Dokumentation: Aufrufe und Petitionen zum Russland-Ukraine-Krieg
Die Waffen nieder! Deeskalation jetzt!
Der Angriffskrieg von Wladimir Putin und die Invasion russischer Truppen stellen eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar. Wir begrüßen die Resolution der UN-Vollversammlung vom 2. März 2022, die den russischen Einmarsch auf das Schärfste verurteilt und Putin zum Ende seiner Aggression aufgefordert hat.
Wir brauchen jetzt einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine. Es darf keinen Abbruch diplomatischer Beziehungen geben, die Gesprächskanäle müssen offen bleiben. Wir appellieren an die Bundesregierung, auf alle Maßnahmen zu verzichten, die eskalierend wirken können. Russland muss seine russischen Truppen vollständig aus der Ukraine zurückziehen. Im Gegenzug könnte Russland ein NATO-Aufnahmemoratorium für die Ukraine zugesagt werden sowie eine Konferenz über die künftige Sicherheitsarchitektur Europas.
Unsere Solidarität und unsere Herzen gelten den Menschen in der Ukraine, die von den humanitären Folgen von Krieg und Flucht betroffen sind. Entsetzt verfolgen wir die Meldungen, wonach schon viele Zivilist*innen in der Ukraine durch direkte Angriffe getötet oder verletzt wurden. Wir befürchten zudem eine hohe Zahl von Todesfällen, die indirekt verursacht werden durch die Zerstörung der Infrastruktur: Einrichtungen des Gesundheitswesens, der Wasser- und Stromversorgung, der Kommunikationsnetze und der Transportsysteme. Hinzu kommen Vertreibungen und Fluchtbewegungen. Als Langzeitfolge des Krieges wird es in Europa erneut eine Generation mit posttraumatischen Belastungsstörungen geben, Menschen, die ihr Leben lang an ihren Kriegserlebnissen leiden. Wir treten dafür ein, dass die EU-Außengrenzen für alle Flüchtende aus der Ukraine geöffnet werden, unabhängig von Hautfarbe, Staatsangehörigkeit und Identität und ohne rassistische Zurückweisung. Männer im wehrfähigen Alter, sei es aus Russland, Belarus und Ukraine, die den Kriegsdienst verweigern, müssen einen Aufenthaltsstatus zum vorübergehenden Schutz erhalten.
Der Angriff auf die Ukraine ist unentschuldbar. Und doch müssen wir überlegen, wie wir die Zukunft gestalten. Unsere Zukunft kann nicht in einer neuen Rüstungsspirale liegen. Wir lehnen das 100-Milliarden-Sofort-Aufrüstungsprogramm für die deutsche Bundeswehr ab und fordern stattdessen mehr Mittel für Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung und eine sozial-ökologische Transformation. Eine massive Aufrüstung zieht Kraft, Ressourcen und Intellekt von den globalen Herausforderungen ab wie der Klimakrise und globaler sozialer Gerechtigkeit. Laut dem Weltklimabericht werden die Folgen der Klimakrise schneller eintreten und zerstörerischer sein als erwartet. Der Ukraine-Krieg wirft alle Klimaschutzbemühungen weit zurück. Jeder Krieg ist auch ein Verbrechen an der Umwelt.
Es steht viel auf dem Spiel: Wir sorgen uns um eine weitere atomare Eskalation. Putin hat mit einem Einsatz von Atomwaffen gedroht und bringt die Menschheit in die Nähe eines Atomkrieges. Sollte es zu einem Einsatz von Atomwaffen kommen, dann droht eine globale Katastrophe. Deshalb ist atomare Abschreckung kein Mittel der Kriegsverhütung. In einem Atomkrieg gibt es keine Gewinner. Bereits ein einziger Sprengkopf in einer Großstadt würde zu über 100.000 Toten, über einer Million Verletzten und weiträumiger Verstrahlung führen. Die gesundheitlichen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes sind katastrophal und medizinisch nicht beherrschbar – unter anderem durch die radioaktive Strahlung, die Zerstörung medizinischer Infrastruktur und dem Tod von Gesundheitspersonal. Die USA und Russland verfügen derzeit gemeinsam über mehr als 3.500 einsatzbereite Atomwaffen. In einem Atomkrieg zwischen Russland und der NATO mit dem Einsatz von vielen Atomwaffen wäre die ganze Welt betroffen; das Klima würde sich so stark verändern, dass eine Hungersnot für Milliarden von Menschen drohen würde.
