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Die Polizei. Eine kritische Analyse

vorgängevorgänge 7811/1985Seite 121-123

aus: vorgänge Nr. 78 (Heft 6/1985), S. 121-123

»Die hohe Obrigkeit hat Macht und Gewalt alles anzuordnen, was sie zu Beförderung der gemeinen Wohlfahrt und Sicherheit dienlich befindet. Da es aber nicht möglich ist, daß sie diese selbst an allen Orten zu Stande bringen und dahin sorgen kann…; so muß sie solches abermahls gewissen Personen an jedem Orte auftragen und ihnen so viel Gewalt und Macht verleihen, als dazu nötig ist…«

Christian Wolff 1679 – 1754)(1)

Der so umschriebene Begriff der Polizei meint den Zustand guter Ordnung des Gemeinwesens, seine Herstellung oder Aufrechterhaltung. In diesem Sinn erscheint der Begriff in der deutschen Rechtssprache (abgeleitet von griechisch politeia = Staat, Verfassung seit Ende des 15. Jahrhunderts. Diese frühmodernen »Polizei-Ordnungen«(2) enthalten Bestimmungen peinlichen Rechts (gegen Gotteslästerung) ebenso wie solche (wie man heute sagen würde) der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gegen Fluchen, übermäßiges Trinken, übertriebenen Aufwand, Kleiderordnungen), des Gesundheitswesens, der Sozial- und Wirtschaftsordnung über Entlohnung von Dienstboten, Wucherkontrakte) und andere Gegenstände.

Die sozialpolitisch motivierten Vorschriften sind jedoch damals bereits in der Minderzahl. Die dem Schutz der Herrschaftsordnung dienenden Bestimmungen wozu die Bestrafung der Gotteslästerung ebenso gehört wie das Gebot, durch unangemessene Kleidung nicht die Standesunterschiede zu beeinträchtigen überwogen bei weitem. Im 17. Jahrhundert wird »Polizei« dann auf den Staatszweck, die Bewahrung der guten Ordnung gerichtete Tätigkeit, mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Polizeisachen als Ordnungsaufgaben des Staates von den Justizsachen getrennt und besonderen Behörden zur Polizeigerichtsbarkeit übergeben(3). Diese Tradition wirkt in Verfassung und Struktur unserer heutigen Polizei inhaltlich fast unverändert fort.

Heiner Busch/Albrecht Funk/Udo Kau / Wolf-Dieter Narr/Falko Werkentin, Die Polizei in der Bundesrepublik, Campus Verlag Frankfurt/New York 1985, 508 S., geb. DM 68.

haben nach langjähriger Forschung eine subtile Analyse der Aufgaben, Tätigkeit und Wir-kung der Polizei der BRD unter Berücksichtigung der Polizeireform der siebziger Jahre vorgelegt. Es ist eine Art Röntgenbild entstanden, das jedoch nicht nur die physischen, sondern vor allem auch die geistigen, gesellschaftspolitischen Strukturen der Polizeiorganisation bloßlegt. Die Autoren haben sich geradezu penibel um Distanz bemüht. Wiederholt legen sie ihre Untersuchungsweise dar. Das Ergebnis ist kein billiges Schwarz-Weiß-Porträt, sondern eine vielfältig getönte Innenansicht der Struktur unserer Polizei. Die positiven Befunde werden ebenso hervorgehoben wie die zu kritisierenden.

Folgerichtig beginnen die Verfasser ihre Untersuchung mit einer Bestandsaufnahme des staatlichen Gewaltmonopols, die sie zur Kritik am deutschen Staatsbegriff führt. »Herrschende Politik hängt von den Institutionen ab, die über das Monopol physischer Gewaltsamkeit verfügen. Diese Instititionen und ihre Vertreter können ihre Interessen notfalls mit Gewalt durchsetzen oder aber Entscheidungen anderer mit dem Mittel der Gewalt aufheben. Diese Institutionen werden seit der Neuzeit mit dem Begriff des ‚Staates‘ bezeichnet. … Hat sich eine solche Instanz des legitimen physischen Gewaltmonopols herausgebildet, die man als Staat bezeichnet, dann geht prinzipiell alle Gewalt von ihr aus. Sie kann allein für ihre Entscheidungen beanspruchen, daß sie überall gelten. Alle anderen Personen und Institutionen, die noch über Gewaltmittel verfügen oder Gewalt ausüben, können und dürfen dies nur als Delegierte des Staates oder aber staatlich geduldet bzw., gefordert« (S. 38).

