Die Vorreiterrolle Lummers in der Ausländerpolitik
Kommentar
aus: vorgänge Nr.78, (Heft 6/1985), S. 24-27
Seit Bestehen des Berliner CDU-Senats Mai 1981 richtete sich Lummers Politik gegen Hausbesetzer und Ausländer Randgruppen und Minderheiten. Im Sommer und Herbst 1981 glaubte er die Hausbesetzerfrage durch rigorose Räumungen besetzter Häuser, in deren Verlauf Klaus-Jürgen Rattay zu Tode kam, gelöst zu haben.
Nunmehr wandte er sich der Ausländer-»Problematik« zu. Im November 1981 über-raschte, erfreute oder entsetzte – Je nach Standpunkt er die Berliner Öffentlichkeit mit dem nach ihm benannten »Lummer-Erlaß«. Er sollte den »Zustrom« ausländischer Jugendlicher,die als, »Spätzusteiger« zu ihren in Berlin lebenden Eltern ziehen wollten, stoppen. Die Springer-Presse frohlockte mit der Schlagzeile: »Tausende ausländischer Jugendliche müssen Berlin verlassen!« Es kam zu einer starken Protestwelle. Höhepunkt dieser Proteste war eine Groß-Demonstration, an der nahezu alle deutschen und ausländischen Organisationen, Gruppen und Gruppierungen, trotz unterschiedlicher politischer Zugehorigkeiten, teilnahmen, Selbst die SPD, die ein Papier mit ähnlichen Bestimmungen bereits in der Schublade hatte, besann sich scheinbar auf ihre Opposi-tionsrolle und beteiligte sich an den Protesten. Aufgrund des großen Widerstands in der Öffentlichkeit, wich Lummer zurück. Der Erlaß wurde »entschärft« und der erhoffte Effekt blieb aus. Aber Lummer ließ nicht locker. Gemeinsam mit den Ländern Bayern und Baden-Württemberg erschwerte er den Zugang ausländischer Ehepartner der 2. Generation. Betroffen sind junge Ausländer die als Kinder der »Gastarbeiter«-Generation zu ihren Eltern nachgezogen und nach Meinung Lummers noch nicht ausreichend »integriert« sind, wenn sie noch nicht 8 Jahre in der Bundesrepublik leben. Deshalb wird ihnen das Recht abgesprochen, einen Ehepartner im Heimatland zu wählen. Tun sie das trotzdem, müssen sie eine einjährige Trennung in Kauf nehmen, d.h. der ausländische Ehepartner darf erst ein Jahr nach Eheschließung zu dem in Berlin lebenden Partner ziehen. Statt der Freuden des »honeymoon« beginnt für die Ehepartner eine 12 monatige Wartefrist, unterbrochen allenfalls von kurzfristigen Urlaubsbesuchen.
Durch die Medien gingen die Falle türkischer Frauen, die trotz bestehender Schwanger-schaft aus Berlin abgeschoben wurden bzw., werden sollten, da sie die einjährige Wartefrist noch nicht erfüllt hatten. Da Lummer auch mit dieser Maßnahme auf nicht viel Begeisterung in der Öffentlichkeit stieß, gibt es nunmehr eine neue Variante: Die Ehefrauen sollen erst 2 Monate nach der Geburt des Kindes abgeschoben werden, dann allerdings mit dem neugeborenen Baby. Eine völlig unsinnige und überflüssige Maßnahme, da dann die einjährige Wartefrist mit Sicherheit fast erfüllt ist, was bedeutet, daß die Ehefrauen mit dem Kind nach kurzer Zelt wieder einreisen dürfen. Außerdem ist es unakzeptabel, daß ein Säugling mit der Mutter abgeschoben wird, während der Vater und Ehemann in Berlin bleiben darf. Der Schutz der Familie nach Art. 6 des Grundgesetzes scheint für Lummer, wenn es um ausländische Familien geht, gänzlich außer Kraft gesetzt zu sein. Man darf auf die weitere Entwicklung in solchen Fällen gespannt sein.
