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Wie die Themen der Rechten zu Themen der Mitte werden

vorgänge16009/2024Seite 86-93

Nach einer wahren Publikationsflut zum Thema „Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt“ wurde es in jüngster Zeit um das Problem wieder erschreckend ruhig. Darin spiegelte sich das aufgrund des Bombenanschlags in Düsseldorf am 27. Juli 2000 nur vorübergehend gestiegene Interesse der (medialen) Öffentlichkeit an diesem Problemkreis wider. Wenn man allerdings genauer hinschaut, stellt sich ohnehin heraus, dass der Rechtsextremismus, überwiegend als „Rand-“ oder „Jugendproblem“ relativiert, seine Verwurzelung inmitten der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft ignoriert und auch nicht erkannt wird, dass diese davon in gewisser Weise profitiert. Sofern der Mainstream in Politik, Medien und Forschung die Opfer zu Verursachern rechter, fremdenfeindlicher Gewalt erklärt, liefert er nicht zuletzt Vorwände für einen restriktiven Zuwanderungskurs. Will man den davon ausgehenden Gefahren erfolgreich begegnen, muss die „Mitte“ an ihre politische Verantwortung für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft erinnert und es muss gezeigt werden, wo die eigentlichen Ursachen für rassistische Ausgrenzungspraktiken liegen.

Argumentationsmuster rechter bzw. rechtsextremer Strömungen beziehen sich häufig auf Diskurse der Mitte und versuchen, diese in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Die Mitte wiederum greift zunehmend Problemstellungen auf, die zunächst in ultrarechten Kreisen erörtert worden sind, weshalb es immer mehr Überlappungen zwischen Themen der Rechten und jenen der Mitte gibt. Trotz ihrer miserablen Ergebnisse bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 (NPD: 0,4 Prozent, REPublikaner: 0,6 Prozent, Schill-Partei: 0,8 Prozent der Zweitstimmen) beeinflussen die rechtsextremen bzw. -populistischen Parteien, von denen sich alle etablierten Konkurrenten beinahe rituell und reflexartig distanzieren, zumindest indirekt öffentliche Diskurse, den Inhalt politischer Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse sowie das gesellschaftliche Klima.

Die Umdeutung des Rechts­ex­tre­mismus zu einem „Rand-“ oder „Jugend­pro­blem“

Politiker/innen und Publizist(inn)en begegnen dem Problem eines zunehmend offener, offensiver und brutaler agierenden Rassismus bzw. Nationalismus fast ausschließlich ereignisfixiert, sensationslüstern und entweder banalisierend oder hysterisierend. Nicht ihre häufig spürbare moralische Empörung über furchtbare Gewalttaten ist fragwürdig, wohl aber der vielfach unreflektierte und opportunistische Umgang damit. Diskussionen über Angriffe auf Migrant(inn)en oder Demokrat(inn)en sind keineswegs frei von widersprüchlichen Deutungen, Verkürzungen und Bemühungen um eine politische Instrumentalisierung, wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, dass in der politischen wie der Fachöffentlichkeit häufiger Entschuldigungen als Erklärungen für rassistische Gewalttaten gesucht werden (vgl. Butterwegge 2001).

Im Mittelpunkt des Interesses stehen nach wie vor Themenkomplexe wie „Jugendgewalt“, fremdenfeindliche Übergriffe und Hetzjagden, antisemitische Vorfälle (z.B. die Schändung jüdischer Friedhöfe und von Synagogen) oder die Forderung nach einem Verbot der NPD. Weitgehend unberücksichtigt bleiben hingegen die politisch-sozialen Strukturbedingungen für Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus. Eine monokausale Reduzierung des Problems auf seine verfassungsrechtlichen oder jugend- bzw. gewaltspezifischen Aspekte verengt den Blick auf sichtbare Phänomene und verhindert so, dass analytische Erkenntnisse in Bezug auf die Ursachen des Rechtsextremismus gewonnen werden.

Rechtsextremismus wird als Randphänomen im doppelten Wortsinn – als Problem marginalisierter Gruppen einerseits und als politische Marginalie andererseits – oder sogar als Protestphänomen behandelt, das sich gegen die ganze Gesellschaft, ihre Führungskräfte bzw. den parlamentarisch-demokratischen Staat richtet (vgl. Butterwegge 2002: 112 ff.). Dadurch entlastet sich die Mitte und delegiert die Verantwortung für „extremistische Auswüchse“ oder rechte, „fremdenfeindliche“ Gewaltexzesse an „die Jugend“ oder „die Skinheads“. Sie selbst trifft folglich keine Schuld an rechtem Terror und rassistischen Übergriffen mehr, die zu einer bloßen „Abwehrreaktion“ sozial benachteiligter Gruppen am untersten Ende der Schichtungshierarchie entschärft werden.

