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Wegen Verletzung ihrer verfas­sungs­mä­ßigen Rechte als Teile oberster Bundes­or­gane

Dossier: Organklage der Fraktion DIE GRÜNEN

aus: vorgänge Nr. 78 (Heft 6/1985), S.55-60

(vg) Am 26. November 1980 beschloß der Deutsche Bundestag einstimmig, das jede Fraktion in jedem Ausschuß und jedem Gremium vertreten sein sollte. Dennoch wurde der Fraktion DIE GRÜNEN die Mitwirkung an den Beratungen der Haushaltspositionen der »Geheimdienste« (BND, MAD, VfS) in den Etats 1984 und 1985 versagt, so daß über die Verwendung beider Haushaltspläne zu keiner Zeit – weder im Plenum, noch im Ausschuß – parlamentarisch beraten wurde. Vielmehr wurde am 24.2.1984 auf Antrag der Regierungsparteien durch den Bundestag ein fünfköpfiges Gremium von Parlamentariern die dem Haushaltsausschuß angehören, einberufen, in dem DIE GRÜNEN nicht vertreten waren. Im Auftrag ihrer Fraktion erhob Prof. Dr. Dieter Birk, Direktor des Instituts für Steuerrecht der Universität Münster, am 16. August 1984 gegen diese verfassungs- und grundgesetzwidrige Praxis beim BVG Organklage gegen den 10. Deutschen Bundestag und die Bundesregierung: »Die Antragstellerin zu 1) (Fraktion DIE GRÜNEN, vg.) rügt die Verletzung dieser Minderheitsrechte aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG durch Einsetzung des Gremiums zur Genehmigung der Wirtschaftspläne der Nachrichtendienste. Obwohl sie sich an der Wahl der Mitglieder des Gremiums durch einen Wahlvorschlag beteiligt hat, indem sie das dem Haushaltsausschuß angehörende MdB Kleinert benannt hat, wurde kein Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN in das Kontrollgremium gewählt« (ebd). Eine Entscheidung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichtes wird voraussichtlich nicht vor Mitte November zu erwarten sein. An dieser Stelle veröffentlichen wir die Erweiterungsschrift (7. 1. 1985) zur Organklage, da sie nach Ansicht der Redaktion die zentralen Punkte der Argumentation konzentriert.

AZ: 2 BvE 14/83
Im Organstreitverfahren

1. Hubert Kleinert

2. Fraktion DIE GRÜNEN

gegen

1. den 10. Deutschen Bundestag

2. die Bundesregierung

erweitere ich die im Schriftsatz vom 12. Januar 84 gestellten Anträge dahingehend, daß sich die Feststellung der Rechtsverletzung auch auf das Verfahren der Verabschiedung des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans 1985 (BT-Ds. 10/1800) bezieht. Der Wortlaut der Anträge bleibt im übrigen unverändert.

Begründung:

Im Verfahren über die Aufstellung des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 hat erneut weder der Deutsche Bundestag noch ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses die im Antrag genannten Einzelpläne beraten. Das Haushaltsgesetz 1985 trat wie das Haushaltsgesetz 1984 in Kraft, ohne daß die Antragsteller die Möglichkeit hatten, über die Verwendung der genannten Ausgabeposten zu beraten. Durch das Verfahren über die Aufstellung und Verabschiedung des Haushaltsplans 1985 werden damit die Antragsteller erneut in ihren Rechten verletzt.

Im übrigen wird auf den Schriftsatz des Antraggegners zu 2) folgendes erwidert:

I.

Die Anträge sind zulässig.

1. Die Zulässigkeit kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß vorgetragen wird, »die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag die vorbezeichneten Wirtschafts- bzw. Bewirtschaftungspläne in Beachtung des vom Gesetzgeber mit § 4 Abs. 9 des Haushaltsgesetzes 1984 vom 22. Dez. 1983 (BGBI. I S. 1516) – HG 1984 – vorgeschriebenen Verfahrens zugeleitet«. § 4 Abs. 9 HG 1984 trat am 1.1.1984 in Kraft, konnte also für das Verfahren der Beratung des Haushalts 1984 im Herbst 1983 noch keine Gültigkeit beanspruchen. Für das im Herbst 1983 erstmals praktizierte Verfahren, wonach die Haushalte der Geheimdienste aus der parlamentarischen Beratung herausgenommen wurden, gab es weder eine einfachgesetzliche noch eine verfassungsrechtliche Legiti-mation. Im Organstreitverfahren 2 BvE 14/83 geht es nicht um die Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 9 HG 84, sondern allein um die Frage, ob der Bundestag einen Haushalt verabschieden durfte, der in Teilen weder beraten worden war noch beraten werden konnte, weil die Bundesregierung dem Parlament die Bewirtschaftungspläne nicht zur Verfügung stellte.

