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Frauen­-­Li­tera-Tour

2. Aktionswoche der Schreibenden Frauen in Baden-Württemberg

aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.10-12

Die Initiative »Schreibende Frauen in BW« wurde im Jahr 1980 gegründet als bei den Landeskunstwochen in Biberach unter 16 Autoren und Autorinnen die sieben teilnehmenden Frauen von der ausschließlich aus Männern bestehenden Jury auf die hinteren Plätze verwiesen und von der Presse völlig ignoriert wurden. Der herrschende Unmut hierüber führte zur Gründung einer eigenen Initiative, die sich zum Ziel setzte für Autorinnen in jeder nur möglichen Weise mehr Öffentlichkeit herzustellen, So wurde im Oktober 1982 die erste Aktionswoche in Form eines Treffens der schreibenden Frauen organisiert. Vom 17.-26. September 1982 stellten sich 20 Autorinnen in Karlsruhe mit ihren Texten vor. Die Konzeption des Treffens verfolgte dabei das Ziel bekannte und unbekannte Autorinnen zusammenzubringen.

Von Anfang an beabsichtigte die Initiative, auch unbekannte Autorinnen und Anfängerinnen zu ermuntern und zu fördern. Die Erfahrung zeigte, daß die kulturellen Einrichtungen großes Interesse zeigten und bereit waren, die Initiative auch finanziell zu fördern Volkshochschulen, Künstlerhaus Landesbibliothek, Literarische Gesellschaft und Künstlerhaus, um nur einige der wichtigsten Einrichtungen in Karlsruhe zu nennen, unterstützten die Initiative, indem sie ihre Räume zur Verfügung stellten und bei der Finanzierung der Lesehonorare mithalfen.

Die Initiative brachte begleitend zu dieser Veranstaltungsreihe eine Anthologie heraus, in der alle lesenden Autorinnen mit Texten vertreten waren. Das Interesse von Presse Funk und Fernsehen an der Veranstaltung war überraschend groß und ermunterte die Initiative, ihre Arbeit für die schreibenden Frauen fortzusetzen.

Es stellte sich nun die Frage, ob die zweite Aktionswoche der schreibenden Frauen in ähnlicher Form als Treffen in einer anderen Stadt ablaufen sollte.

Da das erste Treffen viele Kontakte der Frauen untereinander möglich gemacht hatte, war es nicht weit zu der Idee, sich nicht nur eine Vorstellung der literarischen Möglichkeiten schreibender Frauen in einer Stadt, sondern im ganzen Land vorzunehmen. Die Rolle der Initiative, die im harten Kern immer noch aus nur drei Frauen bestand, hatte sich damit geändert. Die Vorbereitung der Einzellesung und damit die Verhandlungen mit den örtlichen Institutionen (Volkshochschule Bibliotheken etc.), oblag den Autorinnen vor Ort, die Gesamtorganisation (allgemeine Information der Autorinnen Vorbereitung der begleitenden Anthologie etc.) blieb der Initiative.

Auf diese Weise erweiterte sich das Vorbereitungsteam, und die Vorbereitung konnte arbeitsteilig organisiert werden, ohne daß es zu den sonst üblichen hierarchischen Rangordnungskämpfen kommen mußte. Wer wann wo lesen konnte wurde gemeinsam mit den vor Ort organisierenden Frauen abgesprochen.

Da sich alle über das Konzept einig waren, daß den Frauen die Möglichkeit geboten werden sollte möglichst außerhalb des eigenen »Reviers«, in dem sie als einigermaßen bekannt angesehen werden konnten, zu lesen, ließ sich immer ein Kompromiß finden.

Und so kam es, daß im Rahmen der Aktionswoche der Initiative »Schreibende Frauen in BW« zum ersten Mal in 15 Städten des Landes gleichzeitig Veranstaltungen stattfanden.

Von Konstanz bis Eppelheim stürmten Autorinnen die Podien in Rathäusern Bibliotheken und Kulturheiligtümern. Insgesamt konnten 45 Lesungen vermittelt werden. Jede Lesung wurde mit 300,- DM honoriert. Finanziell wurde das Projekt von öffentlichen Institutio-nen (Stadt, Land), der Sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament und kulturell engagierten Vereinigungen getragen.

