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Das neue Wasser­haus­halts­ge­setz

vorgängevorgänge 7901/1986Seite 12-15

Kommentar

Tiefschlag für den Umweltschutz und die Wasserversorgung

aus vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.12-15

Zur Zeit wird im Bundestag und im Bundesrat auf der Grundlage eines Entwurfs aus dem Bundesinnenministerium das neue Wasserhaushaltsgesetz (WHG) beraten. Die bösen Erfahrungen mit großvolumigen Wasserentnahmen und Verbundsystemen sollten eigentlich Anlaß genug sein, gesetzliche Vorschriften zu schaffen, die der Zentralisierung der Wasserwirtschaft Einhalt gebieten und die Möglichkeiten großvolumiger Wasserentnahmen drastisch beschneiden.

In der Bundesrepublik wird seit langer Zeit durch Schaffung von umfassenden bundesweiten Verbundsystemen die Zentralisierung der Wasserversorgung angestrebt. Die Vorstellung ist, gibt es irgendwo Schwierigkeiten bei der Wasserversorgung, die dadurch entstehen, daß Wassergewinnungsanlagen trockenfallen oder verschmutzen, dann wird das Wasser durch Verbundleitungen herangeschafft. Gespeist werden diese Verbundleitungen durch Brunnen, aus denen entsprechend den Gegebenheiten mehr oder weniger großvolumige Wasserentnahmen getätigt werden. Neben den kleinen gemeindlichen Verbundsystemen gibt es daher große überregionale Systeme, in denen Wassers über hunderte von Kilometern ransportiert wird. Ballungsgebiete werden z.B. mit Wasser beliefert, das mittels Fernleitungen aus entlegenen Regionen herangepumpt wird. So erhält  Hamburg das Wasser aus der Lüneburger Heide, während die Stadt Frankfurt aus dem Hessischen Ried und dem Vogelsberg versorgt wird. Inzwischen werden die schwerwiegenden nachteiligen Folgen einer solchen zentralisierten Wasserversorgung immer deutlicher erkennbar. Die allgemeine Belastung von Boden, Luft und Wasser hat in einer Weise zugenommen, daß selbst in großen Entfernungen zu Industrie- und Ballungszentren das Eindringen von Schadstoffen in die Gewässer eine mehr oder weniger überall anzutreffende Erscheinung ist, die die Schaffung von Verbundsystemen praktizierte Ausweichstrategie zum Scheitern verurteilt.

Auch ist zu berücksichtigen, daß Gewässerausbau, Versiegelung der Landschaft und großflächige Drainage den Abfluß des Wassers beschleunigen und damit ganz allgemein zur Verringerung der für die Wassergewinnung nutzbaren Wasservorkommen beitragen. Besonders in den ländlichen Regionen, stehen die steigenden Nitratkonzentrationen im Wasser einer großvolumigen Wassernutzung entgegen. Die Zukunft wird zeigen, daß Verbundsysteme die Versorgungsprobleme nicht nur nicht lösen, sondern zu einer drastischen Verschärfung der Probleme beitragen werden, weil sie eine Verringerung der nutzbaren Wasservorkommen zur Folge haben.

Eine Ursache dafür ist, daß die in Verbünde in einspeisenden Brunnen zum Teil sehr große Mengen fördern müssen, um die sogenannten Wassermangelgebiete zu beliefern. Bei großvolumiger Wasserförderung ist aber damit zu rechnen, daß Schadstoffe in solchen Mengen in die Brunnen eindringen, daß die Trinkwasserqualität verloren geht. Dies ist darauf zurückzuführen, daß sich der Wassereinzugsbeich ausdehnt, die Fließgeschwindigkeit des Wassers zunimmt und damit Altlasten mobilisiert werden können und der Boden seine Filterfähigkeit das Wasser verliert.

