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Die geschlos­sene Abteilung in der JVA Freiburg

vorgängevorgänge 7901/1986Seite 137-138

LAG der freien Initiativen/Gruppen in der Straffälligenarbeit Baden-Württemberg

Dokumentation

aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.137-138

In Anlehnung an das »Vorbild« der Justizvollzugsanstalten Mannheim und Bruchsal wurde im August 1985 auch in Freiburg eine geschlossene Abteilung eingerichtet. Ein ganzer Zellentrakt von insgesamt 24 Zellen wurde zu diesem Zweck vom übrigen Anstaltsleben abgetrennt und besonders gesichert; hierin waren sieben Inhaftierte untergebracht. Für 23 Stunden am Tag sind sie in ihren Zellen isoliert; der Hofgang findet auf einem separaten Gelände statt; jegliche Teilnahme an Gemeinschaftsveranstaltungen- so an den Sport-, Freizeit- und Weiterbildungsangeboten – ist ihnen untersagt. Da die Dauer des Aufenthalts in der geschlossenen Abteilung zeitlich nicht limitiert ist, leben die Betroffenen in ständiger Ungewißheit darüber, wie lange sie die totale Isolation noch zu ertragen haben. Folgeerscheinungen dieser Behandlung sind – soweit bekannt: »gesundheitliche Schädigungen, Verlust des Zeitgefühls, Angst vor Dunkelheit, Nervenflattern, Todesangst und Aggressionen« (Badische Zeitung vom 11.10.1985):

Die gesetzliche Grundlage für die Errichtung geschlossener Abteilungen wird in § 88 StVollzG gesehen; gemäß den Bestimmungen werden hier Gefangene untergebracht, für die aufgrund erhöhter Fluchtgefahr, Gewalt gegen die eigene und andere Personen oder Sachen besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden. Doch auch Gefangene, die die Anstaltsordnung erheblich stören, können in diese Isolation verbannt werden. Durch Errichtung dieser geschlossenen Abteilungen eröffnen sich Disziplinierungsmöglichkeiten, die die Anstaltsleitung »bisher bei bestimmten Disziplinarverstößen nicht hatte« (so der stellvertretende Anstaltsleiter der JVA Freiburg, Rösch, in der Badischen Zeitung v. 11. 10. 1985). Wenngleich auch zu diesem Zweck das Strafvollzugsgesetz als Legitimation herangezogen wird (§§ 102ff), so können doch diese rechtlichen Bestimmungen nicht als Ermächtigungsgrundlage der Institutionalisierung dienen, da diese Normen besondere Maßnahmen lediglich im Einzelfall zu rechtfertigen vermögen. Eine Verlegung in die geschlossene Abteilung kann also nicht als Disziplinarmaßnahme gegenüber beispielsweise »hartnackigen Arbeitsverweigerern« (so Staatssekretär Dr. Volz m der Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Weichert, Drs. 9/2224 vom 11.11.1985) angeordnet werden. Die abschreckende und disziplinierende Funktion, die durch die geschlossenen Abteilungen ausgeübt wird, ist weder sachlich zu rechtfertigen, noch mit den Leitlinien des StVollzG zu vereinbaren. Nach der Errichtung der geschlossenen Abteilung traten am 2. 10.1985 fünf der sieben hier Inhaftierten in einen unbefristeten Hungerstreik, um gegen dieses Vorgehen zu protestieren. In einer Erklärung verlangten sie nach Auflösung der geschlossenen Abteilung. Daraufhin wurden drei von ihnen in das Vollzugskrankenhaus Hohenasperg verlegt; nach Angaben seines Rechtsanwaltes war einer der Häftlinge vier Tage gemeinsam mit psychisch Schwerkranken in eine Beobachtungszelle gesperrt, ohne daß eine ersichtliche medizinische Notwendigkeit hierfür vorlag – ein Arzt habe hierzu erklärt, bei Hungerstreikenden werde zunächst einmal von einer geistigen Gestortheit ausgegangen! In der Folge wurden – mit einer Ausnahme – auch die übrigen Hungerstreikenden in andere JVAs verschubt. Ein Besuch des Landtagsabgeordneten und Strafvollzugsbeauftragten der GRÜNEN, Thilo Weichert, bestätigte dieses Vorgehen. Er forderte daraufhin in einer parlamentarischen Initiative Auskunft über Hintergründe, Ausmaß und Folgen der geschlossenen Abteilung in Freiburg (vgl. Presseerklärung der GRÜNEN, in: Prohx, Freiburg 18.10.1985).