Neben dem rechtsextremen Parteienspektrum avancierte in der öffentlichen Debatte die so genannte Skinhead-Szene zum Identifikationsobjekt für Ansätze zur Erklärung der Rechtsentwicklung. Die gesellschaftlichen Ethnisierungstendenzen wurden allerdings nicht kritisch analysiert, sondern durch die öffentliche Fokussierung auf das Thema „Jugend und Gewalt“ in den Hintergrund gedrängt. Zitiert sei hier nur eine Zeitungsmeldung, die suggeriert, es handle sich lediglich um eine Modifikation unpolitischer, an Phänomene im Tierreich erinnernde Rivalitäten in der männlichen Adoleszenz: „,Revierkämpfe‘ wurden unter Heranwachsenden auch in früherer Zeit zuweilen mit den Fäusten ausgetragen. Doch wenn aus ,Langeweile, Frust und Hass‘ geschlagen, getreten oder gar getötet wird, dann sind Tabugrenzen überschritten, taugen alte Maßstäbe nicht zur Erklärung.“ (Weser-Kurier v. 29.1.2001)

Die demokra­ti­sche Mitte als „blinder Fleck“ der Extre­mis­mus­for­schung

Eine ähnliche Reduktion spiegelt sich auch in den Bewertungen des Verfassungsschutzes wider. Beispielsweise erklärte Ernst Uhrlau, damals Direktor des Hamburger Landesamtes: „Wegen der Aggressivität der von der Musik und den Texten erzeugten Stimmung können bei den Konzerten gerade politisch noch nicht eindeutig festgelegte Skins leicht rekrutiert und für Aktionen gegen einen personifizierten Gegner gewonnen werden.“ (Uhrlau 1993: 166) Mit solchen Begründungen könnten genauso gut Anhänger/innen international bekannter Rockgruppen wie der Rolling Stones als „extremistisch“ gebrandmarkt werden.

Ob radikal gegen rechts oder militant rassistisch – aus Sicht der politikwissenschaftlichen Extremismusforschung werden linke und rechte Szenen ungeachtet ihrer politischen Wertmaßstäbe gleichgesetzt. Im Zentrum einer solchen ideologisch motivierten Zuschreibung steht der Verweis auf ein den „politischen Rändern“ gleichermaßen zugeordnetes Gewaltpotenzial. Rassistische Gewaltakte werden zu willkürlichen Ereignissen und systematisch verharmlost: „Die ,Szene‘ der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Skinheads entwickelte überwiegend keine formalisierten Organisationsstrukturen, sondern bestand aus lockeren Cliquen ohne Programmatik und Planung. Fremdenfeindliche Anschläge geschahen zumeist spontan und unter Alkoholeinfluß.“ (Backes 1998: 33)

In solchen Ausführungen paart sich Bagatellisierung mit glatten Unwahrheiten. Denn neben dem Phänomen alltäglicher rassistisch motivierter Gewalt ohne organisierten politischen Bezugsrahmen weisen diverse in so genannten Freien Kameradschaften organisierte rechtsextreme Skinheadszenen und andere Gruppen, etwa die „Hammerskins“, sowohl straffe Organisationsstrukturen als auch einen programmatischen NS-Bezug auf. Neonazistische Rechtsrock-Netzwerke wie „Blood & Honour“ oder militante Neonazi-Gruppen wie die „Skinheads Sächsische Schweiz“ (SSS) wurden daher verboten. Bei der zuletzt genannten Vereinigung handelte es sich um eine Terrorgruppe, die Waffen und Sprengstoff besaß; sie rekrutierte sich nicht etwa aus „Modernisierungsverlierern“, sondern aus „angesehenen Bürgern“ – vom Handwerksmeister über den Bankkaufmann bis zum Gemeinderat (vgl. Carstens 2000). Unter der Überschrift „Nazis aus der Mitte der Gesellschaft“ schrieb Peter Gärtner (2001) in der Hersfelder Zeitung: „Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft und gehen ganz normalen Berufen nach.“

