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Wohngrup­pen­voll­zug. Vorstufe zur Freiheit?

aus: vorgänge Nr.79 (Heft 1/1986), S.73-82

Während der Reformbestrebungen im westdeutschen Strafvollzug wurde der erst Anfang der 70er Jahre in Betrieb genommenen JVA Schwerte ein gewisser Modellcharakter zuerkannt, was eine relativ günstige Ausstattung mit Geldmitteln zur Folge hatte. Aus diesen Gründen konnte in der Anstalt etwas experimentiert werden: Das  Experiment hieß »differenzierender Wohngruppenvollzug«, und die einmaligen Zusatzkosten wurden mit ca. DM 90000,- veranschlagt. Die JVA blieb jedoch weiterhin eine Anstalt des geschlossenen Vollzugs. Zwei vorhandene Abteilungen mit jeweils 24 Haftplätzen wurden in drei neue mit jeweils 12 Haftplätzen umgestaltet – die übrigen Abteilungen der Anstalt (insgesamt ca. 280 Haftplätze) blieben von der Änderung unberührt.

Die drei neuen Abteilungen wurden großzügig konzipiert – großzügig im Verhältnis zur restlichen JVA:

– die Flurschächte wurden zubetoniert, so daß die vorher durchgehenden Öffnungen, von oben nach unten, auf ganzer Länge der Flure, verschwanden;

– die neuen Abteilungen wurden untereinander durch Zwischentüren abgeteilt;

– jede Abteilung bekam eine Teeküche, einen Fernseh- und Gruppenraum, sowie einen Beamtenraum;

– die Flure der Abteilungen durften durch besonderen Farbanstrich, durch Aufstellen von (von Privatleuten für die Gefangenen gespendeten) Polstermöbeln zu Sitzgruppen und durch Anbringen von Postern wohnlicher gestaltet werden;

– pro Abteilung wurden vier besonders ausgesuchte Beamte als ständige Abteilungsbeamte beordert;

– jede Abteilung bekam ihren eigenen Sozialarbeiter.

Auch wurde ein grundlegendes Konzept, Statut genannt, ausgearbeitet, das allerdings auf keinerlei Erfahrungen basierte. Dieses Papier regelt die Aufnahme- und Ausscheidungskriterien für die Gefangenen der Wohngruppen, regelt den abteilungsinternen Organisationskram und vieles mehr. Da wird unter anderem wörtlich angeführt (Anhang A, Punkt1 ff):

1. Die Wohngruppe im Strafvollzug arbeitet nach dem Prinzip einer problemlösenden und helfenden Gemeinschaft. Dieser Begriff meint, daß alle Menschen, die innerhalb der Wohngruppe leben und arbeiten, sich als Partner im Behandlungsprozeß verstehen und eine einander stützende Einheit bilden mit dem Ziel, den sozial anfällig gewordenen Mitgliedern der Gemeinschaft die Voraussetzung für eine Eingliederung als sozial anerkannte Glieder der Gesellschaft zu ermöglichen.

2. Die Wohngruppe bietet dem einzelnen Mitglied ein begrenztes, leicht überschaubares und unter kontrollierten Bedingungen funktionierendes Übungsfeld für sozial anerkanntes Verhalten. Die Wohngruppe als helfende Gemeinschaft stellt ein korrigierendes soziales Klima her, in dem der Gruppenteilnehmer seine negativen Erfahrungen aus früheren mitmenschlichen Beziehungen neu erleben und verändern kann.

3. Die Wohngruppe soll folgende allgemein positive Faktoren des Gruppenlebens fördern:

– Das unangemessene Sozialverhalten des einzelnen wird der Gruppe deutlich; dadurch kann er von der Gruppe darauf aufmerksam gemacht werden;

– Die Gruppe und der einzelne bemühen sich gemeinsam, das unangemessene Sozialverhalten zu verstehen;

– Die schätzens- und liebenswerten Seiten der einzelnen Gruppenmitglieder werden dem Betreffenden deutlich und erkennbar gemacht und durch die Gruppe anerkannt und damit gefördert;

– Gemeinsam werden Situationen geschaffen und gefördert, die korrigierende Erfahrungen ermöglichen.

