Die Black-Muslim-Bewegung: Eine innenpolitische Herausforderung für die USA
Die Erkenntnis, dass offenbar Muslime die Attentate vom 11. September 2001 geplant und begangen haben und die schwer zu übersehende Tatsache, dass ein großer Teil der islamischen Welt die USA als Feinde betrachtet, stellt Amerika nicht nur vor außenpolitische Herausforderungen, sondern lenkt den Blick auch auf bislang gewaltig unterschätzte innere Probleme. Denn auch auf dem nordamerikanischen Kontinent gibt es eine große muslimische Bewegung. Fachleuten ist das Phänomen der so genannten Black Muslims, die sich selber auch Nation of Islam nennen, mehr als vertraut. Die öffentliche Diskussion hat diese Bevölkerungsgruppe nach dem 11. September allerdings kaum beachtet.
Wer sind die amerikanischen Muslime? Festzuhalten sind zunächst einige Paradoxa: Die Black Muslims sind weithin des Arabischen unkundig und kennen auch den arabischen Koran nicht. Ihre Oberhäupter sind für die Anhänger Messenger, keine Imame oder Mullahs bzw. Ayatollahs. Zudem erklären die Black Muslims – was für einen Muslim eigentlich undenkbar ist – dass sie ihre Offenbarung von einer Reinkarnation Allahs empfangen haben. Außerhalb Amerikas ist es für Muslime absolut unvorstellbar, dass Allah sich einer Nation in der Gegenwart offenbaren würde, noch dazu in amerikanischer Sprache.
Diese Eigenheiten der Black Muslims sind nur durch die amerikanische Geschichte erklärbar. Zu den aus Afrika importierten Sklaven gehörten nämlich auch Muslime, deren Glaubensgut aber in Ermangelung islamischer Gelehrter und fehlender Kontakte zu den großen islamischen Zentren in Kairo oder Damaskus – von Mekka und Medina zu schweigen – im Laufe der Jahrhunderte verkümmerte. Erst mit der Befreiungsbewegung der Afroamerikaner aus der Sklaverei erwachte auch ein verschüttetes Wissen um die Zugehörigkeit zu einer anderen, nichtchristlichen Religionsgemeinschaft. Die langsame Inkulturation des Islam in Amerika begann. Einen entscheidenden Impuls für die Vitalisierung des Islam in den USA bildete die Erlangung der Unabhängigkeit vieler islamischen Staaten in Asien und Afrika nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber der eigentliche Hintergrund dieser „neuen Religion“ ist natürlich die Reaktion der Afroamerikaner „auf die Verzögerung der Rassen-Integration“ in Nordamerika, darauf hat Ernst Benz schon vor Jahren aufmerksam gemacht.
Die Emanzipation der Schwarzen hat an politischer und kultureller Brisanz nichts verloren. Regelmäßig auftretende Konflikte zeigen, wie traumatisiert die amerikanische Gesellschaft durch das unbewältigte Erbe der Sklaverei und der Rassendiskriminierung ist. Dies ist der eigentliche Nährboden für den schwarzen Islam.
Gehören die amerikanischen Muslime zum Islam?
Die Black Muslims sind trotz aller kulturellen und religiösen Besonderheiten eine islamische Gruppe. Denn der Islam ist keine homogene Religionsgemeinschaft und vereint in sich sehr unterschiedliche Fraktionen, die natürlich alle behaupten, alleine den wahren Islam zu vertreten. Daher rührt Jan Assmann Behauptung, die Religion sei „die limitistische Funktion der Kultur“, d.h. sie markiere die unanfechtbare Grenze der Interessen einer Gruppe, wobei Interessen verschiedenster Art gemeint sein können: ökonomische, politische, soziale oder auch sprachliche. Auch die afghanischen Taliban sind eine solche Gruppe. Die skizzierte Vielfältigkeit des Islams ist vor allem auf regionale Modernisierungserscheinungen zurückzuführen. Es ist eine törichte Behauptung, dass der Islam eine in frühmittelalterlichen Denkstrukturen gefesselte Glaubensgemeinschaft sei. Der systemtheoretisch beschreibbare Prozess der Ausdifferenzierung der Religion läuft auch im Islam ab, leicht erkennbar an den unterschiedlichen islamischen Gruppen und ihren sozialen, ökonomischen, politischen oder auch philosophischen Interessen.