Bei den Lesungen 1985 und auch bei den in der begleitenden Anthologie erscheinenden Texten (Jahrbuch schreibender Frauen 2, von Loeper Verlag Karlsruhe) wurde deutlich was sich schon m Biberach 1982 angedeutet und beim ersten Treffen in Karlsruhe 1982 abgezeichnet hatte, daß sich nämlich schreibende Frauen keineswegs auf die sogenannten »frauenspezifischen Themen« festlegen lassen. Ganz im Gegenteil. Das Spannende dieser Texte hegt gerade darin, in welcher formalen und inhaltlichen Breite und Differenzierung sich Frauen mit ihren eigenen Erfahrungen in dieser Gesellschaft befassen. Da gibt es Themenkreise in denen sich Autorinnen mit der gesellschaftlich politischen Realität auseinandersetzen manchmal polemisch, ironisch-satirisch, aber auch einfühlsam und behutsam. So wird weder das Thema Gewalt (Regine Kress-Fricke), noch das Thema Umwelt (Eva Vargas) ausgeklammert, wobei die jeweils ganz andere literarische Gestaltung ins Auge fällt. Krieg, Kriegsangst und Kriegsfolgen nehmen einen thematisch breiten Raum ein (Margarete Hannsmann, Anne Birk, Anne-Marie Salome Brenner, Helga Levend, Leona Siebenschön). Die jeweils ganz unterschiedliche formale Gestaltung als Erzählung, Essay, Lyrik oder experimentelle Prosa wird besonders deutlich. Auf der anderen Seite stehen Texte von Frauen zu ästhetischen Grundfragen, ebenso vielseitig und vielschichtig (Christa Metchinger, Zsuzannah Gahse, Eva Maria Berg, Eva Christina Zeller). So vermittelt die Anthologie in ihrer Textauswahl tatsächlich ein breites Spektrum und stellt nicht nur einzelne schreibende Frauen vor, sondern macht deutlich, womit sich Frauen heute schreibend auseinandersetzen.

Bemerkenswert an dieser Aktionswoche war außerdem, daß auch Dramatikerinnen Gelegenheit geboten wurde, ihre Stücke in Szene setzen zu lassen. Das noch immer geläufige Vorurteil, Frauen hätten kein Talent für diese literarische Gattung, wurde dabei überzeugend widerlegt. Im Theater »Die Insel« in Karlsruhe fanden die Stücke von Antonia Anna Weiss und Anne Birk starke Resonanz bei Publikum und Kritik.

Der Besuch der Lesungen war unterschiedlich. In Pforzheim beispielsweise fand die Lesung von Elisabeth Alexander, Susanne Levin Ali und Sigrid Schuster-Schinah das Interesse von ca. 200 Zuhörern. Dagegen wurde die Lesung mit Eva Zeller, Sybille von Bremen und Karin Volgt in der Landesbibliothek in Karlsruhe, obwohl sehr sorgfältig vorbereitet, nur von ca. 25 Gästen besucht.

Bei Auswertung der Besucherzahlen zeigte sich daß die Frauen-Litera-Tour in der »sogenannten« Provinz besonders stark beachtet wurde. In Eppelheim wurde die Lesung von Marion Daiber-Hammers und Irene Fischer-Nagel in vier Zeitungen kommentiert. Aber auch an so tratitionsreichen Orten wie dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach oder im Hölderlinturm in Tübingen gab es ein aufgeschlossenes Publikum.

Parallel zu den Lesungen fanden Ausstellungen bildender Künstlerinnen statt. So hatte Irene Fischer-Nagel Gelegenheit ihre Bilder im Rathaus Eppelheim auszustellen. Anläßlich der Lesung von Anne-Marie Salome Brenner wurde die Lyrikerin eingeladen, auch ihr bildnerisches Werk den Schorndorfern zugänglich zu machen. Eva Vargas lud in Heidelberg zu Ihrer Ausstellung »Paradies von morgen« (Rest-Art) ein und in Karlsruhe schlossen sich elf Malerinnen und Bildhauerinnen unter Leitung von Angela Junk-Eichhorn zu einer gemeinsamen Ausstellung in der Literarischen Gesellschaft zusammen.

Das Konzept der Initiative erwies sich als tragfähig. Zu Unrecht vom Literaturbetrieb vernachlässigte Autorinnen, aber auch junge Autorinnen mit wenig Erfahrung konnten ihr literarisches Können unter Beweis stellen. Andererseits waren bekannte Autorinnen vertretene. Die dritte Aktionswoche soll 1988 bundesweit  stattfinden. Erste europäische Kontakte gab es bereits im vergangenen Jahr. Die Italienerin Birgid Rauen und die französische Liedermacherin Eliza Roulet nahmen an Veranstaltungen in Reutlingen und Karlsruhe teil.

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