Ein weiteres Betätigungsfeld sieht Lummer nunmehr in der »Eindämmung« der Asylan-ten-Schwemme« . Mit Horrorbildern von der über Deutschland und insbesondere Berlin hereinbrechenden »Asylantenflut« schreckt er die Öffentlichkeit auf. Flüchtlinge werden als »Scheinasylanten« und sogar »Schmarotzer« diffamiert. Wenn es um die Abschreck-ung und Abwehr angeblich ständig steigender »Asylantenströme« geht, ist jedes Mittel recht und wird auch schon einmal ein Artikel des Grundgesetzes »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«) außer Kraft gesetzt. Um dies zu erreichen, nimmt Lummer sogar die Hilfe der DDR-Behörden in Anspruch. Seit Juli 1985 kommen die DDR-Grenzorgane dem »bedrängten« Berliner Innensenator zu Hilfe. Nach einer Vereinbarung mit der Bundesregierung und dem Berliner Senat, deren korrekte Einhaltung sich die DDR entsprechend honorieren läßt, wurden zunächst tamilische Flüchtlinge, die auf dem Schönefelder Flughafen in Ost-Berlin ankamen, daran gehindert, West-Berlin zu erreichen, um hier um politisches Asyl nachzusuchen. Lummer begrüßte diese grundgesetzwidrige Maßnahme der DDR-Behörden ausdrücklich.
Mittlerweile sind auch iranische Flüchtlinge hiervon betroffen. Gerade tamilische und iranische Flüchtlinge aber genießen in letzter Zeit eine hohe Anerkennungsquote als politisch Verfolgte. Lummer suggeriert der Öffentlichkeit, daß Flüchtlinge, die verständ-licherweise nicht im Besitz eines Einreisevisums sein können, »Illegale« seien. Das Bundesverwaltungsgericht hat indessen festgestellt, daß Flüchtlinge, denen nicht zugemutet werden kann, bei der deutschen Botschaft in ihrem Heimatland um ein Einreisevisum nachzusuchen, ohne ein solches Visum in die Bundesrepublik einreisen dürfen, um hier einen Antrag auf Anerkennung als politisch Verfolgte zu stellen.
Einen weiteren Vorstoß zur Abwehr von Flüchtlingen unternahm Lummer Anfang 1985 mit einer Gesetzesinitiative, die er gemeinsam mit den Ländern Bayern und Baden-Württemberg im Bundesrat einbrachte. Die darin enthaltenen Vorschläge bedeuten eine weitere Aushöhlung des Asylrechtes. Nicht die Angst vor dem »Mißbrauch« des Asylrechtes, sondern vor dessen »Gebrauch« leitet Lummers Vorstoß. Bis zum April 1985 wurden 33,1% der Flüchtlinge, die einen Antrag auf politisches Asylrecht gestellt hatten, als Asylberechtigte anerkannt. Ein hoher Prozentsatz abgelehnter Antragsteller kommt aus dem Libanon,denen die Anerkennung versagt werden mußte, da der Artikel 16 GG nur das politische Verfolgungsschicksal beinhaltet. Nichtsdestotrotz konnten viele dieser Flüchtlinge auf eine »Duldung« hoffen, und zwar aufgrund des 14 Abs. 1 Ausländergesetz, in dem das sog. »Kleine Asyl« festgeschrieben ist. Es war bisherige Praxis, diesen Flüchtlingen aus Kriegsgebieten oder Gebieten, in denen ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion oder Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen bzw. wegen ihrer politischen Überzeugung bedroht ist, das »Kleine Asyl«, d.h, eine »Duldung« zu erteilen, bis sie ohne Gefährdung in ihr Heimatland zurückkehren können. Diesen Flüchtlingen zu unterstellen, sie hätten »mißbräuchlich« einen Asylantrag gestellt, ist sachlich falsch, weil ihnen nur aufgrund eines Asylantrages gestattet ist, zumindest vorübergehend m der Bundesrepublik zu bleiben.
Dieses »Kleine Asyl« mochte Lummer mit einem Federstrich beseitigen, um dann ungeachtet der Verhältnisse im Heimatland der Flüchtlinge abschieben zu können.
Auch sieht Lummers Gesetzesinitiative vor, die »Asylberechtigung« anerkannter Flüchtlinge alle 2 Jahre zu überprüfen. Das wurde bedeuten, daß Asylberechtigte, die bereits ein langjähriges Anerkennungsverfahren mit allen vorgesehenen rigorosen Einschränkungen hinter sich haben, weiter in Unsicherheit über ihr »Bleiberecht« in der Bundesrepublik leben müßten. Damit würde auch jede Zukunftsplanung wegfallen. Es wäre außerdem zu fragen, wer oder welche Institution eigentlich darüber entscheiden sollte, ob die politischen Verhältnisse im Heimatland eines Asylberechtigten sich so entscheidend verändert haben, daß ihm nunmehr eine Rückkehr ins ehemalige Verfolgerland zuzu-muten ist. Außerdem haben die Erfahrungen erwiesen, daß Flüchtlinge, die hier jahrelang als »Asylberechtigte« gelebt haben, sich zur Rückkehr ins Heimatland entschlossen haben, wenn sie glaubten, daß die veränderten politischen Verhältnisse dort dies zuließen z.B. Griechenland). Von 96 672 Flüchtlingen, die seit 1953 bis Ende 1984 als »Asylberechtigte« anerkannt wurden, haben 43 687, also fast die Hälfte, »unser Land« wieder verlassen.