Die Bundesregierung (Antragsgegnerin zu 2) kann sich nicht darauf berufen, sie habe nur das getan, was das Parlament wollte. Eine solche Einlassung ist in einem parlamentarischen Regierungssystem rechtlich ohne Wert. Im parlamentarischen Regierungssystem gibt es keinen Gegensatz zwischen Regierung und Parlament. Die maßgebliche Trennungslinie ist vielmehr in das Parlament hineinverschoben. Sie verläuft zwischen Regierung und den sie tragenden Fraktionen einerseits und den Oppositionsfraktionen andererseits. Es ist die Aufgabe der Mehrheit des Deutschen Bundestags, den politischen Kurs der Bundesregierung zu stützen, die Kontrolle obliegt der parlamentarischen Minderheit. Die Argumentation der Antragsgegnerin zu 2) geht somit an den Realitäten und der rechtlichen Konstruktion des parlamentarischen Regierungssystems vorbei. Würde man ihr folgen, so führte dies dazu, daß sich Bundesregierung und Bundestag gegenseitig »die Bälle zuschieben könnten« und die Antragsteller rechtlos dastünden: Die Bundesregierung könnte sich im verfassungsgerichtlichen Verfahren stets darauf berufen, daß sie nur das getan habe, was der Bundestag (also die die Regierung tragenden Mehrheitsfraktionen) von ihr verlangt hat. Umgekehrt könnte sich der Bundestag darauf berufen, er habe den Haushalt nicht vollständig beraten und damit auch keine Rechtsverletzung des Antragstellers zu 1) begehen können, weil die Bundesregierung keinen vollständigen Haushaltsplanentwurf vorgelegt habe. Mit anderen Worten: Die eine Partei im verfassungsgerichtlichen Verfahren könnte sich entlasten, indem sie die Rechtsverletzung in den Verantwortungsbereich der anderen Partei schöbe, obwohl im parlamentarischen Regierungssystem eine solche Trennung zweier Verantwortungsbe-reiche (von Regierung und Mehrheit des Parlaments) nicht vollzogen werden kann. Die Bundesregierung kann die Verletzung von Verfassungsrecht (hier: unvollständige Vorlage des Haushaltsplanentwurfes) nicht damit rechtfertigen, daß sie entsprechend dem Willen des Bundestags gehandelt habe, da sie selbst die Willensbildung der Mehr-heitsfraktionen entschieden steuert und bestimmt.

Es ist deshalb auch abwegig, die Zulässigkeit des Antrags der Antragstellerin zu 2) mit dem Argument mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses abzulehnen (siehe Schriftsatz der Antragsgegnerin zu 2) vom 12.10.84, S. 5). Die Geltendmachung von verfassungs-rechtlich verbürgten Rechten des Bundestages durch eine Minderheitsfraktion im Wege der Prozeßstandschaft ist gerade für den Fall zugelassen, daß die Bundestagsmehrheit eine Verletzung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechte des Bundestags billigt (BVerfGE 45, 1/30; Maunz/Schmidt-Bleibtreu u.a., BVerfGG, § 64 Anm. 20). Diese Rechtsfigur der Prozeßstandschaft ist für den im parlamentarischen Regierungssystem denkbaren Fall geschaffen worden, daß die Minderheitsfraktion Rechte des Bundestags wahrnimmt, die die Mehrheitsfraktion nicht geltend machen will,um das verfassungs-widrige Verhalten der Bundesregierung zu decken.

2. Die Zulässigkeit kann auch nicht dadurch in Frage gestellt werden, daß behauptet wird, der Antragsteller zu 1) könne eine Verletzung seiner Statusrechte nicht geltend machen. Was zum verfassungsrechtlich geschützten Status des Abgeordneten gehört, ist im Grundgesetz nicht im einzelnen bestimmt. Aus dem Abgeordnetenmandat läßt sich ein »Bündel von Einzelrechten« (Achterberg, AöR 1984, S. 505) ableiten, dessen wichtigstes das Abstimmungsrecht ist (Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 259 ff; Vonderbeck, ZParl 14 (1983), S. 312; Abmeier, Die parlamentarischen Befugnisse des Abgeordneten des Deutschen Bundestags nach dem Grundgesetz, 1984, S. 78 ff).