Die NATO muss jetzt auf Reaktionen, die weiter eskalierend wirken, sowie Gegenmaßnahmen im nuklearen Bereich wie eine erhöhte Bereitschaft der Atomwaffen verzichten. Der Abgrund, an dem wir heute stehen, zeigt noch einmal sehr deutlich, wie dringend notwendig es ist, dass Deutschland den Atomwaffenverbotsvertrag endlich unterzeichnet und sich die Bundesregierung dafür einsetzt, dass die Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Diese Atomwaffen bieten keinen Schutz, sondern sind potentielle Ziele.
Wir sehen auch eine weitere Gefahr: Von den vier ukrainischen Atomkraftwerken mit insgesamt 15 Reaktorblöcken geht eine große Bedrohung für das Leben und die Gesundheit aus. Bei einem Unfall wären die Menschen in ganz Europa betroffen. Gefährdet sind Atomkraftwerke schon dann, wenn wegen Kampfhandlungen nur das Stromnetz lahmgelegt wird oder durch Sabotage beschädigt wird. Wenn dann auch das Notstromaggregat nicht funktioniert, kann der Reaktor nicht mehr gekühlt werden – mit gravierenden Folgen. Selbst wenn der Reaktor nur beschädigt sein sollte und abgeschaltet würde, könnte er sich durch den Verlust von Kühlwasser so stark erhitzen, dass es zu Explosionen käme wie in Fukushima. Eine zusätzliche Bedrohung geht von den Abklingbecken aus, die mit abgebrannten Brennelementen gefüllt sind.
Die Möglichkeit für Frieden in Freiheit ist nicht verloren. Solidarisieren wir uns mit dem Widerstand in Russland selbst. Tausende russische Ärzt*innen und Gesundheitsfachkräfte haben einen Appell gegen den Krieg unterzeichnet und lehnen Putins Militärangriffe in der Ukraine entschieden ab. Jeder Krieg verletzt das Menschenrecht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit in dramatischer Weise. Es ist unsere Aufgabe als Ärzt*innen und Gesundheitspersonal, Leben zu retten und vor Schaden zu bewahren. Seit 2014 hat der Krieg in der Ostukraine schon 13.000 Menschen das Leben gekostet. Drei Millionen Menschen mussten flüchten.
Zu viele Rüstungskontrollverträge wurden in den vergangenen 20 Jahren aufgekündigt, allen voran durch die USA. Diplomatische Lösungsvorschläge von Menschen aus der Friedensforschung, der Friedensbewegung sowie von ehemaligen Diplomat*innen für ein Moratorium für jegliche NATO-Bündniserweiterung verhallten ungehört. Dennoch bleiben diplomatische und völkerrechtliche Vereinbarungen, an die wir auch in dieser schwierigen Situation anknüpfen können. Eine neue europäische Friedensordnung muss die Sicherheitsinteressen Aller anerkennen. Es muss eine politische Lösung gefunden werden auf der Basis eines Konzeptes, das nicht auf Abschreckung beruht, sondern auf dem Entwurf einer gemeinsamen Sicherheit. Nur damit können große Probleme wie die Klimakatastrophe gelöst werden. Mehr denn je brauchen wir eine starke Bürger*innen und Friedensbewegung auf den Straßen. Dringend notwendig sind alle Formen des kulturellen Austausches zwischen Menschen in der Ukraine, Russland und Deutschland. In ihrer großen Mehrheit lehnen sie jeden Krieg in Europa ab und wollen friedlich miteinander leben. Wir verweigern uns dem Hass, der zunehmend die Debatten um den Ukraine-Krieg bestimmt. Es ist bestürzend zu sehen, wie die vielen zivilgesellschaftlichen Verbindungen mit Russland, die nach den schmerzlichen Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges mühsam aufgebaut wurden, jetzt abreißen. In diesem Sinne kritisiert die IPPNW die Empfehlung des Bundesforschungsministeriums, jegliche wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Russland auszusetzen.
