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Wider eine Krimi­na­li­sie­rung der Total­ver­wei­gerer

Dokumentation

aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/ 1986), S. 140-141

Sensbachtal, 8. Dezember 1985 – Der Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie hat sich auf einem Treffen am Wochenende gegen eine »schleichende und offene Militarisierung« an der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung ausgesprochen, wie sie in der immer erneuten Verurteilung totaler Kriegsdienstverweigerer zum Ausdruck komme. In seiner Erklärung, die auch den Bundestagsabgeordneten, den im Bundestag vertretenen Parteien und der Bundesregierung zugeleitet wurde, verweist der Komitee-Vorstand insbesondere auf den »Toleranzartikel des Grundgesetzes, Artikel 4, der in all seinen Absätzen unverkürzte Glaubens-und Gewissensfreiheit garantiert«. Das Komitee sympathisiere mit den totalen Kriegsdienstverweigerer, weil sie am konsequentesten zum Ausdruck brächten, welches Engagement für die Erhaltung des Friedens und im Widerstand gegen eine fortschreitende Militarisierung auch im Innern der Gesellschaft erforderlich sei. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:

Die Fälle sind nicht allzu zahlreich. Aber sie häufen sich. Totale Kriegsdienstverweigerer werden zu fünf Monaten, zu acht Monaten, zu sechzehn Monaten mit oder ohne Bewährung verurteilt, je nachdem, wie es dem Gericht gefällt. Und dies zum Teil gleich mehrfach hintereinander. Für ein und denselben Tatbestand.

Totale Kriegsdienstverweigerer sind junge Männer, die nicht allein den »Kriegsdienst mit der Waffe«, wie dies in Artikel 4 Abs. 3 GG geregelt ist, ablehnen. Sie verweigern darüber hinaus auch den sogenannten Zivildienst. Ihre hauptsächliche Begründung hierfür lautet: Jede staatlich verordnete Dienstverpflichtung hilft indirekt oder direkt gleicherweise der Kriegsvorbereitung, die der Staat fortdauernd betreibt.

Ob man Motive und Begründungen der totalen Kriegsdienstverweigerer teilt oder nicht: sie werden von den Betroffenen in überzeugender Weise vorgetragen. Die totalen Kriegsdienstverweigerer nehmen bereits in der Auseinandersetzung um ihre Verweigerung viel Unbill auf sich und zugleich die Gefahr, rechtskräftig verurteilt zu werden und alle beruflichen Aussichten zu verlieren, in Kauf. Totale Kriegsdienstverweigerer machen in ihrer Weise radikal ernst mit der Friedenspflicht, die grundgesetzgemäß für den Staat insgesamt und für jeden einzelnen Bürger gilt. Sie erinnern zugleich daran, daß ein moderner Krieg und seine Vorbereitung, auch wenn dieselbe als Verteidigung ausgegeben wird, nicht mehr wie ein spezifischer Faktor von der Gesamtgesellschaft und ihrer staatlichen Organisation abgesondert werden kann. Die moderne Rüstung hat vielmehr das Kriegs-, aber auch das Friedensbild, den Zustand des Nicht-Krieges qualitativ verändert.

So ist der Totalverweigerer Christoph Bausenwein Ende November zu sechzehn Monaten Gefängnis verurteilt worden. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Revision abgewiesen. Christoph Bausenwein wurde besonders zur Last gelegt, daß er ein sehr prinzipiell argumentierendes Buch zur Sache der totalen Kriegsdienstverweigerung veröffentlicht hat. Also soll an seinem Fall ein generalpräventives Exempel statuiert werden. Andere, wie Torsten Mai in Göttingen, werden zu »nur« acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Andere wieder sind, wie Stephan Philipp, zu zwölf Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Stephan Philipp hat noch einen Strafzuschlag von sieben Monaten erhalten. Fünf Gehorsamsverweigerungen während eines zweimonatigen Bundeswehrarrests sind gleich zur Strafe aufsummiert worden.

In diesen Zusammenhang unnachgiebiger Verfolgungen, mit denen gleichsam demonstriert wird, daß man sich nicht dagegen wenden darf, dem staatlichen Gewaltmonopol verpflichtet zu werden, passt die Entscheidung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts von Ende November. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte es ab, das Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes von drei Ärzten und einem Zahnarzt anzuerkennen die sich ursprünglich als Zeitsoldaten verpflichtet hatten, die während ihrer Ausbildung bzw. Dienstzeit aber zu der Überzeugung gelangt waren, den Militärdienst nicht langer mit ihrem Gewissen vereinbaren zu können. Das Gericht argumentierte in diesem Fall, das Verweigerungsrecht aus Gewissensgründen verschlage hier nicht, da Ärzte nicht zum »Dienst mit der Waffe« gezwungen seien, sondern im Rahmen der Bundeswehr Tätigkeiten ausübten, die mit ihrem beruflichen hippokratischen Eid zu vereinbaren seien. Alle diese Fälle, die hier kurz skizziert wurden, sind symptomatisch. Sie bestätigen eine alte Erfahrung, die sich in folgendem Merksatz verdichten lässt: Sage mir, wie eine Gesellschaft mit ihren Dissidenten umgeht, und ich sage dir, wie frei und friedlich diese Gesellschaft ist. Folgende Merkmale bundesrepublikanischer Gesellschaft und ihres Staates, ihre Art, Frieden zu wahren und zu befördern, werden gerade im Umgang mit den totalen Kriegsdienstverweigerern und Kriegsdienstverweigerern, die sich nicht in den vom Staat vorgegebenen engen Interpretationsrahmen des Kriegsdienstverweigerungsrechts pressen lassen, kund:

