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Erinnerung an Helga und Wolfgang Killinger

Erinnerung an Helga und Wolfgang Killinger

Am 13. September ist Helga Killinger gestorben, ihr Ehemann Wolfgang zwei Monate später am 15. November dieses Jahres. Beide „“Urgesteine“ der HUMANISTISCHEN UNION und mit einem unerschütterlichen Kompass ausgestattet für die vielen kleinen und großen Ungerechtigkeiten im Lande.“ So steht es in der Traueranzeige der HUMANISTISCHEN UNION die in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Die Erinnerungen von Freunden/innen und Weggefährten/innen haben wir als Ergänzung zur Traueranzeige gesammelt. Sie werden zusammen mit weiteren auf unserer website (https://suedbayern.humanistische-union.de) veröffentlicht.
Christa Scholtissek, Hans-Joachim Schemel, Wolfgang Stöger, München, Dezember 2021

 

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Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, Helga war die Seele der HU – sie war so lange Bundesgeschäftsführerin, kannte alle, wusste alles.

Ich habe fast mein ganzes politisches Leben mit ihr zusammengearbeitet. Und zwar mit Freuden und mit Gewinn. Und mit Spaß: wir demonstrierten auf dem Stachus als Müttergruppe mit unseren kleinen Kindern und ausgestopften Bäuchen: wir sind gerne Mütter, aber freiwillig. Oder wir entwickelten die Idee der sieben vom Vatikan anerkannten Verhütungsmittel und führten sie als weiße Bräute beim Münchner Katholikentag vor: den Apfel, fest zwischen die Beine geklemmt, das Netzsöckchen als Verhüterli, die Smarties als nur süße Ablenkungspillen …

Ernsthafte Kampagnen haben wir gemeinsam initiiert, das erste Antidiskriminierungsgesetz und – vor der Wende – „Frauen in bester Verfassung“. Diese Initiative mit tausenden Postkarten führte dann auch tatsächlich zu einer Grundgesetzänderung des Art. 3 GG.

In den siebziger Jahren gründeten wir den Arbeitskreis Emanzipation – ausdrücklich von Frau und Mann. Jetzt kam Wolfgang ins Spiel, er war engagierter Feminist und einer der wenigen Männer der Gruppe. Ich erinnere mich noch gut, daß wir am Dienstag nie tagen konnten, dienstags machte Wolfgang zu Hause die Wäsche. Wir organisierten eine Münchner Tagung „auch der „Mann gehört ins Haus“ mit einer Wäscheklammer als Tagungsabzeichen.

Gefeiert wurde auch – eine rauschendes Kostümfest hieß „Emanzen tanzen“. Aus der politischen Zusammenarbeit entwickelte sich Freundschaft. Wir feierten zusammen Geburtstage und fuhren zu viert, die Killingers und die Herings, oft auf die documenta. Von dieser Vierergruppe sind diesen Herbst drei gestorben, im September mein Mann Tim, dann Helga, und jetzt Wolfgang. Erst vor kurzem, am Ende unseres Lebens, haben Helga und ich noch den Sterbepass ausgeheckt, eine Ergänzung zur Patientenverfügung, für den Fall, daß wir dement werden.

So hatten wir beides im Blick, den Anfang und das Ende des Lebens als selbstbestimmte Entscheidung des Menschen.

Heide Hering, München

 

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Wolfgang Killinger – das war jahrzehntelang ein Synonym für HU Bayern. Und ein Zweites: Wenn vom Geheimdienst Verfassungsschutz die Rede war, dann war Wolfgang Killinger einer vom einem halben Dutzend Namen, die einem zu diesem Thema sofort einfielen, war er doch einer der Mitverfasser (zusammen mit Werner Holtfort, Jürgen Seifert, Hannes Haupt und Till Müller-Heidelberg) des ersten großen HU-Memorandums 1981 zu dieser verfassungsschädlichen Behörde: „Die (un)heimliche Staatsgewalt. Memorandum zur Reform des Verfassungsschutzes“. Damals glaubten wir noch an die Reformierbarkeit des Verfassungsschutzes.

Helga Killinger – das war für mich und viele immer Herz und Seele der HU, war sie doch ebenfalls Jahrzehnte die Geschäftsführerin der HU. Und sie wusste einfach alles über die HU.

Till Müller-Heidelberg, Bingen

 

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Für Helga und Wolfgang, im November 2021

HU-Büro München, Bräuhausstraße: der Raum übersät mit hohen Papier- und Bücherstapeln, auch die Stühle „besetzt“. Inmitten des nach einem Geheimcode geordneten Chaos Helga, fröhlich scherzend gemeinsam mit Helfern Rundschreiben eintütend.

Delegiertenkonferenz: Helga strahlend, funkelnde Augen, immer den Schalk im Nacken, präsent, voll da, auf ihr Gegenüber fokussiert; Wolfgang etwas im Hintergrund am Gespräch teilnehmend, schmunzelnd, gemütlich brummend, manchmal laut auflachend. Überlässt seiner Chérie gerne die Star-Rolle.

Chéri, Chérie: wie zauberhaft. So werde ich sie in Erinnerung behalten.

