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»Nürnberg« heute - Vorgänge am Rande der Inter­na­ti­o­na­lenm Konferenz

vorgängevorgänge 7901/1986Seite 25-27

„40 Jahre Nürnberger Prozesse“

Kommentar

aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.25-27

Dieser Beitrag versteht sich nicht als Tagungsbericht üblicher Art. Er beleuchtet vielmehr einige für das gegenwärtige politische Klima in diesem Land bezeichnende Vorgänge, die sich im Vorfeld und am Rande der Internationalen Konferenz »40 Jahre Nürnberger Prozesse« ereignet haben.

Als Veranstalter dieser Konferenz, die am 23./24. November 1985 in Nürnberg stattfand, zeichneten sechs deutsche und zwei internationale Organisationen verantwortlich: Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ), Vereinigung Demokratischer Juristen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) e.V. (VDJ), Gustav Heinemann-Initiative, Humanistische Union, Republikanischer Anwaltsverein, Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) , Internationale Vereinigung Demokratischer Juristen (IVDJ), Federation Internationale Resistants.

Der Einladung waren rund 400 Teilnehmer aus 13 Ländern, vorwiegend Juristen, Wissenschaftler, ehemalige Widerstandskämpfer und KZ-Häftlinge, gefolgt. Die internationale Komponente war in beachtlichem Umfang durch Teilnehmer aus Frankreich, USA, Großbritannien, UdSSR, DDR, Polen, CSSR u.a. geprägt. Einige Namen mögen belegen, welchen Stellenwert man im Ausland dem 40. Jahrestag der Nürnberger Prozesse – die Hauptverhandlung gegen die Hauptkriegsverbrecher war am 20. November 1945 eröffnet worden – beimaß: Aus den USA Ramsey Clark (Justizminister unter Kennedy), Prof. Robert W. Kempner (stellvertretender amerikanischer Hauptankläger in Nürnberg), Prof. John H. Fried (Rechtsberater der amerikanischen Delegation bei den Nürnberger Prozessen), Prof. Richard A. Falk (Universität Princeton); aus Großbritannien Lord Anthony Gifford, (Mitglied des Oberhauses); aus Frankreich als persönlicher Vertreter von Justizminsiter Badinter Andre Braunschweig (Ehrenpräsident des Kassationsgerichtshofs), Simone Rozes (Präsidentin des Kassationsgerichtshofes) als persönliche Vertreterin des ehemaligen Ministerpräsidenten Edgar Faure; aus der Sowjetunion F. A. Schischow (Stellvertretender Generalstaatsanwalt der UdSSR); aus Polen Prof. Adam Lopatka (Minister für Kirchenfragen der VR Polen); aus der DDR Heinrich Toeplitz (Präsident des Obersten Gerichts der DDR); Mohamed Bedjaoui (Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag und ehemaliger algerischer Justizminister).

Für die bundesdeutsche Politik – und das ist der erste bemerkenswerte Vorgang – lag der Stellenwert dieses Jahrestages, sieht man von den Grünen ab, nahe Null. Der Kommentar dazu von Richard Falk spricht für sich: »Westliche Politiker wären besser nach Nürnberg  gegangen als nach Bitburg«.