Im Grunde beinhaltet dieser »Anhang A des Statut« alle wichtigen Punkte; nur geriet er sehr schnell in Vergessenheit, weil es an Rezepten zu seiner Realisierung fehlt. Er ist vorhanden, wird jedoch nicht als Grundlage benutzt. Zudem gibt es ein gewichtigeres Papier: Die Vorschriften für Sicherheit und Ordnung in der Anstalt, welches durch seine Ausführungsanweisungen praktikabel ist. Diese Vorschrift ist allem und jedem übergeordnet – auch dem Strafvollzugsgesetz.

Wird im Abschnitt drei von Punkt vier des Anhang A noch gesagt:

»Zum dritten kann von den Gruppenteilnehmern eine aktive Beteiligung, sein Eintritt in den Prozeß des sozialen Lernens erst erwartet werden, wenn das Behandlungsteam ein einladendes soziales Klima herstellt, indem es exemplarisch die äußeren und inneren Bedingungen seines Zusammenlebens diskutiert und sich im Prozeß der Selbstreflexion um die Verbesserung der interpersonellen Kommunikation und Kooperation bemüht.«,

so steht dies nur auf dem Papier des Statut. In den Ordnungsbestimmungen sind Mißtrauen und Kontrolle vorgeschrieben –  und diese bestimmen die Atmosphäre in der Wohngruppe wie auch das Dienstverhalten der Beamten.

Im Statut ist die vorrangige Überwachungs- und Kontrollfunktion der Beamten nicht berücksichtigt; vielmehr verlangt es vom Beamten ein Eingehen auf die individuelle Situation des Gefangenen; die Vorschrift hingegen insistiert auf die ausschließliche Berücksichtigung des Sicherheitsbedürfnisses der Behörde. Die Ausbildung der Beamten ist darauf ausgerichtet, diese Vorschriften zu erfüllen; dazu dienen auch die regelmäßig durchgeführten Schieß- und Feuerschutzübungen, Judokurse und Anti-Revolte-Übungen. Diese »Weiterbildungskurse« sind verordnet und beförderungsrelevant. Sonstige Aus- und Weiterbildung – etwa, wie der Beamte die Probleme der Gefangenen erkennt, wie er sie dem Gefangenen bewußt machen kann und wie die Gefangenen motiviert werden können, ihre Probleme konstruktiv anzugehen – muß der Beamte in Eigeninitiative absolvieren (sofern überhaupt ein derartiges Angebot existiert, VHS, etc.) und finden dienstlich (Beförderungen) keine Berücksichtigung.

Ein Kompetenz- und Funktionskonflikt der Beamten ist somit vorprogrammiert: Sie lernen die Bedürfnisse der Behörden zu befriedigen. Die Bedürfnisse der Gesellschaft – eine sinnvolle Resozialisierung der Gefangenen – finden in den Dienst- und sonstigen Vorschriften keinen Raum. So verstehen die Beamten unter »Behandlung« lediglich eine Anpassung der Gefangenen an die justizvollzugsinternen Gesetzmäßigkeiten, die mit einer Vorbereitung für das straffreie Leben in der Freiheit nichts gemein hat. Unterordnung unter die allmächtige, willkürlich herrschende Behörde; jede andere Zielsetzung steht nur auf dem Papier, wortreich und wertlos.

Die JVA Schwerte ist eine Anstalt des geschlossenen Vollzuges. Die Wohngruppen mit ihren speziellen Erfordernissen haben das zu respektieren und keinen Sonderstatus. Somit beschränkt sich das Gruppenleben fast ausschließlich auf den räumlichen Abteilungsbereich, da auch für die Mitglieder der Wohngruppen die Außenmauer so undurchlässig ist, wie im geschlossenen Vollzug üblich. Das bedeutet, daß wesentliche Punkte des Statutes, etwa die Förderung von Außenkontakten und das Einüben, per Bewältigung, von Konfliktsituationen fast nur als theoretisches Planspiel geschrieben stehen. Folglich kommen fast ausschließlich nur solche Konfliktsituationen zur Sprache und zur »Behandlung«, die der Gefangene innerhalb des Vollzuges erlebt. Daraus wiederum resultiert, daß die Behandlung auf Vollzugstauglichkeit ausgerichtet ist. Die Konflikte, aufgrund derer die Gefangenen in den Strafvollzug gerieten, können bestenfalls verbal behandelt werden.

