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Die Ausweitung des staatlichen Straf­sys­tems

Das Beispiel des Gefängnisneubauprogramms in Baden-Württemberg*

aus vorgänge Nr.79 (Heft 1/1986), S. 45-56

Die folgenden Überlegungen betreffen einerseits die Bundesrepublik, andererseits Baden-Württemberg. Es wird mit Zahlen argumentiert werden. Ausweitung ist ein quantitativ gemeinter Begriff, damit sind auch Änderungen der Zahlenverhältnisse gemeint. Wer Zahlen gegenüber innere Widerstände hat, wird deshalb um Toleranz gebeten.

Ausweitung des Straf­sys­tems
durch jeden neugebauten Haftplatz?

Natürlich, ja: Wenn nicht in gleichem Maße Hafträume abgebaut werden. Denn jeder zusätzliche Haftplatz ermöglicht es, einem Menschen für 365 Tage im Jahr seine Freiheit zu nehmen.

Die verfügbaren Haftplätze in der BRD sind zwischen 1974 und 1984 von 57 249 auf 62 712 gestiegen, also um 9,5 Prozent. Für Baden-Württemberg betrug die Steigerung in diesen zehn Jahren 10 Prozent – trotz der bereits relativ hohen Kapazität im Jahre 1974 von 7 126 Plätzen, die in den folgenden Jahren auf 6 752 (1979) abgebaut wurden, um dann wieder im März 1984 auf 7 853 zu steigen(1). Seit 1979 sind mehr als 1 000 Haftplätze hinzugekommen, und auch in den Zahlen für 1984 könnten ca. 300 Haftplätze nicht enthalten sein, die nur als Schlafgelegenheiten gewertet werden.

Schon diese Zahlenübersichten machen klar, daß es ein Auf und Ab von Zahlen gibt, das zu interpretieren schwierig ist. Wichtiger sind Tendenzen, Trends, die sich über gewisse Zeiträume nachweisen lassen. Der einzelne Haftplatz mehr oder weniger – obgleich als gegebene oder fehlende Chance der Übelzufügung, der Freiheitsbeschränkung anzusehen – ist nicht das Entscheidende. Denn was die Justizbehörden in ihren Statistiken als Belegungsfähigkeit der Gefängnisse ausweisen, ist kaum mehr als ein Richtwert. Für Gefängnisse werden Raumnutzungspläne aufgestellt, die einigermaßen eingehalten werden können, wenn die Gefangenenzahl in der täglichen Fluktuation unter der Belegfähigkeit liegt. Sobald die Gefangenenzahl die Belegfähigkeit des jeweiligen Gefängnisses überschreitet, werden Räume gewissermaßen fehlbelegt: Schlafplätze in Gruppenräumen geschaffen, Einzelzellen doppelt und dreifach belegt. Es werden Notquartiere eingerichtet, denn die Strafvollzugsbehörde versteht sich als Dienstleistungsunternehmen der Strafgerichte. Jeder Verurteilte, dessen Strafe zur Vollstreckung ansteht, wird der Justiz abgenommen. Obwohl die Strafprozeßordnung erlaubt, aus Gründen der Vollzugsorganisation die Strafvollstreckung aufzuschieben (zweifellos ist Überbelegung ein solcher Grund), geschieht dies praktisch nicht. Obwohl das Strafvollzugsgesetz Überbelegung nur als vorübergehende Ausnahme zuläßt, wird dauernd und regelmäßig überbelegt.

Man könnte also sagen, wenn es ohnehin so ist, daß die Strafvollzugsbehörden jeden aufnehmen, der zur Strafverbüßung ansteht, kann ein Neubau von Haftplätzen selbst keine Ausweitung des Strafsystems darstellen. Dadurch wird nur eine Verringerung der drohenden oder wirklichen Überbelegung möglich. So ähnlich argumentieren auch die Strafvollzugsverantwortlichen. Für sie ergibt sich der Neubau von Haftplätzen als Sachzwang aus den steigenden Gefangenenziffern. Doch diese Argumentation greift zu kurz.

Erhöhung der Gefan­ge­nen­zahl
durch den Neubau zusätz­li­cher Zellen?

Passt sich die Zahl der Inhaftierten an die Zahl der verfügbaren Haftplätze an? Stellen halbleere Gefängnisse für Richter eine Aufforderung zur Verhängung von Freiheitsstrafen dar? Erscheinen neuerbaute Gefängnisse derart human oder gar resozialisierungsfreundlich, daß die Hemmschwelle, Freiheitsstrafe zu verhängen, gesenkt wird? Gibt es also auf die eine oder andere Weise einen Sogeffekt?

Für diese Fragen gibt die Strafvollzugsforschung zwar keine eindeutigen Antworten, aber doch wichtige Hinweise.

Es gibt in der Tat einen empirischen Zusammenhang zwischen verfügbaren Haftplätzen und der Belegungsquote, so daß durch Vermehrung oder Veminderung von Haftplätzen in Grenzen die Gefangenenzahl gesteuert werden kann.