Auf Unverständnis bei den Teilnehmern stieß die Haltung der SPD zur Nürnberger Konferenz. In der Bonner Parteizentrale verweigerte man – wie zu hören ist, auf Intervention der Arbeitsgemeinschaft der Verfolgten innerhalb der SPD – der ASJ und ihrem Vorsitzenden Martin Hirsch jegliche finanzielle und personelle Unterstützung. Hirsch mußte sogar die Einladungen der ASJ für Nürnberg selbst schreiben. Willy Brandt, bei dem sich Hirsch leider zu spät beschwerte, soll über das Verhalten seiner Parteizentrale nicht gerade glücklich gewesen sein. Dort haben offenkundig Berührungsängste in Bezug auf Organisationen aus dem kommunistischen Umfeld – die VVN ge hörte zu den Mitveranstaltern der Nürnberger Konferenz – wieder einen unerwartet hohen Stellenwert gewonnen. Die gerade im Anlaufen befindliche Antikommunismuskampagne der Rechten zeigt also bereits Wirkung. Der SPD scheint insoweit das nötige Selbstbewußtsein abhanden gekommen zu sein. Man fühlt sich fatal an die 50er Jahre zurückerinnert. Dabei hätte ein Blick auf die Mitveranstalter und die Teilnehmerliste, vor allem aus dem westlichen Ausland, verdeutlicht, daß diese Berührungsängste aus der Luft gegriffen waren. Die Nürnberger Konferenz war alles andere als eine kommunistische Veranstaltung. Vertreter der VVN spielten weder in der Vorbereitung, noch im Konferenzverlauf eine Rolle. Der SPD hatte es im übrigen im Blick auf die Gemeinsamkeit des Leidens von Sozialdemokraten und Kommunisten unter dem NS-Terror gut angestanden, sich der Gemeinsamkeit des Erinnerns nicht zu verschließen. Von den prominenten SPD-Politikern sah dies offenbar nur Gerhard Schröder so, der den Veranstaltern wenigstens ein Grußwort schickte. Will sich die SPD bei wichtigen politischen Fragen das Gesetz des Handelns dadurch aus der Hand nehmen lassen, daß sich auch Kommunisten im selben Feld tummeln? Setzt sich diese Linie durch, dürften konsequenterweise bei von Kommunisten mitgetragene Veranstaltungen der Friedensbewegung keine SPD-Politiker mehr auftreten.

Ähnliche Berührungsängste zeigte die SPD- regierte Stadt Nürnberg. Sie lehnte es nicht nur ab, die Konferenzteilnehmer zu empfangen, sondern war nicht einmal zu einer offiziellen Begrüßung bereit. Am Ende des ersten Vormittags rappelte sich ein Vertreter der SPD-Stadtratsfraktion zu einem kurzen Grußwort für seine Fraktion auf, nachdem er offenbar gemerkt hatte, daß es keinen Anlaß zu Berührungsängsten gab. Dieses Grußwort war allerdings deshalb eher peinlich, weil damit eine formale Rechtfertigung der Genehmigung einer Demonstration von Neo-Nazis vor der Meistersinger-Halle versucht wurde – dem zweiten hier zu kommentierenden Vorgang.

Die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), eine direkte Nachfolgeorganisation der 1983 verbotenen Aktionsgemeinschaft Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) des Michael Kühnen, hatte unter dem Decknamen einer »Bürgerinitiative gegen Kriegsschuld und antideutsche Greuellügen« etwa 30 Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet zu einer »Gedenkfeier für die Opfer alliierter Rachejustiz« am Samstagvormittag nach Nürnberg mobilisiert. Ein Teil dieser Neo-Nazis zog zuvor zu einer von der Stadt Nürnberg genehmigten »Mahnwache« direkt am Eingang der Meistersinger-Halle. Dort verteilten sie gegen die Nürnberger Konferenz gerichtete FAP-Flugblätter mit der Überschrift: »Vierzig Jahre nach alliierter Lynchjustiz in Nürnberg: Jubiläumsfeier zur Rechtfertigung von Rechtsbeugung und Justizmord«. Die Konferenz-Teilnehmer, darunter viele ehemalige Verfolgte und KZ-Häftlinge, gelangten nur durch das Spalier dieser Gruppe in die Halle. Bereits dabei kam es unter den Augen der Polizei zu von den Neo-Nazis ausgelösten verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Goldstein, reagierte mit berechtigter Entrüstung und Abscheu auf diese Vorfälle und kritisierte heftig die Genehmigung dieser »Demonstration« durch die Stadt Nürnberg. Nur mit Mühe ließ er sich davon abbringen, deshalb demonstrativ sofort wieder abzureisen.

Noch erschreckendere Szenen spielten sich am Abend des ersten Konferenztages vor der Halle ab. Etwa 20 jüngere Neo-Nazis blockierten den Ausgang, skandierten faschistische Parolen (»Brandt an die Wand«, »Wir werden Euch hängen« etc.), grölten Nazi-Lieder, zeigten den Hitler-Gruß und pöbelten die Teilnehmer an. Die Polizei griff mit der Begründung, es handele sich um eine genehmigte »Demonstration«, wiederum so gut wie nicht ein. Viele Konferenzteilnehmer wurden von Polizisten seitlich durch den hohen Schnee an den Nazis vorbeikomplimentiert, um – so die Beamten – »Tätlichkeiten zu vermeiden«. Die Nürnberger Polizeiführung erkühnte sich auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde hin sogar zur Aussage, sie habe alles im Griff gehabt.