Die Gesetzesinitiative des Berliner Innensenators enthält noch weitere unannehmbare Vorschläge, die alle der weiteren Aushöhlung des Asylrechtes dienen sollen, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Noch so ein finsteres Kapitel im Umgang mit Flüchtlingen ist die Abschiebepraxis abgelehnter Asylbewerber. Nach erfolgter endgültiger Ablehnung wird den Flüchtlingen eine in der Regel vierwöchige Ausreisefrist zugestanden. Diese Frist können viele der Flüchtlinge gar nicht einhalten, weil sie nicht im Besitz gültiger Papiere sind. Ihnen wird dann unterstellt, daß sie nicht »freiwillig« ausreisen wollten und sie werden in »Abschiebehaft« genommen. Dort müssen sie unter Haftbedingungen ausharren, die wesentlich schlechter als die Bedingungen im »normalen« Strafvollzug sind. Zusätzlich dient die Abschiebehaft dazu, Flüchtlinge zu bewegen, eine »freiwillige Ausreisebereitschaft« zu unterzeichnen. So kam es in Berlin dazu, daß ein 17jähriger Palästinenser nach dreimonatigem Zwangsaufenthalt in der Abschiebehaft bereit war, seine »freiwillige Ausreisebereitschaft« zu unterschreiben. Er hegte die Hoffnung, wenigstens die letzten Tage vor seiner Abschiebung in den Libanon in Freiheit zu verbringen. Er blieb jedoch in Abschiebehaft bis er von dort direkt zum Flugzeug gebracht werden konnte und wurde in den Libanon geflogen, obwohl seine Eltern und Geschwister im Zuge ihres Asylverfahrens noch in Berlin leben. Lediglich seine 15Jährige Ehefrau »durfte« ihn begleiten. Sie wurde im Morgengrauen aus einem Flüchtlingslager des DRK geholt und vor die Wahl gestellt, ebenfalls zu unterschreiben oder von ihrem Ehemann auf unabsehbare Zeit getrennt zu werden.
In der Silvesternacht 1983 verbrannten in einer Berliner Abschiebehaftanstalt 6 junge Ausländer. Dieser Vorfall warf ein bezeichnendes Licht auf die Hintergründe der Berliner Abschiebehaftpraxis. Vier der Brandopfer befanden sich widerrechtlich im Polizeigewahrsam Augustaplatz. Sie waren frisch eingereiste Flüchtlinge, die hier einen Asylantrag stellen wollten oder Berlin wieder verlassen wollten und durch die Inhaftnahme daran gehindert wurden. Bei den zwei anderen handelte es sich um Straftäter, die ihre Strafe voll abgesessen hatten und sich seit 3 Monaten in Abschiebehaft befanden, weil ihnen die nötigen Ausreisepapiere fehlten.
Auch nach der Brandkatastrophe änderte sich nichts an der Abschiebepraxis. Nach wie vor werden Abschiebehäftlinge in der Abschiebehaft »weichgeklopft«. Nach wie vor werden Flüchtlinge gegen ihren Willen in ihr Heimatland abgeschoben, auch wenn ihnen dort Gefahr für Leib und Leben droht. Trotz eines »de-facto-Abschiebestopps«, der vom Berliner Parlament beschlossen wurde, fliegen fast allwöchentlich Flüchtlinge in den Libanon. Außer sog. »Straftätern« sind die mit einem neuen Begriff geprägten »Pendler« betroffen, d.h. solche Personen, die nach abgelehntem Asylantrag oder während eines laufenden Asylverfahrens in jeweils »ruhigen Zeiten« in den Libanon zurückgekehrt sind, um dort einen neuen Anfang zu versuchen. Dieser Versuch wird ihnen nunmehr zum Verhängnis, da sie als »Pendler« angeblich bewiesen haben, daß sie im Libanon nicht gefährdet sind. Viele von ihnen sind erst wieder in die Bundesrepublik gekommen, nachdem ihre Hauser und Existenzrundlage durch israelische Bombenangriffe oder Angriffe feindlicher Milizen auf Flüchtlingslager zerstört wurden.
