Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 243: Kritische Kriminalpolitik

Weshalb Quali­fi­ka­ti­ons­an­for­de­rungen für Minis­ter*innen in der Verfassung und dem Minis­ter­ge­setz Thüringens unnötig sind

Ausgehend von der Annahme zweier Gesetzentwürfe im Thüringer Landtag, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht mehr den Anforderungen, die in fachlicher und persönlicher Hinsicht an das Ministeramt zu stellen sind, gerecht werden, sollen im Rahmen der Änderung des § 1a Thüringer Ministergesetzes bestimmte fachliche Qualifikationen sowie ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Voraussetzung der Ausübung des Ministeramtes gemacht werden. In seinem Beitrag widerspricht Benjamin-Immanuel Hoff den Entwürfen. Denn zum Einen ist die Demokratieklausel ungeeignet, demokratiefeindliche Minister*innen zu verhindern, und zum Anderen gibt es keinen empirischen Zusammenhang zwischen Bildungsgrad und Befähigung zum Ministeramt.

 

Im März des Jahres 2023 veröffentlichte der Thüringer Rechnungshof (2023) einen Sonderbericht nach § 99 Thüringer Landeshaushaltsordnung (ThürLHO) zur Praxis der Stellenbesetzungen in den Leitungsbereichen der Obersten Landesbehörden. Nachdem der Spiegel bereits im November 2022 vorab über den Entwurf des Prüfberichtes berichtet hatte (Spiegel 2022), beschäftigte das Thema den Thüringer Landtag. Eine Vielzahl von parlamentarischen Anfragen, Sondersitzungen des Justiz- und des Haushalts- und Finanzausschusses sowie eine Sondersitzung des Thüringer Landtages mit ausführlicher Berichterstattung der Landesregierung mündeten schließlich in der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses 7/4 des Thüringer Landtages.

Es liegt in der Natur des zugespitzten politischen Diskurses zwischen der Opposition aus CDU, FDP, fraktionslosen Abgeordneten und der AfD einerseits und der rot-rot-grünen Minderheitskoalition andererseits, dass erstere neben dem berechtigten Transparenzinteresse gegenüber der Landesregierung auch den Vorwurf der Vetternwirtschaft erhebt. Dies gehört zum politischen Wettbewerb und wurde umgekehrt von den Linken und Grünen in der Kritik an der schwarz-roten-Vorgängerregierung, so zum Beispiel beim letztlich erfolglosen Versuch der Versorgung des seinerzeitigen Staatssekretärs und Regierungssprechers Peter Zimmermann (CDU), nicht anders gehandhabt.

Gesetz­ent­würfe im Zusam­men­hang aber ohne Bezug zur Rechnungs­hof­kritik

Durch die Thüringer CDU-Fraktion wurden im Kontext des Rechnungshof-Berichtes zwei Gesetzentwürfe initiiert. Die in Art. 70 Abs. 4 S. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen normierte Befugnis des*r Ministerpräsident*in, die Minister*innen zu ernennen und zu entlassen, soll mit der angestrebten Verfassungsänderung (LT-Drs. 7/7785) insofern beschränkt werden, als dass die Minister*innen fortan für ihre Ernennung über bestimmte fachliche und persönliche Voraussetzungen verfügen müssen. Diese Voraussetzungen wiederum sind in der neuen Fassung des § 1a des Thüringer Ministergesetzes (LT-Drs. 7/7786 kF) festgehalten.

Ausgehend von der Annahme in beiden Gesetzentwürfen, dass die gegenwärtige Rechtslage nicht mehr den Anforderungen, die in fachlicher und persönlicher Hinsicht an das Ministeramt zu stellen sind, gerecht werden, sollen im Rahmen der Änderung des § 1a ThürMinG bestimmte fachliche Qualifikationen (Masterabschluss, Bachelorabschluss und mindestens zweijährige hauptberufliche Tätigkeit oder abgeschlossene Berufsausbildung und eine mindestens zweijährige hauptberufliche Tätigkeit) sowie ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Voraussetzung der Ausübung des Ministeramtes gemacht werden.

Dieses Anliegen hat freilich mit dem Gegenstand des Rechnungshof-Berichtes nichts zu tun. Denn weder befasste sich der Rechnungshof mit der Ernennungspraxis von Minister*innen, noch ist das öffentlich-rechtliche Amtsverhältnis, dem Kabinettsmitglieder unterliegen, von der Verpflichtung zur Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG erfasst.

Rekru­tie­rungs­wege von Minis­ter*innen

Grundsätzlich steht dem*r Bundeskanzler*in und den Ministerpräsident*innen ein weites politisches Ermessen bei der Auswahl der Regierungsmitglieder zu. Die Kompetenz zur Ernennung der Kabinettsmitglieder (vgl. Art. 70 Abs. 4 ThürVerf) ist auch Ausdruck der Richtlinienkompetenz von Regierungschef*innen (Art. 76 Abs. 1 S. 1 ThürVerf).

Eingeschränkt wird der personelle Gestaltungsspielraum des*r Kanzler*in beziehungsweise der Regierungschef*innen der Länder durch institutionelle Logiken des Parteienstaates, der Koalitionsdemokratie sowie des Föderalismus.

Die Parteien kontrollieren in Deutschland den Zugang zu Regierungsämtern. Potenziell ministrable Personen durchlaufen insoweit ein ständiges Kompetenz- aber auch Loyalitätsscreening der parteipolitischen Auftraggeber*innen.

Mit Ausnahme des Saarlands, in dem die SPD seit der vergangenen Landtagswahl allein regiert, werden die Regierungen der anderen 15 Länder und des Bundes durch Koalitionen aus zwei oder drei Parteien gebildet. Im Regelfall als Mehrheitskoalition, in Thüringen seit 2019 als Minderheitskoalition. Die wichtigste ungeschriebene Regel des koalitionsdemokratischen Strukturprinzips lautet: Jede Regierungspartei entscheidet autonom über ihr Regierungspersonal. Der Handlungsspielraum des*r Kanzler*in oder der Ministerpräsident*innen bei Ausübung der Ernennungskompetenz wird dadurch limitiert. Ihre Grenze findet die Entscheidungsautonomie der Koalitionspartner bei der Auswahl des Regierungspersonals dort, wo die gedeihliche Zusammenarbeit innerhalb des Kabinetts durch unüberbrückbare Gegensätze in Frage stünde.

Schließlich haben soziodemographische Merkmale Einfluss auf die Repräsentativität eines Kabinetts und damit auf die Akzeptanz sowohl bei den die Regierung tragenden Parteien und Fraktionen als auch bei ihnen nahestehenden gesellschaftlichen Gruppen. Dies gilt etwa für die ausgewogene Vertretung der Geschlechter und auch Generationen, die Einbeziehung von Personen mit Migrationshintergrund, ebenso wie für die Repräsentanz von Regionen beziehungsweise ländlichen und urbanen Räumen (Fischer/Kaiser 2010: 192-212).

Fehlende Empirie

In keinem der drei genannten Rekrutierungsdimensionen von Minister*innen spielen formale Bildungsqualifikationen eine Rolle – aus gutem Grund. Denn ein beruflicher oder höherer Bildungsabschluss ist weder Rekrutierungsvoraussetzung, noch hat er Auswirkungen auf die politische Performanz von Minister*innen. Bedeutsamer als formale Bildungsabschlüsse sind für die Wahrnehmung von ministerieller Regierungsverantwortung, die Führungserfahrung, Kenntnisse des politischen Prozesses, Managementkompetenzen, gute Netzwerke und ausgeprägte Kommunikationsfähigkeiten. Diese Qualifikationen werden durch den Gesetzentwurf der CDU-Fraktion nicht erfasst und dürften auch schwerlich rechtlich zu fassen sein.

