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Vom Under Cover Agent zum Verdeckten Ermittler

vorgängevorgänge 7901/1986Seite 30-32

Kommentar

Eine fragwürdige Regelung des Einsatzes geheimer Polizeiagenten

aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S.30-32

Bis 1983 sprachen Polizei, Innenminister und Innensenatoren noch von der Bekämpfung organisierter Kriminalität „auch durch Beamte, die in die kriminelle Szene eingeschleust werden („undercover agents“)“(1). Auch Bundesjustizminister Hans Arnold Engelhard äußerte Bedenken gegen den »Under Cover Agent«(2). Seitdem der Bericht des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz »Neue Methoden der Verbrechungsbekämpfung« in der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßen ist(3), hat man eine Sprachregelung vorgenommen: Der »Under Cover Agent« ist eine Erfindung der bösen Kritiker; solche Agenten, die in Straftaten verwickelt werden können, gibt es nur in den Vereinigten Staaten(4). In der Bundesrepublik gibt es von jetzt an nur noch verdeckt eingesetzte Ermittlungsbeamte (»Verdeckte Ermittler«, VE). Es sind »besonders ausgewählte und ausgestattete Vollzugsbeamte, die unter einer Legende Kontakte zur kriminellen Szene aufnehmen, um Anhaltspunkte für Maßnahmen der Strafverfolgung zu gewinnen«(5).

Nach dem Bericht der Fachleute des Arbeitskreises II der Innenministerkonferenz führt ein solcher Einsatz geheimer Polizeiagenten fast unvermeidlich dazu, daß die Polizeibeamten in kriminelle Delikte verwickelt werden. Die Polizeiexperten haben folgende Gruppen möglicher Straftaten behandelt:

– Ankauf von Gegenständen (Hehlerware, Waffen, Rauschgift usw.),

– Herstellen, Zuteilen und Gebrauchmachen von inhaltlich unzutreffenden Urkunden, falschen Identifikationspapieren und sonstigen Papieren (Entlassungszeugnis von Strafgefangenen, polizeiliches Führungszeugnis),

– unerlaubtes Betreten einer Wohnung, Durchsuchung von Wohnungen, technisches Belauschen von Gesprächen und Fotographieren von Personen,

– Überwachung des Fernmeldeverkehrs,

– Eingriffe in die Individualgüter (Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch),

– Teilnahme an Straftaten, die sich gegen gemeinschaftsbezogene Rechtsgüter richten (Urkundendelikte, Vergehen gegen das Versammlungs- und Waffengesetz),

– Straftaten gegen Leib und Leben(6).

In einem »Problempapier« des Bundesjustizministeriums wurden folgende Beispiele für Straftaten genannt, in die polizeiliche Geheimagenten verwickelt werden können:

»Erkunden von Diebstahlobjekten, Schmierestehen bei Einbrüchen, Mitwirkung beim Absatz unterschlagener, gestohlener oder geschmuggelter Ware, Mithilfe beim Umfrisieren gestohlener Kraftfahrzeuge, Verbringen gestohlener Kraftfahrzeuge mit gefälschten Papieren ins Ausland, Beschaffen von Waffen für kriminelle Vereinigungen, Einführen und Besitzen von und Dealen mit Rauschgift Hausfriedensbruch.«(7)

Diese Kataloge sind nicht von den Kritikern des Einsatzes geheimer Polizeiagenten aufgestellt, sondern von Polizei- und Justizbeamten. Nun soll das mit einem Mal nicht mehr gelten. Generalbundesanwalt Kurt Rebmann versuchte die kritische Diskussion durch die Erklärung zu beenden: »Dem verdeckt ermittelnden Polizeibeamten ist es nicht gestattet, strafbare Handlungen zu begehen… Das schließt freilich nicht aus, daß ein verdeckt ermittelnder Polizeibeamter der sich im Einzelfall mit einer bestimmten Rechtsgüter- und Interessenkollision konfrontiert sieht und aus ihr heraus zum Schutz eines erheblich höherwertigen Rechtsgutes tatbestandsmäßige Handlungen begeht, vom Vorwurf der Rechtswidrigkeit freigestellt wird«(8).