Wir müssen den Frieden selbst in die Hand nehmen. Am Ende werden nur Diplomatie, kontrollierte Abrüstung und gemeinsame Sicherheit der richtige Weg sein.
Die IPPNW fordert von der Bundesregierung:
sich für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen
alle Mittel auszuschöpfen, um eine Eskalation in einen Atomkrieg zu beenden
weiterhin für Gespräche offen zu bleiben und sich für den Einsatz von Mediator*innen starkzumachen
die diplomatischen Möglichkeiten im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu nutzen
sich in der NATO für ein Aufnahmemoratorium für die Ukraine im Gegenzug zum vollständigen Rückzug der russischen Truppen einzusetzen
sich für eine Konferenz über die künftige Sicherheitsarchitektur Europas stark zu machen
auf eskalierende Reaktionen und eine demütigende Rhetorik zu verzichten
sich für die Aufrechterhaltung des zivilgesellschaftlichen und kulturellen Austausches mit Russland einzusetzen
Kriegsdienstverweiger*innen aus Russland, der Ukraine und Belarus einen Aufenthaltsstatus zu gewähren
das 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr zurückzunehmen und das Geld stattdessen für eine beschleunigte Energiewende und eine sozial-ökologische Transformation zu verwenden.
Initiatorin: IPPNW – Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung
Quelle: https://ippnw.de/bit/ukraine
Petition: Die Waffen nieder! Friedenslogik statt Kriegslogik!
Als deutsche Reaktion auf den Krieg in der Ukraine hat die Bundesregierung eine kriegsorientierte Umkehr vorgeschlagen. Das Rüstungsforschungsinstitut SIPRI hält dazu fest: „Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (…) beendete innerhalb einer halben Stunde die jahrzehntelange politische Zurückhaltung und leitete eine neue Ära der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ein. (…) Sollte Scholz‘ Vorschlag umgesetzt werden, würde dies den größten absoluten Anstieg der deutschen Militärausgaben seit mindestens dem Zweiten Weltkrieg bedeuten.“iii
Im Raum stehen Milliarden für die internationale und deutsche Waffenindustrie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liefern das Wissen und die Technik. Wir brauchen jetzt eine Festlegung der Selbstverwaltung von Wissenschaft und Forschung auf Friedensförderung. Denn unsere Forschung zeigt auch, dass Aufrüstung jedes Ringen um die Minderung der Folgen der Vielfachkrise, insbesondere des Klimas konterkariert: Waffenproduktion verschwendet wertvolle Ressourcen, die für die globale Energiewende benötigt werden; das Militär ist einer der größten Schadstoffemittenten; Waffeneinsätze verseuchen die Umwelt unwiederbringlich, auch in Friedenszeiten; Aufrüstung und Krieg verschärfen den Hunger in der Welt.
Wir brauchen jetzt eine gesellschaftliche Debatte, wie wir in Deutschland zum Ende des Krieges in der Ukraine beitragen können, statt ihn zu verlängern.
Wir brauchen eine Debatte und konkrete Entscheidungen, wie ein friedliches Europa nach dem Krieg aussehen kann – mit den Menschen aus der Ukraine, aus Russland und dem Rest der Welt.
Wir brauchen eine Debatte, wie wir aus der militaristischen Spirale von Konfrontation und Konkurrenz herauskommen.
Wir brauchen konkrete Entscheidungen und politisches Handeln, um Kooperation und gerechte Ressourcenverteilung für alle zu erreichen.
Diese Überlegungen spielen bisher keine Rolle für das Regierungshandeln. Grund genug für uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unser aller Recht auf öffentliche Debatte und Mitbestimmung einzufordern. Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben an Lösungen für diese Probleme gearbeitet. Lösungen sind da. Es wird Zeit, sie umzusetzen. Diese Petition ist ein erster Schritt. Wir bauen auf Ihre Unterstützung und Ihre Stimme.