Tamilische Flüchtlinge, die ihren Asylantrag zurückgenommen haben, um in einem anderen Land Zuflucht zu suchen, werden in Abschiebehaft genommen und mit einem »open-date-Ticket« nach Colombo über Pakistan bzw. Bangla-Desh abgeschoben. In den genannten Ländern können sie nicht bleiben, sondern werden nach der Ankunft mit dem praktischerweise vorhandenen Ticket nach Colombo weitergeschoben. Die Ausländerpolizei in Berlin umgeht das Abschiebeverbot von Flüchtlingen in ihr Verfolgerland dadurch, daß sie die Flüchtlinge in ein Drittland abschiebt. Ihr weiteres Schicksal interessiert die hiesigen Behörden nicht.
An der Abschreckungspraxis des Berliner Senats beteiligt sich auch das Deutsche Rote Kreuz, indem es »Sammelunterkünfte«, d.h. Sammellager betreibt, in denen die Flüchtlinge ohne Rücksicht auf nationale oder religiöse Herkunft zusammengepfercht werden. Dort leben die Flüchtlinge getreu den Senatsrichtlinien unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen. Selbst die »Eigenversorgung« , d.h. Selbstbeköstigung wird ihnen verwehrt und somit die Entmündung der Flüchtlinge vorange trieben. Die Zerstörung der Persönlichkeitsstruktur der Flüchtlinge wird in Kauf genommen.
Wenn Flüchtlinge dann verzweifeln und ihre Situation nicht mehr aushalten, bietet das Deutsche Rote Kreuz eine »Rückkehrberatung« an. Fast allwöchentlich kehren so Flüchtlinge »freiwillig« in den Libanon zurück. Diese Flüchtlinge, unter ihnen oftmals auch Familien mit Kleinkindern, werden bis nach Frankfurt von Mitarbeitern des DRK, nicht aber bis Beirut, begleitet.
Auf unsere Nachfrage, als wir diese »rückehrberatenen« Flüchtlinge aus dem Libanon am Abflugschalter der PanAm trafen, antworteten uns einige junge Männer wörtlich: »Wir kehren nicht ganz freiwillig zurück. Aber es ist besser, im Libanon zu sterben, als hier länger wie Tiere behandelt zu werden!«
Diese Antwort ist beschämend für ein Land, das angeblich das »liberalste Asylrecht der Welt« haben soll.
Wenn Flüchtlinge ein relativ sicheres Zufluchtsland verlassen, um in ein ungewisses Schicksal im Heimatland zurückzukehren, in dem ihr Leben bedroht ist, so ist das eine Folge der gegenwärtigen Abschreckungspolitik des Berliner Senats und der ständigen Hetze gegen Flüchtlinge, die aus Not zu uns kommen und hier Zuflucht vor politischer Verfolgung, Pogromen oder Bürgerkrieg zu finden hofften.
Den Vorstoßen des Berliner Innensenators muß Widerstand entgegengesetzt werden. Ziel einer flüchtlingsfreundlichen Politik muß es sein, auch denen zumindest vorübergehend Zuflucht zu gewahren, denen die Anerkennung als »Asylberechtigte« aufgrund der engen Auslegung des »Asylrechts« verwehrt wird. Menschen, die vor bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, Krieg und Pogromen zu uns fliehen, betreiben keinen »Mißbrauch« des Asylrechts. Sie haben einen Anspruch auf unsere solidarische Hilfe und Zuflucht bei uns, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können. Wenn Lummer heute behaupten kann, die Väter des Grundgesetzes hätten bei der Verankerung des Grundrechtes auf Asyl nicht an Flüchtlinge aus der Dritten Welt gedacht, und dieses Grundrecht stünde nur den Verfolgten aus dem kommunistischen Ostblock zu, so ist das eine nachträgliche Einschränkung und Aushöhlung des Artikels 16, gegen die wir alle aufgerufen sind, dieses Grundgesetz zu schützen.
Sonst gehört das »liberalste Asylrecht der Welt«, auf das die Bundesrepublik einmal mit Recht stolz sein konnte und das Teil der Wiedergutmachung des faschistischen Unrechts sein sollte, bald nur noch der Geschichte an.