Zu den Aufnahmekriterien, nach denen die Gefangenen für die Behandlungswohngruppe ausgesucht werden, heißt es:

»Bei der Einweisung in die Behandlungswohngruppe ist auf die Zusammenstellung einer gemischten Population zu achten: Eine kleine Anzahl von Inhaftierten mit stark gruppenbelastenden Merkmalen ist durch Bewohner mit einer stabileren Persönlichkeits-struktur zu ergänzen.«

Darauf, auf das Gruppenverhalten in einer Gruppe von Strafgefangenen die sich freudig und fügsam der Behörde unterordnen, beschränkt sich letztlich die gesamte »Maßnahme Behandlungswohngruppe«.

Entsprechend den oben genannten Kriterien werden die Gefangenen für die Behandlungswohngruppe ausgewählt, jedoch nicht gegen ihren Willen in die Wohngruppe verlegt. Für sie gibt es hauptsächlich zwei Gründe, sich für die Wohngruppe zu entscheiden:

1. Sie versprechen sich von der Wohngruppe Vorteile für ihren weiteren Weg durch den Strafvollzug – z.B. eine schnellere Verlegung in den gelockerten Vollzug, eine frühere Entlassung, oder

2. eine relativ gemütliche Zeit. (Die Ruhe auf der Wohngruppenabteilung ist psychisch wesentlich weniger anstrengend als die lärmerfüllte, hektische Normalabteilung. Dort dröhnt jeden Abend der Gemeinschaftsfernseher bis in die letzten Winkel, dort herrscht ein primitiver Kasernenhofton, dort kommt es auch zu Tätlichkeiten seitens der dazu neigenden Beamten, ebenso zu Schikanen.)

Sicherlich ist es kein Einzelfall, daß ein Gefangener mit der ehrlichen Absicht, über sich zu lernen in die Wohngruppe kommt; vielleicht ist dies sogar bei jedem der Fall; doch halte ich solchen Wunsch für nicht gefängnistypisch. Dieser Wunsch, etwas über uns und die Mitmenschen zu lernen, ist derart natürlich, daß er uns alle das Leben lang begleitet. Ihn als Beweggrund für die Wohngruppe anzuführen, halte ich daher für überflüssig, obwohl die Fachdienste und Beamten gerade diese Begründung bei den Gesprächen mit den Kandidaten für die Wohngruppe hören möchten. Sie wünschen, daß der therapeutische Schein gewahrt bleibt – aller Praxis zum Trotz.

Die Verlegung in eine lockere Form des Vollzuges hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, die insgesamt nicht langfristig abschätzbar sind. In keinem Fall kann vorhergesagt werden, ob die Anstalt des gelockerten Vollzuges zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Gefangenen aus der Wohngruppe auch einen Platz zur Verfügung hat. So hängt es eher von Zufällen ab, ob ein Gefangener, bei dem eine Verlegung geplant war, nach Beendigung der Wohngruppe auch wirklich verlegt werden kann.

Die zweite Hoffnung, während der Zeit in der Wohngruppe ein relativ gemütliches Leben zu haben, ist im allgemeinen berechtigt:

– die Abteilung ist überschaubar;

– die Beamten sind nicht gar so 150%ig wie die anderer Abteilungen;

– die Vorschriften, welche die Einrichtung und Ausstattung der Hafträume regeln, werden hier nicht so engstirnig ausgelegt;

– die Beamten sind ansprechbarer und setzen sich wesentlich mehr für die Belange der Gefangenen ein;

– der abendliche Einschluß erfolgt vorschriftsmäßig erst um 21.30 Uhr

– und nicht wie im Haupthaus unvorschriftsmäßig-willkürlich, nach Laune der jeweiligen Diensttuenden schon mal um 21.00 Uhr.

