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Satyrspiele - Anmerkungen zur polizei­li­chen Auskunft­s­praxis

vorgängevorgänge 7901/1986Seite 16-20

Kommentar

aus vorgänge Nr.79 (Heft 1/1986), S.16-20

Erinnern wir uns: Im März 1980 wurden die Bürger dieses Landes durch ihren damals noch liberalen Bundesinnenminister unterrichtet, daß fortan ihre Anfragen nach beim Bundeskriminalamt über ihre Person gespeicherten Daten beantwortet werden sollen. Allenthalben herrschte Aufbruchstimmung, denn kurz zuvor hatte auf des Ministers Befehl eine Gruppe Unbestechlicher die Datengewölbe des Bundeskriminalamtes durchforstet, und der Minister ließ in zwei auch öffentlich publizierten Dateien-Berichten von den dort lagernden immensen Schätzen berichten. Man fühlte sich an die Ställe des Augias und Herakles alias Baum erinnert. Nur daß Ersterer (Herakles) die Ställe auch sauber schrubbte, während Letzterer (Baum) sich mehr auf deren lichtvolle Durchdringung beschränkte und nur die ganz besonders emitierenden Datenhäufchen verschwinden ließ.

Grundlage für diese neuartige und ungewohnte Offenheit der Sicherheitsbehörden waren die BKA-Richtlinien und die sog. KpS-Richtlinien (langschriftlich: Richtlinien für die Führung Kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen). In diesen wurden die Beamten der Polizei u.a. angewiesen, dem auskunftssuchenden Bürger seine über ihn gespeicherten Daten zwar nicht zurück doch aber preiszugeben, wenn nicht … doch davon später.

Minister, Staatssekretär und Presse ergingen sich in euphorischer Stimmung über die versprochene neue Auskunftsfreudigkeit, so daß sich hunderte von Bürgern davon anstecken ließen und einen Antrag auf Erteilung von Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten stellten. Das Bundeskriminalamt stand zunächst im Mittelpunkt des Interesses, Und in aller Regel erhielten die Bürger den für manchen gar enttäuschenden Bescheid, daß ihre Person bisher die Beachtung des Hauses nicht gefunden habe.

Aber es kam auch Mißtrauen auf. In einer Fallstudie, die an die 50 Anfragen zum Gegenstand hatte, wurde deutlich, daß den Auskünften des Amtes durchaus zu Recht misstraut werden konnte. Denn die Berliner Humanistische Union, den vollmundigen Versprechungen vorsichtig bis skeptisch gegenüberstehend, hatte entdeckt, daß man sich im BKA einer doppelten Buchführung befleißigte. Hatten doch auch Bürger, die erwiesenermaßen im BKA abgespeichert waren, die nachdenklich manchende Auskunft bekommen, über ihre Person seien keine Daten beim BKA gespeichert. Besonders nachdenklich wurde eine Bürgerin, die anläßlich der Demonstration eines Terminals mit BKA-Anschluß im Rahmen einer Führung durch das Berliner Polizeipräsidium ihre eigenen beim BKA gespeicherten Daten über den Bildschirm flimmern sehen konnte. Sehr zum Erstaunen des führenden Beamten, das noch gesteigert wurde und schließlich zum Abbruch des Demonstrationsversuches führte, als auch noch die Daten einer zweiten Teilnehmerin der Besuchergruppe – einer Arbeitsgemeinschaft von Rechtsreferendaren/innen – auf dem Bildschirm auftauchten. In gleicher Weise war noch einem anderen Bürger BKA-polizeiliche Unschuld bescheinigt worden, der gar im Besitz eines Telex war, das seine Speicherung im BKA auswies. Auch dieser Bürger mochte der Auskunft nicht so recht trauen.

Die von der Humanistischen Union entdeckte doppelte Buchführung des BKA bestand darin, daß Daten, deren Speicherung beim BKA nicht mehr zulässig war und die eigentlich schon längst hätten gelöscht werden müssen, generell bzw. aus Anlaß der Auskunftsanfrage in eine »interne« Datei, den (VNP Vorgangsnachweis Personen, der nicht zu kriminalistischen sondern nur zu administrativen Zwecken geführt wird) überführt und dort unzulässigerweise weiter gespeichert wurden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte, damals noch Prof. Bulla dem die HU die Ergebnisse ihrer Auswertung übergeben hatte, hatte diese Praxis in seinem nächsten (4.) Tätigkeitsbericht scharf kritisiert(1).

In der folgenden Zeit wandte sich das Interesse der auskunftssuchenden Bürger hin zu den Länderpolizeien, wo wesentlich umfangreichere Datenbestände als im BKA geführt werden. Als Faustregel kann gelten, daß in den jeweiligen Landescomputern der Polizei um die 10% der jeweiligen Landesbevölkerung gespeichert sind. Berlin nimmt mit einem Speichervolumen von einem Drittel der Bevölkerung eine Spitzenstellung ein. Gemessen an der bürokratisch kleinkarierten Auskunftspraxis der Länderpolizeien, verdient die Praxis des BKA beinahe noch Lob. Über eine besonders schlitzohrige Variante, den Auskunftsanspruch des Bürgers zu unterlaufen, ist jetzt aus den Bundesländern Berlin und Hessen zu berichten.

Zwei Frankfurter Bürger – Rechtsanwälte von Beruf – wollten nach der Anfrage beim BKA nun 1981 vom Hessischen LKA wissen, welche Daten dort über sie gespeichert seien – auch sie beriefen sich auf die KpS-Richtlinien. Sie holten sich zuerst mal eine Abfuhr, denn die Kriminalbeamten argwöhnten, daß durch die konzertierte Anwaltsaktion »der Informationsstand der Polizei ausgeforscht« werden sollte. Dies sei eine – wie das LKA in seiner ablehnenden Entscheidung ausführte – von »Trägern verfassungsfeindlicher Bestrebungen« gerne angewandte Methode, weil »in terroristischen Kreisen ein erhebliches Interesse daran (bestehe) festzustellen, ob bzw. aus welchen Gründen die in Frage kommende Person der Polizei bereits bekannt sei«. Obwohl man den Anwälten solche Motive nicht unterstellen wollte, deuteten »die Umstände der von ihm initiierten Aktion jedoch objektiv in diese Richtung«(2).

Die beiden Advokaten gaben sich mit der Auskunftsverweigerung nicht zufrieden und klagten vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt – mit Erfolg. Das Verwaltungsgericht verurteilte im Juli 1984 das Hessische LKA zur Herausgabe der Daten.

Doch nun beginnt der eigentliche Skandal. Denn anstatt den obsiegen Bürgern – wie es sich in einem Rechtsstaat gehört – im Gehorsam gegenüber den Gerichten die Daten über die Kläger herauszugeben, vernichtete die Polizei kurzerhand die gespeicherten Daten. Die Weisung dazu kam von ganz oben – vom Staatssekretär im Hessischen Innenministerium von Schoeler, der als Parlamentarischer Staatssekretär unter Herakles Baum maßgeblich die KpS-Richtlinien mitgestaltet hatte.

Nachdem der »Spiegel« ausführlich und voller Hähme über das skandalöse Unterlaufen des Auskunftsanspruchs des Bürgers durch das Hessische Innenministerium berichtet hatte, und auch der Hessische Datenschutzbeauftragte Prof. Simitis in seinem letzten Tätigkeitsbericht(3) diese Praxis als unzulässig getadelt hatte, hätte man annehmen können, daß es sich hierbei um einen zwar skandalösen, aber doch einmaligen Vorgang handeln werde. Weit gefehlt! Im Sommer des Jahres 1985 mußten zwei Berliner Bürger erleben, daß ihre Daten ebenfalls vor Auskunftserteilung kurzerhand gelöscht worden waren. Doch scheint hier der Polizeipräsident von Berlin die Spirale der Dreistigkeit noch etwas weiter gedreht zu haben, als dies in Hessen der Fall war.

1981 schrieb der eine – von Beruf Rechtsanwalt und Notar – und im Jahr darauf der andere – ein Hochschullehrer – an den Polizeipräsidenten einen Brief, mit der Bitte, doch Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu geben. Nach einigen Wochen hielten beide ein jeweils gleichlautendes und überdies ablehnendes Schreiben in Händen. Darin hieß es, daß nach § 13 Abs. 2 des Berliner Datenschutzgesetzes Daten der Polizei, soweit sie nicht Ordnungsaufgaben wahrnehme, ausdrücklich vom Auskunftsanspruch des Betroffenen ausgenommen seien. Die ablehnende Entscheidung beruhe ferner auf der nach pflichtgemäßen Ermessen vorgenommenen Interessenabwägung, wonach das öffentliche (!) Interesse an der Nichtherausgabe der Daten gegenüber einer möglicherweise damit verbundenen Beeinträchtigung seiner persönlichen Belange überwiege.