Eine weitere Ursache verbirgt sich in der Tatsache, daß für viele Gemeinden das Wasser aus dem Verbund eine bequeme Problemlösung bietet, die ihnen die Verantwortlichkeit für die Beschaffung von Wasser abnimmt. Sie brauchen verseuchte Wasservorkommen nicht mehr zu sanieren, können bestehende Wasserschutzgebiete zugunsten anderer Nutzungen aufgeben und haben keine Veranlassung mehr, mit vorbeugenden, wasserschützenden Maßnahmen vor Ort nutzbare Wasservorräte für die Zukunft erhalten.

Außerdem können Störungen im Transportsystem und bei einzelnen Großanlagen für ganze Regionen zu Versorgungsausfällen führen.

Es kommt darauf an, Ursachen zu bekämpfen und nicht an Symptomen zu kurieren. Die richtige Lösung für Probleme der Wasserversorgung kann nur heißen, die Wasserversorgung so dezentral – also nahe am Verbraucher – wie möglich durchzuführen. Daher hätte die  Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) genutzt werden müssen, um durch entsprechende gesetzliche Regelungen die weitere Zentralisierung der Wasserversorgung zu stoppen und die Dezentralisierung zu fördern.

Bei Prüfung des Entwurfs aus dem Bundesinnenministerium ist allerdings festzustellen, daß die Bestrebungen offensichtlich genau in die entgegengesetzte Richtung laufen.

So kann die vorgesehene Streichung des § 9, der ein förmliches Verfahren zur Bewilligung von Wasserrechten vorsieht, nur dem Ziel dienen, die Bürgerbeteiligung zu beseitigen und so die Hürden für die Erteilung von Bewilligungen aus dem Weg zu räumen.

Zwei Voraussetzungen des förmlichen Verfahren sind in dem Zusammenhang wichtig.

Einmal sind der Genehmigungsbehörde besondere Pflichten zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes auferlegt; zum anderen wird den betroffenen Bürgern ein Anspruch auf umfassendes rechtliches Gehör gewährt: Die betroffenen Bürger haben nicht nur das Recht, sich vor der Genehmigungsentscheidung gegenüber der Behörde zu äußern, sondern ebenso die Gelegenheit, zu den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalten Stellung zu beziehen. Die Behörde muß also die Bürger über die Grundlagen ihrer Entscheidungsfindung (Gutachten, Stellungnahmen) informieren, so daß die Bürger die Behörde nicht nur kontrollieren, sondern auch zwingen können, ihrer Pflicht zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nachzukommen.

Trotz der besonderen Sorgfaltspflicht und der Bürgerbeteiligung waren die Behörden in der Vergangenheit immer bereit, den Bewilligungsanträgen stattzugeben, obwohl die erforderlichen Nachweise für vorhandenen Bedarf und ökologische Unbedenklichkeit meist mit schweren Fehlern und Lücken behaftet waren. Nur aufgrund der Veröffentlichung solch fragwürdiger Unterlagen war es bisher möglich, Bürger von der Notwendigkeit des Widerstandes zu überzeugen und Genehmigungen zu verhindern. Sind die Behörden erst mal von ihrer besonderen Pflicht zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes, ihrer Pflicht zur weitgehenden Information der Bürger und ihrer Pflicht zur Erörterung befreit, dann wird es bei der Genehmigung von großvolumigen Wasserentnahmen und Talsperren kein Halten mehr geben. Die Wasserversorgungsunternehmen schließlich haben nichts zu befürchten, auch wenn sie noch so umweltschädigende Vorhaben durchführen, denn selbst wenn aufgrund ökologischer Schäden eine Bewilligung im Interesse des Allgemeinwohls zurückgenommen werden sollte, so haben sie einen Anspruch auf Entschädigung, der sogar dann erhalten bleibt, wenn die zur Erlangung der Genehmigung vorgelegten Nachweise fehlerhaft und unvollkommen waren. Es geht also bei der Novellierung des WHG’s nicht um die Förderung einer ökologisch ausgerichteten Wasserversorgung, sondern um die Interessen der Wasserwirtschaft, die zentralistische Ziele verfolgt.