Die wissenschaftliche Konzentration auf die Extreme lenkt von der Mitte und ihrer Verantwortung für die politische Entwicklung des Landes ab. Extremismusforscher/innen blenden den historischen Entstehungszusammenhang und die Rolle des Staates bei der Entwicklung von Rechtsextremismus aus. Sie kritisieren Personen, Organisationen und Ideologien, ignorieren aber die Reaktion von Institutionen. „Das von der konventionellen Extremismusforschung übernommene Begriffspaar Demokratie/Extremismus setzt voraus, daß die Institutionen sich ,demokratisch‘ verhalten gegenüber dem ,antidemokratischen‘ Extremismus. Praktisch wird dieser empirisch zweifelhafte Zusammenhang jedoch kaum thematisiert.“ (Jaschke 1991: 46)

Extremismustheoretiker behandeln den Rechts- wie den Linksextremismus primär als Gegner der politischen bzw. Staatsordnung, nicht als ein soziales Phänomen, das in der Gesellschaft wurzelt. Sie setzen auf eine „wehrhafte Demokratie“, die Extremisten von links und rechts nicht an ihrem Engagement hindern, aber aus dem politischen Machtzentrum heraushalten soll; eine Maßgabe, die sich schon angesichts der in Europa seit den 1990er Jahren entstandenen Bündnisse zwischen den Volksparteien und rechtspopulistischen, separatistischen oder auch rechtsextremen Strömungen als kontraproduktiv erwiesen hat. „Extremismus“-Forscher geben sich sachlich-objektiv, rein wissenschaftlich und nüchtern-neutral; ihre Relativierungen dienen aber vielfach nicht nur der Diskreditierung antifaschistischen Engagements, sondern auch der Abwehr von Kritik an strukturellem Rassismus. In einem solchen argumentativen Kontext werden institutionelle Einschränkungen von Minderheits- und Bürgerrechten als notwendig zum Schutz vor Rechtsextremismus interpretiert. Dass neben den Publikationen des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz auch die Ergebnisse der Extremismusforschung ganz eindeutig politisch motiviert sind, zeigt die Kooperation ihrer führenden Repräsentanten mit Rainer Zitelmann, einem Wortführer der so genannten Neuen Rechten, auf die Wolfgang Wippermann (2000: 24f.) hinweist. Solche Allianzen sind es auch, die aus Wippermanns Perspektive die ganze Forschungsrichtung unter Ideologieverdacht stellen.

Umstritten ist auch die von Seymour Martin Lipset 1958 geprägte Bezeichnung „Extremismus der Mitte“ (vgl. dazu: Kraushaar 1994), weil sie zwar auf die soziale Basis des Phänomens bzw. auf die bürgerliche Herkunft seiner Hauptprotagonisten verweist, jedoch seine Richtungsbezogenheit und die Wechselbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherie negiert. Termini wie „Extremismus der Mitte“, „Rechtspopulismus“ oder „Neue Rechte“ dokumentieren die zunehmende Unsicherheit der (Fach-)Öffentlichkeit in Bezug auf Wesen, Wurzeln und Ausdrucksformen eines sich wandelnden Phänomens.

Rechts­ex­tre­mismus als Problem der gesell­schaft­li­chen Mitte

In der Fachdiskussion wird verbal zunehmend anerkannt, dass Fremdenfeindlichkeit, Rassismus bzw. rechtsextreme Tendenzen, wie sie hierzulande feststellbar waren und sind, nicht losgelöst von Diskursen der Mitte begriffen werden können. Exemplarisch sei nur die häufig zitierte Bemerkung Wilhelm Heitmeyers genannt, Rechtsextremismus entwickle sich „aus der Mitte der Gesellschaft“ heraus. Bezogen auf die im Sommer 2000 geführte Debatte über den organisierten Rechtsextremismus, seine Ursachen und Erfolg versprechende Gegenstrategien stellte Heitmeyer (2000: 10) fest: „Die aktuelle Diskussion ist defensiv und hechelt den rechtsextremen Gruppen hinterher. Man setzt am Ende der Entwicklungsprozesse von menschenfeindlichen Einstellungen an, die in die Wählerschaften der demokratischen Parteien hineinragen und auf die man bei knappen Wahlentscheidungen angewiesen ist.“