Die Justizministerkonferenz hat am 26.9. 1985(9) diese Position übernommen und in den beschlossenen »Thesen zum Einsatz Verdeckter Ermittler im Rahmen der Strafverfolgung« formuliert: >Verdeckte Ermittler dürfen keine Straftaten begehen. Eingriffe in Rechte Dritter sind ihnen nur im Rahmen der geltenden Gesetze gestattet. Als gesetzliche Generalermächtigung kann 34 StGB nicht herangezogen werden

Die »Thesen« sind bislang nur durch eine Pressemitteilung bekannt geworden(12). Eine öffentliche Erörterung des Vorganges hat nicht stattgefunden. Äußerlich enthalten die »Thesen« auch nichts, was öffentliche Kritik hervorrufen könnte. Im Gegenteil: Zum ersten Mal haben die Justiz- und Innenminister des Bundes und der Länder festgestellt, daß § 34 StGB keine gesetzliche Generalermächtigung zum Eingriff in Rechte Dritter darstellt. Dennoch darf die Bedeutung der »Thesen« nicht unterschätzt werden. Justiz- und Innenministerkonferenz (d.h. Gremien, für die es nach dem Grundgesetz keine Rechtsgrundlage gibt) haben in Richtlinien beschlossen und festgelegt: Die Polizei ist befugt, Polizeibeamte unter einer Legende (also im Geheimen) einzusetzen. Damit hat man ohne eine Änderung des förmlichen Rechts den Einsatz geheimer Polizeiagenten geregelt. Entscheidend bei dem Verfahren ist, daß diese »Regelung« erfolgte, ohne daß die parlamentarischen Gremien des Bundes und der Länder damit befasst wurden und ohne daß in der Öffentlichkeit dieser Vorgang erörtert wurde.

Die »Thesen« sind nur ein erster Schritt. Sie sind deshalb politisch bedeutsam, weil mit den »Thesen« die Justizminister dem Einsatz geheimer Polizeiagenten zugestimmt haben. Alles weitere ist nun Sache der Polizei. Die Polizeiexperten haben bereits einen Vorentwurf zu einer Neufassung des »Musterentwurfs für ein einheitliches Polizeigesetz des Bundes und der Länder« erarbeitet. Es ist bezeichnend, daß – soweit bekannt – dieser vertraulich gehaltene Entwurf der Justizministerkonferenz nicht vorgelegt wurde. Unter der Überschrift »Besondere Formen der Datenerhebung« soll der Einsatz »Verdeckter Ermittler« nun gesetzlich geregelt werden(13).

Polizei, Justiz- und Innenministerkonferenz haben Fakten geschaffen. Es gibt nicht nur in mehreren Bundesländern solche Agenten, es gibt nun auch Richtlinien.

Damit wurde die Beweislast verkehrt: Jeder, der sich jetzt gegen einen Einsatz »Verdeckter Ermittler« und die damit verbundenen Strukturveränderungen für die Polizei (oder einen Teil der Polizei) wendet, muß nun beweisen, daß neue Formen organisierter Kriminalität mit diesen von der Polizei entwickelten Methoden nicht oder jedenfalls nicht besser in den Griff zu kriegen sind. Über die Gefahren geheimer Polizeiagenten und die rechtliche Problematik eines solchen Einsatzes wird ebenso wenig diskutiert wie über die dadurch eintretenden Strukturveränderungen bei der Polizei. Man kann diese Vorgehensweise von Polizei, Justiz- und Innenministerkonferenz modisch als Beispiel für die Autonomie politisch-gesellschaftlicher Teilbereiche interpretieren, man kann das Vorgehen systemtheoretisch als Eigengesetzlichkeit eines Regelungsfeldes rechtfertigen, man kann auch von einem »autopoietischen Recht« sprechen, d.h. von einem sich selbst produzierendem rechtlichem Regelungssystem. Alles das bringt jedoch die politische Verantwortlichkeit zum Verschwinden. Beim Einsatz polizeilicher Geheimagenten geht es um diese Verantwortlichkeit: Diese Form des Aufbaus einer Einrichtung, die man zugespitzt einen »vierten Geheimdienst« genannt hat, geschah mit der Mentalität, mit der in der Weimarer Republik die »Schwarze Reichswehr« aufgebaut wurde. Die »Thesen« der Justiz-und Innenministerkonferenz sind der erste Schritt zur rechtlichen Fundierung einer neuen Form der Polizei und einer polizeistaatlichen Republik.