Und um unsere neugierigen Bürger zumindest nicht über die Auskunftswünschen gegenüber ganz und gar ablehnende Haltung des Polizeipräsidenten im Unklaren zu lassen, zündete der Polizeipräsident noch ein Bündel von Nebelkerzen: die Verweigerung lasse nicht darauf schließen, daß über den Bürger kriminalpolizeiliche personenbezogene Daten gespeichert seien. Um gerade diesen Rückschluß zu vermeiden, erfordere das öffentliche Interesse, die Auskunft im Einzelfall auch dann zu verweigern, wenn Daten nicht vorhanden seien. Rechtsmittelbelehrung.

Obwohl der Polizeipräsident keine Zugehörigkeit zum legalen Umfeld wie im berichteten Hessischen Vorfall annahm, ist doch die Angst die gleiche: von den Bürgern ausgeforscht zu werden. (Und die muß angesichts eines im Polizeicomputer gespeicherten Drittels der Bevölkerung und entsprechend vielen potentiellen Ausforschern doch recht groß sein).

Das der Polizeipräsident sich trotzdem ein recht eindeutiges Bild von den beiden Bürgern machte, sei weiter unten berichtet.

Die beiden Auskunftssuchenden waren vor dem Verwaltungsgericht weniger erfolgreich. Das Gericht bestätigte die Auskunftsverweigerung Polizeipräsidenten in beiden Fällen als rechtmäßig und beschränkte sich – ohne jede Kenntnis der in Frage stehenden Daten – darauf, festzustellen, daß der Polizeipräsident immerhin sein Ermessen (für juristische Laien: er hat sich was dabei gedacht) bestätigt habe und im übrigen eine detaillierte Darlegung der Ablehnungsgründe nicht in Frage komme.

Hiergegen gingen die beiden Bürger in die Berufung zum Oberverwaltungsgericht, einst Hort liberaler Rechtsprechung im preußischen Polizeistaat. Zu dick schien ihnen der vom Polizeiprasidenten und vom Verwaltungsgericht gerauchte Tobak. Denn mit dieser Argumentation wurde der Polizei ein gerichtsfreier Entscheidungsspielraum zugebilligt. Die so verweigerten Daten können nicht mehr auf ihre Richtigkeit, noch auf ihre Wichtigkeit für die Polizei überprüft werden, wenn weder der Betroffene, noch das Gericht jemals von ihnen Kenntnis erhalten, außer die Polizei gibt gnädigerweise Einblick. Hinzugefügt sei: diese Rechtsauffassung ist zugleich auch die allgemein vorherrschende bei den bundesdeutschen Verwaltungsgerichten. Was die Sache nicht besser, sondern noch schlimmer macht.

Am 31 . Juli 1985 fand die öffentliche Verhandlung vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht statt. Man hatte die Verfahren beider Bürger auf den gleichen Tag terminiert. Und zahlreiches Publikum aus den interessierten Lagern war zugegen. Letzteres vor allem deshalb, weil noch ein dritter Auskunftsprozeß für diesen Tag angesetzt war, dessen Vorgeschichte bereits zum Gegenstand heftigen öffentlichen (des echten) Interesses geworden war und aus einem schlechten Hintertreppenroman entnommen zu sein schien. Die Geschichte sei kurz erzählt, gehört sie doch hier her: Eine freie Mitarbeiterin des Senders Freies Berlin war von weiteren Aufträgen gesperrt worden, weil auf der informellen Schiene zwischen Innensenator und Intendant des SFB letzterem eine bereits aus dem Bundeszentralregister gelöschte Verurteilung übermittelt worden war, die die Polizei (vorwärts und nicht vergessen!) unzulässigerweise weiter gespeichert hatte. Der Fehler der Journalistin bestand darin, daß Innensenator und Intendant (der mit dem Löwen) an der Berichterstattung der Journalistin Anstoß genommen hatten. Und da eine kleine Indiskretion …

Das Verfahren der Journalistin endete mit einer Niederlage. Der Polizeipräsident brauchte nicht Auskunft zu geben. Das preußische Oberverwaltungsgericht ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Kerkau, zu diesem Gebaren befragt, wußte nur wenig Tröstliches zu vermelden. Nach seiner Kenntnis der polizeilichen Auskunftsverweigerungspraxis verweigere diese die Auskunft unter Vermeidung jedes Hinweises, ob überhaupt Daten des Anfragenden gespeichert seien, nur dann, wenn der oder die Betroffene entweder dem terroristischen Lager, der Rauschgiftkriminalitätsszene oder der organisierten Kriminalität zugerechnet werde. Die Journalistin wie auch die beiden anderen Auskunftssuchenden haben die Wahl.