Selbst wenn man unter Berufung auf das Versammlungs- und Polizeirecht die Genehmigung von Neo-Nazi-»Demonstrationen« für zulässig hält – die Meinungen der Konferenzteilnehmer darüber gingen sehr auseinander -‚ hätte die Stadt Nürnberg auf jeden Fall durch entsprechende Auflagen dafür sorgen müssen, daß es nicht zu dem unzumutbaren Spießrutenlauf der Konferenzteilnehmer am Vormittag und zu den Vorfällen am Abend kommen konnte. Was nach links recht ist, muß nach rechts billig sein.

In Bonn z.B. hatte die Friedensbewegung bei ihren Aktionen anläßlich der kürzlichen Jubiläumsfeier der Bundeswehr auf der Hardthohe nicht einmal die Chance, auf Sichtweite bis an das Bundesverteidigungsministerium herangelassen zu werden, sondern durfte sich in einer Seitenstraße in 600 m Entfernung versammeln. Zeigte die Nürnberger Polizei schon bei der Vormittagsaktion kein Fingerspitzengefühl, lässt sich ihr Verhalten am Abend nur als skandalös bezeichnen. Spätestens seit der Flugblattverteilung am Vormittag mußte ihr klar sein, was sich abends ereignen würde. Das FAP-Flugblatt endete mit dem unmißverständlichen Aufruf »Zeigen wir den ungebetenen ‚Gästen‘, daß sie auf deutschem Boden nicht willkommen sind«. Die Art und Weise, wie Neo-Nazis das zu zeigen pflegen, dürfte auch der Nürnberger Polizei nicht unbekannt gewesen sein.

Ein dritter Vorgang darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: Die deutsche Botschaft in Moskau befristete das Einreisevisum der sowjetischen Teilnehmer auf die Dauer der Konferenz, obwohl sie beantragt hatten, noch einige Tage länger in der Bundesrepublik bleiben zu können. Erst auf kurzfristige massive Intervention von Veranstalterseite hin wurde das Visum am Tag vor seinem Ablauf verlängert. Hätte sich die sowjetische Botschaft gegenüber westdeutschen Besuchern so verhalten, wäre man nicht überrascht gewesen. Begibt sich das Auswärtige Amt mit dieser Politik nicht in eine verkehrte Logik?

Die bemerkenswertesten Konferenzbeiträge kamen von prominenten Teilnehmern aus den USA und Großbritannien. Am Schluß dieses Berichts stehen daher einige Zitate. »Die Apartheidspolitik in Südafrika hat sich als der Nazismus unserer Zeit diffamiert. Die Rassentrennung ist die extremste Form des in Nürnberg verurteilten Rassismus« (Lord Gifford, der einen internationalen Gerichtshof gegen Südafrika forderte). »Es ist ein Verbrechen gegen den Frieden, daß man sich nicht an Nürnberg erinnert… Während wir hier tagen, werden atomare Waffen gebaut, militarisieren die USA mit ihren Star-Wars-Plänen den Weltraum. Das Wettrüsten selbst ist das größte Verbrechen am Frieden, und der Hunger in der Welt ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit« (Ramsey Clark). »Der Krieg bricht nicht aus wie ein Vulkan, sondern nur, wenn bestimmte Personen beschließen, ihn zu beginnen« (John Fried). »Wir müssen Hiroshima so ernst nehmen wie Auschwitz« (Richard Falk). Ramsey Clark, John Fried, Richard Falk und Robert Kempner schlugen eine »Verpflichtung von Nürnberg« vor, die von der großen Mehrheit der Teilnehmer unterzeichnet wurde (vgl. den Dokumentationsteil dieses Heftes). Die sechs deutschen Konferenzveranstalter beschlossen eine gemeinsame Schlußerklärung mit konkreten Forderungen an Bundesregierung und Bundestag (in Auszügen ebenfalls dokumentiert).

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