Die Autoren haben diesem staatlichen Gewaltmonopol m seiner heutigen Ausprägung und Bedeutung nachgespürt. Das Ergebnis ist, daß, sich im Grunde nichts verändert hat. »Die Polizei ist noch die „alte“. Ein systematischer Stellenwechsel derselben läßt sich nicht begründen«(S. 461). Zwar habe sich die Hypothese einer »Verpolizeilichung« Im Sinn eines politischen Positionswechsel der Polizei ins Zentrum des Staates nicht bestätigt, wohl aber »haben sich die polizeilichen Funktionen verdichtet, haben sich die Handlungsformen der Polizei verändert und ausgeweitet.« Die von der Polizei zu leistende Feinkontrolle diene dazu , gesellschaftlichen Widerstand im Innern sich nicht konfliktorisch ballen zu lassen. Insofern wirkte die Polizei bürokratisch-herrschaftsrational in besonderem Maße. Um solcher Feinkontrolle willen müsse die Polizei je nach gesellschaftlichem Zustand und staatlichen Aufgaben dazu instand gesetzt werden, fein zu greifen. Fortschreitende Arbeitsteilung, Professionalisierung, Technisierung lasse sich so verstehen, Diese Veränderungen seien jedoch irrelevant für den Stellenwert innerhalb des staatlichen Sicherheitsanspruchs, die politische Gewalt insgesamt bleibe davon unverändert.

Den Kern des Werkes bilden zwei umfangreiche empirische Analysen, in denen Veränderungen in der Struktur der Polizei nachgegangen wird sowie der Polizeiarbeit in Aktion. Als Ergebnisse sind folgende Feststellungen festzuhalten: Es wurde eine erhöhte Abstraktheit der Polizei vor allem durch eine Zentralisierung der Basiseinheiten erreicht der »Schutzmann um die Ecke« existiert nicht mehr, das mit seinem Kiez vertraute Revier wurde gegen anonyme Funkstreifenbesatzungen eingetauscht), das Gewaltmonopol wird dadurch unangreiflich. Strukturell wurde eine größere Flexibilität des polizeilichen Handlungsrepertoires erreicht, das jedoch auch zu einer fundamentalen Rechtsunsicherheit führte. Das Ziel, aktiv statt reaktiv tätig zu werden, also primär präventiv, konnte nur zum Teil erreicht werden. Gründe hierfür sind: Unkenntnis von der sozialen Wirklichkeit des eigenen Handelns (die Polizeiliche Kriminalistik PKS ist nicht ausreichend aussagekräftig, die Hochrechnung der Dunkelziffern wird politisch manipuliert, die Fülle des Informatlonsflusses hat nicht mehr Wissen zur Folge), die zunehmende Technisierung führt zu technischen Täuschungen, insbesondere aber ist – wie die Verfasser betonen – die Polizei zu primärer Prävention schon aufgrund ihres genuinen Sicherheitsauftrags nicht in der Lage, denn nach wie vor muß sie das politisch-staatliche System sichern, so daß die »präventive Kehre« zu neoabsolutistischen Formen führe.

Die Autoren stellen fest, daß zwar die von der Ständigen Konferenz der Innenminister/Senatoren des Bundes und der Länder 1972 und 1974 gesteckten Ziele der Polizeireform in erheblichem Umfang verwirklicht wurden, im bürokratischen Sinn die Polizei durch die Reform an Effizienz gewonnen hat. Auch die Möglichkeiten der Konfliktbewältigung wurden ausgebaut. Bei keiner der Großdemonstrationen der letzten Jahre kam es zu direkten Todesopfern allerdings kamen einige in den Straßenverkehr abgedrängte Demonstranten zu Tode). Die Verfasser weisen jedoch deutlich darauf hin, daß Politiker Polizei zum Instrument der Politik machen, indem sie sie zur Durchsetzung politischer Entscheidungen einsetzen und als Alibi für Verbotsforderungen (K-Gruppen), Gesetzesänderungen (Landfriedensbruch, Vermummung, Passivbewaffnung) und zum Ruf nach neuen polizeilichen Hilfsmitteln CS-Gas oder Waffen (Gummigeschosse u.a.) mißbrauchen.

Als Ergebnis ist festzuhalten, daß die Polizei nach wie vor nicht nur staatliches Vollstreckungsorgan ist, nicht nur der Friedenssicherung dient, sondern insbesondere der Durchsetzung staatlicher Herrschaft, staatlicher Gewalt und daß sie als notwendigerweise befehlsstrukturierte Truppe zur Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, wie zweifelhaft es sein mag, bestimmt ist.

Das Buch enthält eine nüchterne Analyse der Polizei unserer Republik, ihrer Aufgaben und Effizienz. Es ist kritisch, ohne parteilich zu sein. Die Verfasser anerkennen die Schwierigkeiten der polizeilichen Tätigkeit, deren Schwäche strukturell und politisch bedingt ist. Es ist in der deutschen Polizei-Literatur ohne Vorbild.

Verweise

1 Christian Wolff, Vernünfftige Gedancken Von dem Gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem Gemeinen Wesen, 4. Auflage 1736, Nachdruck 1975, § 474.
2 Bayern 1518, Württemberg 1555; Reichspolizeiordnung 1530.
3 Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Band III, Sp. 1799.

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