Als Reaktion auf die Vorgänge in der JVA besetzte am 14.10.1985 eine Gruppe junger Leute die Dächer zweier öffentlicher Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft der JVA und unterstützte die Forderungen nach Auflösung der Isolations-Abteilungen. Gleichzeitig verweigerten etwa 100 Gefangene während ihres Hofganges die Rückkehr in die Zellen. Drei Sprecher wurden gewählt, um mit der Anstaltsleitung zu verhandeln. Der anwesende Thilo Weichert erklärte, diese habe in Hinblick auf die Rückverlegung der Abschlußerklärung der Internationalen Konferenz »40 Jahre Nürnberger Prozesse« (29.11. – 1. 12.1985) isolierten Häftlinge in den Normalvollzug Zugeständnisse an die Gefangenen gemacht, woraufhin die Hofgänger anstandslos in ihre Zellen zurückgekehrt seien. Die Anstaltsleitung jedoch wies diese Behauptung als unwahr zurück; Sie habe nie eine solche Äußerung kundgetan. Das Justizministerium in Stuttgart jedenfalls ordnete gegenüber der Anstaltsleitung eine kompromißlose Haltung in den Verhandlungen mit den Gefangenen an. Am selben Tag wurde im Rahmen eines Polizeieinsatzes die besetzten Dächer geräumt und 22 Personen festgenommen, die erst am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt wurden. Auch eine spontane Kundgebung vor der Vollzugsanstalt wurde unter Polizeigewalt aufgelöst. Zwischenzeitlich wurde eine Sondereinheit mit »speziell ausgebildeten Vollzugsbeamten« aus Bruchsal in die JVA Freiburg beordert.

Neben weiteren Kundgebungen veranstaltete die Öffentlichkeitsgruppe der Anlaufstelle für Strafentlassene in Freiburg in Zusammenarbeit mit der Humanistischen Union, der Strafverteidiger Vereinigung Baden-Württemberg, der Vereinigung Demokratischer Juristen und den GRÜNEN am 25.10. eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema »Was ist los im Freiburger Strafvollzug?«. In einem Podiumsgespräch wurde von den Referenten an der geschlossenen Abteilung einhellige Kritik geübt und ihre ersatzlose Auflösung gefordert.

Die Freiburger Anstaltsleitung reagierte auf die Protestaktionen der Gefangenen mit der Verschubung der vorgeblichen »Rädelsführer« in andere Justizvollzugsanstalten, u.a. Mannheim, Heilbronn und Bruchsal. Derzeit ist die geschlossene Abteilung mit einem einzigen Häftling belegt, ein weiterer soll hinzukommen.

Die Atmosphäre in der Freiburger JVA ist von einer auffallenden Ruhe geprägt, die wohl auf Resignation, bedingt durch Angst vor Repressionen dem Gefühl der Wehrlosigkeit und Ratlosigkeit zurückzuführen ist. Doch die Protestwelle hat bereits andere Vollzugsanstalten erreicht: So wandten sich 179 Gefangene der JVA Bruchsal gegen die Isolationshaft des dort seit 19 Monaten in der geschlossenen Abteilung Inhaftierten Stefan Kungel.

Für die LAG

Anette Kretz, Barbara Ruff

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