Was bedeutet die Feststellung, dass der Rechtsextremismus in der gesellschaftlichen Mitte wurzelt, für seine Erforschung? Einen wichtigen Hinweis zur Beantwortung dieser Frage verdanken wir Thomas Herz (1993: 246): „Man muß die Eliten in den Blick nehmen.“ Führungsgruppen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung prägen durch die Art ihres Denkens und Handelns nicht nur das geistige Klima eines Landes, sondern beeinflussen auch die Entwicklung des öffentlichen Lebens und der außerparlamentarischen Kräfte ganz entscheidend. Unter Berufung auf Pierre Bourdieu schreibt Herz (ebd.: 247) weiter: „Da politische Kultur öffentlich ist und kollektive Geltung besitzt, kommt es für die Forschung darauf an, die ,Wort-Führer‘ in den Blick zu nehmen.“

Ethnisierende Zuschreibungen und nationalistische Positionen finden auch in der gesellschaftlichen Mitte verstärkt Resonanz. Daher hat der viel beschworene „Konsens der Demokraten“ gegen den grassierenden Rechtsextremismus auch eine problematische Note. Denn die dringend notwendige Abwehr von Rechtsextremismus, Rassismus und Nationalismus kann nur Wirkung zeigen, sofern die Bekämpfung seiner strukturellen Ursachen nicht vernachlässigt wird. Wenn es allerdings um die eigene Mitverantwortung an exzessivem Rassismus sowie Auswüchsen rechtsextremer Militanz geht, wandelt sich der öffentlich proklamierte Antifaschismus der etablierten Politik zu völliger Ignoranz bzw. Verweigerung: „Ich halte nichts von der These, dass der Extremismus aus der Mitte kommt“, bekundete etwa Innenminister Schily, von der Zeit danach gefragt, ob das Gerede über die „deutsche Leitkultur“ die Übergriffe auf Ausländer mit hervorbringe und dem Rechtsextremismus Vorschub leiste

Wie die Mitte und Nationalkonservative, welche sich ihr zugehörig fühlen, jede Urheberschaft im Hinblick auf eine längst „normal“ gewordene rassistische Alltagsrealität leugnen und stattdessen linke Parteien oder Protestbewegungen für schuldig erklären, entbehrt nicht grotesker Züge. So macht der Konstanzer Erziehungswissenschaftler Wolfgang Brezinka (1995: 10f.) die Außerparlamentarische Opposition der 1960er Jahre und ihre Nachwirkungen auf das Bildungswesen für den aktuellen Rechtsextremismus verantwortlich: „Alle höheren Ideale wurden herabgesetzt; Ehrfurcht, Treue, Unterordnung, Gehorsam und selbstlose Dienstbereitschaft sind verspottet worden. Die folgenreichste Veränderung für die normative Kultur aber war das Absterben des christlichen Glaubens, der ,Tod Gottes‘ im Bewußtsein der meisten Menschen. Damit ist die stärkste Quelle für Geborgenheit und Grundvertrauen, für moralische Anstrengungsbereitschaft und für sicheres Rechts- und Unrechtsbewußtsein versiegt.“

Rechtsextremismus, das zeigen diese Erklärungen, wird – herausgelöst aus seinem politischen und gesamtgesellschaftlichen Kontext – als etwas „Fremdes“ begriffen. „Rechts“ oder „rechtsextrem“ sind demnach nur „die Ewiggestrigen“ oder „die gewaltbereiten Jugendlichen“, „die Skinheads“ oder Parteien wie die NPD. Auf solche wahrnehmbaren – besser: nicht mehr zu übersehenden – Erscheinungsformen des Rechtsextremismus beschränkt sich die öffentliche und institutionelle Auseinandersetzung mit ihm. Massenmedien beziehen sich dabei meist auf besonders spektakuläre Vorfälle oder Gewaltverbrechen, um mittels dämonisierender Berichterstattung in entpolitisierender Form die „Abartigkeit“ und „Andersartigkeit“ der Rechtsextremisten hervorzuheben. Eine solche Entpolitisierung der Debatte drängt die strukturellen Bedingungen von Entstehung bzw. Entfaltung rassistischer Haltungen und für deren systematische Verbreitung in den Hintergrund.