Wir bitten den Bundestag zu beschließen:
Die Kürzung des Rüstungsetats und die Verwendung dieser Ressourcen für die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien und für nachhaltige Entwicklung auch im sozialen Bereich.
Keine Grundgesetzänderung, weder zur Schaffung des Sondervermögens von 100 Mrd. Euro für Aufrüstung noch zu einer Verpflichtung dazu.
Direkte Beteiligung der Zivilgesellschaft bei Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik.
Begründung
Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ (NatWiss) verurteilt den Angriff Russlands gegen die Ukraine, der nicht zu rechtfertigen ist und die Regeln des Völkerrechts verletzt, mit unabsehbaren Opfern und Schäden. Gleichzeitig vergessen wir nicht, dass im Vorfeld des Krieges Warnungen und Vorschläge ignoriert, Prinzipien von Kriegsvermeidung und Friedenssicherung missachtet wurden. Das Wissen über Kriegsursachen und Friedenslösungen muss genutzt werden, um die Kriegshandlungen zu beenden und weitere Eskalationsspiralen zu vermeiden. Daher setzen wir uns für Frieden ein und gegen jeden Militarismus!
In diesem Krieg drohen alle zu verlieren, egal wer sich auf den Trümmern und Gräbern zum „Sieger“ erklärt. Hauptopfer sind die Menschen in der Ukraine, die Toten, Verwundeten und Flüchtenden. Die Folgen treffen auch die Bevölkerung Russlands und Menschen in der ganzen Welt. Es verliert das Völkerrecht, die europäische Friedensordnung und die Zivilgesellschaft. Die Schäden und Kosten des Krieges zerstören die Bedingungen für nachhaltigen Frieden und die Lösung globaler Probleme: Armut und Hunger, Vertreibung und Flucht, Umweltzerstörung und Klimawandel. Ein Atomkrieg wäre das Ende der Menschheit: No Future!
Opfer ist auch die Wahrheit. Kriegspropaganda dominiert auf allen Seiten. Die überhitzte Echokammer der Kriegsempörung löscht früheres Wissen, das für die Zukunft gebraucht wird. Kaum gefragt wird, wie es zur Katastrophe kam, wer über Jahrzehnte die Eskalationsspirale angetrieben hat. Ist es bloß der zum Dämon erklärte Putin oder auch die NATO, die nach dem Sieg im Kalten Krieg über alle Grenzen expandierte, bis zur Schwelle des Krieges? Wer Frieden mit Aufrüstung und Militärinterventionen untergraben und selbst das Völkerrecht gebrochen hat, ist ein schlechter Ratgeber für friedliche Lösungen. Getrieben durch die am Krieg verdienende Rüstungsindustrie drängen diese Kräfte schon lange auf eine „Zeitenwende“ geopolitischer Machtkämpfe und eine weitere Aufrüstung der NATO, wodurch die Welt unsicherer wird. Mit Kriegsbeginn verdoppelte die Bundesregierung die in den letzten Jahren stark gestiegenen Militärausgaben und übertrifft nun alleine schon die Russlands vor dem Krieg. Rüstung mit noch mehr Rüstung zu bekämpfen ist so wenig zukunftsfähig wie dem Klimawandel mit Klimaanlagen zu begegnen.
Gegen das Vergessen ist es die Pflicht der Wissenschaft, das Wissen über Krieg und Frieden für die Beendigung des Ukraine-Krieges und die Verhinderung weiterer Kriege zu aktivieren:
Wir sagen Nein zu Wirtschaftskriegen, Waffenlieferungen oder Militäraktionen, die die Eskalationsspirale vor und in diesem Krieg angeheizt haben, und lehnen Sanktionen ab, die die Bevölkerung weltweit treffen.
Wir unterstützen humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Opfer von Gewalt, ebenso den Ausbau der Verbindungen zur Zivilgesellschaft und Friedensbewegung in Russland und der Ukraine, um Bewegungen zur Beendigung des Krieges zu mobilisieren.