Gerade die Black Muslims sind in starkem Maße von der amerikanischen Mehrheitskultur beeinflusst. Ihre islamische Identität bewahren sie nur noch, indem sie sich auf Allah als ihren Gott berufen, von dem sie zudem wissen, dass er groß ist. Ansonsten sind ihre Kenntnisse in islamischer Tradition und muslimischer Geschichte minimal. Ihre Autoritäten sind selbstgeschaffen und selbstgewählt, darin nicht unähnlich den Christen unterschiedlicher Konfession in Bosnien-Herzegowina.
Die Black Muslims haben im Vergleich zu ihren Glaubensbrüdern auf dem Balkan und in anderen Regionen dieser Erde eine längere und kompliziertere Entstehungsgeschichte. Diese haben sie thematisiert und instrumentalisiert wie andere Religionsgemeinschaften auch. Charakteristisch für die Black Muslims ist ihre Heilslehre, die in Analogie zur biblischen – also christlichen – und nicht zur islamischen Tradition konzipiert ist. Danach wird das Ende der Zeit die Wiederherstellung des Paradieses auf Erden sein, und das bedeutet die Vorherrschaft der schwarzen Rasse als der ersten von Gott geschaffenen Rasse, die den wahren Glauben bewahrte und auch Mekka gebaut habe. Die Endzeit findet ihre Erfüllung in Nordamerika und beginnt etwa 6.000 Jahre nach Erschaffung der weißen Rasse, die der Demiurg, der Jakkub heißt, in Ermangelung einer Farbe (gelb, braun und rot waren schon ausgegangen) als farblose Teufel geschaffen hat. Die Zukunft der Menschheit ist für die Black Muslims ein irdisches Paradies, denn für alle Schwarzen gibt es gute Häuser, genügend Geld, Freiheit und Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz. In ihrer Zukunftserwartung kulminiert alles, was die Afroamerikaner entbehren und von dem sie glauben, es auf Erden erhalten zu können. Der Koran mit seiner Bilderwelt des himmlischen Paradieses ist ihnen völlig fremd geblieben. Die Weißen zerstören sich und ihre Kultur am Ende selbst, weil sie in ihrem hemmungslosen Machtstreben und in ihrer Gier, alle Schätze der Welt selbst zu besitzen, sich gegenseitig vernichten. Die Black Muslims müssen dem Zerfall nur zusehen, ihre Aufgabe besteht einzig darin, auf den Trümmern dieser weißen Welt das schwarze Paradies aufzubauen.
Ihre Missachtung des Christentums beruht auf der Erfahrung, dass die Weißen mit dem Christentum die Schwarzen nur unterdrückt haben – einer zum ersten Mal von W. DuBois 1915 aufgestellten Geschichtstheorie, die es nach Auffassung der Black Muslims zu durchbrechen gilt. Afroamerikaner, die sich auf ihre islamischen Wurzeln besinnen, tragen seither den roten Fes/Fez. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch logisch, dass afroamerikanische Intellektuelle seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ihrerseits eine Rassentrennung praktizieren, eigene Banken einrichten und literarisch eine explizit nichtweiße Kunst fördern.
Die islamischen Schwarzen als politischer Einflussfaktor
Die muslimische Bewegung der Afroamerikaner ist antichristlich, auch antijüdisch und eindeutig proislamisch. Die seit 1913 durch die Moorish Science Temple of America beförderte Arabisierung der Black Muslims erfolgte allerdings nur sehr oberflächlich. Ihr neuer Koran ist eine Zitatensammlung aus Bibel, arabischem Koran und apokryphen Prophetengeschichten. Dieser Synkretismus, die Verflachung des religiösen Erbes, rief dann auch die Tugendwächter auf den Plan; wir kennen sie heute unter dem respektierlichen, nicht despektierlichen Namen Fundamentalisten. Dabei ist die progressive Segration ein generelles Kennzeichen religiöser Gemeinschaften, und der Auffächerungsprozess einstmaliger großer, territorial bestimmter Religionsgemeinschaften zeigt nur, dass die limitistische Funktion der Religion als Begleitinstrument sozialer Veränderungen wirksam ist. Die Unzufriedenheit von sozialen Gruppen mit ihren Lebensumständen, die auch zu Verzweiflungsakten führt, greift auf religiöse Motive zurück. Religiöse Symbole und gemeinsame kulturelle Codes verbinden sich mit sozialen oder kulturellen Forderungen. Zu ihnen gehört die Ablehnung der bestehenden kulturellen Normen, z.B. des american way of life. Martin Luther King erscheint den Black Muslims weniger sinnstiftend als Cassius Clay. Wie viele schwarze Muslime es in Amerika gibt, ist schwer zu beziffern. Organisationen wie die Schwarzen Panther oder die Fruits of Islam verweigern jegliche Auskunft über ihre Mitgliederzahlen. Fest steht, dass ihr Einfluss wächst.