  • Es zeigt sich eine willkürliche Bestimmung dessen, was gemäß dem Toleranz-Artikel des Grundgesetzes, Artikel 4, in all seinen Absätzen an unverkürzter Glaubens- und Gewissensfreiheit verheißen wird. Staatliche Behörden und Gerichte fuhrwerken in der Gewissensfreiheit herum, daß am Ende nur noch der Bodensatz des staatlichen Gewaltmonopols erkenntlich ist. Die Gewissensfreiheit wird staatlich-gerichtlich in einer Weise definiert, die gerade dem Grund- und Menschenrecht auf Gewissensfreiheit auch gegenüber dem Staat ins Gesicht schlägt. Das Bayerische Oberste Landesgericht versteigt sich hierbei zu Formulierungen, die schiere Unkenntnis darüber aufzeigen, was Gewissen als Zentrum des Menschen psychologisch und sozial ausmacht. Man betrachte folgende bayerisch-höchstrichterliche Konzeption des Gewissens: »Nur die Gefahr des personalen Substanzverlustes« gebe »der Gewissensfreiheit einen sittlich zwingenden Charakter. Dagegen können nur verstandesgemäße, ethische, politische, weltanschauliche und sonstige rationale Überlegungen und Erwägungen und deren Ergebnis noch keiner Gewissensentscheidung gleichgesetzt werden.« Kann man das Grundrecht der Gewissensfreiheit mit mehr verquasten Begriffen unterlaufen? Welch irrational existentieller und zugleich inhumaner Gewissensbegriff tut sich hier kund? Aber selbstverständlich, nähme man die unverkürzte und unverbogene Gewissensfreiheit im Sinne des Grundgesetzes und der Menschenrechte ernst, man mußte unliebsame Minderheiten und Dissidenten tolerieren. Und dies gerade im Bereich der »staatlichen Sicherheit« und ihrer militärischen Wahrung.
  • Hinter den Begründungen für derartige Entscheidungen verbirgt sich des weiteren eine geradezu betulich-irreale Vorstellung des Krieges und der Kriegsvorbereitung in unserer Zeit. Dem Parlamentarischen Rat mag man es 1948/49 noch nachsehen, daß er das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen auf den »Kriegsdienst mit der Waffe« beschränkte. Die radikale Veränderung der Politik aufgrund der neuen Qualität von Waffen, deren Einsatz im »Ernstfall« zum atomaren Holocaust führt, zeigt, daß es die Unterscheidung des Kriegsdienstes mit und ohne Waffe heute nicht mehr gibt. Insbesondere viele Ärzte haben aus diesem Wissen die Konsequenzen gezogen: Keine Beteiligung an Vorbereitungen von Kriegen der ABC-Skala, keine Bereitschaft, deren Effekte, als gäbe es Hoffnung auf gutes Überleben, bewältigen zu helfen. Daß jedoch das Bundesverwaltungsgericht so tut, als könne man weiterhin dem Als-Ob der Unterscheidbarkeit frönen, hat politischen Sinn. Man will die sogenannte Normalität des Kriegsdienstes bewahren helfen, denn die Bevölkerung soll darüber im unklaren gelassen werden, daß es keine medizinische Versicherung gegen den Krieg und seine Folgen mehr gibt.
    Die Einzelhatz auf die totalen Kriegsdienstverweigerer, der Versuch, die Gewissensentscheidung und die darin gründende Verweigerung einzuengen, das ist Ausdruck einer versuchten Remilitarisierung der Gesellschaft über den gegenwärtig schon erreichten Zustand hinaus. Die Bundeswehr soll im 31 . Jahr und auch fürderhin endlich wieder feste Tradition in der Gesellschaft erlangen, sie soll als deren normaler Bestandteil in wehrhafter Gesellschaft angenommen werden. Deswegen gilt es, Ruhestörer in Haft zu nehmen und allgemein abzuschrecken. Daß dabei auch noch das Grundgesetz in Artikel 103 verletzt wird, das vor Doppelbestrafung schützt, wird mit zusätzlichem Zynismus in Kauf genommen: wo sicherheitspolitisch gehobelt wird, da fallen nun einmal grundrechtliche und rechtsstaatliche Späne.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie tritt für die Rechte der totalen Kriegsdienstverweigerer und aller Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen ohne Wenn und Aber ein. Es sympathisiert mit der entschiedenen Kriegsdienstverweigerung, weil sie zum Ausdruck bringt, welches Engagement für die Erhaltung des Friedens erforderlich ist. Gerade weil wir für die Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung im Ostblock eintreten und im konkreten Fällen zahlreiche Betroffene konkret unterstützen, verbietet sich jede Einäugigkeit, wie sie »in diesem unserem Lande« gegenüber Dissidenten, wie z.B. den totalen Kriegsdienstverweigerern oder anderen Gewissensverweigerern üblich ist. Die Menschenrechte sind unteilbar!

Komitee für Grundrechte – Vorstand

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