Den Versuchen, einen totalen Krieg in allen Bereichen der Gesellschaft zu forcieren und autoritäre Strukturen von Militarismus, Kriegsgehorsam und Denkverboten zu unterstützen, stellen wir die Zivilgesellschaft und ihre zivilen Prinzipien für menschliches Zusammenleben und Konfliktlösung entgegen.
Auf die Anklagebank gehören die zum Krieg drängenden Kräfte, nicht die Friedenskräfte, die seit Bertha von Suttner „Die Waffen nieder!“ rufen und vor Krieg warnen, dringlicher denn je.
Die Kriegslogik gegeneinander muss ersetzt werden durch die Friedenslogik miteinander: Deeskalation, Diplomatie, sofortige Einstellung der Kriegshandlungen, Rückzug der Waffen, Verhandlung und Vermittlung zwischen den Konfliktparteien, Schutz und Stärkung des Völkerrechts, Schaffung einer europäischen und globalen Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands und Chinas.
Statt einer Zeitenwende für Aufrüstung und Krieg braucht die Welt eine Zeitenwende für Abrüstung und Frieden, für gemeinsame Sicherheit im Haus Europa, für Nachhaltigkeit und die Lösung der globalen Probleme auf unserem Planeten.
Initiatorin: NaturwissenschaftlerInnen-Initiative – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V., c/o IALANA
Quelle: http://natwiss.de/petition-die-waffen-nieder/
Manifest für Friedeniv
Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine (10.2.2023). Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.
Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?
Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?
Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.
Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!
Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!
Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.
Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.
Initiatorinnen: Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht
ErstunterzeichnerInnen: Dr. Franz Alt und Bigi Alt • Christian Baron • Franziska Becker • Dr. Thilo Bode • Prof. Dr. Peter Brandt • Rainer Braun • Andrea Breth • Dr. Ulrich Brinkmann • Prof. Dr. Christoph Butterwegge • Dr. Angelika Claußen • Daniela Dahn • Rudolf Dressler • Anna Dünnebier • Eugen Drewermann • Petra Erler• Valie Export • Bettina Flitner • Justus Frantz • Holger Friedrich • Katharina Fritsch • Prof. Dr. Hajo Funke • Dr. Peter Gauweiler • Jürgen Grässlin • Wolfgang Grupp • Prof. Dr. Ulrike Guérot • Gottfried Helnwein • Hannelore Hippe • Henry Hübchen • Wolfgang Hummel • Otto Jäckel • Dr. Dirk Jörke • Dr. Margot Käßmann • Corinna Kirchhoff • Uwe Kockisch • Prof. Dr. Matthias Kreck • Oskar Lafontaine • Markus Lüpertz • Detlef Malchow • Gisela Marx • Prof. Dr. Rainer Mausfeld • Roland May • Maria Mesrian • Reinhard Mey und Hella Mey • Prof. Dr. Klaus Moegling • Michael Müller • Franz Nadler • Dr. Christof Ostheimer • Dr. Tanja Paulitz • Romani Rose • Eugen Ruge • Helke Sander • Michael von der Schulenburg • Hanna Schygulla • Martin Sonneborn • Jutta Speidel • Dr. Hans-C. von Sponeck • Prof. Dr. Wolfgang Streeck • Katharina Thalbach • Dr. Jürgen Todenhöfer • Prof. Gerhard Trabert • Bernhard Trautvetter • Dr. Erich Vad • Günter Verheugen • Dr. Antje Vollmer • Peter Weibel • Nathalie Weidenfeld • Hans-Eckardt Wenzel • Dr. Theodor Ziegler
Quelle: https://www.change.org/p/manifest-f%C3%BCr-frieden
Unterstützer*innen: 821.721 Menschen (Stand: 30.6.2023)
Die Ukraine jetzt aufgeben? Nicht in unserem Namen!
