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Der Ausch­witz-An­kläger

Fritz Bauers Biographie zeigt einen Generalstaatsanwalt, der bedeutsamer war, als er selbst wahrhaben wollte;

aus. vorgänge Nr. 187, Heft 3/2009, S. 147-149

Fritz Bauer zählt zu den herausragenden Juristen in der Geschichte der Bundesrepublik. Er war der einzige Emigrant, der nach seiner Rückkehr hohe juristische Positionen bekleidete und er war einer der wenigen, die von der Weimarer Republik bis in die Bundesrepublik der 1960er Jahre für die Kontinuität des demokratischen Rechtsverständnisses einstanden. Erst vierzig Jahre nach dem Tod von Fritz Bauer ist nun endlich eine Biographie über den engagierten Frankfurter Generalstaatsanwalt erschienen, der eine zentrale Rolle in der Ahndung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik gespielt hat. Die Historikerin Irmtrud Wojak hat in einer akribischen wissenschaftlichen Arbeit das Leben und Wirken Fritz Bauers nachgezeichnet.

Irmtrud Wojak „Fritz Bauer. 1903-1968. Eine Biographie“. Verlag C.H. Beck, München 2009, 638 Seiten, 34 Euro

Die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen gilt zu Recht als ein dunkles Kapitel der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Nicht selten saßen in den 1950er Jahren Richter mit einer eigenen einschlägigen nationalsozialistischen Vergangenheit über NS-Verbrecher und neonazistische Straftäter zu Gericht. Ihre Urteile brachten den Angeklagten häufig viel Verständnis entgegen. Ohne das Engagement von Fritz Bauer würde diese Bilanz der deutschen Nachkriegsjustiz jedoch noch weitaus düsterer ausgefallen. Bauer gehört zu den ganz wenigen, die angesichts des allgemeinen „Beschweigens“ der NS-Vergangenheit nicht verstummen wollten. Er initiierte zahlreicher Prozesse gegen NS-Täter, die heute als Meilensteine der Justizgeschichte gelten.

Der 1903 in Stuttgart geborene Fritz Bauer zählte zu dem kleinen Häuflein demokratischer Juristen, die sich in der Weimarer Republik aktiv gegen Anfeindungen und umstürzlerische Aktivitäten der extremen Rechten zur Wehr setzten. Er war Gründungsmitglied des Republikanischen Richterbundes in Württemberg, trat in den 1920er Jahren der SPD bei und später dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, wo er an der Seite Kurt Schumachers offensiv für die Demokratie kämpfte. Nach einem erfolgreichen Jurastudium bei dem bekannten Rechtsreformer und sozialdemokratischen Justizminister Gustav Radbruch, begann Bauer 1930 als Deutschlands jüngster Amtsrichter eine viel versprechende Karriere, die jedoch 1933 durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten beendet wurde, bevor sie richtig begonnen hatte.

Bauer wurde wegen „nachgewiesener antinationalsozialistischer Haltung“ aus dem Justizdienst entlassen, als Jude und Sozialdemokrat in „Schutzhaft“ genommen und für acht Monate in das württembergische Konzentrationslager Heuberg verschleppt, wo er auf seinen Freund Kurt Schumacher traf. Nach zehn Monaten Haft kam Bauer eher zufällig wieder frei. Ende 1935 gelang ihm die Flucht nach Kopenhagen. Als 1943 auch dort die Verfolgung der Juden einsetzte, floh er mit seiner Familie in einem Fischerboot nach Schweden. Während des Exils unterhielt er rege Kontakte zu führenden Sozialdemokraten. In Schweden arbeitete er eng mit Willy Brandt zusammen und gründete mit ihm u. a. die „Sozialistische Tribüne“, die theoretische Zeitschrift der SPD-Leitung. Detailliert schildert Irmtrud Wojak die erbittert geführten Debatten innerhalb der Exil-SPD über die Neugestaltung Nachkriegsdeutschlands, an der auch Bauer regen Anteil nahm.

Nach Kriegsende überlegte Bauer lange, ob er nach Deutschland zurückkehren sollte. Der deutschen Nachkriegsgesellschaft stand er skeptisch gegenüber und erst seinem Freund Kurt Schumacher gelang es, ihn zur Rückkehr zu bewegen. 1949 trat er die Stelle als Präsident des Braunschweiger Landgerichts an, ein Jahr darauf wurde er zum Generalstaatsanwalt am OLG Braunschweig ernannt. Dort widmete er sich seiner neuen Lebensaufgabe: der Verfolgung der zahlreichen NS-Täter.

Während seiner Braunschweiger Zeit wurde Bauer vor allem durch den Aufsehen erregenden Prozess gegen Otto Ernst Remer bekannt, der als Kommandant des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“ maßgeblich an der Niederschlagung des 20. Juli beteiligt gewesen war. Als Vorsitzender der später verbotenen nazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) hatte Remer die Widerständler um Graf Schenck von Stauffenberg öffentlich als „Landesverräter“ bezeichnet. Der daraufhin von Bauer angestrengte Prozess wegen Verunglimpfung des militärischen Widerstandes gilt noch immer als wegweisend. Der Name Fritz Bauer ist aber bis heute vornehmlich mit seiner Tätigkeit als hessischer Generalstaatsanwalt verbunden. 1956 holte ihn der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn als Generalstaatsanwalt ans Frankfurter Oberlandesgericht. Dort setzte er sich rastlos und ohne Rücksicht auf sich selbst dafür ein, die Gesellschaft mit juristischen Mitteln umfassend über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen aufzuklären.