In der Strafvollzugsforschung ist der Zusammenhang zwischen Belegungsfähigkeit und Belegung Gegenstand heftiger Diskussion gewesen. In den USA machte 1980 eine Studie Furore(2), die bewies, daß eine Vermehrung des Haftplatzangebots schon nach zwei Jahren zu einer Vermehrung der Gefangenenpopulation in gleicher Höhe führte. Dieser eindeutige Zusammenhang ließ sich bei einer Wiederholungsstudie nicht bestätigen; aber der Faktor »verfügbare Haftplätze« blieb immer noch bedeutsam(3). Für den Jugendstrafvollzug allerdings wurde in den USA 1982 nachgewiesen, daß Unterschiede der U-Haft-Quoten (Anteil der U-Häftlinge an der Altersgruppe) fast völlig (zu 3 Viertel) durch die verfügbare Haftplatzkapazität erklärt werden konnten. Die unterschiedlichen Raten der Jugendstrafgefangenen in den amerikanischen Bundesstaaten ließen sich immerhin noch zu 1 Viertel aus der verfügbaren Kapazität erklären(4).

Die Gründe dieses Zusammenhangs zwischen Kapazität und Gefangenenzahl sind ganz unterschiedlich. So wird in dem US-Bundesstaat Massachusetts die knappe Zahl der U-Haftplätze so »bewirtschaftet«, daß jeder Gerichtsbezirk eine feste Zahl besetzen kann(5). Kommen neue Einweisungen, so werden diejenigen bislang Einsitzenden, die das geringste Risiko darzustellen scheinen, in Wohnheime oder Privatunterkünfte versetzt. Solche Flexibilität ist im U-Haft-Vollzug, wo jederzeit Haftbefehle außer Vollzug gesetzt werden können, möglich, um eine obere Belegungsgrenze einzuhalten.

Bei der Strafhaft besteht eine ähnliche Flexibilität nur insofern, als daß Strafende durch Gnadenerweis, vorzeitige Entlassung oder Haftunterbrechung (mit nachfolgender Begnadigung) vorverlegt werden könnte. Wenn vorzeitige Entlassung unter Beachtung von Empfehlungen des Gefängnisses getroffen werden, so ist es möglich, daß ein Überbelegungsdruck die Quote günstiger Stellungnahmen der Anstalt erhöht. Ebenso könnten bei Unterbelegung die Stellungnahmen im Schnitt negativer sein. Der Sogeffekt wirkt hier in Form eines Festhalteeffekts. Die folgenden Überlegungen mögen dazu dienen, diese Sogprozesse anhand einiger ausgewählter Beispiele richterlichen Sanktionsverhaltens für die Bundesrepublik zu verdeutlichen.

Die geringe Quote vorzeitiger Entlassungen aus der JVA Bremen-Blockland – die unausgelastet ist – könnte beispielsweise ein Beleg dieses Festhalteeffekts sein. Inwieweit Richter ihre Strafzumessung an der Verfügbarkeit von Haftplätzen ausrichten, ist allerdings schwer zu beantworten. Für den Erwachsenenstrafvollzug gilt wohl, daß viele Strafrichter leider viel zu wenig Kenntnisse vom Zustand des Strafvollzuges haben, so daß sie ihre Strafentscheidungen kaum an den Verhältnissen dort orientieren können. Bei Jugendrichtern hingegen ist mehr Aufmerksamkeit für Belange des Strafvollzuges gegeben.

Ein Jugendrichter ist als Vollstreckungsleiter mit Zuständigkeit für Beschwerden aus dem Vollzug wie für vorzeitige Entlassungen das Bindeglied zwischen Jugendgericht und Jugendgefängnis. Die übrigen Jugendrichter bemessen die Länge einer Jugendstrafe durchaus an Erziehungshoffnungen, wie der möglichen Dauer einer Lehre oder anderer Ausbildungen. So kann eine neugebaute oder renovierte Jugendstrafanstalt mit ihrem jeweiligen Angebot Jugendrichter wohl verlocken, häufiger Jugendstrafen längerer Dauer zu verhängen. Die Folge wäre ein Anwachsen der Belegung, ein Sogeffekt des Neugebauten.

Diese Effekte sind in jüngster Zeit mehrfach aufgetreten. So stieg nach Inbetriebnahme des Neubaus der JVA Hameln die niedersächsische Haftquote im Jugendstrafvollzug von 63,5 zum Jahresbeginn 1980 auf 80,0 zu Beginn des Jahres 1983; diese Steigerung liegt weit über dem Bundesdurchschnitt (wo sie nur leicht von 90,5 auf 91,7 anstieg). Die anschwellende Haftziffer wurde begleitet von der Tendenz der Jugendrichter, häufiger als zuvor bei Jugendlichen und Heranwachsenden Strafen von mehr als einem Jahr Dauer zu verhängen. Deshalb konnten im niedersächsischen Strafvollzug weder die Anstalt Falkenrott, noch das alte Hafthaus in Hameln aufgegeben werden; vielmehr mußte als neue Anstalt in Göttingen ein ehemaliges Jugendheim in Betrieb genommen werden (1982). Die breite Reklame für die Modellanstalt Hameln schlug sich in verstärkten Zuweisungen nieder. Ein ähnlicher Effekt hatte sich zuvor in Baden-Württemberg ereignet.