Gegenrede zum Manifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer
Seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine hat das Land Zehntausende getötete Zivilisten und Soldaten sowie Millionen Flüchtlinge zu beklagen. Etwa eine Million davon haben ein Dach in Deutschland gefunden. Unser Land beweist jeden Tag eine großartige Hilfsbereitschaft. Deutschland unterstützt die Ukrainer wirtschaftlich, medizinisch und zunehmend auch militärisch.
Nun erheben Friedenskünstler um Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer erneut ihre Stimme. Sie wollen die bisherigen Anstrengungen der Bundesregierung und das Engagement von Millionen Deutschen unterminieren. Hunderttausende ukrainische Frauen und ihre Kinder hierzulande, deren Männer, Brüder und Väter gerade auf dem Schlachtfeld kämpfen, staunen nur vor diesen Ideologen, die „den Frieden“ per Manifest bestellen – koste es, was es wolle.
Zudem ist es erschreckend, aus der Mitte unserer Gesellschaft zuzusehen, wie dabei die rechts- und linkspopulistischen Pole in Deutschland den Kreis schließen. Wir werden Zeugen davon, wie sie mit dem Furchtgefühl unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger spielen. Furcht ist jedoch kein guter Ratgeber.
Wir als aufgeklärte Europäer werden die Ukraine furchtlos weiter unterstützen. Wir können und werden sie nicht aufgeben. Denn:
1) Putins Kriegsziel war und bleibt das Auslöschen der ukrainischen Staatlichkeit, des Existenzrechts der Ukraine und ihre vollständige Annexion. Das erklärte Ziel der Ukraine und ihrer Führung heißt, dass russische Truppen bedingungslos und sofort das Territorium der Ukraine verlassen. Nicht mehr und nicht weniger. Hier sind keine Kompromisse zu machen. Das Ziel Deutschlands und aller Europäer ist der Schutz der europäischen Friedensordnung. Wir dürfen eine gewaltsame Verschiebung von Grenzen in Europa nicht zulassen. Europa wird sich mit einer Kapitulation vor Putin in seinem Herzen – in der Ukraine – nicht retten können. Deshalb unterstützen wir die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine und wünschen eine rasche Umsetzung entsprechender Entscheidungen.
2) Angesichts der neuen Großoffensive russischer Truppen in der Ukraine, des fortgesetzten Mordens der Zivilbevölkerung durch ständige Raketenangriffe, unsagbarer Kriegsverbrechen und der systematischen Zerstörung der kritischen Infrastruktur in diesem Winter sprechen wir uns für eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine aus. Jegliche Zugeständnisse gegenüber einem Diktator führen nur zu weiteren – verschobenen – Verlusten an Zeit, Menschenleben und materiellen Ressourcen. Dabei gibt es in diesem Konflikt nur einen Aggressor – Russland – und nur ein Opfer – die Ukraine. Das verblutete Land soll selbst entscheiden, wann und wie weit es gehen will und kann. Die Ukraine fragt völkerrechtlich völlig legitim und einwandfrei nach militärischen Mitteln, damit sie sich gegen den Aggressor wehren kann. Diese Mittel kann und soll die Bundesregierung gemeinsam mit unseren Verbündeten den mutigen Ukrainern bereitstellen.
3) Putins Angriff auf die Ukraine ist zweifellos eine Attacke auf die transatlantische Sicherheit. Wird Putin Erfolg bei seinem Angriff ernten, wird die Büchse der Pandora geöffnet, wird der nächste Krieg auf dem NATO-Territorium wie bereits von Russland angekündigt etwa gegen Moldau, das Baltikum oder gegen Transnistrien und im Weiteren gegen Rumänien geführt werden. Es ist deshalb auch in unserem Interesse, Putin frühzeitig in der Ukraine zu stoppen. Wer glaubt, dass wir morgen im Frieden aufwachen, wenn wir die Ukraine jetzt aufgeben, der irrt. Frieden ohne Freiheit ist kein Frieden. Die Ukrainer verdienen einen gerechten Frieden.
