Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 245

Koordi­na­ti­ons­kreis des FORUM MENSCHEN­RECHTE bezieht Stellung gegen eine populis­ti­sche Verengung von Freiheits­rechten

Gegen eine populis­ti­sche Verengung von Freiheits­rechten

Der Koordinationskreis des FORUM MENSCHENRECHTE fordert konsequente
Maßnahmen von Bund und Ländern, damit die Rechte auf Gesundheit und auf Leben geschützt werden können

Das FORUM MENSCHENRECHTE setzt sich seit 1994 für die Durchsetzung von Menschenrechten weltweit und in Deutschland ein. Grundlegend für das Eintreten für Menschenrechte ist, dass diese unteilbar sind. Alle Staaten und damit auch Deutschland haben die Pflicht, sowohl bürgerliche wie politische Rechte als auch wirtschaftlichSeit dem Beginn der Corona-Pandemie, insbesondere aber in den letzten Monaten und Wochen, wurde in der öffentlichen Diskussion in Deutschland um Corona-Schutzmaßnahmen sowohl von manchen Politiker*innen, Parteien als auch von Teilen der Medien und der Zivilgesellschaft der Eindruck erweckt, dass bisherige Corona-Schutz-Maßnahmen mit unzulässigen Eingriffen in Freiheitsrechte des Einzelnen einhergegangen seien.

Der Koordinationskreis des FORUM MENSCHENRECHTE sieht hierin eine gefährliche Engführung dessen, was Menschenrechte im Ganzen beinhalten. Zu diesen zählen gerade auch die Rechte auf Gesundheit und Leben. Die für die Umsetzung von Menschenrechten verantwortlichen Regierungen haben die menschenrechtliche Pflicht, die Gesundheit und das Leben der Menschen in der Pandemie wirksam zu schützen und zu gewährleisten, und zwar auch vor einer Gesundheitsgefährdung durch Dritte.
Nicht nur der Eigenschutz, sondern der Schutz der Anderen, und hier vor allem besonders gefährdeter Personengruppen, kann weitreichende Eingriffe rechtfertigen, die mit Einschränkungen der Handlungsfreiheiten des Einzelnen jeweils abzuwägen sind. Gerichte haben seit Beginn der Pandemie staatliche Maßnahmen zum Schutz vor Corona weitgehend als rechtskonform mit dem Grundgesetz gebilligt und nur in einzelnen Fällen Maßnahmen als unverhältnismäßig aufgehoben.
Zudem ist auch zu berücksichtigen, inwiefern die Inanspruchnahme eines individuellen Freiheitsrechtes die Inanspruchnahme auch wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte von Dritten durch dadurch bedingte, gegebenenfalls notwendige staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung beeinträchtigt. Besonders Kinder und Jugendliche leiden unter den damit verbundenen Einschränkungen insbesondere in der Wahrnehmung des Rechtes auf Bildung.

Die Politik ist der Verantwortung in der Ausübung menschenrechtlicher Schutzpflichten aus Sicht des Koordinationskreises des FORUM MENSCHENRECHTE in den letzten Monaten nicht in ausreichendem Maße nachgekommen mit dem Ergebnis steigender Inzidenzen, steigender Todeszahlen, einer drohenden Überlastung der Intensivstationen in den Krankenhäusern sowie hoher bevorstehender sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Einbußen.

Die Verantwortung dafür liegt auch begründet in einer populistischen Engführung eines individuellen Freiheitsbegriffes, der sich im Kern darauf beschränkt, dass der Einzelne tun kann, was er will. Hierfür steht etwa der lange Zeit vertretene prinzipielle Ausschluss jeder Form von Impfplicht in Absehung von Folgen für Leben und Gesundheit der Bevölkerung.
Der Koordinationskreis des FORUM MENSCHENRECHTE fordert auf dem Hintergrund eines ganzheitlichen Verständnisses von Grund- und Menschenrechten Parlamente und Regierungen des Bundes und der Länder dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um Leben und Gesundheit – insbesondere der besonders gefährdeten Gruppen in der Bevölkerung zu schützen und diese konsequent durchzusetzen.

Alle diese Maßnahmen können in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland einer gerichtlichen Überprüfung im Blick auf ihre Verhältnismäßigkeit vor unabhängigen Gerichten unterzogen werden, wie dies auch bisher schon während der Pandemie in vielen Fällen geschehen ist, zuletzt am 30.11.2021 durch das Bundesverfassungsgericht.
Die Menschenrechte sind und bleiben ein wichtiger Kompass in und aus der Krise.
Bund und Länder sind in der Verantwortung, alle Menschenrechte für alle Menschen in diesem Land zu garantieren und der Vereinnahmung der Menschenrechte entgegenzuwirken.
Dies erfordert immer eine Abwägung im Einzelfall, da wo verschiedene Rechte bzw. Maßnahmen zu deren Durchsetzung in Spannung zueinander stehen. Die Annahme, es gehe bei Pandemie-Schutzmaßnahmen um einen Gegensatz von Recht und Unrecht, ist jedoch unzutreffend und schädlich. Es geht vielmehr darum, eine Abwägung zu treffen, welche Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte auf Gesundheit und Leben unter den Bedingungen einer Pandemie getroffen werden müssen, auch unter Inkaufnahme der zeitweiligen Einschränkung von Freiheitsrechten des Einzelnen. Dies ist die Verantwortung der Politik und des Staates.
Das Handeln der Politik im Angesicht einer Krise wie der Covid-19 Pandemie wird sich daran messen lassen müssen, ob Menschenleben durch wirkungsvolle Maßnahmen rechtzeitig geschützt werden konnten oder ob eine populistische und einseitige Verengung des Verständnisses von Freiheitsrechten sowie einer rein legalistischen Betrachtung unter Verweis auf einzelne Freiheitsrechte dies verhindert hat.

Alle Politiker und Politikerinnen sind gefordert, die Verantwortung für die Durchsetzung der Schutzrechte auf Gesundheit und Leben in Abwägung mit der Garantie von Freiheitsrechten so wahrzunehmen, dass nicht das Parteiinteresse an erster Stelle steht, sondern das Ziel, Schaden von allen Bürgern und Bürgerinnen abzuwenden.

Das FORUM MENSCHENRECHTE und seine Mitgliedsorganisationen werden auch weiter konsequent für eine Menschenrechtspolitik eintreten, in der Menschenrechte im Ganzen kohärent und konsistent im politischen Handeln gefördert, geschützt und durchgesetzt werden. 

Die Mitglieder des Koordinationskreises: Dr. Ilona Auer-Frege, Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR; Elise Bittenbinder, Bundearbeitsgemeinschaft der psychosozialen Beratungszentren für Flüchtlinge und Folteropfer; Günter Burkhardt, PRO ASYL; Dr. Julia Duchrow, Amnesty International; Dr. Lisa Heemann, Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen; Dr. Jochen Motte, Vereinte Evangelische Mission; Silke Pfeiffer, Brot für die Welt, Jonas Schubert; terre des hommes

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