Die Summe dieser Gründe war es, die mich immer wieder nach Beendigung eines Durchganges, für einen weiteren Gruppenverbleib entscheiden ließen. In den Augen der Beamten wandelte ich mich von anfangs betreuungsbedürftigen zum sozial stabilen Gefangenen, was meinen Verbleib förderte. Nach über 12 Jahren Isolation, wie sie in der Einzelhaft des geschlossenen Vollzuges (damals) war, kam mir die Behandlungswohngruppe fast wie eine »Vorstufe zur Freiheit« vor. Sehr viel von dem, was ich in den Jahren davor (ohne es bemerkt zu haben) verlernt hatte, wurde mir in der Wohngruppenzeit deutlich, und ich konnte es aufarbeiten, sodaß ich meine isolationsbedingten Kontaktschwierigkeiten nahezu völlig überwinden konnte. Mir half die Wohngruppenzeit, meine haftbedingten Persönlichkeitsschäden zu verringern. Auch wurde ich von den Beamten der Wohngruppe in keiner Weise daran gehindert, mir Kontakte nach draußen aufzubauen, sie zu vertiefen und zu pflegen.

Da ein Wohngruppendurchgang in der Regel ein Jahr währt, erlebte ich bisher 4 Durchgänge. Bei allen Durchgängen war die gleiche Entwicklung der jeweiligen Gruppe zu beobachten.

Zuerst gebärdeten sich die Gruppenmitglieder euphorisch, froh dem Normalvollzug der anderen Abteilungen entronnen zu sein. Nicht alle Gruppenmitglieder kamen aus dem Haupthaus. Einige kamen direkt von der sogenannten Zugangs- und Beobachtungsabteilung und hatten zuvor mit keinem der Gefangenen aus dem übrigen Haus Kontakt. Ihnen mangelte es an wichtigen Vorinformationen über die Wohngruppe, ihr Wissen erschöpfte sich in den unbestimmt gehaltenen (Schein-)Informationen, die sie von den Beamten bekamen. Die anderen Gefangenen verfügen über detailliertes Vorwissen, da sie konkrete Informationen von solchen Gefangenen, die schon in der Wohngruppe waren, sammeln konnten. Doch auch diese täuschen sich zumeist über die Möglichkeiten der Wohngruppe. Die erste Zeit eines Durchganges ist die der großen Pläne, und jeder zeigt sich von der besten Seite.

Danach kommt die Zeit der Krisen. Die Schokoladenseite der einzelnen wird brüchig, die ersten unangenehmen Verhaltensweisen werden deutlich. Die Krisen entstehen jeweils aus der Verunsicherung des einzelnen, die dann Einfluß auf die gesamte Abteilung hat. Hier wird ein drastischer Mangel an psychologischer Betreuung und Beratung offenbar. Der für die Abteilung zuständige psychologische Dienst ist zwar erreichbar, jedoch vermag er der Wohngruppe nicht genügend Zeit zu widmen, da er gleichzeitig das halbe Haus zu beraten und zu betreuen hat. Auch der zuständige Sozialdienst kann sich nur wochenstundenweise um die Wohngruppe bemühen, da auch dieser einen Gutteil des Hauses mit zu betreuen hat.

Nach und nach macht jeder in der Wohngruppe seine Identitätskrise durch; die aus dem Führungsanspruch entstehenden Rivalitäten werden geregelt, und es tritt Ruhe ein. Dann ist im allgemeinen der vorher laut propagierte Gruppengedanke am Ende. Die Gefangenen haben nun gelernt, daß sie hier ebenso allein gelassen sind, wie auf einer anderen Abteilung, daß sie hier lediglich mehr Ruhe und Polstermöbel auf dem Flur haben. Ansonsten ist der Knast, den sie hier durchwarten müssen, der gleiche.

In der dritten Phase, der Zeit der Verunsicherung und Führungsrivalitäten, verhalten sich die nicht direkt betroffenen Gefangenen distanziert. Es ist die Zeit der Clübchenbildung, in der sich die Untergruppen formieren, die bis zum Auslaufen des Durchganges konstant bleiben. Diese Zweier- und Dreiergruppen bilden Schutzgemeinschaften und beweisen bestens, daß die Behandlungswohngruppe nichts anderes ist, als eine normale Knastabteilung – nur eben mit anderer Überschrift. Die Schutzgemeinschaft ist die eigentliche Gruppe, in der der Gefangene lebt. Hier spricht er über seine Probleme; hier wird er beraten, kritisiert und nötigenfalls aufgefangen – von seinen Mitgefangenen. Die Beamten erfahren kaum davon.