Mehr Glück als die Journalistin hatten der Notar und der Professor. Es sei ein Sieg des Datenschutzes erzielt worden, so überschrieben jedenfalls Berliner Tageszeitungen ihre Berichterstattung. Dies schien auch begründet, denn der Prozeßvertreter des Polizeipräsidenten offenbarte in der Verhandlung dem überraschten Gericht und den noch mehr überraschten Klägern, daß er die gewünschte so lange Jahre verweigerte Auskunft nun doch erteilen wolle, die Kläger würden somit klaglos gestellt und die Verfahren somit beendet.

Dem folgte das Oberverwaltungsgericht, erklärte den Streit für erledigt und legte die bisher entstandenen Kosten (jeweils ca. 1 000 DM) dem Polizeipräsidenten auf.

Im September 1985 erhielten die beiden Bürger die heiß erwartete und nahezu wortgleiche Mitteilung des Polizeipräsidenten. Darin teilte dieser »in Erledigung des Verwaltungsstreitverfahrens« über einige ganz harmlose Speicherung hinaus (z.B. als Anzeigenerstatter) mit: »Maßgeblich für die Auskunftsverweigerung waren zu dieser Zeit beim Polizeilichen Staatsschutz vorhandene Unterlagen…‚ die inzwischen wegen Fristablaufs von Amts wegen vernichtet wurden. Damit sind… keine personenbezogenen Daten zur Person ihres Mandanten in den Kriminalpolizeilichen Sammlungen beim Polizeipräsidenten in Berlin mehr gespeichert.« Unterzeichnet sind die Schreiben vom nach dem Polizeipräsidenten höchsten Polizeibeamten des Landes Berlin, dem Landeskriminaldirektor Kittlaus.

Die ganzen Umstände der Löschungen deuten darauf hin, daß der Polizeipräsident mit sich Hase und Igel gespielt hat. Der Polizeipräsident hat, so ist triftig zu vermuten, dem Gericht das Versprechen, die gewünschte Auskunft nun doch erteilen zu wollen, nur deshalb und in dem Wissen gegeben, weil die alsbaldige fristgemäße Löschung nach den KpS-:Richtlinien anstand (i.d.R. nach 10 Jahren). Wäre es anders, wären also die Daten bereits vor dem gerichtlichen Versprechen auf Herausgabe gelöscht worden, so würde der Polizeipräsident kaum besser dastehen. Dann hätte er das Oberverwaltungsgericht schlicht belogen, denn die Daten, deren Herausgabe er versprach, wären doch längst gelöscht gewesen. Eine in jeder Hinsicht peinliche Lage.

Die Berliner Humanistische Union, seit Jahren stiller Beobachter der polizeilichen Auskunftspraxis, hat sich angesichts dieses Verhaltens nicht mehr anders zu helfen gewußt, als solches Verhalten vor die
Strafgerichte zu bringen. Sie hat Strafanzeige wegen des Verdachts auf Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB) gestellt, denn schließlich geht es nicht an, einem über vier Jahre währenden Rechtsstreit den Boden einfach dadurch zu entziehen, daß die betroffenen Daten schlicht gelöscht werden.

Ganz zu schweigen davon, daß hierdurch gegen die Datenschutzgesetze verstoßen wird, die ausdrücklich die Löschung von Daten verbieten, wenn dem »schutzwürdige Interessen« des Betroffenen entgegenstehen. Und dies ist durch einen über vier Jahre dauernden Rechtsstreit hinreichend dargetan.

Der Notar und der Professor fangen nun wieder von vorne an. Sie haben Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben, mit dem Ziel, feststellen zu lassen, daß die Polizei ihre Daten in rechtswidriger Weise gelöscht hat. Mal sehen, was in 5 Jahren das Oberverwaltungsgericht hierzu sagen wird.

Verweise

1 Der »Prüfbericht« der Humanistischen Union Berlin wurde in der TAZ vom 26.3.1981 abgedruckt
2 Eine eingehende Darstellung des Sachverhalts findet sich im in der Sache erstrittenen Urteil des VG Frankfurt vom 17.7.1984, das in der Kritischen Justiz 1/1985 S. 70 ff ab-gedruckt ist und sich insbesondere mit der polizeilichen Befugnis zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung befaßt, die es de lege lata nicht gegeben sieht.
3 13. Tätigkeitsbericht des Hessischen Datenschutzbeauftragten S. 35f

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