Abschlußerklärung der Internationalen Konferenz
40 Jahre Nürnberger Prozesse (29.11. – 1.12.1985)
Dokumentation
aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.139
40 Jahre sind vergangen, seitdem das Internationale Militärtribunal den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg eröffnet hat. Ihm folgten nicht nur 12 weitere Prozesse in Nürnberg gegen Angehörige verschiedener Gruppen der militärischen, politischen, juristischen und wirtschaftlichen Führung des NS-Regimes, sondern zahlreiche Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und anderen Ländern. (…)
Das Nürnberger Statut und die Nürnberger Prozesse haben entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des Völkerrechts erlangt. Wie das Gericht festgestellt hat, ist »das Statut … keine willkürliche Ausübung der Macht seitens siegreicher Nationen, sondern … Ausdruck des z.Zt. der Schaffung des Statuts bestehenden Völkerrechts, und insoweit ist das Statut selbst ein Beitrag zum Völkerrecht.« Das gilt zum einen für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die in zahlreichen Konferenzen und Konventionen bereits vor den Nürnberger Prozessen eine deutliche völkerrechtliche Ächtung erfahren hatten, wie für die Vorbereitung und Organisation von Angriffskriegen, die schon durch den Briand-Kellog-Pakt von 1928 zu einem völkerrechtlichen Verbrechen erklärt worden waren.
Die Nürnberger Prinzipien sind zugleich der Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung und Präzisierung des Völkerrechts: so im Bereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit den Konventionen zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, des Rassismus, Faschismus und der Apartheid, im Bereich der Kriegsverbrechen mit den Genfer Konventionen und Zusatzprotokollen von 1949 und 1977. Auch die völkerrechtliche Ächtung des Verbrechens gegen den Frieden hat mit der Definition des Begriffs der Aggression von 1974 eine bedeutende Weiterentwicklung erfahren.
Wir müssen allerdings auch erkennen; viele Hoffnungen, die in die friedenssichernde Kraft der Nürnberger Prozesse gesetzt wurden, haben sich bisher nicht erfüllt. Die Arbeiten an der Kodifizierung der Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Sicherheit der Menschheit gehen nur langsam voran. Vor allem aber fehlt es immer noch an der Erzwingbarkeit der Beachtung dieser Grundsätze.
Auch müssen wir einräumen, daß die Regierungen und Gerichte gerade der Bundesrepublik die Anstöße, die von den Nürnberger Prozessen für den Aufbau des Rechtsstaats hätten ausgehen müssen, nur unzureichend aufgenommen haben. Dies gilt vor allem für die Prozesse der Nachkriegsjustiz gegen NS-Verbrecher, insbesondere in der Justiz. Auch das durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 und die Nürnberger Urteile ausgesprochene Verbot der NS-Nachfolgeorganisation wird nicht beachtet.
Wir, die ASJ, VDJ, GHI, HU, RAV und VVN, die die Internationale Konferenz »40 Jahre Nürnberger Prozesse« gemeinsam mit der IVDJ und FIR getragen haben, appellieren an Gesetzgeber und Bundesregierung:
1. entschieden für die Kodifizierung der Verbrechen gegen den Frieden und gegen die Sicherheit der Menschheit in der International Law Comission einzutreten,
2, die »Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler und nicht internationaler bewaffneter Konflikte« vom 12. Dezember 1977 ohne Vorbehalt umgehend zu ratifizieren,
3. der durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2, die Nürnberger Urteile und das Grundgesetz definierten Rechtslage dadurch Rechnung zu tragen, daß die SS-»Traditionsverbände« und Neonazi-Gruppen als verbotene Organisation behandelt bzw. verboten und jegliche Aktivitäten dieser Verbände unterbunden werden.
Die Lehren der Nürnberger Prozesse gelten nicht nur der Vergangenheit, sondern auch und gerade der Sicherung unserer Zukunft. Sie verpflichten uns, alles zu tun, um derartige Verbrechen zu verhindern. Dies betrifft nicht nur die Führung eines Krieges selbst, sondern bereits dessen Vorbereitung und alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit.