Publikationen / vorgänge / vorgänge Nr. 160

Gerhard Szczesny

Gerhard Szczesny ist tot. Er starb in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober im Alter von 84 Jahren in München. Die vorgänge trauern damit um ihren Gründungsverleger. Denn Szczesny war nicht nur der Initiator der HUMANISTISCHEN UNION (HU), sondern auch der Begründer dieser Zeitschrift, die von 1962 bis 1968 in seinem Münchner Verlag erschien.

Szczesny wurde 1918 in Sallewen/Ostpreußen geboren. Von 1937 bis 1941 studierte er Philosophie, Literaturgeschichte und Publizistik in Königsberg, Berlin und München. Zwischen 1941 und 1945 diente er als Soldat an der Ostfront. Bevor er sich 1963 mit dem Szczesny-Verlag selbständig machte, war er Leiter des Nachtstudios (ab 1947) und später des Sonderprogramms (bis 1962) des Bayrischen Rundfunks. Damit war der liberale Freigeist einer der wenigen Linken in der Adenauer-Ära, die eine Schlüsselstellung im kulturellen Leben der jungen Bundesrepublik innehatten.

In einem offenen Brief vom 6. Juni 1961 wandte sich Szczesny an rund zweihundert Persönlichkeiten des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens der Bundesrepublik und forderte sie zur Gründung der HUMANISTISCHEN UNION auf. In seinem Aufruf führte Szczesny aus: Es werde, ob offen oder versteckt, der Versuch unternommen, eine Gesellschaft, die nur zu einem Teil aus gläubigen Christen bestehe, dem totalen Machtanspruch einer christlichen Sprach-, Denk- und Verhaltensregelung zu unterwerfen. Die im Grundgesetz der Bundesrepublik verankerten Rechte der freien Persönlichkeitsentfaltung, der Glaubens-, Gewissens-, und Bekenntnisfreiheit, der freien Meinungsäußerung, Information und Forschung seien längst durch eine christlichkonfessionalistische Regierungspraxis ausgehöhlt, wenn nicht außer Kraft gesetzt worden. Es sei an der Zeit, jenen Bürgern, denen an der Verwirklichung eines freiheitlichen, pluralistischen Staatswesens gelegen sei, eine Betätigungsplattform zu bieten. Dies schließe Christen mit ein, die die Ideologisierung und Politisierung ihres Glaubens für eine unheilvolle Sache hielten (vgl. vorgänge 1/1962, Beilage).

Schon ein Jahr später hob Szczesny auch die vorgänge aus der Taufe. Die erste Ausgabe erschien im Juni 1962 und führte den Untertitel „Eine kulturpolitische Korrespondenz, herausgegeben von Dr. Gerhard Szczesny in Verbindung mit der HUMANISTISCHEN UNION“. Der Verleger schrieb damals: „Wer diese erste Nummer unserer Korrespondenz durchblättert, wird sich rasch darüber Klarheit schaffen können, ob das, wogegen wir zu Felde ziehen, auch tatsächlich vorhanden ist. Der im vergangenen Jahrhundert und in einer längst nicht mehr gegebenen politisch-kulturpolitischen Situation in Umlauf gekommene Begriff ‚Klerikalismus‘ ist allerdings eher geeignet, die gegenwärtigen Missstände zu verschleiern als zu enthüllen (und wurde wohl gerade darum zum scholastischen Streitobjekt…). Heute geht es nicht so sehr um die unmittelbare politische Einflussnahme des Klerus als vielmehr um die mannigfachen Aktivitäten von Funktionären konfessioneller Verbände, die die Bundesrepublik durch die Eroberung gesellschaftlicher Machtpositionen glaubensmäßig auf Vordermann bringen und um die eifrigen Machenschaften ‚christlicher‘ Parteipolitiker, die sie durch glaubensmäßige Gleichschaltung gesellschaftlich restaurieren wollen.“

Mit diesen Sätzen ist Szczesnys politisches Programm klar umrissen: Der Philosoph und Schriftsteller war ein Republikaner, der für Glaubensfreiheit, kulturpolitische Liberalität und freien intellektuellen Diskurs eintrat. Den späteren Wandel der HUMANISTISCHEN UNION zur Bürgerrechtsorganisation und der vorgänge zu ihrem Theorieorgan konnte und wollte er nicht nachvollziehen.

Trotz dieser zunehmenden gegenseitigen Entfremdung blieben gegenseitige Wertschätzung und Respekt erhalten. Zuletzt gewährte Szczesny den vorgängen im Jahr 2001 ein Interview, in der er sein Verhältnis zu HU und vorgängen im versöhnlichen Ton reflektierte (vgl. vorgänge 155: „40 Jahre Bürgerrechtsbewegung“, Heft 3/2001, S. 33f.).

Am 5. November wurde Gerhard Szczesny im Kreis seiner Familie in München beigesetzt.

Gerhard Szczesny, Siegfried Unseld, Rudolf Augstein: „Was die drei ausgezeichnet hat […], das ist die Obsession, eine Wiederholung der politischen Katastrophe, die man in der Jugend erlebt hat, mit aller Energie vermeiden zu helfen. Das hat zu diesen besonderen Leistungen geführt. Derlei wird nicht zu wiederholen sein“. (Günter Grass)

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