Es steht außer Frage, dass ein gewisses Maß an Sachkenntnis oder vorhergehende Erfahrung im jeweiligen Fachbereich einen Vorteil darstellt. Da sich die Abläufe innerhalb der Ministerialbürokratie auf der Leitungsebene nicht wesentlich voneinander unterscheiden und die Behördenleitung den Staatssekretär*innen als Amtschef*innen obliegt, gelten die politischen Fähigkeiten als die wichtigste Kompetenz der Regierungsmitglieder.

In der bundesdeutschen Regierungspraxis, sowohl auf der Ebene des Bundes als auch den zunächst elf und seit der Wiedervereinigung 16 Bundesländern, sind Regierungsmitglieder, die über keinen formalen Bildungsabschluss verfügen, de facto die Ausnahme. Im Regelfall verfügen sie, in Deutschland wie auch im internationalen Vergleich, über einen akademischen Bildungsabschluss und waren in entsprechend qualifizierten Dienstleistungsberufen tätig.

Das formal Hochqualifizierte die „besseren“ Minister*innen seien, entbehrt aber jeder Evidenz. Ob ein Regierungsmitglied während seiner Amtszeit unfreiwillig aus dem Amt scheiden muss, dürfte ein relevanter Indikator für eine nicht erfolgreiche Tätigkeit als Minister*in angesehen werden. Legt man die zu Rücktritten in Deutschland veröffentlichten Studien zugrunde (vgl. u. a. Fischer 2017: 10-15; Küpper 2017; Philipp 2007; Beucker/Überall 2006), ist festzustellen, dass diese in keinem Fall mit dem Nichtvorhandensein eines formalen Bildungsabschlusses korrelieren. Überspitzt könnte man in Bezug auf die Fälle Karl-Theodor zu Guttenberg, Annette Schavan und Franziska Giffey formulieren, dass der Umstand, dass der formale Hochschulabschluss ihnen den Zugang zur Promotion erst ermöglichte und aufgrund der im Promotionsverfahren begangenen Plagiate den Verbleib im Amt unmöglich machte.

Nach einer im Jahre 2010 veröffentlichten Umfrage, in der die Amtszeit der Außenminister Klaus Kinkel, Joschka Fischer, Frank-Walter Steinmeier und Guido Westerwelle verglichen wurden, vertraten mehr als drei Viertel der Befragten die Auffassung, dass Joschka Fischer Deutschland gut im Ausland vertreten habe. In seiner aktiven Amtszeit gehörte Joschka Fischer, der bekanntlich keinen formalen Bildungsabschluss vorweisen konnte, zu den beliebtesten Bundespolitiker*innen. Seine Beliebtheitswerte stürzten im Jahre 2005 ab, aber nicht, weil Erkenntnisse zu seiner Bildungsbiographie offenbar wurden, sondern im Ergebnis der sogenannten Visa-Affäre.

Vor diesem Hintergrund relativiert sich der mit der Gesetzesinitiative verbundene Lösungsanspruch, ein vermeintlich bestehendes Störgefühl innerhalb der Bevölkerung aufgreifen und durch entsprechende gesetzliche Regelungen das Vertrauen in exekutives Handeln und Personal erhöhen zu wollen. Es dürfte der Legitimität der Verfassung und dem Vertrauen innerhalb der Gesellschaft wenig zuträglich sein, wenn in der Verfassung ein Anspruch formuliert wird, der im Ausführungsgesetz nicht eingehalten wird.

Zahnlose Demokra­tie­klausel

Zusätzlich sieht die Formulierung des neuen § 1a ThürMinG in der von der Thüringer CDU-Fraktion vorgelegten Fassung Anforderungen an die persönlichen Fähigkeiten eines Regierungsmitgliedes vor, die sich auf das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung beschränken.