Dem Abstimmungsrecht sind Rechte vorausgelagert, deren Bestand die wirksame Wahrnehmung des Abstimmungsrechts erst ermöglicht, insbesondere das Rederecht und das Recht auf Information (Achterberg, AöR 109 (1984), S. 505 f). Ein Abstimmungs-recht ohne Informationsrecht wäre wertlos, da der Abgeordnete davon keinen sachge-mäßen Gebrauch machen könnte. Der Abgeordnete, der nur die Hand heben darf, ohne zu wissen, worüber er abstimmt, ist nicht der Mandatsträger, den das Grundgesetz vorzeichnet. Der Abstimmungsvorgang degeneriert hier zu bloßen Formalie, die Kontroll- und Korrekturfunktion dieses Vorgangs geht verloren.

Sachgerechte Abstimmung setzt also eine Willensbildung beim einzelnen Abgeordneten voraus. Diese wiederum kann nur erfolgen, wenn sich der Abgeordnete informieren konnte und ihm Zeit zur Verfügung stand, sich eine eigene Meinung zu bilden (vgl. Abmeier, a.a.O., S. 172f).

Diese Voraussetzungen waren aber weder bei der Haushaltsberatung 1984 noch bei der Haushaltsberatung 1985 gegeben. Der Antragsteller zu 1) hatte über die Haushaltsgesetze 84 und 85 mit den dazugehörenden Haushaltsplänen abzustimmen, ohne daß alle Informationen über die Mittelverwendung an das Parlament gelangt sind. Im Zeitpunkt der Abstimmung war allein die Bundesregierung Träger der Information über die Verwendung der Mittel bei den sog. Geheimdiensten. Nur die Bundesregierung hatte die Möglichkeit, diese Informationen den Abgeordneten zur Kenntnis zu bringen. Sie hat damit eine sachgemäße Wahrnehmung des Abstimmungrechts der Abgeordneten verhindert und das Statusrecht des Antragstellers zu 1) verletzt.

II.

Die Anträge der Antragsteller zu 1) und 2) sind auch begründet.

Nach Art. 110 Abs. 3 ist die Antragsgegnerin zu 2) verpflichtet, rechtzeitig vor Beginn des Haushaltsjahrs den Haushaltsentwurf gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestag einzubringen. Wie weit die einzelnen Haushaltsansätze zu spezifizieren sind, ist im Grundgesetz nicht geregelt. Sinn und Zweck der Regelung der Budgetinitiative ist es, die Abgeordneten des Bundestages so ausreichend über die Verwendung der Mittel zu informieren, daß sie in der Lage sind, sachgerecht abzustimmen. Der Haushaltsentwurf muß also textlich so weit ausformuliert sein, daß die Abgeordneten beim Vorgang der Abstimmung sich über Inhalt, Tragweite und Bedeutung des Parlamentsbeschlusses im klaren sind. Schon daraus ergibt sich, daß allein die Einstellung einer Gesamtzahl für bestimmte Etatposten nicht den Voraussetzungen des Art. 110 GG genügt.

Stellt man auf den hinter Art. 110 GG stehenden Gedanken der Informations- und Kontrollfähigkeit des Bundeshaushalts ab, insbesondere die Grundsätze der Klarheit und Öffentlichkeit (Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 110 Anm. 11 f; Maunz, in: Maunz/Dürig, u.a., GG Art. 110 Anm. 38, 46), so folgt hieraus, daß die unspezifizierte Einstellung der in Rede stehenden Globalansätze in den Haushalten 84 und 85 budget-rechtlichen Prinzipien widerspricht, deren Einhaltung bis zur Verabschiedung des Haushalts 1984 übereinstimmend von allen am Haushaltsverfahren Beteiligten für unverzichtbar befunden wurde. Seit den Haushaltsberatungen 1984, an denen erstmals die Fraktion DIE GRÜNEN beteiligt war, bricht die Bundesregierung mit der langjährigen Übung, die in Rede stehenden Haushaltsansätze in spezifizierter Form dem Unterausschuß des Bundestages vor der Abstimmung über den Bundeshaushalt zu dessen Information und Beratung vorzulegen. Damit ist über Teile des Haushalts 1984 und 1985 zum Zeitpunkt des Inkrafttretens überhaupt nicht parlamentarisch beraten worden. Mit dem Einzug der Fraktion DIE GRÜNEN wird also erstmals behauptet, eine parlamentarische Beratung – und finde sie auch nur in einem Unterausschuß des Haushaltsausschusses statt, an dem alle Fraktionen zu beteiligen sind – der Haushaltsansätze der Geheimdienste sei verfassungsrechtlich nicht geboten.