Am Grad der Verschwiegenheit wird Vertrauenswürdigkeit gemessen, Wer etwas über einen Gefangenen erfährt und es nicht weiterträgt, gilt als zuverlässig. Die Beamten bilden den Gegenpol; sie vertreten den Justizvollzug, die bevormundende, freiheitsbeschneidende Macht. Das Ausmaß der Heimlichkeiten einer Kumpanei ist gleich dem Maß der Vertrautheit; somit ist das Maß der Nichtzusammenarbeit mit den Beamten gleich dem Ansehen, welches der einzelne in der Wohngruppe genießt. Nur in sehr begrenztem Maße werden einzelne Beamte als vertrauenswürdig angesehen. Zumeist nur in Dingen, die er in seiner Eigenschaft als Vollzugsbediensteter sowieso erfährt, wenn er z.B, die Personalakte des Gefangenen studiert oder die Anträge der Gefangenen bearbeitet. Wer jedoch zum Plaudern neigt und den Beamten berichtet, wird sich alsbald im Abseits sehen und nur noch in den Beamten Gesprächspartner finden. Somit ist der Gefangene, der sich nicht darauf versteht in einer Gruppe zu leben, in der Wohngruppe ebenso im Abseits wie bereits zuvor und findet keine Möglichkeit dazuzulernen. Wer in der Lage ist, sich einzuordnen, kann dies auch in der Wohngruppe; wer es nicht gelernt hat, findet hier keine Möglichkeit, es zu lernen.

Nachdem sich die Clübchen formierten – und der Gruppentrottel bestimmt ist – , findet eigentlich nichts anderes mehr statt, als »das Beste aus der Situation zu machen«. Die Annehmlichkeiten, die sich bieten, werden nach Kräften genutzt; sich einzubringen in die Gesamtgruppe wird nach Möglichkeit vermieden. Das wäre die dritte Phase, die bis einige Wochen vor dem jeweiligen Durchgangsende dauert.

Die vierte Phase ist die der Auflösung, das Ende des Durchganges ist in greifbare Nähe gerückt. Nun weicht der Druck von den Gefangenen, sie geben sich unverkrampfter und gehen freier miteinander um. Ganz werden die stillen Burgfrieden jedoch nicht aufgehoben. Jetzt wissen die, welche in den offenen Vollzug verlegt werden bereits, wie es mit ihnen weitergeht, und die anderen hegen keine Illusionen mehr; sie wissen, daß sie zurück ins Haupthaus müssen und geben sich keine Mühe mehr, Anpassung zu heucheln.

An Annehmlichkeiten bieten sich auch gemeinsame Unternehmungen, wie ein bis drei Gruppenausführungen pro Durchgang, gemeinsame Treffen mit Angehörigen und Gruppenessen. Da diese Möglichkeiten bestens geeignet sind, den grauen Alltag aufzuhellen, werden sie von allen Gefangenen angestrebt. Darüber hinaus besteht alle drei bis vier Monate die Möglichkeit als geschlossene Gruppe die Anstalt zu verlassen und, unter Bewachung sämtlicher Abteilungsbeamten, einen Ausflug zu machen. Lediglich ein kultureller Aspekt ist als Begründung vorgeschrieben. So begibt sich die Gruppe in irgendein Museum, hakt dieses im Schnelldurchgang ab und ist danach bemüht, einen »lockeren Tag« in irgendeinem Restaurant zu verbringen. Angehörigentreffen sind theoretisch öfter möglich, scheitern aber zumeist im Planungsstadium an den Terminzwängen der Angehörigen: Nur selten ist es möglich, alle Angehörigen der Gefangenen zusammen zu bekommen. In den ersten Jahren erlebte ich gesonderte Ausführungen und Angehörigentreffen. Da fanden die Angehörigentreffen jeweils im großen Besucherraum der Anstalt statt und dauerten einen Sonntagnachmittag. Seit einem Jahr werden beide Möglichkeiten kombiniert: Man trifft sich mit den Angehörigen bei einer Ausführung. Diese Variante fand größere Zustimmung, sowohl bei den Beamten (die Beamten hatten die Lust an den bis dahin praktizierten Ausführungen verloren, weil sie ihre Laufbahn, ihr berufliches Fortkommen gefährdet sahen; denn beim gemeinschaftlichen Restaurantbesuch hatten die Gefangenen die Gelegenheit Alkohol zu bestellen, was von den Vorschriften strikt untersagt ist und für die Beamten stets unangenehme Auseinandersetzungen mit den Vorgesetzten zur Folge hat); die Gefangenen freuten sich, daß bei einem externen Angehörigentreffen der lästige Museumsbesuch entfiel. Abseits von jeder Alkoholversargungsmöglichkeit findet seitdem für die Dauer eines ganzen Sonntags eine lockere Grillpartie statt, die den großen Vorteil bietet, daß auch Kinder dazu eingeladen werden können.