Dort war 1974 die Anstalt Adelsheim eröffnet worden, u.a. mit dem Hinweis auf so gute Ausbildungsbedingungen, daß selbst Jugendliche aus dem Ort dort eine Lehre beginnen könnten. Die Haftrate in Baden-Württemberg (je 100 000 der Altersgruppe) stieg daraufhin von 58,0 (1974) auf 65,9 im darauffolgenden und um 67,4 im nächsten Jahr. Sie liegt heute bei 73,7. Der Plan, die Anstalt Schwäbisch-Hall aufzugeben, konnte nicht realisiert werden.

Die mit hohem Anspruch antretenden, weil mit viel Geld erbauten neuen Gefängnisse entfalten eine paradoxe Wirkung: Sie rufen zusätzliche Verurteilungen hervor. Mit den Neubauten verbundene Pläne, Gefängnisse aufzugeben, können dadurch nicht mehr verwirklicht werden.

Effektiv erhöht sich der Anteil der Inhaftierten je 100 000 der Altersgruppe auf ein höheres Niveau, das dann fortbesteht. Diese Gefahr existiert bei jedem Neubau.

Wie reagieren Politiker auf diesen Sachver­halt?

Natürlich weisen Politiker Thesen zurück wie die, daß Neubauten eine Sogwirkung entfalten oder daß eine Vermehrung der Haftplätze dazu führt, daß diese alsbald gefüllt werden. Ich möchte zwei Beispiele geben, wie baden-württembergische Praktiker, nämlich Herr Sandmaier aus Adelsheim und Herr Staiger vom Justizministerium Stuttgart, auf dieses Problem eingegangen sind, als sie im September 1984 im hessischen Landtag zur Frage eines Neubauprogramms Stellung nehmen sollten. Interessanterweise befürworteten ja bei jener Anhörung Neubauten nur die Strafvollzugspraktiker; alle übrigen Experten waren mehr oder weniger deutlich dagegen.

Herr Sandmaier räumte ein, daß nach Eröffnung der Anstalt Adelsheim »ein Anstieg der Gesamtpopulation bei Jugendstrafgefangenen in Baden-Württemberg festzustellen war«, der sich bis 1984 fortsetzte. Gerade dies, so Sandmaier, sei aber ein Beweis gegen die Sogwirkung. Denn »ich halte es für ausgeschlossen, daß eine Sogwirkung sich über zehn Jahre fortsetzt und Richter also zehn Jahre hindurch bei ihrer Entscheidung beeinflußt«(6).

Nun, so unmöglich ist es nicht. Denkbar wäre, daß die Eröffnung der Modellanstalt Adelsheim die Bereitschaft der Jugendrichter, Jugendstrafe zu verhängen, erhöht hat. So kamen vor Inbetriebnahme auf 100.000 Jugendliche und Heranwachsende 220 zu Jungendstrafe Verurteilte (1972 und 1973). Nach Inbetriebnahme erhöhte sich die Jugendstrafurteilsquote auf 256, 259, 275, d.h. es pendelte sich die Verhängungsquote auf einem neuen Niveau ein und blieb dort bzw. stieg erneut auf ein höheres Niveau, als weiterer Haftraum geschaffen war, d.h. als in Adelsheim Haftraum-Container aufgestellt worden waren. In den Jahren 1982 und 1983 stieg nämlich das Niveau der verhängten Jugendstrafen je 100 000 JGG-Strafmündige noch weiter von 275 (1981) auf 294 bzw. 292.

Das heißt, die Zahl der verhängten Jugendstrafen bezogen auf die gesamte strafmündige Bevölkerung ist seit 1972 in zwei Etappen gestiegen, zunächst nach Eröffnung von Adelsheim, dann nach Abbau der Überbelegung in Adelsheim durch Behelfsunterkünfte. Gerade aus dem Sofortprogramm versucht nun Sandmaier ein weiteres Gegenargument gegen die Sogwirkung abzuleiten. Angesichts der Pressemeldungen über die Errichtung von Fertighäusern mit 300 Haftplätzen in Baden-Württemberg gibt es »wohl keinen Richter im Lande, der dies nicht mitbekommen hätte. Dennoch stellen wir fest, daß ab etwa April 1984 die Belegungszahlen langsam aber sicher zurückgehen«(7). Gegenwärtig sei Adelsheim zu 8 Prozent unterbelegt.