Jennifer Clayton-Chen, München

 

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Helga und Wolfgang habe ich vor vielen vielen Jahren (also meiner Erinnerung nach Anfang der 90er Jahre) mitten in München in der Geschäftsstelle der Humanistischen Union (die ja in der Bräuhausgasse gewesen ist) getroffen. Es gab dort einen von den Killingers für die HU ins Leben gerufenen Arbeitskreis „Trennung von Staat und Kirche“. Der tagte dort in der Regel vier Mal im Jahr. Es war eine lose Zusammenkunft von Engagierten aus der Humanistischen Union, von den Freidenkern, vom bfg München (von dem aus ich dort war) und noch andere interessierte Menschen. Es war ein angenehmes Klima, herzlich und freundlich. Es wurde viel und ernst diskutiert, es wurden Aktionen geplant, Beteiligungen an Demos vereinbart, aber auch viel gelacht. Helga und Wolfgang waren nachdrückliche Befürworter einer echten Trennung von Staat und Kirche und haben dieses Thema nie aus den Augen verloren.

Keine Ahnung mehr, wann es war, aber irgendwann bin ich dann in die HU eingetreten, die Arbeit insbesondere der Landesgruppe in Bayern (geleitet von Helga und Wolfgang) hat mich sehr beeindruckt. Helga war zum Zeitpunkt, als ich das erste Mal in der Geschäftsstelle der HU auftauchte, wohl dort noch Geschäftsführerin, insgesamt 22 Jahre hatte sie dieses Amt inne. Die beiden, Helga und Wolfgang, waren nicht nur ein ausgesprochen harmonisch wirkendes Paar, sondern auch eines, das auf geradezu natürliche Weise gleichberechtigt wirkte. Beide waren gleichermaßen spannende Persönlichkeiten, interessierte politisch engagierte Menschen und anregende Gesprächspartner. Solch ein Paar habe ich in den inzwischen über 35 Jahren, die ich insbesondere auch säkular politisch aktiv bin, kaum noch andere getroffen (das kann man/frau an einer Hand abzählen). Und wir waren – Helga, Wolfgang und ich – politisch vielfältig verbunden, denn es ging uns dreien auch nicht nur um die Trennung von Staat und Kirche, sondern natürlich auch um Abrüstung, Frauenrechte, Gleichberechtigung insgesamt, Widerstand gegen Rassismus und Antisemitismus usw. usw. Zusammen waren wir auf Demos, auf Ostermärschen und auch als MitläuferInnen (sozusagen) ab 2007 bei den CSD-Paraden in München. Und: im Wechsel mit der HU haben wir irgendwann einmal begonnen, auf Einladung des damaligen Geschäftsführers von Radio LoRa München 92,4 – Dietmar Freitsmiedl – auch Radio zu gestalten.
Es war dann auch in 2007, dass wir vom Vorstand des bfg mÜnchen beschlossen hatten, bei unserer Heidenspaßparty an Karfreitag (das ist nochmal eine ganz andere Geschichte; diese Party war der Beginn einer Klage durch alle Instanzen gegen das Tanzverbot an sog. Stillen Tagen) unsere ordentlichen Mitglieder Helga und Wolfgang Killinger zu Ehrenmitgliedern zu machen. Sie haben diese Ehrenbürgerschaft beide angenommen.. Und sie haben unsere bfg-Aktivitäten immer auch mitgetragen und mit unterstützt. Auch, als wir 1995 im Anschluss an das erste Kruzifix-Urteil sozusagen (aus Karlsruhe) in München einen „Gottlosen-Stammtisch“ begründeten, da hatten wir auf unserem bfg-Anrufbeantworter üble Morddrohungen! Aber Helga und Wolfgang haben auch solche Aktivitäten, die nicht alle gut fanden, immer mit Engagement mitgetragen und uns unterstützt…

Und irgendwann, vor mindestens 12 Jahren, haben wir zufällig festgestellt, dass Wolfgang, Helga und auch ich sehr gerne Skifahren. Und – alle drei – seit Jahren immer zum Skifahren in Lech am Arlberg sind. Und dann haben wir uns auch dort getroffen. Beim letzten Mal hatte die Helga schon aufgehört mit dem Skifahren, da ist dann der Wolfgang halt mit dem gemeinsamen Sohn Michael noch gefahren. Das war auch immer sehr entspannt, wenn wir uns da getroffen haben. Und sehr, sehr gesellig.

Sehr traurig bin ich, dass sie nicht mehr bei uns sind, so wie wir sie kennen. Mit Helga und Wolfgang Killinger sind politisch und sozial engagierte Menschen nicht mehr bei uns, wie es sie so kaum noch oft geben wird. Zu hoffen bleibt, dass sie friedlich, mit sich im Reinen und ohne Schmerzen diese letzte Reise angetreten haben. Während ich hier schreibe, schaue ich nach oben und recke die gestreckten Zeige- und Mittelfinger in Richtung Wolke sieben (oder neun oder wie auch immer).

Liebe Helga, lieber Wolfgang, Ihr bleibt unvergessen! Vielen Dank für die wunderbaren Begegnungen…

Assunta Tammelleo, Gelting

 

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