Ersatzfreiheitsstrafe – Eine entbehrliche Sanktionsmaßnahme: Entkräftung sechs gängiger Thesen von Verteidiger*innen des Freiheitsentzugs wegen Zahlungsunfähigkeit
Abolitionismus hat zum Ziel, das Strafrecht abzuschaffen. Für viele Kritiker*innen, aber auch einige Befürworter*innen, ist es aber nicht ganz leicht, sich das konkret vorzustellen. Sie fragen sich: Was soll an dessen Stelle treten? Was ist mit den sogenannten „gefährlichen“ Straftäter*innen, die viele vor Augen haben, wenn sie solche Szenarien durchdenken? Also verwerfen sie den Gedanken als fixe Idee von Menschen, die sich Tagträumen hingeben.
Was aber, wenn viele Menschen in Haft wären, weil sie ohne Ticket ein Verkehrsmittel des Öffentlichen Nahverkehrs benutzt haben?
Die allermeisten Menschen haben nämlich ein falsches Bild davon, wer sich in Justizvollzugsanstalten befindet. Sie denken, dort befänden sich vor allem schwere Gewaltverbrecher*innen und Mörder*innen. Weist man sie auf die Faktenlage hin, so meinen plötzlich doch viele Gesprächspartner*innen, dass an der aktuellen Lage etwas geändert werden müsste. Denn tatsächlich sitzen in deutschen Gefängnissen die meisten Menschen wegen Eigentums- und Vermögensdelikten. Zudem sitzt eine große Anzahl von Menschen in Haft, weil es ihnen nicht gelang, eine Geldstrafe zu bezahlen. Sie sitzen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab. Wie viele davon jährlich vollstreckt werden, ist nicht mehr zu beantworten, seitdem die Zugänge zur Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr statistisch ausgewiesen werden. Im letzten Erfassungsjahr 2002 waren es rund 56.000 Zugänge. Bis heute werden schätzungsweise neun Prozent der Geldstrafen in Ersatzfreiheitsstrafen getilgt (vgl. Bögelein et al. 2014a: 27; Berliner Abgeordnetenhaus Drucksache 19/10370, eigene Berechnungen).
Dr. Nicole Bögelein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Aktuell forscht sie zu Ersatzfreiheitsstrafe, Justiz und Institutionellem Rassismus und dem sozialen Klima im Gefängnis.
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