Zweierlei muß dazu gesagt werden. Erstens: Wenn die Unterbelegung 8 Prozent beträgt, können die Container für 48 Gefangene in Adelsheim sofort wieder entfernt werden. Zweitens: Der Rückgang der Zahl der Jugendstrafgefangenen muß in den nächsten Jahren noch drastischer ausfallen, denn die strafmündige Personengruppe der 14-bis 21-jährigen, die grundsätzlich als Verbüßer von Jugendstrafe in Frage kommt, wird seit 1983 immer kleiner und wird in den kommenden Jahren drastisch schrumpfen aus dem bekannten Grund des »Pillenknicks«. Sehr grob gerechnet wird in 10 Jahren (1995) die Zahl der Jugendlichen und Heranwachsenden um etwa 40 Prozent geringer sein als heute. Die zahlenmäßige Entwicklung der Altersgruppen, d.h. die demographische Entwicklung, muß also mitberücksichtigt werden; denn wenn nicht im Jugendstrafvollzug umgehend bis zu 40 Prozent der Haftplätze abgebaut werden, besteht die Gefahr, daß das Überangebot zu einer noch höheren Inhaftierungsrate von Jugendlichen und Heranwachsenden führt. In Bremen besteht dieser Nachfülleffekt. Die überdimensionierte, halbleere Strafanstalt Blockland verführt die Bremer Jugendrichter dazu, wie vor kurzem ein Gutachten bewies(8), daß sich die Strafbedürfnisse der Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter ungehindert von Überlegungen zur Kapazität frei entfalten konnten. In anderen Worten: die Verhängung von Jugendstrafe stieg in Bremen spürbar an.

Der erste Merkposten ist also: mindestens 300 Plätze im Jugendstrafvollzug Baden-Württembergs müssen in den nächsten Jahren gestrichen werden. Dabei wäre dann noch nicht einmal die relativ hohe Verhängungsrate von Jugendstrafe der Jahre 1982 und 1983 reduziert, obwohl dies eigentlich zusätzlich nötig wäre. Sie wird nämlich nicht durch gesteigerte Kriminalität erzwungen.

Damit komme ich zu einem weiteren Argument der Praxis. Man räumt ein, daß heute mehr Freiheitsstrafen verhängt werden als früher und führt das auf die Kriminalitätssteigerungen zurück.

Erhöhung der Gefan­ge­nen­raten
durch den Anstieg der Krimi­na­li­tät?

Eine entsprechende Frage wurde allen Sachverständigen vorgelegt, die bei der Anhörung im Hessischen Landtag zum Neubauprogramm eingeladen waren. Alle wissenschaftlichen Experten stellten fest, daß kein Zusammenhang zwischen Kriminalitätsraten und Gefangenenziffern besteht. Die Praktiker hingegen sahen Zusammenhänge. So vertrat Herr Ministerialdirigent Staiger aus dem Justizministerium Baden-Württemberg folgende Thesen:

1. Gefangenenzahlen steigen, weil Kriminalität steigt, insbesondere die Gewaltkriminalität.

2. Gefangenenzahlen steigen, weil die Altersgruppe, die am stärksten kriminell ist, durch Geburtenberg und Ausländerzuwanderung gewachsen ist.

3. Die Strafen werden, insbesondere bei Drogentätern und Gewalttätern, länger infolge der Tendenz zu schwereren Delikten.

Alle drei Thesen erlaubten es, die steigenden Gefangenenzahlen als Sachzwang darzustellen: mehr und schwerere Kriminalität von immer mehr Personen – wohin sonst soll das führen als zur Gefängnisüberfüllung?

Nur stimmen die Thesen in dieser Form nicht. Ich will dies am Beispiel Baden-Württembergs erläutern. Für den Jugendstrafvollzug zeigt eine Auswertung des Zahlenmaterials für die Jahre 1972 bis 1983 einen durchgehenden Anstieg der Gefangenenraten, ohne daß die Kriminalitätsentwicklung dazu Anlaß gibt. D.h. es wird ein steigender Anteil der Jugendlichen und Heranwachsenden zu Jugendstrafe verurteilt, obwohl

  • die Verurteilungen wegen Sexualdelikten seit 1977 ständig zurückgingen,
  • die Verurteilungen wegen Raub zwischen 1974 und 1980 weitgehend gleichblieben und erst danach anstiegen,
  • die Verurteilungen wegen schwerem Diebstahl, die am meisten zur Gefangenenrate beitragen, seit 1975 sogar zurückgingen,
  • die Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz seit 1972 drastisch stiegen, aber seit 1981 wieder sinken.

Der letzterwähnte Sachverhalt deutet darauf hin, daß die Betäubungsmitteldelikte eine maßgebliche Rolle für das Anwachsen der Belegung der Gefängisse spielen. Weniger übrigens, was die Zahl der zu Freiheitsstrafe Verurteilten, sondern vor allem was die Strafdauer anbelangt.

Was hier für die baden-württembergischen Verhältnisse im Jugendstrafrecht und in der Jugendkriminalität beschrieben wurde, ist aber verallgemeinerungsfähig. Einhellig waren die Experten bei dem Wiesbaden-Hearing der Meinung, daß die langen Strafen bei Drogenbesitzern den wesentlichen Faktor für die Überbelegung darstellen, weil Haftplätze eben für längere Zeit von solchen Gefangenen belegt sind. Solche Täter bekommen seltener das letzte Drittel der Strafe ausgesetzt, sie haben auch eine besonders hohe Quote von Bewährungswiderrufen, die Strafdauer ist oft so bemessen, daß ein Druck geschaffen wird, in eine Langzeittherapie einzuwilligen. Aber auch wenn sie eine Therapie beginnen, steigen sie oft vorher aus und müssen, soweit die Therapie nicht ange-rechnet wird, den Strafrest verbüßen.