Die Wohngruppe ist ein Knast innerhalb des Knastes. Vom morgendlichen Aufschluß bis zum Arbeitsende am frühen Abend gleicht der Ablauf dem im Haupthaus. Ab 18.00 Uhr beginnen die Besonderheiten der Wohngruppe: Die Gruppenabende.

Der Wohngruppengefangene ist verpflichtet an verschiedenen wohngruppeninternen Gruppenabenden teilzunehmen und kann an diesen Abenden nicht an irgendeiner der für die Gesamtanstalt angebotenen (Bildungs- oder Freizeit-) Veranstaltung teilnehmen, ebenso wenig am Fernsehen. An solchen Tagen beginnt die Freizeit des Gefangenen erst nach dem Einschluß, wenn er mit sich allein in der Zelle sitzt.

In den ersten Jahren der Bhwg wurden eine Trainingsgruppe, eine Persönlichkeitsgruppe und eine Projektgruppe als Pflichtübungen angeboten. Vom Statut her bestand nebenher noch die Möglichkeit für reine Freizeitgruppen, die aber, weil die Gefangenen auch einmal einen Abend zur wirklich freien Verfügung haben wollten, mit Ausnahme sporadischer Sportstunden, nicht wahrgenommen wurden. Vierzehntätig wurde außerdem eine Gruppenversammlung anberaumt, bei der die Teilnahme ebenfalls für alle Pflicht war, und die als Selbstverwaltungsorgan der Bhwg (gemäß § 160 StVollzG) galt.

Die Persönlichkeitsgruppe wurde stets von einem Vertreter der Fachdienste – also der Psychologin oder dem Sozialarbeiter – geleitet. Hier sollte personen- und problemorientiert gearbeitet werden. Nach der Art des Group-Councelling sollten Schwächen und Stärken der Gefangenen in den Mittelpunkt gerückt und Verständnis dafür geweckt werden.

Dieser Persönlichkeitsgruppenabend war bei den Gefangenen allgemein unbeliebt. Er begann nicht selten mit lang anhaltendem Schweigen, da erfahrungsgemäß derjenige Gefangene, der zuerst das Wort ergriff von allen anderen zum Thema gemacht wurde.

Er wurde dann verbal zerrissen und verhackstückt, wobei das Hin und Her der Vorwürfe und Unterstellungen oft häßliche, emotionsgeladene Situationen herbeiführte. Das  Bestreben aller Teilnehmer war stets, nicht selbst zum Thema zu werden. Mich erinnerten diese Gruppenabende oft an die aus dem stalinistischen Machtbereich berichtete – Methode von Kritik und Selbstkritik: Gab es nichts zu kritisieren, so wurde konstruiert (»Stell Dir vor, Du würdest…!«). Der Wortgewandteste war unbedingt im Vorteil: Wer nicht gelernt hatte zu argumentieren, war verraten und verkauft und wurde zur leichten Beute der Masse. So verursachte diese Persönlichkeitsgruppe bei schwächeren Naturen Krisensituationen, die auf das gesamte Gruppenleben abfärbten. Mancher simulierte aus Angst vor einem solchen Abend Krankheit und flüchtete ins Bett. Auch konnte es dazu kommen, daß wochenlang ein und derselbe Gefangene Gruppenthema war, da er auf Grund der psychischen Probleme, in die er hinein gezwungen wurde, die entsprechenden Verhaltensweisen zeigte. Die Probleme, die in der Persönlichkeitsgruppe zur Sprache kamen, wurden somit nicht selten in eben dieser Persönlichkeitsgruppe erzeugt. Als künstlich geschaffenes Übungsfeld bezeichnet, kann solches als im Einklang mit dem Statut gesehen werden; mir schien es jedoch eine furchtbar sadistische Methode der Verhaltenssteuerung. Auch drängte sich oft der Eindruck auf, daß hier experimentiert wurde, daß es gar nicht darum ging den Gefangenen zu helfen, sich in der Welt außerhalb des Knastes flexibler zu verhalten, sondern daß sowas wie eine forensische Psychologie hier Erkenntnisse sammeln wollte. Allerdings wurden die Gefangenen auch von ihrer Solidarität gesteuert: Je mehr Erfahrungen wir mit der Persönlichkeitsgruppe machten, um so stärker versuchten wir, die unangenehmen Seiten dieser Gruppenabende zu entschärfen, indem wir vorher absprachen wen und was wir zum Thema zulassen wollten. Die »Themen-Opfer« und auch die Anschuldigungen wurden vereinbart und den Beamten damit ein verstecktes Theaterspiel geliefert. Damit wurde dann tatsächlich – wie vom Statut gefordert – das Wir-Gefühl verstärkt. Zugleich wurden die Beamten ins Abseits gedrängt, was diesen nicht verborgen blieb und was sie als Undankbarkeit auslegten; wodurch die allgemeine Stimmung getrübt wurde.

