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Ein Ober-Schle­sier: Richter Dr. Stoll

vorgängevorgänge 7811/1985Seite 11-13

aus: vorgänge Nr.78, (Heft 6/1985), S. 11-13

Am Amtsgericht Hildesheim wirkt – als Haftrichter gefürchtet – der Richter Dr. Christian Stöll. Er steht der Landsmannschaft der Oberschlesier in Niedersachsen vor und redet Anstößiges.

Am 27.XI.1982 ist er erstmals in Dorsten mit einer Ansprache an die »lieben Landsleute« aufgefallen. Wir zitieren:

…»In bestimmten Kreisen herrscht hierzulande ein hochgradiger nationaler Masochismus und findet jede Niedrigkeit Beifall, wenn sie nur gegen die Interessen unseres Volkes gerichtet ist. Noch nie hat sich auf deutschem Boden in deutscher Zunge ein derartiger Deutschenhass austoben können wie heutzutage, und das im Namen angeblich der Stärkung eines kritischen Staats- und Demokratieverständnisses… Angesprochen sind damit die Träger eines deutschen Unterwerfungswillens, die sich als Gralshüter der Demokratie aufwerfen, in Wirklichkeit aber im Geiste einer Knechtsseeligkeit als Berufsbesiegte ihren Nutzen ziehen. Welche Politiker, welche Schreiberlinge oder Pädagogen hier zu nennen wären, mögen Sie selbst befinden. Besonders herauszuheben sind freilich die Meinungspäpste in Funk und Fernsehen, die ohne Hemmungen und Beschränkungen eine unkontrollierte Macht ausüben…«

…»Jedem Verräter am deutschen Volk werden Ehrenkränze geflochten, der deutsche Soldat, Patriot oder deutsche Leistungen aber geschmäht…«

…»Uns Deutschen droht auch im Biologischen der Verlust der nationalen Identität. Der Geburtenrückgang in der Bundesrepublik ist am stärksten in der ganzen Welt geworden, d.h. wir Deutschen sterben langsam aus. Während jährlich Hunderttausende deutscher Kinder durch Abtreibung auf Krankenschein getötet werden, will man immer mehr ausländische Kinder nachkommen und weitere Ausländer einströmen lassen…«

Während der Vorsitzende des SPD Stadtverbandes Dorsten Willi Risthaus damals schrieb: »Mich bedrückt, daß der Geist der Jahre nach 1933 offenbar nicht kleinzukriegen ist«, erklärte Justizminister Remmers im niedersächsischen Landtag auf eine Anfrage des Abgeordneten Drechsler (SPD), daß er keinen Anlaß sehe, einzugreifen.

Im März 1985 hat Stoll in einer Rede in Göttingen vor Schlesiern und Oberschlesiern der 64. Wiederkehr der Abstimmung in Oberschlesien gedacht. Diese Rede hat er auch der CDU-nahen Schülerunion in Göttingen zur Verfügung gestellt, die sie in diesen Tagen abgedruckt hat. Wir bringen auch hier – platzbedingt kurze – Auszüge:

…»Schlimmer noch sind aber jene Deutschen, die geistig ins Feindlager übergelaufen sind und von verschiedenen Positionen im Inland her gegen das eigene Volk agieren. In bestimmten Kreisen herrscht hierzulande ein hochgradiger Masochismus und findet jede Niedrigkeit Beifall, wenn sie nur gegen die Interessen unseres Volkes gerichtet ist…«

»Das haben Sie hier in Göttingen jüngst am Beispiel eines verdienten Mannes (gesehen), der unbedachterweise die bekannten Worte des Schriftstellers Hans Grimm „Volk ohne Raum“ in den Mund nahm. Dabei sprach dieser Mann (Herr Walter Leiter) eine Binsenwahrheit aus. Die Enge unseres Raumes zwingt uns, unser Land mehr und mehr zu einer Asphalt, Beton- und Produktionswüste zu machen, in deren Hast und Gedrängtheit ein Volk nicht auf weite Sicht körperlich und geistig gesund bleiben kann. Wenn ein Volk größte Anstrengungen machen muß, seinen Boden nicht mit Chemikalien zu verseuchen, sein Wasser verwendbar zu halten, seine Abfälle zu beseitigen, seine Atemluft zu säubern, so wird das Leben problematisch. Den nötigen Lebensraum aber können wir nur im menschenarmen deutschen Osten finden…«

… »Schon regen sich Kräfte, die jetzt die Gründung einer ostdeutschen Partei bzw. Partei für Wiedervereinigung fordern, da weiteste Kreise im Volke nunmehr auch der CDU mißtrauen«…

… »Wir werden aber auf Ostdeutschland, unsere Heimat und Volksboden nicht verzichten. Wir verzichten gerne auf Brandt, Vogel und auch auf Kohl, nicht aber auf Schlesien«.