Auf welchem Wege es Verfassungsfeind*innen gelingen könnte, demokratisch legitimiert an die Macht zu gelangen und wesentliche Verfassungsprinzipien auszuhebeln, ist Gegenstand des Forschungsvorhabens Thüringen-Projekt auf www.verfassungsblog.de. Umso bedeutsamer ist, dass die vorgelegten Regelungsentwürfe weder in Art. 74 Abs. 4 S. 2 ThürVerf noch in § 1a ThürMinG geeignet sind. Der vorgeschlagene Satz 2 in Art. 74 Abs. 4 ThürVerf wird in einer Stellungnahme von Professor Pestalozza für den Thüringer Landtag als „sinnfreie Blankovollmacht“ tituliert, die „jede ‚persönliche Voraussetzung‘ deckt, wenn sie nur begrifflich eine ‚persönliche‘ ist“.

Im Jahre 1929 gelangte die NSDAP in Thüringen erstmals in die Regierung eines Landes. Sie eroberte diese Machtposition auf legalem Wege mithilfe konservativ-bürgerlicher Kräfte, wie Alexander Gallus (2023: 6) in der FAZ prägnant beschrieb. Sollte ein*e bürgerlich-konservative*r Ministerpräsident*in absichtlich oder versehentlich ein der Verfassung ablehnend gegenüberstehendes Regierungsmitglied ernennen oder gar ein Regierungsmitglied aus einer als gesichert rechtsextremen Partei benennen, dürfte er*sie daran auch durch die vorgesehenen Regelungen nicht gehindert werden. Nicht zuletzt, da in Thüringen die Kabinettsmitglieder nicht, wie etwa in Niedersachsen (Art. 29 Abs. 4 Nds. Verf) durch das Parlament bestätigt werden müssen und auch keine Möglichkeit der Aberkennung des Amtes durch den Landtag, anders als in Sachsen (Art. 118 SächsVerf), besteht.

Für den Fall, dass eine als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei die Mehrheit der Mandate in einem Parlament erringen sollte, dürfte die mit der vorgesehenen Regelung erhoffte Wirksamkeit nicht eintreten. Die Wahl eines verfassungsfeindlichen Ministerpräsidenten ist durch die angestrebte Regelung nicht berührt, und ein entsprechender Regierungschef wird Instrumente finden, seine Regierung zu bilden.

 

Prof. Dr. BenJamin-Immanuel Hoff (DIE LINKE) war bis 2023 Honorarprofessor der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und ist seit 2014 (mit Unterbrechung zwischen dem 5. Februar und dem 4. März 2020) Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Chef der Thüringer Staatskanzlei.

 

Literatur

Beucker, Pascal/Überall, Frank 2006: Endstation Rücktritt. Warum Politiker einpacken, Stuttgart.

Fischer, Jörn 2017: Wege ins Amt und wieder hinaus. Selektion und Deselektion von Bundesministern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. 14-15, S. 10-15.

Fischer, Jörn/Kaiser, André 2010: Wie gewonnen, so zerronnen? Selektions- und Deselektionsmechanismen in den Karrieren deutscher Bundesminister, in: Politische Vierteljahresschrift, H.44, S. 192-212.

Gallus, Alexander 2023: Würdelose Hilfestellung. Wie die NSDAP im Winter 1929/30 in Thüringen mithilfe konservativ-bürgerlicher Kräfte ihre erste Machtposition in einem Land eroberte und in Weimer eine Herrschaft gegen Weimar erprobte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 04.12.2023, S. 6.

Küpper, Moritz 2017: Rücktritte: Über die Kunst, ein Amt zu verlassen, Baden-Baden.

Philipp, Michael 2007: Persönlich habe ich mir nichts vorzuwerfen. Politische Rücktritte in Deutschland von 1950 bis heute, München.

Spiegel 2022: Thüringer Rechnungshof geißelt Ramelows Personalpolitik, in: Der Spiegel vom 25.11.2022.

Thüringer Rechnungshof 2023: Sonderbericht nach § 99 Thüringer Landeshaushaltsordnung (ThürLHO) zur Praxis der Stellenbesetzungen in den Leitungsbereichen der Obersten Landesbehörden, Rudolstadt.

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