Die zweite ursprüngliche Form des Gruppenabends war die Trainingsgruppe. Diese wurde regelmäßig von einem der Beamten, ohne Anwesenheit eines Fachdienstes, durchgeführt. Entsprechend unqualifiziert waren diese Leitungen. Laut Statut sollte in der Trainingsgruppe sozialpraktisches Lernen erfolgen und praktische Aufgabenlösungen für nach der Entlassung eingeübt (trainiert) werden. Doch scheiterte sie (trotz guten Willen der Beamten und der Gefangenen) an der Tatsache, daß den Gefangenen nicht bekannt ist, mit welchen Problemen sie nach der Entlassung konfrontiert werden und daß ein Gespräch kein psychosoziales Training bedeutet. Weder die Beamten, noch die Gefangenen wissen also, welche Problemlösungen zu trainieren erforderlich ist. So beschränkte sich die Thematik auf absehbare Problemchen: Dem Umgang mit dem Sozialamt, Bewährungshelfer, Arbeitsamt und mit Versicherungen. Zu diesen Abenden eingeladene Fachkräfte (Versicherungsleute und Bewährungshelfer) konnten keine echte Beratung vornehmen, sondern nur allgemein reden (Die Versicherungsleute aus gesetzlichen, die Bewährungshelfer aus Zuständigkeitsgründen). Es konnte also in der Trainingsgruppe nichts wirklich trainiert werden. Die Beamten waren fachlich nicht genügend kompetent, obwohl sie sich wirklich mühten sich zu informieren; doch standen ihnen lediglich allgemeinerhältliche Werbetraktätchen zur Verfügung, denen für den Einzelfall nichts zu entnehmen ist. Das wirklich große Problem der Gefangenen, wie sie ihre Einsamkeit, ihre Isolierung, ihre Freizeit und ihre Ängste in den Griff bekommen, das konnten auch die Beamten nicht ansprechen – da sie es selbst nicht beherrschen. Es wurde geraten, sich Arbeit zu suchen und dazu auch die Hilfe des Arbeitsamtes in Anspruch zu nehmen; und es wurde geraten sich vertrauensvoll und dankbar den Schikanen der Sozialämter zu unterwerfen. Die Problemsituationen in Freizeit und Arbeitsleben, die doch eigentlich zu den Straftaten führten, wurden großzügig ausgeklammert. Solche Themen zu behandeln lässt die Ausbildung der Beamten nicht zu; es ist auch nicht möglich diesen Bereich im geschlossenen Vollzug zu trainieren.

Nachdem das erkannt war, wurden auch die Trainingsgruppen zu Gunsten der Kleingruppen abgeschafft.