Ebenso einhellig waren die Wissenschaftler, wie bereits eingangs gesagt, der Ansicht, daß Änderungen der Kriminalitätsstruktur nicht der Grund steigender Gefangenenzahlen sind, sondern daß der Grund in der Tendenz der Richter liegt, längere Strafen zu verhängen. Der Kriminologe Albrecht vom Freiburger Max-Planck-Institut brachte als Beispiel den Vergleich zwischen den Niederlanden und England: »In beiden Staaten verlief die Kriminalitätsentwicklung in den fünziger und sechziger Jahren ähnlich, insbesondere im Bereich schwerer Kriminalität. Während im Jahr 1951 in Holland die Gefangenenzahl bei 82 pro 100 000 und diejenige in England bei 64 pro 100 000 lag, beliefen sich die entsprechenden Zahlen im Jahr 1975 auf 100 in England und in Holland nur mehr auf 26 pro 100 000 Einwohner. Erklärt werden kann diese völlig unterschiedliche Bewegung der Gefangenenzahlen bei gleicher Kriminalitätsentwicklung, bei einer vergleichbaren Entwicklung der Verurteiltenzahlen sowie vergleichbaren Anteilen verhängter Freiheitsstrafen nur mit dem beobachtbaren Trend zu immer kürzeren Freiheitsstrafen. In England dagegen wurde die steigende Kriminalitätsbelastung begleitet von einer härteren Sanktionspraxis«(9).

Für die Bundesrepublik hat Michael Voß im Jugendstrafrecht und im allgemeinen Strafrecht eine ähnliche Tendenz nachgewiesen wie in England; er plädiert deshalb für kürzere Strafen, insbesondere für die Aufhebung des § 47 StGB, der die Verhängung von kurzen Strafen erschwert(10).

Anwachsen der Gefan­ge­nen­zahl
als bloße Folge der Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung?

Ich bilanziere kurz die drei von Herrn Ministerialdirigenten Staiger angegebenen Gründe für Überbelegung(11): 1. Kriminalitätsentwicklung: das Argument ist widerlegt, 2. längere Strafen: bei Drogentätern ja; bei den übrigen Tätergruppen jedoch nicht, weil die Taten schwerer, sondern weil die Strafzumessung härter geworden ist, 3. Bevölkerungsentwicklung: Dies soll im folgenden geklärt werden.

In den Jahren nach Ende des 2. Weltkrieges nahmen die Geburten zu, so daß 1963 etwa 30 Prozent mehr Kinder geboren wurden als 1953. Der sogenannte Geburtenberg jener, die zwischen 1960 und 1966 geboren wurden (mit dem Spitzenwert im Geburtsjahr 1963), soll für das Anwachsen der Gefangenenziffern verantwortlich sein, denn auch bei gleichbleibender Verurteilungsrate würde die wachsende Zahl ein Anwachsen der Gefangenen automatisch mit sich bringen. Vergleiche werden gezogen wie der von der Schlange, die ein Schwein gefressen hat, das sich nun durch die Schlange hindurchbewegt. Ähnlich soll der Geburtenberg durch den Strafvollzug wandern. In den 70er Jahren würgte daran der Jugendstrafvollzug, in den 80er Jahren müßte der Erwachsenenstrafvollzug diese hohen Gefangenenzahlen verdauen.

Die Statistischen Landes- und Bundesämter haben die Auswirkungen dieses Berges auf die Gefangenenraten berechnet. Für das Land Baden-Württemberg ergab sich dabei; daß im Jahr 1990, wenn der Geburtenberg »im besten kriminellen Alter« ist (zwischen 24 und 30) und wonach die Zahl der über 2ljährigen, also der nach allgemeinem Strafrecht Strafmündigen, drastisch absinken wird, allenfalls 7150 Haftplätze gebraucht werden, wenn alles so bliebe, wie es 1979 war. Das wären etwa 4 600 Plätze für erwachsene Gefangene; 2000 Plätze für Untersuchungshäftlinge und 550 Plätze im Jugendstrafvollzug. Bereits heute ist, wie bereits erwähnt, die Richtzahl um 10% überschritten. Klar wird, daß die zahlenmäßige Stärke der Jahrgänge, sei es im einschlägigen Alter für Jugend- oder allgemeines Strafrecht, keineswegs der ausschlaggebende Grund für die steigende Gefangenenziffer sein kann – nur ein Grund unter mehreren. Sie wäre entscheidend nur, wenn alle übrigen Bedingungen gleichblieben, wenn also alle Altersgruppen in gleichem Umfang die gleichen Delikte begingen, die Polizei diese Delikte in gleichem Umfang aufklärte, die Staatsanwaltschaften in gleichem Umfang diese Delikte anklagten und die gleichen Strafen verhängten und gleichmäßig über vorzeitige Entlassungen entschieden. Nur wenn all dies gilt, würde die Änderung der Größe einer Altersgruppe in ihrem Effekt auf Haftzahlen vorhersagbar sein. In Wirklichkeit ändern sich Kriminalitätsziffern, Aufklärungsraten, Anklagehäufigkeiten, Strafdauer und Raten vorzeitig Entlassener ständig, in der Regel im Sinne tendenzieller Erweiterung des strafrechtlichen Zugriffs auf Personen, so daß verläßliche Vorhersagen allein aufgrund der Bevölkerungsentwicklung (bzw. der Änderung der Größe jener Altersgruppen, die vorwiegend zur Kriminalität beitragen) nicht möglich sind.

