Beitragsbild Abhörung des Pressetelefons der „Letzten Generation“ als unrechtmäßiger Eingriff in die Pressefreiheit
Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 243: Kritische Kriminalpolitik

Abhörung des Presse­te­le­fons der „Letzten Generation“ als unrecht­mä­ßiger Eingriff in die Presse­frei­heit

Das Amtsgericht München hat die Abhörmaßnahmen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen das Pressetelefon der „Letzten Generation“ am 29. November 2023 für rechtmäßig erklärt und den damit verbundenen Eingriff in die Pressefreiheit für hinlänglich begründet. Für Ernst Fricke ist das Abhören vertraulicher Gespräche zwischen den Journalist*innen und Vertreter*innen der „Letzten Generation“ unverhältnismäßig und der damit verbundene Angriff auf die Pressefreiheit unerträglich. In seinem Beitrag analysiert er die presserechtliche Situation und berichtet von der Intransparenz des Amtsgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft.

 

Gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte und Reporter ohne Grenzen legten drei Journalisten beim Amtsgericht München Beschwerde gegen Beschlüsse des Amtsgerichts München ein, Abhörmaßnahmen der Generalstaatsanwaltschaft München gegen das Pressetelefon der „Letzten Generation“ zu ermöglichen. Das Amtsgericht erklärte diese Abhörmaßnahmen am 29. November 2023 für rechtmäßig und den damit verbundenen Eingriff in die Pressefreiheit für hinlänglich begründet.

„Es ist keine Überraschung, dass das Amtsgericht München die Überwachungs-Entscheidung seiner eigenen Richter nicht anfechten will“, äußerte sich der Vorsitzende des Bayerischen Journalisten-Verband e.V. (BJV), Harald Stocker, in einer Presseerklärung (BJV 2023a) zu dem Beschluss. Gleichzeitig erwartet Stocker, dass „das Landgericht München klar feststellt, dass bei der Überwachung des Pressetelefons der ‚Letzten Generation‘ das Grundrecht auf Pressefreiheit nicht ausreichend bedacht und abgewogen wurde“. Mehrere BJV-Mitglieder hatten zuvor Anträge auf Überprüfung der Abhörmaßnahme gestellt.

Ronen Steinke, selbst promovierter Jurist und Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hatte in einem sechsspaltigen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung berichtet (Steinke 2023a). Diese Abhörmaßnahmen beruhten auf Beschlüssen des Amtsgericht München, die Ermittlungen gegen die „Letzte Generation“ – wegen des Verdachts, eine „kriminelle Vereinigung“ gebildet zu haben – führte.

Journalist*innen erfuhren somit aus den Medien, dass seit Oktober 2022 Ermittler*innen des Bayerischen Landeskriminalamtes „in der Leitung waren“, wenn auf dem Festnetzanschluss mit Berliner Vorwahl, Anfragen von Medienvertreter*innen, Student*innen und Schüler*innen eingingen, die um eine Presseauskunft oder ein Interview „baten“ (Steinke 2023a).

Erstmals am 13. Oktober 2022 soll das Pressetelefon der „Letzten Generation“ vom Amtsgericht München durch Beschluss überwacht worden sein, um die Ermittlungen gegen die Aktivistengruppe voranzutreiben. Die Anordnung wurde am 26. Januar 2023 von demselben Ermittlungsrichter verlängert. (Steinke 2023a)

Steinke hat dann in seinem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung darauf hingewiesen, dass

das Belauschen von Gesprächen nicht per se verboten ist, aber nach der Strafprozessordnung gelten dafür besonders hohe Hürden. Journalisten sind „Berufsgeheimnisträger“, die auf vertrauliche Gespräche angewiesen sind und vor Gericht „das Zeugnis verweigern“ dürfen. So heißt es in Paragraf 53 der Strafprozessordnung (Steinke 2023a).

In § 160a Abs. 2 Strafprozessordnung ist ausdrücklich im Gesetz vermerkt, dass wenn eine Abhörmaßnahme voraussichtlich auch Journalist*innen mit betrifft, „dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen“ ist. Gerade wenn das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung betrifft, ist in der Regel nicht von einem „Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen“. Aus der Süddeutschen Zeitung erfuhren also Journalist*innen, dass sich in den ausführlichen Beschlüssen des Amtsgericht München kein Wort dazu findet. „Die Pressefreiheit und auch der entsprechende § 160a werden in den Ausführungen nicht erwähnt“ (Steinke 2023a).

Stocker hatte schon in einer Presseerklärung vom 26. Juni 2023 sein Entsetzen über das Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft München ausgedrückt: „Wenn der Staat vertrauliche Telefonate mit Journalisten abhört, zerstört er die Grundlage für unsere Berichterstattung“ (BJV 2023b). Gleichzeitig forderte Stocker „die beteiligten Behörden und die Politik auf, nun wenigstens umfassende Transparenz über den Vorgang zu schaffen und den entstandenen Schaden soweit möglich einzudämmen“ und „Kolleginnen und Kollegen, deren Gespräche überwacht wurden, müssen darüber informiert werden“ (BJV 2023b).