Vor zwei Jahren wurde das Konzept, welches Trainings- und Persönlichkeitsgruppen vorsah, dahingehend abgeändert, daß die Gruppenabende, an denen alle Bewohner zugleich teilnehmen mussten, zugunsten kleinerer Gruppen aufgegeben wurde. Diese Kleingruppen wurden regelmäßig nach vier bis sechs Monaten in Frage gestellt, um eine Änderung der Teilnehmerzusammensetzung zu ermöglichen, bzw. einen Themenwechsel vorzunehmen. Doch auch hier wurde das Angebot von den Möglichkeiten der Beamten begrenzt. Im Grunde blieben die altbekannten Trainingsgruppen-Themen. Für andere sind und waren die Beamten nicht kompetent. Der hohe Anspruch, Stärken und Schwächen einzelner zu thematisieren, wurde gänzlich fallen gelassen zugunsten der Möglichkeit, daß es dem einzelnen freisteht über sich selbst zu reden.

Wieder anders war die Projektgruppe. Hier kamen an einem Abend der Woche Studenten der Fachhochschule in die Wohngruppe. Für die Studenten ist dies ein Teil des Studium, und sie müssen an der FH entsprechende Berichte darüber abliefern. An der FH wird dieser Teil des Studium als Projekt bezeichnet, daher der Name. Für die Gefangenen war es jeweils ein Abend ohne Stress. Die Studenten erhielten viele Informationen aus erster Hand; einiges, z.B. Kontrollen und Schikanen seitens der Institution Gefängnis erlebten sie am eigenen Leib. Vieles von dem, was sie im Knast erfuhren und erlebten stand im Widerspruch zu dem, was ihnen an offiziellen Informationen zuteil wurde Diese Widersprüche und mancherlei Betroffenheit führten zu intensiver Solidarisierung der Studenten mit den Gefangenen. Das wiederum hatte Krach mit den Bediensteten der JVA und mit der FH zur Folge. Es kam zu intensiver Zusammenarbeit der Institutionen Knast und FH gegen die Studenten; massive hässliche Unterstellungen, zumal gegen die weiblichen der Studenten, und konstruierte Beweisführungen gipfelten in Hausverboten.

Danach fand für einige Monate keine Projektgruppe statt. Seit einem Jahr gibt es diese Gruppe wieder; jedoch mit besonders ausgesuchten Studenten, die keine Neigung zeigen, andere als offizielle Informationen zu erhalten. So läuft das Projekt problemlos weiter – ist allerdings auch zum langweiligen Kaffee- und Plauderstündchen degeneriert. Die Zeiten hitziger Diskussionen überwiegend politischen Inhalts, in denen ernsthaft versucht wurde, Sachverhalte zu ergründen (Hintergrundinformationen wurden von der Hochschulbibliothek ausgeliehen), Informationen auszutauschen und Bewußtsein zu bilden, sind in der Projektgruppe vorläufig vorbei. Das Thema »Knast und  Gesellschaft« ist an diesen Abenden völlig tabu.

Die Gruppenversammlung, die das Selbstverwaltungsorgan der Wohngruppe, gemäß § 160 StVollzG, sein soll, ist eine besonders amüsante Einrichtung – ebenso wie der § 160 selbst. Tatsächlich dürfen die Gefangenen zu allen Vorkommnissen in der Anstalt ihre Meinung sagen, nur – es kümmert sich niemand um die Meinung der Gefangenen. Mitentscheiden dürfen sie nur, wenn es gilt, bereits getroffene Entscheidungen zu bestätigen. Die Abteilungs- bzw. Gruppenversammlung der Bhwg entscheidet über die Aufteilung der verschiedenen Putzdienste (Flur, Küche, Gruppenraum). Gruppenentscheidungen über Aktivitäten, wie Ausführungen, hängen von den Entscheidungen der Beamten ab, haben also bestenfalls Echo-Charakter.

Abschließend:

Ich sehe im Wohngruppenvollzug eine mögliche Alternative zum klassischen Verwahrvollzug, jedoch keine Verbesserung, sondern lediglich eine Änderung. Die Einengung, die der Wohngruppenvollzug durch die geschlossene Anstalt erfährt, macht vieles unmöglich, was am »Experiment Wohngruppe« interessant erscheinen könnte. Mir wäre, statt Polstermöbeln, eine Mitgliedschaft in der Arbeiterrentenversicherung lieber, da eine solche wirklich zukunftsorientiert wirksam wäre. Ich wurde über die Versicherung informiert, zugleich wurde mir der Zugang verwehrt (durch zu niedriges Einkommen, so daß ein freiwilliger Beitrag unmöglich ist), wodurch ich mich aufs höchste verhöhnt fühle.

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