Die Amerikaner, die Modellrechnungen über alles lieben, haben vielfach versucht, die Entwicklung von Gefangenenraten zu prognostizieren. Alle dabei eingesetzten Modelle scheiterten nicht nur daran, daß neben der Bevölkerungsentwicklung (z.B. Einwanderung) gerade Faktoren wie Strafzumessungspolitik der Richter, vorzeitige Entlassung bzw. Strafaussetzung zur Bewährung nicht kalkulierbar waren, sondern vor allem an der Unmöglichkeit, die Wirtschafts- und Beschäftigungslage vorherzusagen. Von den Möglichkeiten für Straftäter, nach Entlassung berufstätig zu sein, hängen in großem Maße Rückfallraten ab, aber auch Widerrufe von Bewährung. Gerade im Wirtschaftssektor sind Prognosen aber nur für kurze Zeiträume (z.B. ein Vierteljahr) möglich. Gefangenenzahlen lassen sich also nicht von der Bevölkerungsentwicklung ableiten. Es lässt sich immer nur feststellen, wie viele Personen einer Altersgruppe zu ausgewählten Zeitpunkten eingesperrt waren, bzw. für wie viele Personen jeweils Haftplätze bereitstanden. Gefragt werden kann darüber hinaus: Sind heute und in den vergangenen Jahren zu viele oder zu wenige Personen eingesperrt worden? Damit ist die Frage aufgeworfen, ob es politisch zu rechtfertigen ist, in gleichem Umfang wie bisher Haftplätze zur Verfügung zu halten, oder ob Änderungen geboten sind.

Was heißt zu viel, was zu wenig? Dafür gibt es keine kriminologischen Kriterien. Die Entscheidung, Personen, die anderen Schaden zugefügt oder sonstige Strafnormen gebrochen haben, die Freiheit zu nehmen oder aber sie in der Gesellschaft weiter zu tolerieren, ist immer eine politische Frage. Das Strafrecht, das in einer Gesellschaft praktiziert wird, kündet von der selektiven Toleranz ihrer Richter. Weil z.B. tödliche Verkehrsunfälle als unvermeidlicher Tribut des technischen Fortschritts angesehen werden, ist zu vermuten, daß wenig Personen wegen fahrlässiger Tötung in Haft geraten. Weil andererseits der Diebstahl aus oder von Kraftfahrzeugen als ein schwerer Eingriff in das Eigentumsrecht gilt, werden relativ viele Personen wegen solcher Delikte mit Freiheitsstrafen sanktioniert. Der politische Aspekt der Haftplatzverminderung liegt in der Notwendigkeit, Richter und Gesetzgeber zur Einsicht zu bringen, daß viele Delikte einfach nicht gravierend genug sind, um Menschen für Monate oder Jahre ihres Lebens zu verbieten, in Freiheit zu leben.

Mit diesem Hinweis allerdings soll nicht ein ewiger und wohl vergeblicher Appell an die Justiz wiederholt werden. Vielmehr sei er Indiz dafür, daß die Strafzwecke der Justiz entscheidend für die Haftrate sind.

Sollte nämlich den alltagstheoretischen Konzepten vieler Richter und Staatsanwälte die Überzeugung zugrunde liegen, wenn man schon nicht resozialisieren könne, dann seien jedenfalls die »Unverbesserlichen« zeitweise unschädlich zu machen, so würde damit ein Strafzweck an Boden gewinnen, der perverserweise ebenso wie die Resozialisierung als »Spezialprävention« bezeichnet wird: jemanden aus dem Verkehr ziehen, ihn unschädlich machen. Mir scheint es nicht unwahrscheinlich, daß diesem Strafzweck in Zukunft wieder offener und ehrlicher in der Richterschaft zugestimmt wird, als dies in der Phase der Resozialisierungseuphorie der Fall war.

Vor diesem Hintergrund muß den Richtern über den Weg der Verknappung der Haftplätze das Freiheitsentziehen erschwert werden. Denn andernfalls wird die ab 1989 sinkende Zahl der Strafmündigen auch im allgemeinen Strafrecht nicht zu sinkenden Gefangenenzahlen führen. Aber ehe ich abschließend zu einer konkreten Bewertung der Situation mit Blick auf das Gefängnisbauprogramm in Baden-Württemberg komme, möchte ich noch eine Form der Gefangenschaft diskutieren, die leicht übersehen wird, die aber sehr entscheidend zu den wachsenden Inhaftierungszahlen beiträgt: die Untersuchungshaft.

Überbe­le­gung in Baden-Würt­tem­berg
als Konsequenz des vermehrten Gebrauchs der Anordung von U-Haft?

Die Gefangenenzahl ergibt sich ja als Summe aus drei verschiedenen Gefangenenpopulationen: den erwachsenen Strafgefangenen als größter Gruppe (ca. 60%), den Untersuchungshäftlingen (ca. 30%) und den Jugendstrafgefangenen (ca. 10%). Zweifellos sind daher Änderungen in der Strafzumessungspraxis am relevantesten für die Gefangenenzahl. Aber auch die Anordungspraxis von U-Haft wirkt sich auf die Belegung bzw. Überbelegung aus: eine Analyse der Situation in Hessen zeigte, daß dort die Überbelegung weitgehend durch extensiven Gebrauch von U-Haft verursacht wird.