Wiederum war es Steinke in der Süddeutschen Zeitung vom 2./3. Dezember 2023, der unter der Überschrift Fühlt euch gesehen berichtete, dass das Amtsgericht München die monatelangen Abhöraktionen des bundesweiten Pressetelefons der Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“ – wo Journalist*innen der ARD, des Spiegel, der Süddeutschen Zeitung und vieler weiteren Medien abgehört worden sind –, für zulässig erklärt hatte, und Steinke führte zum Beschluss des AG München aus: „Dieser [der Beschluss] liest sich ausgesprochen bemerkenswert. Es geht um das Grundrecht auf Pressefreiheit, und darum, wieviel es wert ist“ (Steinke 2023b).

Steinke berichtet über den Inhalt dieses Beschlusses, den eine Journalistin mit rechtlicher Unterstützung des BJV herbeigeführt hat. Ihre Beschwerde wurde abgewiesen. Steinke schreibt: „Aber das Gericht zeigt sich – nicht nur mit Blick auf ihre Person – hart: ‚Letztlich stand im Raum – was sich im Rahmen des Vollzugs der Maßnahme auch bestätigte – dass sich die ‚Letzte Generation‘ der Presse gezielt als Tat-/Propagandamittel bediente‘“ (Steinke 2023b).

Auf der Homepage des AG München hat der zuständige Pressesprecher Martin Swoboda eine Pressemitteilung abgegeben (Amtsgericht München 2023). Mit schriftlicher Anfrage von mir vom 30. November 2023 wurde die Pressestelle des AG München gebeten, diesen 30-seitigen Beschluss an mich, der Mitglied des Deutschen Journalisten Verbands ist, zu übersenden. Der Beschluss betrifft die behauptete Zulässigkeit von Abhörmaßnahmen von Journalist*innen im Rahmen von Ermittlungen gegen Mitglieder der „Letzten Generation“. Dieser sollte in einer Lehrveranstaltung mit den Studierenden an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt besprochen werden, und ich habe einen wissenschaftlichen Aufsatz darüber geplant. Am 1. Dezember 2023 teilte mir der Pressesprecher des Amtsgerichts schriftlich mit:

In Rücksprache mit der Pressestelle des Oberlandesgerichts München, bei der inzwischen die Pressehoheit liegt, wird Ihre Anfrage an die Generalstaatsanwaltschaft München weitergeleitet. Da Sie in Ihrer Anfrage Lehr- und Ausbildungszwecke beschreiben, wird davon ausgegangen, dass Ihre Anfrage im Rahmen der Akteneinsicht nach der Strafprozessordnung zu behandeln ist.

Selbst eine weitere Bitte um Übersendung des Beschlusses für den vorliegenden Beitrag wurde abschlägig verbeschieden. Am 14. Dezember 2023 teilte die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft München mit, dass eine Übersendung der amtsgerichtlichen Entscheidung „nach derzeitigem Stand wegen laufender Ermittlungen nicht in Betracht komme“ und „die Übermittlung von Inhalten würde den Ermittlungszweck gefährden“.

Auch der Rechtsanwalt Chan-jo Jun, der eine Journalistin anwaltlich vertritt, wurde am 3. Dezember 2023 von mir angeschrieben und um Übersendung des Beschlusses gebeten. Seine Kollegin, Rechtsanwältin Isabell Schönefuß, lehnte das per Mail am Folgetag ab: „Zum jetzigen Zeitpunkt sind wir hierzu jedoch leider nicht sicher in der Lage und würden daher vorerst hiervon absehen wollen.“

Auf YouTube hat Jun einen Kanal, über den er am 1. Dezember 2023 ein Video mit dem Titel Haben wir mehr Pressefreiheit als ein totalitäres Regime? Ist Pressearbeit kriminelle Beihilfe? veröffentlicht hat (Jun 2023). Die von ihm im Titel gestellten Fragen beantwortet er mit weiteren Fragen:

Was aber, wenn die Presse unangenehm wird? Was aber, wenn die Presse im Weg steht zu Ermittlungsmaßnahmen oder wenn die Presse ein Mittel ist, um bessere Ermittlungen durchzuführen, wie zum Beispiel gegen die „Letzte Generation“? Aber vor allem, was ist, wenn wir in der Presse selbst eine kriminelle Handlung sehen oder etwas, was den Staat gefährden könnte? Ist dann unser Staat in der Lage, so wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, seine eigenen Interessen hintenanzustellen, hinter die Grundsätze der Verfassung? (Jun 2023)

Und Jun beantwortet seine Fragen kritisch:

Die Vereinigung, also die „Letzte Generation“, wird in diesem Beschluss als kriminelle Vereinigung angesehen, und sie hat die Presse als Propagandamittel bedient. Das zieht sich durch die ganze Begründung, dass nämlich die Pressearbeit nicht einfach nur ein Mittel ist, um herauszufinden, was sie machen, sondern dass man herausfinden wollte, dass die Pressearbeit selbst das kriminelle Mittel ist (Jun 2023).

