicht verhindern.

    Desweiteren ist die Wirksamkeit eines Gesetzes wie des FOIA in nicht unerheblichem Maße von dem Grad behördlicher Kooperationsbereitschaft abhängig. Die Geschichte der Novellierung des FOIA und auch die ergangene Rechtsprechung illustrieren eindrücklich, daß der FOIA seine erzieherische Funktion auf die Verwaltung weitgehend verfehlt hat – die Behörden ersannen und ersinnen weiterhin beharrlich Verzögerungs- und Verweigerungsstrategien, die sich offenbar auch durch sorgfältigste Verfahrensregelungen nicht eliminieren, sondern allenfalls kanalisieren lassen.

    Schließlich wird die Reichweite des FOIA nicht zuletzt vom Wohlwollen der Gerichte bestimmt. Diese zeigten sich insbesondere in den siebziger Jahren ausgesprochen informationsfreundlich und gaben eine Vielzahl teilweise brisanter Dokumente frei. Aber auch die Justiz reagierte offenbar sensibel auf die Veränderung des politischen Klimas. Sie verzichtet auf ihre angestammten Rechte und kapituliert damit ohne Not vor der vorgeblich besseren Sachkenntnis der Behörden.

    Die US-amerikanischen Erfahrungen mit dem FOIA zeigen, daß mit einem etwaigen deutschen Freedom of Information Act – immerhin planen ja Die Grünen die Einführung eines allgemeinen Einsichtsrechts in Umweltakten – keine allzu hohen Erwartungen verknüpft werden sollten.

    Die Empfehlung zur Schaffung von Aktenöffentlichkeit nach dem Vorbild des FOIA ist schon deshalb nicht ganz unbedenklich, weil sie häufig die Augen verschließt vor den historischen Vorbedingungen, die die Verabschiedung und Novellierung des FOIA erst ermöglichten. So gibt die Entstehung des FOIA der These einigen empirischen Gehalt, daß für die Steuerbarkeit und Kontrollierbarkeit der Verwaltung auch bedeutsam ist, ob eine Zentralverwaltung bereits vor der Entwicklung verfassungsmäßiger politischer Institutionen entstand, wie dies in Deutschland der Fall war, oder erst gleichzeitig mit ihnen oder später, wie dies für die USA gilt. Wenn auch die Geheimhaltungsmentalität deutscher und amerikanischer Behördenmit Sicherheit gleich stark ausgeprägt ist, so dokumentiert doch der politisch-parlamentarische Diskurs um die Notwendigkeit der Schaffung des FOIA einen Kontrollwillen gegenüber der Verwaltung, der auf bundesrepublikanische Parlamentsverhältnisse kaum übertragbar ist.
    Ein deutscher Freedom of Information Act könnte deshalb möglicherweise eine Totgeburt werden – die Verwirklichung eines komplexen Informationskonzepts setzt erhebliche administrative und legislative Umdenkungsprozesse voraus, die wohl insbesondere nach dem Spionagerummel der letzten Wochen und Monate noch lange auf sich warten lassen werden.

    Verweise

    1 Reimann (Hrsg.), Information, München 1977, S. 8
    2 Fehlau/Neddens, Bürgerinformation im politischen Willensbildungsprozeß, Göttingen 1975, S. 49 ff.
    3 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1980, S. 569 ff.
    4 Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, Heidelberg/Karlsruhe 1978, S. 68
    5 Weber, a.a.O., S. 572
    6 BverfGE 27, 71 ff. (S. 81 f.)
    7 ebenda, S. 83
    8 OVG Münster, DÖV 1959, 391 f.; krit. dazu Scherer, Verwaltung und Öffentlichkeit, Baden-Baden 1978, S. 31 ff.
    9 s. BVerwGE 61, 15 ff.; BVerwG, DVBI. 1984, 1078 ff.
    10 VGH Kassel, DVBI. 1977, 428 ff.; BVerwG, NJW 1978, 1643 f.
    11 so Hase, Das Öffentliche Interesse als Geheimhaltungsinteresse, in: CILIP 16/1983, 50 ff., S. 52
    12 Cross, The People’s Right to Know, New York 1953
    13 s. hierzu ausführlich Note, Duke L.J. 1983, 390 ff., 394 ff
    14 Chrysler Corp, v. Brown, 441 U.S. 281 (1979)
    15 National Park and Conservation Association v. Morton, 498 F. 2d 765 (770) (D.C.Cir. 1974)
    16 Gardels v. CIA,, 689 F. 2d 1100 (1103) (D.C.Cir. 1982)
    17 Virginia Sunshine Alliance v. NRC, 669 F. 2d 788 (D.C.Cir. 1982)
    19 Baldridge v. Shapiro, 102 S.Ct. 1 103 (1982)
    20 so Scherer, »Öffentlichkeitsarbeit« der Verwaltung und Informationsfreiheit des Bürgers, in: Hoffmann-Riem (Hrsg.), Bürgernahe Verwaltung?, Darmstadt/Neuwied 1980, S. 329

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