Die US-Administration stellte diese Gruppe nach dem 11. September vor erhebliche Schwierigkeiten. Eine prononciert antiislamische Reaktion der Bush-Regierung hätte nahe gelegen, und wurde von der Mehrheit des weißen Amerikas wohl auch erwartet. Mit Rücksicht auf die Muslime im Land und die amerikanischen Ölinteressen entschied sich die Regierung dann zu einer Personalisierung von Amerikas Feinden. Man kämpfte fortan eben gegen die Al-Quaida und Osama bin Laden in Afghanistan, nicht gegen den Islam im eigenen Lande. Die Achse des Bösen, so dachten die Strategen in Washington, dürfe keinesfalls durch Amerika verlaufen.
Vor allem aber ist das Bild, welches sich der durchschnittliche Amerikaner vom Islam macht, beinahe ausschließlich durch die Black Muslims geprägt. Vom Facetten- und Traditionsreichtum des Islams als Weltreligion versteht man in Amerika nicht viel.
Dies ist einer der wesentlichen Hintergründe, die bei der Suche nach Antworten auf jene Fragen, die der 11. September aufgeworfen hat, beachtet werden müssen. Keinesfalls darf der Fehler gemacht werden, den Islam als einheitliche, in sich ruhende Bewegung zu betrachten. Der in Afghanistan und Pakistan praktizierte Islam lässt sich nur schwer vergleichen mit seiner wahhabitischen Spielart in Saudi-Arabien. Die Warlords in Afghanistan und auch ihre früheren Gegner, die Taliban, vertraten und vertreten keine religiösen Programme im eigentlichen Sinne und ihre Gebote umfassen zwar eine Menge von praktischen Verhaltensregeln, doch kann man diese strenge Gesetzlichkeit nicht als spezifisch islamisch bezeichnen. Die von den afghanischen Stammesverbänden gestützten Warlords vertreten keineswegs die islamischen Interessen der Umma, sondern ihre eigenen, stammesgeschichtlich erworbenen Rechte. Zu denen gehört auch das Tragen von Waffen und deren Anwendung zur Durchsetzung jedweder Ziele. Doch dies mit der Essenz des Islams zu verwechseln, wäre ein Trugschluss.
Das gleiche gilt für einen pauschalen Terrorismusverdacht gegenüber islamischen Ländern. Verstöße gegen das Völkerrecht oder die Missachtung bzw. Vergewaltigung anderer Völker werden durch das Völkerrecht geahndet, ihm haben auch die islamischen Staaten zugestimmt. Der mühselige Weg islamischer Staaten in die religiös emanzipierte Völkergemeinschaft sollte nicht durch Beispiele von Missachtung des Völkerrechts durch andere Großmächte blockiert werden.
Vernunft und Erfahrung gebieten, das Desaster vom 11. September 2001 zu entmythisieren, es zu rationalisieren, auch wenn der Vorrat von Emotionen und Vorurteilen noch lange nicht aufgebraucht sein sollte. Zu den Emotionen und Vorurteilen in den USA gehört auch das einheimische Bild vom Islam, wie es die Black Muslims geschaffen haben. Es ist ein typisch amerikanisches Bild, das Europäer nicht teilen müssen. Man wird weiterhin darauf bestehen müssen, dass Weltpolitik nicht Innenpolitik der USA und das Völkerrecht etwas anderes ist als die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und die auf ihr errichteten Gesetze.