Zuwan­de­rungs­dis­kurse: Täter/Op­fer-Um­keh­rungen im Zeitalter der Globa­li­sie­rung

Zugleich werden Bedrohungsszenarien im Kontext von Zuwanderung entworfen, die Ressentiments und Abwehrhaltungen gegenüber Arbeitsmigrant(inn)en und Flüchtlingen erzeugen. Dabei ist es gerade die Umdeutung sozioökonomischer Krisenprozesse in ethnische Konfliktkonstellationen, welche dem Rassismus argumentativ Nahrung gibt. Hier spielt die Boulevardpresse eine besonders unrühmliche Rolle, aber auch Journalist(inn)en der seriösen Medien werden ihrer Verantwortung nicht gerecht (vgl. Butterwegge/Hentges 2001). Wellen rassistisch motivierter Gewalt und rechtsextremer Anschläge stehen im Zusammenhang mit der öffentlichen Diskussion um Zuwanderung, „Asylmissbrauch“ und „Ausländerkriminalität“. Rechte Straftäter können sich – teilweise nicht ohne Grund – als Vollstrecker eines breit bekundeten „Volkswillens“ fühlen, was durch entsprechende Erklärungen und Stellungnahmen etablierter Politiker unterstrichen wird. Die immer wieder behauptete Weltoffenheit scheint auf für den „eigenen“ Wirtschaftsstandort bzw. die nationale Kapitalakkumulation „nützliche“ Migrant(inn)en beschränkt zu sein; den oft als „Sozialschmarotzer“ oder „Parasiten“ diffamierten Asylbewerber(inne)n schlägt jedoch eine wachsende Ablehnung entgegen.

Für die Eskalation rechter Aggression wurden teilweise nicht die Täter, sondern die Opfer von Brandanschlägen und Übergriffen auf Migrant(inn)en selbst verantwortlich gemacht. So schrieben Fachwissenschaftler/innen, nachdem sie mehrere Erklärungsmuster für fremdenfeindliche Gewalt empirisch getestet hatten: „Die Gewalt hat etwas mit unverarbeiteten Einwanderungsschüben zu tun. Eine singuläre Situation, nämlich die Überforderung der Kommunen durch zwei sich überlappende Einwanderungswellen (der Aussiedler und der Asylbewerber) hat zu Konflikten geführt, die nun in einer zweiten Phase die Konstitution einer fremdenfeindlichen Bewegung in Deutschland möglich machen.“ (Willems u.a. 1998: 212) Werner Bergmann (1994: 184) sah Versuche zur „Protestmobilisierung von rechts“ gleichfalls in eine soziokulturelle Bewegung münden, die sich aus der persönlichen „Erfahrung von Fremdheit im Zuge massenhafter Migrationsprozesse“ speise.

Die im Zeichen der Globalisierung eher noch zunehmende Migration erscheint nicht als Auslöser, sondern als Ursache gewalttätiger „Abwehrreaktionen“, denen in Wahrheit die Mobilisierung entsprechender Ressentiments durch Medien und etablierte Politik vorausgingen. So hat Anne Claire Groffmann (2001: 67) im Rahmen ihrer Analyse der kampagnenartig zugespitzten Asyldiskussion 1991/92 überzeugend nachgewiesen, dass die jugendlichen Gewalttäter von der Union und ihren publizistischen Helfern in doppelter Hinsicht funktionalisiert wurden: „Zum einen dienten sie als Beweis dafür, wie die Zuwanderung die Bevölkerung in eine Notlage gebracht habe. Zum anderen lenkte die starke Stigmatisierung von der inhaltlichen Nähe ab und stellte eine scheinbar klare Distanz zwischen den Argumenten der Unionsparteien und den Taten der Jugendlichen her.“

Jens Alber (1995: 64) hebt die Verantwortung der etablierten Parteien und Politiker für die Akzeptanz von Arbeitsmigrant(inn)en und Flüchtlingen hervor: „Ausländerfeindliche Einstellungen wachsen nicht automatisch auf der Basis von Zuwanderung, sondern entstehen in einem politischen Klima, zu dem die politischen Eliten ganz wesentlich beitragen. Jürgen Fijalkowski (1996: 221) weist die von vermehrter Migration auf zunehmende Fremdenfeindlichkeit und Gewalt schließende Kausalkette gleichfalls zurück: „Die Ideologen und Täter eines ausländerfeindlichen Rechtsextremismus benennen die Zuwanderung und ihre Folgen zwar selbst gern als Motiv und Rechtfertigung ihres Verhaltens. Aber man muss einen Unterschied zwischen Geschehnisverursachungen und ideologiekritisch zu betrachtenden Rechtfertigungsversuchen machen.“