Verweise

1 Vgl. »Neue Methoden der Verbrechensbekämpfung. Bericht des vom Arbeitskreis II der Innenministerkonferenz eingesetzen ad hoc-Ausschusses«, in: Vorgänge, Nr. 68, 1983, H. 6, S. 18.
2»Bedenken gegen konspirative Regeln. Engelhard mit ‚Under Cover Agent` nicht einverstanden«, FAZ 1. 12. 1983, Nachdruck: Vorgänge 68, ebd., S. 114 f.
3 Vgl, dazu insbesondere das »Memorandum zum Under Cover Agent, vorgelegt von der Humanistischen Union«, ebd., S. 29 ff.; Karl Günther Barth, »Der vierte Geheimdienst« in: stern, Nr. 52, 21.12.1983 S. 110-112; »Wir müssen die Leute in die Szene bringen« (Spiegel-Gespräch mit Heinz Eyrich) in: Der Spiegel, Nr. 2, 9.1.1984, S. 62-71; Otto Diederichs, Florian Nantscheff und Jürgen Gottschlich, »Der vierte Geheimdienst der Republik. Geschichte der bundesdeutschen Untergrund-Fahndung, in: Die Tageszeitung, 23.11., 28., 11. u. 30.11.1984 (auch als Sonderdruck der taz); Rolf Gtissner u. Uwe Herzog, Im Schatten des Rechts. Methoden einer neuen Geheim-Polizei, Köln, 1984; vgl. ferner die »Dokumentation« in: Vorgänge, Nr. 68, 1983, H. 6, vor allem die Analysen von Karl Heinz Krumm, S. 107 ff. (aus der Frankfurter Rundschau, 11.10. u. 13.10.1983).
4»Bund deutscher Kriminalbeamter, Hrsg., Verdeckte Ermittler. Dokumentation und Konzeption zum Einsatz verdeckt ermittelnder Kriminalbeamter«, Berlin, 1985, insbe-sondere S. 15: »Verdeckte Ermittler (VE) dürfen nicht mit den sogenannten ‚Under Cover Agents‘ (UCA) verwechselt werden, die z.B. in den USA ohne konkreten Einzelauftrag im Untergrund tätig werden.« Verdeckte Ermittler dagegen sind »Kriminalbeamte, die – mit einem konkreten Auftrag versehen – zur Bekämpfung schwer aufklärbarer und gefährlicher Straftaten, unter einer Legende, Kontakte zur kriminellen Szene aufnehmen, um Ansätze für Maßnahmen der Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung zu gewinnen.«
5»Thesen zum Einsatz Verdeckter Ermittler im Rahmen der Strafverfolgung«, Anlage 2 zur Pressemitteilung 7/85 vom 17.10.1985 der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Nr. 2(Begriffsbestimmung).
6»Neue Methoden der Verbrechensbekämpfung«, a.a.O. (Anm.1).
7 Das interne Papier ist teilweise abgedruckt in: Der Spiegel, Jg. 39, Nr. 3, 14.1.1985, S. 52 f.
8 Kurt Rebmann, »Der Einsatz verdeckt ermittelnder Polizeibeamter im Bereich der Strafverfolgung«, in: Neue Juristische Wochenschrift, Jg. 38, 1985, H. 1/2, S. 1-6, ins-bes. S. 5; vgl. dazu »Die Keuschheitsprobe ist problematisch« (Spiegel-Gespräch mit Kurt Rebmann), in: Der Spiegel, Jg. 39, Nr. 3, 14.1.1985, S. 50-60; vgl. in diesem Zusammenhang auch die »Thesen des Deutschen Richterbundes«: »Zur Problematik verdeckter Ermittlungen bei der Strafverfolgung«, in: DRiZ, 1985, H. 7(Juli), S. 275.
9»Einsatz von V-Leuten neu geregelt. Die Justizminister der Bundesländer tagen in Klausur«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 224, 27.4.1985, S. 4.
io A.a.4. (Anm. 5) Nr. 3.2.
11 »Innenminister wenden sich gegen Verunglimpfung der Polizei« in: Der Tagesspiegel, 18.10.1985.
12 A.a.O. (Anm. 5).
13 Vgl. dazu Jürgen Seifert, »Der ‚Lauschangriff` als Erhebung personenbezogener Daten mit technischen Mitteln«, in: Vorgänge, Nr. 77, 1985, H. S, S. 94-101, insbesondere von §$c (S. 98); Der Vorentwurf zur Änderung des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder ist abgedruckt in: Bürgerrechte und Polizei (Cilip), Nr. 20, 1985, H. 2; vgl. dazu Albrecht Funk u. Falco Werkentin, »Staatliches Sicherheitsrecht und bürgerliche Freiheit«, in: Vorgänge, Nr. 78, 1985, H.6, S. 113-118.

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