Initiator: Alexander Stephans (Politikwissenschaftler, München/Berlin)
Erstunterzeichner*innen: Roderich Kiesewetter • Marcus M. Keupp • Prof. Dr. Joachim Krause • Gustav C. Gressel • Hildebrecht Braun, RA • Hans Christoph Buch • Colin Benz • Stefan Meister
Quelle: https://www.change.org/p/die-ukraine-jetzt-aufgeben-nicht-in-unserem-namen
Unterstützer*innen: 135.775 Menschen (Stand: 30.6.2023)
Solidarität mit der Ukraine: Manifest für Freiheit in Europa!
Am 24. Februar 2023 jährt sich der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine – nachdem Russland bereits seit 2014 einen Krieg in der Ostukraine führte. Die brutale Invasion bringt unfassbares Leid über die ukrainische Bevölkerung: Jeden Tag werden Menschen ermordet, Frauen systematisch vergewaltigt und Kinder getötet und systematisch verschleppt. Die Zivilbevölkerung wird gezielt angegriffen. Laut Schätzungen des UNHCR mussten bisher 18,6 Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen.
Dieser völkerrechtswidrige Krieg war seit langem geplant und begann aus einem einzigen, perfiden Grund: Wladimir Putin und sein Regime wollen die kulturelle Identität der Ukraine auslöschen, um russische neoimperialistische Interessen zu befriedigen. Der Tod zehntausender Menschen wird dafür nicht nur billigend in Kauf genommen, er ist Teil des menschenverachtenden Kalkül des Kremls.
Putin tönte jahrelang, dass er die ukrainische Hauptstadt Kyiv und damit die Ukraine als solche innerhalb weniger Tage einnehmen könne. Ein Jahr nach Kriegsbeginn ist er von diesem Ziel weit entfernt. Die Ukrainerinnen und Ukrainer wehren sich. Sie kämpfen tapfer und unerschrocken – weil sie wissen, dass das Leben und die Freiheit ihres Volkes auf dem Spiel steht. Und es steht noch mehr auf dem Spiel, nämlich unsere gemeinsame europäische Friedens- und Werteordnung.
Weil das russische Regime mit einer unglaublichen Brutalität vorgeht, benötigen die Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Kampf für die Freiheit unsere Unterstützung. Dass die Ukraine ein Jahr nach Beginn des Angriffskrieges weiter kämpfen kann, liegt auch daran, dass viele Demokratien dieser Welt das Land unterstützen, etwa mit Hilfsgütern, finanziellen Mitteln, Waffen und Munition. Wie Präsident Zelensky richtig herausstellte, handelt es sich dabei nicht um einen Akt der Wohltätigkeit. Es geht nicht nur um die Freiheit der Ukraine. Es geht um die Freiheit ganz Europas. Die unterstützenden Demokratien kommen so ihrer Verantwortung für den Frieden für Europa insgesamt nach. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, damit Russland seine Versuche, den europäischen Frieden zu zerstören, endlich aufgibt. Es gibt Menschen in unserem Land, die nun für eine Einstellung der Waffenlieferungen plädieren. Sie betonen, dies zu fordern, weil sie sich für Frieden einsetzten. Sie geben vor, aus Nächstenliebe gegenüber den Ukrainerinnen und Ukrainern zu handeln. Sie tun so, als sei mit Putin in der Vergangenheit nicht verhandelt worden. All das ist falsch.
Putin hat mehrfach deutlich gemacht, dass er die Ukraine vollends einnehmen will. Die Einstellung von Waffenlieferungen an die Ukraine hätte zur Folge, dass die Ukraine nicht mehr in der Lage wäre, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Gräueltaten wie in Butscha und Irpin machen deutlich, was die Folge wäre: Abgeschlachtete Zivilisten, Folterkammern, Massengräber. Unsägliches Leid. In der Vergangenheit wurde auf höchster Ebene immer wieder mit Putin verhandelt, dennoch entschied dieser sich, Krieg gegen eine souveräne Demokratie zu führen. Wer vor diesem Hintergrund eine Einstellung der Waffenlieferungen fordert, der zeigt keine Nächstenliebe, sondern erstens die völlige Abwesenheit von Verantwortungsbewusstsein für die europäische Friedensordnung und zweitens eine Naivität gegenüber Putin, die exakt der außenpolitischen Naivität entspricht, die diesen Krieg überhaupt ermöglicht hat.