In Baden-Württemberg ist der Anteil der Untersuchungshäftlinge an der Gefangenenzahl in den 5 Jahren zwischen 1978 und 1982 ständig gestiegen. 1978 machten die Untersuchungsgefangenen 27 Prozent aller Inhaftierten aus, 1982 betrug ihr Anteil an den Baden-Württemberger Gefangenen 29 Prozent(12). Damit wurde der Bundesdurchschnitt nicht unerheblich überschritten, obwohl die Kriminalitätsbelastung in Baden-Württemberg weit unter dem Bundesdurchschnitt liegt. In den Folgejahren gingen die U-Haft-Zahlen zurück und näherten sich wieder dem Bundesdurchschnitt an, der um 25% herumpendelt. Es ist denkbar, daß der Rückgang der Zahl der Untersuchungshäftlinge eine Folge der allgemeinen Kritik an der U-Haft-Praxis in der BRD ist.

Erinnert sei daran, daß vor kurzem der Bundesanwaltverein den übermäßigen Gebrauch von Untersuchungshaft gerügt hat. Eine vom Justizministerium in Bonn in Auftrag gegebene Untersuchung der U-Haft-Praxis hat bereits erste Ergebnisse erbracht, die erkennen lassen, daß zuviele Haftbefehle unbegründet Fluchtgefahr unterstellen. Ein Weg zur Verringerung der Häftlingszahlen kann und muß darin bestehen, die Voraussetzungen der U-Haft-Anordnung strikter zu prüfen als bisher; die Einschaltung der Gerichtshilfe zur Prüfung der Bindungen am Wohnort könnte in vielen Fällen den Verdacht der Fluchtgefahr beseitigen.

Kriminalpolitisch verfehlt ist daher die kürzlich geäußerte Auffassung der Baden-Württembergischen Landesregierung, es fehle »an überzeugenden Gesichtspunkten, die für eine weitere Einschränkung dieser (…) Maßnahme (der Untersuchungshaft, Anm. d. Verf.) sprechen könnte«(13).

Insgesamt ist aus dem bisher Gesagten zu folgern, daß

– sowohl aufgrund der tendenziell rückläufigen Untersuchungshaftzahlen,

– wie auch aufgrund realistischer Möglichkeiten zur weiteren Einschränkung dieser Maßnahme es kriminalpolitisch geradezu widersinnig wäre, im Zuge eines Haftneubauprogramms weiter Untersuchungshaftkapazitäten zu schaffen. Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Bauplanungsprogramme, die einen Bedarf an Haftplätzen für Untersuchungsgefangene in höheren Anteil als 20 Prozent aller Haftplätze ansetzen, zunächst einmal zurückgewiesen werden sollten, um Alternativen zur U-Haft zu prüfen.

Was also ist vom Bauprogramm
der Landes­re­gie­rung Baden-Würt­tem­berg zu halten?

Nach den mir zugänglichen Unterlagen sind von dem 1979 geplanten Gefängnisbauprogramm zur Modernisierung des Strafvollzuges folgende Unternehmungen abgeschlossen oder weitgehend vollendet:

– der Neubau in Ravensburg für junge Gefangene und Untersuchungshäftlinge (2. Bauabschnitt; Fertigstellung voraussichtlich Frühjahr 1986)

– Erweiterungsbauten in Ulm und Mannheim

– ein Zellengebäude in Schwäbisch Gmünd (Fertigstellung Ende 1985)

– die mit dem Sofortprogramm zur Bewältigung der Überbelegung in den Vollzugsanstalten verbundenen Umbauten sowie Behelfsbauten in verschiedenen Gefängnissen.
Von der Planung steht konkret noch bevor:

– die für Einweisungs- und Transportgefangene bestimmte Vollzugsanstalt in Heimsheim mit 490 Haftplätzen.

Weitere Neubauten sind im Rahmen des Stadtstrukturprogramms beabsichtigt u.a. in Ellwangen, Schwäbisch-Hall sowie möglicherweise in Leimen-St. Ilgen (Zeitraum: 1987 bis 1989), ferner in den darauffolgenden Jahren u.a. in Offenburg und Rottweil. Dagegen scheint es so, daß die geplanten Neubauten (oder Umbauten) von Jugendstrafvollzugsanstalten in Hechingen und Pforzheim, die für junge Gefangene bestimmte Anstalt und das Vollzugskrankenhaus in Schwäbisch-Hall sowie die Hochsicher-heitsanstalt in Ellwangen gegenwärtig keine große Priorität besitzen. Konkret geht es zur Zeit also darum, Prinzipien zu entwickeln, die eine Entscheidung über dieses Bauprogramm erlauben. Aus meinen bisherigen Überlegungen ergeben sich folgende Prinzipien:

1. Das Konzept für das Gefängnis Heimsheim muß aufgegeben werden. Im Prinzip leistet die Anstalt bloß eine Entlastung der sonstigen Gefängnisse der Region von Untersuchungshäftlingen. Einweisung nach den bis 1982 üblichen Prognosekriterien findet nicht mehr statt. Der regionalisierte Vollstreckungsplan reduziert den Umfang des Transports von Gefangenen im Lande. Die Schaffung einer Untersuchungshaftanstalt in Heimsheim müßte allerdings auf das Schärfste abgelehnt werden, weil damit die bedenklich hohe Zahl von U-Häftlingen im Lande verewigt würde.