Anfang der 1960er Jahre arbeitet Fritz Bauer an seiner größten Aufgabe: der „Strafsache gegen Mulka und andere“, die als Auschwitz-Prozess in die Geschichte einging. Nach fünfeinhalb Jahren Ermittlungsarbeit, wurde das größte deutsche Strafverfahren endlich am 20. Dezember 1963 vor dem OLG Frankfurter eröffnet.

Bauer selbst trat zwar nicht als öffentlicher Ankläger in Erscheinung, doch war er die treibende Kraft: Er hatte das Verfahren an sich gezogen und zwei junge Staatsanwälte damit beauftragt. 22 Schergen des Vernichtungslagers Auschwitz hatten sich vor Gericht zu verantworten, 17 von ihnen wurden schließlich verurteilt. Für Bauer bestand kein Zweifel darin, dass die Strafjustiz allein nicht dazu geeignet war, die Vergangenheit zu bewältigen. Als „radikaler Humanist“ war er darauf bedacht, dass die Verbrechen der Nazis nicht nur juristisch gesühnt werden, sondern über das Strafverfahren in der Öffentlichkeit ein Schuld-Bewusstsein geschaffen wird.

Bauer suchte den Kontakt zu Schriftstellern und ermunterte sie, den Prozess zu beobachten. Die Resonanz war gewaltig. Fast 20.000 überwiegend junge Menschen besuchten den Prozess, die Presse berichtete umfassend und Peter Weiss verarbeitete seine Eindrücke in dem Bühnenstück „Die Ermittlung“, Hans Frick verfasste einen vom Prozess beeinflussten Roman. Die von Bauer in Auftrag gegebenen historischen Gutachten sind zum Teil bis heute gültig und wenn auch das erhoffte Forschungsinteresse bei den Historikern zunächst noch ausblieb, so markiert der Auschwitz-Prozess den Beginn der Erinnerungskultur in Deutschland. Es folgten langjährige Verfahren gegen die Verantwortlichen der „Euthanasie“-Morde, vorwiegend gegen Ärzte und Juristen, außerdem Ermittlungen gegen Mitglieder der berüchtigten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei.

Fritz Bauer, der unter erheblichen Selbstzweifeln aus der Emigration zurückgekehrt war, war zutiefst von der Notwendigkeit überzeugt, die deutsche Gesellschaft und das wesdeutsche Justizwesen auf eine neue moralische Grundlage zu stellen. Zu diesem Zweck wollte er Gesellschaft und Justiz mit dem überkommenen obrigkeitsstaatlichen, autoritären und nationalsozialistischen Erbe konfrontieren. Hier zeigten sich jedoch offenkundig die Grenzen der juristischen Aufarbeitung in einer Gesellschaft, in der gerade die Verbrecher aus den oberen Schichten zum großen Teil noch in Amt und Würde waren bzw. in den Parlamenten saßen.

In der personell kaum veränderten Justiz war Bauer weitgehend isoliert. Immer wieder musste er wegen seines Engagements endlose Schmähungen über sich ergehen lassen, ohne dass sein aufreibender Einsatz den von ihm erwünschten Erfolg gezeitigt hätte.

Den eigenen Ermittlungsbehörden stand Bauer misstrauisch gegenüber. Er umgab sich daher mit jungen, politisch unbelasteten Staatsanwälten. Einem Freund gegenüber äußerte er einmal, außerhalb seines Amtszimmers fühle er sich wie im „feindlichen Ausland“. Im Laufe der Jahre gelangte Bauer zu der Überzeugung, trotz all seiner Bemühungen nichts erreicht zu haben. Resigniert zog er sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück. Im Juni 1968 starb er vereinsamt in seiner Frankfurter Wohnung.

Fritz Bauer hat keinen geschlossenen Nachlass und nur wenige persönliche Aufzeichnungen hinterlassen. Sein Leben lässt sich fast nur aus den Prozessakten rekonstruieren. In mühevoller Kleinarbeit hat Irmtrud Wojak daher ihre Quellen in zahlreichen Archiven zusammengetragen. Das Ergebnis ist eine sehr lesenswerte und eindringliche Studie über eine der interessantesten Persönlichkeiten der Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre. In einer packenden Erzählung zeichnet sie das Leben Fritz Bauers nach, dessen Rechtsverständnis seiner Zeit immer ein Stück voraus war. Gekonnt verortet sie Bauers Wirken im historischen Kontext und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik. Nicht nur Interessierten am Nationalsozialismus und an der bundesdeutschen Vergangenheitspolitik sei diese gut recherchierte Biographie zur Lektüre empfohlen.

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