In der Konsequenz und Bewertung kommt der überregional bekannte Anwalt Jun aus Würzburg zu dem Ergebnis:

Dabei soll sich die Maßnahme nicht, wie es hier heißt, gegen die Pressevertreter an sich richten, sondern es soll herausgestellt werden, dass die Veröffentlichung von Beiträgen gerade das Wesen dieser gefährlichen, kriminellen Vereinigung ist. Die Pressearbeit ist also das, was die „Letzte Generation“ so kriminell macht. Interessant ist auch, dass sich das Ermittlungsverfahren nicht nur gegen die Personen richtet, die auf der Straße kleben, an den Aktionen teilnehmen, sondern auch an diejenigen, die die Organisation dadurch unterstützen, indem sie Presseberichte schreiben, indem sie auf der Webseite beispielsweise über die Gefahren des Klimawandels schreiben (Jun 2023).

Seine Schlussfolgerung ist:

Jeder, der also die politischen Ziele, die eigentlich für sich genommen nicht kriminell sind, unterstützt, unterstützt auch die kriminelle Vereinigung. Und das ist jetzt tatsächlich eigenartig. Also, wer jetzt gegen den Klimawandel argumentiert und somit die politischen Ziele der „Letzten Generation“ rechtfertigt, unterfüttert, untermauert, der sei ein Teil dieses kriminellen Komplotts oder die Tätigkeit sei eine kriminelle Tätigkeit, auch wenn die Journalisten vielleicht nur missbraucht wurden. So jedenfalls heißt es im Augenblick (Jun 2023).

Und Jun befürchtet, dass „auch die Journalisten, die über die ‚Letzte Generation‘ schreiben, sich strafbar machen würden, weil sie ja einen Nutzen schaffen für die ‚Letzte Generation‘“. (Jun 2023)

Deshalb ist seine Forderung richtig:

An der Stelle […] brauchen wir Aufklärung und sorgfältige Prüfung. Ich sage nicht, dass diese Beschlüsse rechtswidrig sind, obwohl ich genau dieses Argument als Anwalt jetzt in der weiteren Instanz beim Landgericht vorbringe. Ich rechne jetzt nicht unbedingt damit, dass das Landgericht sofort eine andere Meinung dazu vertritt. Vielleicht wird die Argumentation nur anders gefasst werden. Aber die Frage, welchen Wert die Pressefreiheit bei uns hat, muss geklärt werden und das möglicherweise auch vom Verfassungsgericht. (Jun 2023)

Prof. Dr. Ernst Fricke ist Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Medienrecht und Gerichtsberichterstattung an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt sowie Autor des Lehrbuchs Recht für Journalisten. Zudem ist er seit Oktober 2023 Mitglied des Bundesvorstandes der Humanistischen Union und Mitglied der Redaktion der vorgänge.

 

Literaturi

Amtsgericht München 2023: Ermittlungsverfahren „Letzten Generation“ – Telekommunikationsüberwachung, in: Pressemitteilung Nr. 41 vom 29.11.2023. https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/amtsgerichte/muenchen/presse/2023/41.php.

BJV 2023a: BJV geht weiter gegen Abhörung eines Pressetelefons der „Letzten Generation“ vor, in: BJV.de vom 29.11.2023. https://www.bjv.de/news/bjv-geht-weiter-gegen-abhoerung-eines-pressetelefons-letzten-generation-vor.

BJV 2023b: Der BJV fordert Aufarbeitung der Abhöraktion gegen ein Pressetelefon der „Letzten Generation“, in: BJV.de vom 26.06.2023. https://www.bjv.de/news/bjv-fordert-aufarbeitung-abhoeraktion-gegen-pressetelefon-letzen-generation.

Jun, Chan-jo 2023: Haben wir mehr Pressefreiheit als ein totalitäres Regime? Ist Pressearbeit kriminelle Beihilfe? In: Youtube.com vom 01.12.2023. https://www.youtube.com/watch?v=m0ffsA9ex_I.

Steinke, Ronen 2023a: Polizei hörte Gespräche der „Letzten Generation“ mit Journalisten ab, in: Süddeutsche Zeitung vom 23.06.2023. https://www.sueddeutsche.de/politik/letzte-generation-bayerisches-lka-pressefreiheit-1.5960778.

Steinke, Ronen 2023b: Fühlt euch gesehen, in: Süddeutsche Zeitung vom 02./03.12.2023. https://www.sueddeutsche.de/medien/letzte-generation-lka-bayern-journalisten-abgehoert-pressefreiheit-urteil-amtsgericht-muenchen-1.6312811.

Anmerkungen:

i Alle Internetquellen wurden zuletzt aufgerufen am 29.12.2023.

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