Zugunsten der Wasserhaushaltsnovelle wird angeführt, daß der § 19 eine Änderung erfahre, die die Gewässer vor der Landwirtschaft schütze. Nach dem neuen § 19 Abs. 1 können die Landesregierungen durch Rechtsverordnung Wasserschutzgebiete festsetzen mit dem Ziel, »das schädliche Abfließen von Niederschlagswasser sowie das Abschwemmen und den Eintrag von Bodenbestandteilen, Dünge- und Pflanzenschutzmittel in Gewässer zu verhüten«. Theoretisch könnte aufgrund dieser Vorschrift bundesweit überall dem übermäßigen Düngen und Spritzen durch Festsetzung von Wasserschutzzonen Einhalt geboten werden. An dem Wort »können« muß sich aber die Kritik an dieser Neuregelung des § 19 entzünden, denn sie beinhaltet nur eine Ermächtigung für die Länder, nicht aber eine Verpflichtung. So ist zu befürchten, daß § 19 nur dann Anwendung finden wird, wenn es gilt, Interessen durchzusetzen — also z.B, zum Schutz von Wasservorkommen, die großvolumig genutzt werden sollen oder bei Flächen, die man für andere Nutzungen den Bauern abkaufen will, d.h. wieder einmal wird es die klein- und mittelbäuerlichen Betriebe treffen.

Dafür spricht auch, daß sich die Landwirte in Zukunft gegen einen willkürlichen Umgang mit dem § 19 werden nicht zur Wehr setzen können, da ihre Mitwirkungsrechte nicht nur in Wasserrechtsverfahren, sondern auch bei der Festsetzung von Wasserschutzzonen beseitigt werden sollen. Außerdem gibt es gegen Rechtsverordnungen keine Klagemöglichkeit. Der industriellen Massentierhaltung will man wohl nicht ans Leder, denn sonst hätte man die Novellierung des WHG’s nutzen müssen, um die Überschußproduktion von Gülle zu verbieten. Als ausgesprochen makaber muß angesehen werden, wenn der Vorstandsvorsitzende des größten privaten Wasserversorgungsunternehmens, der Gelsenwasser AG, Dr. Benno Weimann, im Interesse des Umweltschutzes fordert, die Bauern für Ertragseinbußen durch Auflagen nicht zu entschäditgen. Sein Unternehmen kann sich darauf verlassen, entschädigt zu werden, wenn es aufgrund von eingetretenen ökologischen Schäden Auflagen zur Einschränkung oder Einstellung der Wasserförderung erhält.

Daß es bei der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes nicht darum geht, die Umwelt zu schützen, sondern die Zentralisierung voran zu treiben, läßt sich auch an weiteren Indizien erkennen. So wurde verabsäumt, die Vorrangigkeit der Trinkwasserversorgung vor anderen Nutzungen im Gesetz zu verankern. Gleichfalls wurde darauf verzichtet, den geforderten sparsamen Umgang mit Wasser in den Genehmigungsvoraussetzungen zu konkretisieren, wodurch allein diesem Grundsatz hätte zur Durchsetzung verholfen werden können. Umweltschutzverbände und Bürgerinitiativen, die gegen den Raubbau am Wasser ankämpfen, sollten die Novellierung des WHG nutzen, um gesetzliche Bestimmungen durchzusetzen, die einen schonenden Umgang mit Wasser gewährleisten. An erster Stelle müßte dafür Sorge getragen werden, daß im § 1 des WHG der Vorrang der Trinkwasserversorgung vor jeder anderen Nutzung festgelegt wird. Um zu vermeiden, daß die Forderung des novellierten WHG nach sparsamen und schonenden Umgang mit Wasser nicht im Unverbindlichen stecken bleibt, muß sie in den Genehmigungsvoraussetzungen für Wasserentnahmen konkretisiert werden. Vor allem dürfen keine Rechte zur Nutzung von Wasservorkommen mehr in Fällen erteilt werden, in denen benachbarte Wassergewinnungsanlagen in ihrer Förderung beeinflußt werden oder verstärkter Schadstoffeintrag ins Wasser zu befürchten ist. Die Besorgnis von ökologischen Schäden muß der Erteilung von Wasserrechten immer entgegenstehen. Für den Fall, daß bewilligte Wasserrechte aufgehoben werden, müssen Entschädigungsansprüche für den Inhaber der Rechte ausgeschlossen sein. Nur wenn die Risiken voll und ganz von den Unternehmen zu tragen sind, werden sie bei Planung und Durchführung ihrer Projekte mit der erforderlichen Sorgfalt vorgehen.