Die rechtsextreme Propaganda solcher Parteien wie der NPD, der DVU oder der REPublikaner und rassistisch motivierte Gewalttaten, über die nur noch selten berichtet wird, vollziehen sich in einem gesellschaftlichen Klima, das durch Horrormeldungen über den demografischen Wandel (angebliche „Vergreisung“ und Schrumpfung der Bevölkerung) einerseits sowie eine Auseinandersetzung über Formen der Zuwanderung und des interkulturellen Zusammenlebens andererseits geprägt ist (vgl. dazu: Butterwegge u.a. 2002). In der öffentlichen Debatte darüber droht die Gefahr einer Ethnisierung sozialer Beziehungen und ökonomischer Konflikte (vgl. Bukow 1996). Typisch hierfür waren Diskussionen um die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts („Doppelpass“), um Initiativen zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte („Green Card“) sowie um die von Zuwanderern erwarteten Integrationsleistungen (Anpassung an die „deutsche Leitkultur“).

Auch die Kontroversen um das am 1. März 2002 vom Bundestag und drei Wochen später vom Bundesrat beschlossene Zuwanderungsgesetz, welche mit seiner Unterzeichnung durch das Staatsoberhaupt am 20. Juni 2002 noch lange nicht beendet waren, sondern sich besonders in der Schlussphase des Wahlkampfes fortsetzten, spielten weiterhin eine Schlüsselrolle (vgl. dazu: Reißlandt 2002). Dabei wurde das Schlüsselthema „Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ in demagogischer Manier mit dem „Ausländerproblem“ verkoppelt. Besonders perfide war ein Plakat des Leverkusener CDU-Vorsitzenden und Bundestagskandidaten Helmut Nowak, das die platte Doppelforderung zierte: „Weniger Zuwanderung! Mehr Arbeitsplätze!“

In der Boulevardpresse erschien Zuwanderung gleichfalls überwiegend als Bedrohung und Belastung für „die Deutschen“. Man brachte sie mit Arbeitsplatzverlust, „Überfremdung“ Wohnungsknappheit, (Gewalt-)Kriminalität und Sozialleistungsmissbrauch in Verbindung. Bedeutsam war dabei die Komposition von Artikeln, Kommentaren und Berichten. BILD platzierte zum Beispiel am 9. Juli 2002 die Meldung, dass die Zahl der Arbeitslosen im Monat davor wieder auf knapp 4 Millionen gestiegen war, und einen Bericht über den drohenden Bankrott des Maschinenbaukonzerns Babcock-Borsig („Jetzt stehen rund 13.500 deutsche Jobs auf dem Spiel.“) direkt unter der Ankündigung eines Streitgesprächs zwischen den beiden Spitzenkandidaten zu mehreren Themen mit der Überschrift „Schröder und Stoiber im Duell bei BILD: Wie viele Ausländer sind genug?“ Neben einer schwarzen Bikini-Schönheit ging da die Kurzmeldung „Weniger Asylbewerber“ über einen Rückgang von 11,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr nahezu unter.

Oft unterschieden sich die Stellungnahmen rot-grüner Spitzenpolitiker nicht wesentlich von denen prominenter Christdemokraten. So verteidigte Otto Schily eine Anzeigenserie der Bundesregierung, die Zuwanderung eng mit dem Zwang zur Begrenzung und Verringerung in Verbindung brachte, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 27. Juni 2002 mit folgender Begründung: „Eine unbegrenzte Zuwanderung kann das Land nicht verkraften. Deshalb ist es auch falsch zu behaupten, wir könnten die demographische Lücke einfach durch Zuwanderung auffüllen.“ Gleichzeitig wandte sich Schily dagegen, durch die staatliche Förderung des Erwerbs der Herkunftssprache „irgendeine neue Minderheit in Deutschland“ zu schaffen, und warnte vor sonst möglicherweise entstehenden „Parallelgesellschaften“. Als „beste Form der Integration“ bezeichnete der alte und neue Bundesinnenminister – damit noch hinter seinen bayerischen Fachkollegen Günther Beckstein zurückfallend – die Assimilation, worunter er „eine gewisse Anpassung und Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse“ versteht: „Die Türken müssen hineinwachsen in unseren Kulturraum.“ Davon, dass Integration „keine Einbahnstraße“ ist, sondern eine Herausforderung für die Aufnahmegesellschaft, war kaum mehr die Rede.