Die Antraggegnerin zu 2) versucht sich darauf zu berufen, daß eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu detaillierter Spezifizierung der Haushaltsansätze nicht bestehe. Ohne darauf eingehen zu müssen, wieweit die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Spezifizierung der Haushaltsansätze dient, kann dieser Einwand schon deshalb nicht durchgreifen, weil es nicht der Willkür der Bundesregierung (im Zusammenwirken mit der Mehrheit des Bundestags) überlassen sein kann, in welchen Bereichen eine detaillierte Information erfolgen soll und in welchen Bereichen nicht. Ist auch der Grad und die Dichte der Aussagen des Haushaltsentwurfs nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben, so ist es jedenfalls unzulässig, von einer Informationspraxis abzuweichen, nur um eine politisch unliebsame Minderheitsfraktion von der Kenntnisnahme auszuschließen. Die Bundesregierung muß sich verfassungsrechtlich an die einfachgesetzlich vorgeschriebene Haushaltsgliederung und Spezifizierung insoweit festhalten lassen, als diese Detailveran-schlagung Grundlage ihrer Haushaltspraxis ist. Mit anderen Worten: Sie darf nicht systemwidrig und ohne sachliche Rechtfertigung über einen Teil des Haushalts detailliert und über einen anderen Teil nur global informieren.

Auch der Hinweis auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der in Rede stehenden Ansätze liefert keine Rechtfertigung für die Einbringung eines unvollständigen Haushaltsplanentwurfs. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit bestimmter Informationen rechtfertigt es nicht, daß Parlament vollständig vom Erhalt dieser Informationen auszuschließen, sie rechtfertigt nur Maßnahmen, die eine unbefugte Informationsverwertung verhindern. Aus der Geheimhaltungsbedürftigkeit kann also allenfalls die bisher geübte Praxis gerechtfertigt werden, bestimmte Ansätze in einem »verkleinerten Parlament« (Unterausschuß des Haushaltsausschusses) zu behandeln und dabei die geltenden Geheimschutzbestimmungen anzuwenden. Die Geheimhaltungsbedürftigkeit kann nicht dazu führen, die Abgeordneten des Bundestags vollständig von der Information auszuschließen und ihnen einen Haushaltsentwurf zur Beschlußfassung zu verabreichen, welcher in Teilen überhaupt nicht parlamentarisch beraten wurde und beraten werden konnte.

Eine Rechtfertigung der Vorgehensweise der Antragsgegnerin zu 2) kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß die Antragsgegnerin zu 2) dem Willen der Bundestagsmehrheit entsprochen hat. Auf die Ausführungen unter I. wird verwiesen. Dazu kommt, daß Art. 1 10 Rechte und Pflichten sowohl der Bundesregierung als auch dem Bundestag unabgängig voneinander zuweist (Maunz, in: Maunz/Dürig, u.a., GG Art. 110 Anm. 21 ff., 24 ff.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch, GG, Art. 100 Anm. 22 ff). Der Bundestag hat nicht nur das Recht, von der Bundesregierung einen Haushaltsentwurf zu verlangen, der den oben dargestellten Anforderungen des Art. 110 GG entspricht, sondern korrespondierend hiermit auch die Verpflichtung, einen so ausgestalteten Entwurf vor der Abstimmung über das Haushaltsgesetz von der Bundesregierung einzufordern, wenn ein solcher im Abstimmungzeitpunkt nicht vorliegt. Die Tatsache, daß der Bundestag diese Verpflichtung ignoriert, enthebt die Antragsgegnerin zu 2) nicht von ihrer Verpflichtung aus Art. 110 GG, einen Haushaltsentwurf vor der Abstimmung über das Haushaltsgesetz vozulegen, der die für die Abstimmung der Abgeordneten notwendigen Informationen enthält. Diese Verpflichtung der Antragstellerin zu 2) aus Art. 110 GG besteht unabhängig von dem Willen des Bundestages. Selbst wenn der Bundestag die Einrichtung eines hierfür zuständigen Haushaltsunterausschusses verweigert, hätte die Antragsgegnerin zu 2) Sorge dafür tragen müssen, daß entweder der Haushaltsausschuß oder das Plenum des 10. Deutschen Bundestages die für die Abstimmung über die besagten Ansätze notwendigen Informationen erhält. Da die Bundesregierung dies unterlassen hat, hat sie den Voraussetzungen des Art. 110 GG nicht entsprochen.

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