Die europäische Friedensordnung zu verteidigen, verlangt uns vieles ab. Etwa, nicht auf russische Propaganda hereinzufallen, mit der soziale Netzwerke seit Jahren überflutet werden. Etwa, zu verstehen, dass unser Frieden keine Selbstverständlichkeit ist, sondern von Putin gerade aktiv angegriffen wird. Etwa, die negativen Konsequenzen des Krieges zu ertragen. Aber: All das ist nichts gegenüber den Opfern, die Ukrainerinnen und Ukrainer täglich bringen, um den Frieden zu verteidigen. Ihnen gilt unsere volle Solidarität und Unterstützung.
Genau wie vor einem Jahr liegt es auch heute in unserer gemeinsamen Verantwortung, die Ukraine zu unterstützen. Nicht nur aus einer ethischen und historischen Verpflichtung, nie wieder einen Angriffskrieg zuzulassen, sondern auch, weil die ukrainischen Interessen den unseren entsprechen. Nur, wenn die Ukraine den Aggressor in die Schranken weisen kann, lässt sich unsere kostbare europäische Friedensordnung, die Lektion aus zwei Weltkriegen, wiederherstellen. Das zu schaffen, war, ist und bleibt ureigenstes Interesse deutscher und europäischer Politik.
Unsere Entscheidungen gehen unweigerlich mit Verantwortung einher. Wir tragen Verantwortung dafür, dass die europäische Friedensordnung schnellstmöglich wiederhergestellt wird. Aber die Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine hätte keinen Frieden, sondern ohne Zweifel die Einnahme einer europäischen Demokratie durch Putin und unzählige tote Zivilisten zur Folge. Nur ein Niederlegen der Waffen durch die russischen Angreifer kann das sofortige Ende des Krieges herbeiführen. Deshalb kann nur ein ukrainischer Sieg die europäische Friedensordnung wiederherstellen.
Aus diesem Grund fordern wir die deutsche Bundesregierung dazu auf, die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen – auch und insbesondere mit der Lieferung von Waffen. Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger, den aus dem Kreml stammenden Lügenmärchen vermeintlicher Friedensaktivisten nicht zu folgen.
Slava Ukraini!
Initiator*innen: Franziska Brandmann (Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen) und Johannes Winkel (Bundesvorsitzender der Jungen Union)
Erstunterzeichner*innen: Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann • Roderich Kiesewetter • Dr. Anton Hofreiter • Prof. Dr. Rüdiger Bachmann • Gerhart Baum, Bundesminister a.D. • Volker Beck • Nicola Beer • Gitta Connemann • Mario Czaja • Dr. Ulrike Franke • Clara Föller • Nils Gründer • Serap Güler • Manuel Hagel • Martin Hagen • Florian Hahn • Prof. Dr. Justus Haucap • Wolfgang Kubicki • Konstantin Kuhle • Sabine Leutheusser- Schnarrenberger • Michael Link • Jagoda Marinić • Prof. Dr. Carlo Masala • Sara Nanni • Prof. Dr. Peter Neumann • Henriette Reker • Prof. Dr. Jan Schnellenbach • Johannes Vogel • Manfred Weber • Prof. Dr. Cornelia Woll
Quelle: https://www.change.org/p/solidarit%C3%A4t-mit-der-ukraine-manifest-f%C3 %BCr-freiheit-in-europa
Unterstützer*innen: 135.769 Menschen (Stand: 30.6.2023)
Anmerkungen:
i Eine Übersicht von Aufrufen aus der friedenspolitischen Szene findet sich im Blog der Zeitschrift „Wissenschaft & Frieden“ unter: https://wissenschaft-und-frieden.de/blog/webdokumentation-ukraine-krieg/.
ii Kritisch zu den „Friedensappellen“ u.a.: Jagoda Marinić, Blinder Pazifismus: Friedensappelle im Ukrainekrieg, Tageszeitung v. 22.2.2023.