Literatur

Alber, Jens 1995: Zur Erklärung von Ausländerfeindlichkeit in Deutschland; in: Mochmann, Ekkehard/Gerhardt, Uta (Hg.): Gewalt in Deutschland. Soziale Befunde und Deutungslinien, München, S. 39-77

Backes, Uwe 1998: Rechtsextremismus in Deutschland. Ideologien, Organisation und Strategien; in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament 9/10, S. 27-35

Bergmann, Werner 1994: Ein Versuch, die extreme Rechte als soziale Bewegung zu beschreiben; in: Ders./Erb, Rainer (Hg.): Neonazismus und rechte Subkultur, Berlin, S. 183-207

Brezinka, Wolfgang 1995: Gewalt, Staat und Erziehung; in: Pädagogische Rundschau 1/1995, S. 3-17

Bukow, Wolf-Dietrich 1996: Feindbild: Minderheit. Zur Funktion von Ethnisierung, Opladen

Butterwegge, Christoph 2001: Entschuldigungen oder Erklärungen für Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt? Bemerkungen zur Diskussion über die Entstehungsursachen eines unbegriffenen Problems; in: Ders./Lohmann, Georg (Hg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, 2. Aufl., Opladen, S. 13-36

Butterwegge, Christoph/Hentges, Gudrun 2001: „Ausländer und Asylmissbrauch“ als Medienthema: Verantwortung und Versagen von Journalist(inn)en; in: Ders./ Lohmann, Georg (Hg.): Jugend, Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, 2. Aufl. Opladen, S. 83-99

Butterwegge, Christoph 2002: Rechtsextremismus, Freiburg i. Br./Basel/Wien

Butterwegge, Christoph u.a. 2002: Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein, Opladen

Carstens, Peter 2000: Die angesehenen Bürger von den ‚Skinheads Sächsische Schweiz‘; in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 30.6.

Fijalkowski, Jürgen 1996: Transnationale Migration und Rechtsradikalismus; in: Falter, Jürgen W./Jaschke, Hans-Gerd/Winkler, Jürgen R. (Hg.): Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektiven der Forschung, Opladen (PVSSonderheft 27), S. 221-231

Gärtner, Peter 2001: ‚Skinheads Sächsische Schweiz‘: Nazis aus der Mitte der Gesellschaft; in: Hersfelder Zeitung v. 6.4.

Groffmann, Anne Claire 2001: Das unvollendete Drama. Jugend- und Skinheadgruppen im Vereinigungsprozeß, Opladen

Heitmeyer, Wilhelm 2000: Rechts kommt nicht aus dem Nichts; in: SozialExtra 9/2000, S. 10f.

Herz, Thomas 1993: Politische Kultur im neuen Staat. Eine Kritik der aktuellen Forschung; in: PROKLA 91, S. 231-250

Jaschke, Hans-Gerd 1991: Streitbare Demokratie und Innere Sicherheit. Grundlagen, Praxis und Kritik, Opladen

Kraushaar, Wolfgang 1994: Extremismus der Mitte. Zur Geschichte einer soziologischen und sozialhistorischen Interpretationsfigur; in: Lohmann, Hans-Martin (Hg.): Extremismus der Mitte. Vom rechten Verständnis deutscher Nation, Frankfurt/M., S. 23-50

Reißlandt, Carolin 2002: Kontroversen über Zuwanderung: Migrations- und Integrationspolitik unter neuen Vorzeichen?; in: Christoph Butterwegge u.a. (Hg.): Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein, Opladen, S. 11-42

Uhrlau, Ernst 1993: Gefahr von rechts; in: Kursbuch 113 (1993), S. 160-171

Willems, Helmut/Würtz, Stefanie/Eckert, Roland 1998: Erklärungsmuster fremdenfeindlicher Gewalt im empirischen Test; in: Eckert, Roland (Hg.): Wiederkehr des ‚Volksgeistes‘? Ethnizität, Konflikt und politische Bewältigung, Opladen, S. 195-227

Wippermann, Wolfgang 2000: „Doch ein Begriff muß bei dem Worte sein“. Über „Extremismus“, „Faschismus“, „Totalitarismus“ und „Neofaschismus“; in: Jäger, Siegfried/Schobert, Alfred (Hg.): Weiter auf unsicherem Grund. Faschismus – Rechtsextremismus – Rassismus. Kontinuitäten und Brüche, Duisburg, S. 21-47 .

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