Zur Ausschaltung ökologischer Risiken ist es weiterhin unabdingbar, daß die Vorschrift des § 9 über das förmliche Verfahren mit seinen Mitwirkungsrechten erhalten bleibt, da andernfalls die Länder die Möglichkeit erhalten, die entsprechenden Bestimmungen aus ihren Wassergesetzen herauszunehmen.

Im § 19 muß die Errichtung von Wasserschutzzonen zwingend vorgeschrieben werden, da die vorgesehene Kann-Bestimmung zu willkürlichem Vorgehen führt und auch kaum mit dem Gleichheitsgrundsatz der Verfassung zu vereinbaren ist.

Da die Errichtung von Wasserschutzzonen und die Erteilung von Auflagen ein komplexer Bereich ist, ist die Mitwirkung der betroffenen Landwirte wie bisher im Rahmen eines förmlichen Verfahrens, das nicht – wie beabsichtigt — aufgehoben werden darf, unerläßlich.

Ein weiteres Anliegen von Umweltschützern, das im Zusammenhang mit der Novellierung des WHG aufgegriffen werden müßte, ist die Verbandsklage. Es grenzt an einen Skandal, daß die Gesetzgebung in der Bundesrepublik so gestaltet ist, daß viele im Interesse des Umweltschutzes erlassenen gesetzlichen Vorschriften bei der Erteilung von Rechten, deren Ausübung die Umwelt zerstört, von den Genehmigungsbehörden nicht beachtet werden. Die Voraussetzung dafür ist, daß nach dem Gesetz in den Genehmigungsverfahren nur Betroffene sich auf diese Vorschriften beziehen dürfen. Da es oft nur wenige und manchmal keine Betroffenen gibt, die in den Genehmigungsverfahren Einwendungen erheben oder gar bereit sind, zu klagen, sind dem willkürlichen Vorgehen der Behörden keine Schranken gesetzt.

Wegen der großen Bedeutung des WHG für die Umwelt sollten daher die Umweltschutzverbände die Gelegenheit nutzen, um die unabdingbare Notwendigkeit der Verbandsklage der Öffentlichkeit zu diskutieren und zu fordern, daß Verbände wie Betroffene in gleicher Weise in das förmliche Verhalten einbezogen werden. Der Einwand, von der Systematik her gehöre die Beteiligung von Verbänden in Genehmigungsverfahren nicht in das WHG, ist wohl nur als Verhinderungsversuch zu werten. Die Umwelt verträgt es nicht, daß Regelungen zu ihrem Schutz nur einer behaupteten rechts-systematischen Notwendigkeit zu Liebe herausgeschoben werden. Für Umweltschützer gibt die Novellierung des WHG Anlaß zur Frustration. Er besteht in der fehlenden Reaktion aus den gesellschaftlichen Gruppen, die eigentlich betroffen sein müßten.

Wo ist der Aufschrei der Grünen, wo der Protest der Umweltschützer und wo der Widerstand von Bürgerrechtlern gegen die bei der Novellierung des WHG erkennbaren Absicht, die Umwelt zu vergewaltigen und Bürgerrechte im Interesse der Umweltzerstörung einzuschränken?

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