Nach dem letzten Weltkrieg sind von der politischen Wissenschaft zahlreiche Faschismustheorien entwickelt worden. Es ist hier nicht der Ort, sie auszubreiten. Einigkeit besteht darüber, daß die Nationalsozialisten über kein geschlossenes Weltbild verfügten, sondern lediglich zahlreiche schon zuvor bestehende und begrenzt auch einander widersprechende Strömungen gebündelt und als ihre »Weltanschauung« ausgegeben haben. Einigkeit besteht auch darüber, daß der Nationalsozialismus 1933 nicht wie ein Unglück das deutsche Volk heimgesucht hat, sondern daß sich die vom National-sozialismus vertretenen Ideen schon vorher entwickelt hatten und alsdann gebündelt zum Nationalsozialismus, zum II. Weltkrieg und zum Untergang des Deutschen Reiches im Inferno des Jahres 1945 geführt haben. Wegen dieses Ausgangspunktes kann die Frage, ob Stoll »die« Weltanschauung des Nationalsozialismus gepredigt hat, auch nicht befriedigend beantwortet werden. Er selbst wird dies – vermutlich, hoffentlich! – auch nicht so sehen.

Seine Vorträge müssen jedoch dahin gewertet werden, daß sie wesentliche Elemente der von den Nationalsozialisten vertretenen Weltanschauung enthalten, ohne daß Einschränkungen erkennbar werden. Wir finden wieder einen ungehemmten Nationalismus gepaart mit dem Vorwurf schwächlicher Vertretung deutscher Interessen deutscher demokratischer Politiker gegenüber den Siegermächten (»deutscher Unterwerfungswille«‚ »Knechtsseeligkeit als Berufsbesiegte«, »Jedem Verräter am deutschen Volk werden Ehrenkränze geflochten«, »Deutsche, die geistig ins Feindlager übergelaufen sind«). Wir finden wieder einen Biologismus! (»Hunderttausende deutscher Kinder durch Abtreibung auf Krankenschein getötet…immer mehr ausländische Kinder nachkommen«). Wir finden schließlich wieder die These vom Volk ohne Raum und dem Lebensraum im Osten, die unmittelbar den II. Weltkrieg ausgelöst hat. Man ist fast nicht geneigt, zu fragen , welche nationalsozialistischen Thesen wiederholt worden sind, sondern, ob wesentliche Thesen des Nationalsozialismus fehlen. Nun ja, von Juden ist nicht die Rede, aber liest man anstelle von »Juden« das Wort »Ausländer«…

Wir leben in einer Demokratie, für die die Meinungsfreiheit – auch die eines Richters – »schlechthin konstituierend ist«, wie das Bundesverfassungsgericht trefflich bemerkt hat. Und doch muß die Frage aufgeworfen werden, ob ein Richter solches sagen darf. Dem Einwand, daß die Thesen dümmlich sind, den ein Abgeordneter der SPD mir gegenüber erhoben hat, kann ich zwar nicht widersprechen, ihn aber auch nicht gelten lassen. Politische Wirksamkeit und Intelligenz sind nicht immer gepaart, wie die Geschichte bis in die Gegenwart lehrt. Den Richtern der Weimarer Republik ist mit Recht vorgeworfen worden, daß sie auf dem rechten Auge blind gewesen seien. Sie haben hierdurch eine schwere geschichtliche Schuld auf sich geladen, wenn man sie vielleicht auch jedenfalls begrenzt mit ihrer persönlichen und beruflichen Sozialisation entschuldigen kann. Nach dem Unglück, das der Nationalsozialismus nicht nur über Deutschland, sondern die Welt gebracht hat, scheinen mir die Ausführungen von Stoll unverzeihlich. Zu Recht sind die Richter der Bundesrepublik Deutschland auf die Werte des Grundgesetzes verpflichtet und doch finden sie sich in den Thesen auch nicht in Andeutungen wieder.

Es scheint mir geboten, darauf hinzuweisen, daß die Thesen keinesfalls für die heutige Richterschaft typisch sind. Nur: Die Richterschaft wird auch danach beurteilt werden müssen, wie sie sich zu Kollegen wie dem Richter Dr. Stoll stellt und deshalb halte ich mich für verpflichtet, mit dieser Schärfe meine Auffassung kund zu tun, selbst wenn es sich um einen Kollegen handelt, einen Kollegen übrigens, der im persönlichen Umgang auch durchaus erfreuliche Zuge aufweist.

Die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Natürlich hat es auch nach der zweiten Rede in der Presse einige Aufregung gegeben, voran der wackeren Frankfurter Rundschau. Der Präsident des Landgerichts Hildesheim Salge CDU hat die Rede geprüft und keinen Anlaß zur Beanstandung gefunden. Ist die Justiz noch immer auf dem rechten Auge blind? Jedenfalls sind an anderer Stelle Richter, die sich für Abrüstung und Frieden, der auch Frieden mit unseren östlichen Nachbarn einschließt, engagiert hatten, dienstrechtlich verfolgt worden, obwohl sie sich für vom Grundgesetz vorgegebene Ziele eingesetzt hatten.

Jürgen Trittin, der Fraktionssprecher der GRÜNEN, hat inzwischen im niedersächsischen Landtag eine Anfrage eingebracht. Ihm sei Dank!

Anm. d. Red. : »Cristian Stoll muß nun doch mit einem Disziplinarverfahren rechnen. Justizminister Walter Remmers (CDU) schloß sich der Auffassung der Grünen im niedersächsischen Landtag an, die durch eine im März in Göttingen gehaltene Rede Stolls an nationalsozialitische Propaganda erinnert worden waren.«

(Frankfurter Rundschau vom 4.10.85)

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