2. Kapazitätswirksame Neubauten im Jugendstrafvollzug sind nicht erforderlich. Angesichts der Schrumpfung der vom JGG erfaßten Bevölkerungsgruppe ist hier die Schließung von Kapazitäten angebracht. Die Pläne für Pforzheim und Hechingen müssen aufgegeben werden. Auch wenn die alte Strafanstalt in Schwäbisch-Hall geschlossen werden soll, würde damit gerade so viel Kapazität abgebaut, wie dem Rückgang der Altersgruppe bis 1989 entspräche.

3. Alle im Jahre 1985 begonnenen Bauten können nicht mehr mit dem Argument steigender Gefangenenzahlen begründet werden, weil zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung und Erstbelegung im Jahre 1989 nach den Projektionen der Bevölkerungsentwicklung die Gefangenenziffern auch im Erwachsenenstrafvollzug wieder absinken. Zum Zeitpunkt der Einweihung ist jedenfalls der allein auf die Bevölkerungsentwicklung zurückgeführte Anstieg von Gefangenenzahlen vorbei. Allerdings kann sich die nicht prognostizierte Wirtschaftsentwicklung so auswirken, daß durch wachsende Arbeitslosigkeit die Reintegration von Gefangenen derart erschwert ist, daß Strafrestaussetzungen zur Bewährung in der Regel widerrufen werden müssen und dadurch tendenziell eine Ver-längerung der Haftzeiten eintritt, was gleichbedeutend ist mit steigenden Zahlen Inhaftierter. Es wäre allerdings zynisch, dies als Grund für Gefängnisneubauten gelten zu lassen.

4. Hochsichere Einrichtungen und der Bau eines neuen Vollzugskrankenhauses mitten auf dem Lande entsprechen nicht den Erfordernissen des Strafvollzuges. Stattdessen hätte das Land Baden-Württemberg den Anteil von Haftplätzen in geschlossenen Gefängnissen zu reduzieren, da dieser über dem Bundesdurchschnitt liegt. Statt eines abgelegenen Vollzugskrankenhauses wäre eine Einrichtung vorzuziehen, die den Rückgriff auf großstädtische medizinische Versorgung erlaubt und im Prinzip die Wahl eines Arztes des Vertrauens für Gefangene erlaubt.

Verweise

1 F. Dünkel, Gutachten zur Anhörung des Hessischen Landtages zur Situation des Strafvollzuges in Hessen (vervielfältigt)
2 Abt. Associates, Inc.: American Prisons and Jails, Vol. II, Population Trends and Projections, Washington 1980
3 Blumstein / Cohen / Gooding: The Influence of Capacity on Prison Population: A Critical Review, in: Crime and Delinquency 1983, Heft 1, S. lff.
4 Krisberg /Litsky /Schwarz: Justice by Geography, 1982, S. 12f.
5 vgl. Schumann/ Voss: Versuchte Gefangenenbefreiung. Über die Abschaffung der Jugendgefängnisse im US-Staat Massachusetts, in: Zeitschrift für Rechssoziologie 1981, S. 168-224
6 Sandmaier, Stellungnahme beim Hearing des Hessischen Landtages zur Situation des Strafvollzuges; Stenographische Niederschrift über die $. Sitzung des Rechtsausschusses, 8. Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug, 7. September 1984,
S. 9
7 ebd.
8 Pfeiffer: Diversion in Hamburg?; Lüneburg 1984
9 Albrecht, Gutachten zur Anhörung des Hessischen Landtages zur Situation des Strafvollzuges in Hessen; Stenographische Niederschrift über die S. Sitzung des Rechtsausschusses. 8. Sitzung des Unterausschusses Justizvollzug (11. Wahlperiode), 6. September 1984, S. 36 ‚o TTof3, Über das keineswegs zufällig Zusammentreffen von Gefängnisausbau und der Einrichtung ambulanter Alternativen, in: Kerner (Hg.) Diversion statt Strafe? Heidelberg 1983, 5.115
11 Staiger, Gutachten zur Anhörung des Hessischen Landtages zur Situation des Strafvollzuges in Hessen (vervielfältigt); teilweise sind die Argumente im mündlichen Vortrag enthalten (vgl. Stenographische Niederschrift, 6. September 1984, S. 44)
12 Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 8/3490, S. 19
13 Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 9/2114, S. 31

* Vortrag bei einem Seminar der E. F. Schumacher-Gesellschaft für politische Ökologie über das Thema: »Ist die Ausweitung des staatlichen Strafsystems zu stoppen?« Der in den Tagungsunterlagen abgedruckte Text wurde geringfügig überarbeitet; für Anregungen danke ich Rolf Theißen.

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